Nachrichten rund um die Rechtschreibreform
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15.06.2015
Edmund Jacoby
Wie Autoren schreiben
Aufwändig oder aufwendig? Wo gehen Autoren mit den amtlichen Regeln der Rechtschreibreform konform und wo nicht? Edmund Jacoby, Verleger im Verlagshaus Jacoby & Stuart, sitzt für den Börsenverein im Rat für deutsche Rechtschreibung - Einblicke aus der letzten Sitzung des Rats.
Jetzt ist sie bald schon zwanzig Jahre her, die große Aufregung um die Rechtschreibreform von 1996. Seit der Rat für deutsche Rechtschreibung im Jahr 2006 ein Regelwerk vorgelegt hat, in dem manche „reformierte“ Schreibweisen abgeschafft und die traditionelle Schreibweise in vielen Fällen wieder zugelassen wurde, herrscht einigermaßen Frieden in deutschen Schreibstuben. Aber die amtliche Schreibung besitzt längst noch nicht wieder die fraglose Autorität, die der Duden und andere Wörterbücher einmal hatten.
Dies wurde in einer ziemlich repräsentativen Umfrage des Interessenverbands österreichischer Autorinnen und Autoren deutlich, die auf der letzten Tagung des Rechtschreibrats vorgestellt wurde: Nur 16% der Befragten bekennen sich uneingeschränkt zur gültigen reformierten Rechtschreibung, während fast ebenso viele an der alten Rechtschreibung von vor 1996 festhalten. Die große Mehrheit gab an, von Fall zu Fall zu entscheiden und eigene Regeln zu befolgen. In den meisten Fällen akzeptieren die Verlage diese individuellen Orthographien.
Und wo gehen die Autoren nun mit den amtlichen Regeln konform und wo nicht?
Das seinerzeitige Hauptärgernis der neuen Rechtschreibung, die vorgeschriebene Auseinanderschreibung zusammengesetzter Wörter, ist dank der Reform der Reform weitgehend beseitigt. Zwar empfiehlt der Wahrig etwa immer noch die Schreibweise „schwer wiegend“, aber 80% der Befragten schreiben „schwerwiegend“, entsprechend der alten Faustregel „nur eine betonte Silbe – ein einziges Wort“. Bei „kennenlernen“ ist das Votum für die Zusammenschreibung noch eindeutiger.
Problematischer ist es mit der Groß- und Kleinschreibung: Ausdrücke wie „auf dem Laufenden“ sollen großgeschrieben werden. Nur scheinbar eindeutig ist in diesem Fall, dass es sich bei „Laufenden“ um ein Substantiv handeln müsse, weil es dazu einen Artikel gibt, und nur 65% der Befragten waren vom Substantivcharakter des Worts überzeugt. (In vergleichbaren Fällen wie „ohne W/weiteres kann auch offiziell wieder kleingeschrieben werden.)
Womit die österreichischen Profischreiber sich auch nicht recht anfreunden können, sind reformierte „ä“-Schreibweisen. „Aufwändig“ wird inzwischen auch von den Wörterbüchern nicht mehr empfohlen, da das Wort nun mal nicht von Wand, sondern von wenden kommt. „Schnäuzen“ statt „schneuzen“ ist dagegen zwar vorgeschrieben, aber dennoch nicht mehrheitsfähig. Wer denkt denn schon beim Sich-Schnäuzen an Schnauze?
Auch außerhalb Österreichs hadern die Schreibenden noch mit einigen Reformschreibungen. So geht vielen das vorgeschriebene „nummerieren“ oder gar „nummerisch“ ebenso gegen den Strich wie „platzieren“. Das eingedeutschte Portmonee statt Portemonnaie wird inzwischen von den Wörterbüchern nicht mehr empfohlen, obwohl die ideologisch vorbelastete Auffassung, dass „Fremdwörter“ eingedeutscht („integriert“) gehören, noch nicht ganz tot ist. Im Fall von „Tollpatsch“ hat sich die „Integration“ des migrantischen, aus dem Ungarischen stammenden, Worts durchgesetzt, weil die meisten Schreibenden wohl vermuten, dass das Wort von „toll“ kommt; bei Nougat dagegen hält sich kaum jemand an die Duden-Empfehlung „Nugat“ …
Woran die österreichischen Autorinnen und Autoren mit gutem Grund erinnert haben, ist dieses: Rechtschreibregeln haben nicht nur den Zweck, Schülern das Schreibenlernen zu erleichtern, sondern auch den, Texte möglichst lesbar zu machen. So plädieren sie für eine möglichst klare Satzgliederung durch Kommata, anders als die Reformrechtschreibung, die versucht hat, die Zahl der Kommata zu reduzieren.
Übrigens: Der österreichische Verband hat jetzt beschlossen, künftig nicht mehr die alten Rechtschreibregeln anzuwenden, sondern eine Hausorthographie auf der Grundlage der geltenden Regeln zu nutzen. Ein weiterer kleiner Schritt zum Rechtschreibfrieden.
Quelle: www.boersenblatt.net
Link: http://www.boersenblatt.net/artikel-rat_fuer_deutsche_rechtschreibung_.970304.html
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Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 27.06.2015 um 09.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=718#10105
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Eine weitere durch die Reform eingeführte Ausnahme ist "Ass". Bevor ein gewisser Herr Augst sich zum Volk erhob, galt unterschiedslos die Schreibung "As". Jetzt benötigt man "enzyklopädisches Hintergrundwissen" (ein Vorwurf, den die Reformer an die bisherige Orthographie erhoben haben), um zwischen "As" (Münze, Tonart) und "Ass" (Spielkarte) zu unterscheiden.
Im Zusammenhang mit der Fremdwortschreibung (hier: LBB, GZS, Bindestrich) läßt sich außerdem konstatieren, daß sich das Wort "Marketingass" (www.spiegel.de) vielleicht doch etwas leserfreundlicher schreiben ließe.
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Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 27.06.2015 um 07.20 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=718#10104
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Ein ausführlicherer Kommentar:
Der Text wird als "Einblicke" in die Ratsarbeit bzw. die letzte Sitzung angekündigt, faßt aber im wesentlichen nur eine Umfrage unter österreichischen Autoren zusammen. Über die "Arbeit" des Rates wird nichts ausgesagt.
Es fällt auf, daß an kritischen Stellen mit relativierenden Modifikatoren gearbeitet wird: "einigermaßen Frieden in deutschen Schreibstuben", "in einer ziemlich repräsentativen Umfrage", und daß der Rechtschreib-Duden jemals eine "fraglose Autorität" war, kann man mit Recht bezweifeln.
(In vergleichbaren Fällen wie ohne W/weiteres kann auch offiziell wieder kleingeschrieben werden.) – Herr Gallmann dürfte zufrieden grinsen, wenn er das liest, denn man konnte bzw. mußte hier "amtlich" immer klein schreiben. Die optionale Großschreibung ist erst 2004 hinzugekommen und bisher nicht zurückgenommen worden.
In dem Absatz zu "nummerieren" usw. fehlt Herrn Jacoby der Durchblick: "nummerisch" und "Nugat" standen schon im unreformierten Duden – die Passage ist fast schon "Zehetmair'sch".
Was die Kommasetzung angeht, so hatte die Reform keineswegs das Ziel, "die Zahl der Kommata zu reduzieren". Vielmehr wurden einige obligatorische Kommas für fakultativ erklärt und manche fakultative für obligatorisch. Darüber hinaus wurden einige bis zur Reform als "falsch" geltende Kommas erlaubt sowie einige weitere obligatorisch. Im schwer überschaubaren Chaos der reformierten Kommaregeln sind außerdem ein und dieselben Kommas einem Paragraphen zufolge möglich, nach einem anderen aber zwingend vorgeschrieben.
Ich würde mir wünschen, daß Herr Jacoby sich als Ratsmitglied etwas gründlicher mit den Tatsachen vertraut machte.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.06.2015 um 17.43 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=718#10103
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Das ist richtig. Ich habe gleich am Anfang der Diskussion darauf hingewiesen, wie es gekommen ist: Nachdem die Kultusminister dem Arbeitskreis sein Lieblingsspielzeug, die allgemeine Kleinschreibung, aus der Hand geschlagen hatten, wußten die Reformer buchstäblich nicht, was sie tun sollten. Statt sich aufzulösen, sammelten sie allerlei Einfälle, diskutierten ein wenig, nickten dies oder jenes ab, aber was am Ende herauskam, ließ überhaupt kein Gesamtkonzept mehr erkennen.
Ein kleines Paket für sich waren die Etymogeleien des Herrn Augst, aber auch das war nur noch ein Rest seiner komischen Ideen, die schon lange zuvor das Kopfschütteln richtiger Sprachwissenschaftler ausgelöst hatten.
Ein anderes Steckenpferd, das Wolfgang Mentrup jahrelang mit größter Leidenschaft geritten hatte, drang überhaupt nicht durch: die Einheitsschreibung das.
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Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 26.06.2015 um 17.03 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=718#10102
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Ärgerlich, aber typisch für die Vorgehensweise der Reformer. Augenblickseinfälle ohne jede Systematik, Einzelfallregelungen ad hoc, und das unter dem Etikett der "Vereinfachung".
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Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 26.06.2015 um 09.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=718#10101
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Das Ärgerliche an "aufwändig" ist, daß hier ohne Not eine Ausnahme eingeführt wurde, die die Reihen- oder Analogiebildung zerstört: wendig, abwendig, inwendig, auswendig, in- und auswendig, notwendig, aufwendig. Ähnliches gilt für "platzieren".
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 20.06.2015 um 16.05 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=718#10094
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Aufwendig kommt zwar nicht von Wand, wie Jacoby richtig feststellt, aber mit Aufwand hat es ja schon etwas zu tun. Die Begründung, daß es trotzdem nicht mit Umlaut geschrieben wird, sondern wie (auf)wenden, müßte also etwas anders aussehen.
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Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 20.06.2015 um 12.59 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=718#10093
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Wenn man den Zustand des Journalismus heutzutage sieht, verwundert das Pseudonym des Ahnungslosen nicht.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.06.2015 um 18.20 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=718#10092
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Auf den Bericht Jacobys im Börsenblatt habe ich reagiert und dann noch auf die Einlassungen eines Ahnungslosen, der leider nicht einsehen will, daß er einer ist.
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