Nachrichten rund um die Rechtschreibreform
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28.04.2005
Hans Krieger
„Wem gehört die deutsche Orthographie?“
Zu dem Artikel von Michael Braun in »Freitag« vom 22.4.2005
Die Frage, wem die Orthographie gehöre, wird nur im Titel aufgeworfen und im Text nirgendwo näher erörtert;
den Tatbestand der »kulturpolitischen Besitzergreifung« aber, den der Untertitel konstatiert, sieht der Autor nicht etwa durch die Anmaßung der Rechtschreibreformer erfüllt, mit der orthographischen Neuregelung zugleich Wortbildungsprozesse rückgängig zu machen, Ausdrucksdifferenzierungen zu beseitigen und die Grammatik zu verbiegen, sondern durch den Widerstand von Schriftstellern und Sprachgelehrten gegen die autoritär verordnete sprachkulturelle Regression. Diese Kritiker der Reform, denen er »eiserne Selbstherrlichkeit« und kulturkämpferisches Partisanentum vorwirft, erheben nach Brauns Ansicht einen »Besitzanspruch« auf das Sprachempfinden, »das wie eine Monstranz vor sich hergetragen wird«. Ich erhebe keinen Besitzanspruch auf die Grammatik, wenn ich feststelle, daß einen so vermurksten Satzbau sich nicht leisten darf, wer sich in einem Streit um Sprachprobleme zum Richter aufwerfen will. So wie der Satz dasteht, besagt er, daß das Sprachempfinden vor dem Sprachempfinden hergetragen wird, und das ist blanker Unsinn. Wer wie Braun meint, ein einzelner wie der Linguist Theodor Ickler könne ein »Think tank« (sic!) sein, ist gegen solchen Unsinn natürlich nicht gefeit, qualifiziert sich damit aber nicht gerade für eine seriöse Sprach-Diskussion.
Darauf kommt es Braun auch gar nicht an. Ihm geht es nur um die Überlegenheits-Illusion, die man beim verbalen Eindreschen auf einen imaginären Gegner genießen kann. Da es zu den Regeln dieses Spiels gehört, daß man Süffisanz mit Intelligenz und polemische Pointen mit Argumenten verwechselt, wäre mehr als oberflächliche Informiertheit dabei nur hinderlich. Daß gerade Zeitungsschreiber dieses Spiel so gerne mit Kritikern der Rechtschreibreform spielen, ist schwer zu verstehen, denn sie schädigen damit ihre eigenen Interessen. Eigentlich müßten sie sich freuen, daß es Leute gibt, die sich für die Einhaltung der Fundamente des journalistischen Handwerks einsetzen.
Für resistent gegen Argumente hält Braun die Reformkritiker. Er hätte den Versuch ja mal machen und ein Argument vorbringen können, aber es ist ihm kein einziges eingefallen. Kein Wunder: niemand hat ein Argument für die Reform, das einer sachlichen Debatte länger als zwei Minuten standhielte. Nur gegen die »alte« Rechtschreibung hat Braun ein Argument: sie zwinge, »Recht geben« zu schreiben, aber »recht haben«, »Auto fahren«, aber »radfahren«. Ja wenn es weiter nichts ist! Was »Recht geben« angeht, so hätte schlichtes Nachschlagen vor der uneidlichen Falschaussage (die in diesem Fall nicht strafbar ist) bewahren können. Bei »Auto fahren« hat Braun recht. Wie man es vermeidet, aus einer solchen Winzlingsmücke einen Elefanten zu machen, konnte er seit Jahrzehnten bei einem »kulturkämpferischen Partisanen« wie mir nachlesen: eine simple Toleranzregel, daß in solchen schwer zu klärenden Zweifelsfällen das Stilgefühl des Schreibenden entscheidet, hätte genügt. Stattdessen hat der reformerische Großangriff für jeden bereinigten Zweifelsfall hundert neue entstehen lassen. Wie erklärt sich denn Herr Braun, daß man nicht mehr, wie früher, »eine Handvoll Kirschen« essen darf, sondern nur noch »eine Hand voll Kirschen«? Hat er jemals eine Hand verspeist, die mit Kirschen gefüllt war? Und zeugt es von Besitzanspruch, wenn man sich gegen die Nötigung wehrt, etwas anderes zu schreiben als das, was gemeint ist?
P.S.: Den Artikel in »Freitag«, auf den sich Hans Krieger bezieht, finden Sie hier.
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Kommentar von Günter Loew, verfaßt am 28.04.2005 um 13.24 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=247#665
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Wie kommt Michael Braun eigentlich zu der Annahme, der Staat oder irgendwelche zur exekutiven Gewalt gehörenden staatlichen Institutionen hätten das Recht, dem Souverän (also dem Rechtschreibvolk) vorschreiben zu können, wie er zu schreiben hat? Wer als Journalist dagegen nichts einzuwenden hat, dokumentiert allein dadurch schon eine Form der Obrigkeitshörigkeit, die ihn eigentlich für seinen Beruf disqualifiziert, denn die Presse hat als 4. Gewalt in unserer Parteiendemokratie eine Wächterfunktion gegenüber dem Staat. Sie ist bitter notwendig, weil die klassische Gewaltenteilung in unserer repräsentativen Demokratie nicht funktionieren kann, da die Regierungen auf allen parlamentarischen Ebenen aus der jeweiligen parlamentarischen Mehrheit hervorgehen, so daß die Opposition von Anfang an in den Parlamenten auf verlorenem Boden steht. Das war natürlich in der englischen Geschichte ganz anders, als das Parlament noch der natürliche Gegenspieler der durch den Monarchen bestellten Regierung war.
Zudem haben die verantwortlichen Politiker von Anfang an eine öffentliche Diskussion der beabsichtigten Schreibreform und eine Befassung der allenfalls für gesetzliche Regelungen auf diesem Feld zuständigen Parlamente verhindert. Das ist z.B. in dem Brief vom 14. September der sog. "Jungen Wilden" der CDU, also der damaligen Fraktionsvorsitzenden Christoph Böhr, Roland Koch, Peter Müller, Günther H. Oettinger und Christian Wulff in den Länderparlamenten an den seinerzeitigen Bundesminister des Inneren, Manfred Kanther, eindeutig belegt. Es heißt darin wörtlich: "Es ist nach unserer Überzeugung ein inakzeptabler Vorgang, daß in einem Land, das sich die Zeit nimmt, monatelang über die Einführung eines neuen Postleitzahlensystems zu streiten, möglich sein soll, ohne jeden rationalen öffentlichen Diskurs und ohne jede Beteiligung der deutschen Parlamente eine grundlegende Veränderung der Schreibweise der deutschen Sprache vorzunehmen."
Hätte man sich damals an die üblichen demokratischen Gepflogenheiten gehalten, müßten sich die Kultusminister heute nicht vorhalten lassen, daß sie für die Verhunzung der deutschen Orthographie verantwortlich sind. Die wahrscheinlich besten Kenner der Materie, die Professoren Eisenberg, Ickler und Munske hätten damals schon den geplanten Reformunfug durch die bessere Einsicht in die Gesetzlichkeiten unserer Sprache in Stücke gerissen und müßten sich heute nicht damit abplagen, den um ihr Ansehen besorgten Politikern ein Stückchen der bewährten Rechtschreibung nach dem anderen wieder aus den Zähnen zu reißen.
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Kommentar von Nikolaus Lohse, verfaßt am 28.04.2005 um 14.04 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=247#666
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In fast allen Punkten ist Hans Krieger (wie fast immer) zuzustimmen - nur in einem nicht: Auch bei 'radfahren' vs. 'Auto fahren' hat Braun keineswegs recht, auch wenn das Beispiel von den Reformern ständig als Paradefall hochgehalten wird. Eine Duden-Regel, radfahren prinzipiell klein und zusammen, Auto fahren dagegen getrennt zu schreiben, hat es nie gegeben; was es gab, war die Ansetzungsform 'radfahren' (übrigens mit beiden Schreibweisen in den Beispielen, also auch: Sie fährt gerne Rad), während 'autofahren' (noch) nicht als eigene Wortform gewertet worden ist. Das ist aber auch schon alles.
Die Schreibung sollte sich, so die alte Duden-Anweisung, danach richten, ob man Rad/Auto als eigenständiges Ding (Akkusativobjekt) auffaßt oder das Ganze als Tätigkeit, dann eben als Verb und zusammen. Entsprechend umsichtig setzt das Wörterbuch der Gegenwartssprache an: rad/Rad/ -fahren; die Formen: er fährt Rad, fuhr Rad, ist radgefahren.
Die Schreibung scheint nicht nur von der Vorstellung (des Rades als Vehikel) abzuhängen, sondern auch von der Wortstellung: Bei 'er fährt Rad' suggeriert sie eher ein Objekt (zumindest würde die Kleinschreibung hier irritieren); beim Partizip 'radgefahren' hingegen dominiert der Vorgang und verdrängt die Vorstellung des gefahrenen (bewegten, gelenkten) Rades.
Die rein mechanische Regelung der Zusammen- und Getrenntschreibung nach der Kombination von Wortarten (z.B. Adjektiv + Partizip: hochbegabt) ist zu undifferenziert und die so aufgebaute Systematik nicht in der Lage, die je aktuellen sprachlichen "Gravitationsverhältnisse" hinreichend zu erfassen. Offenkundig ist der spontane Sprachgebrauch sehr viel genauer und differenzierter und wird von erheblich subtileren Steuerungsmechanismen gelenkt.
Je länger die Rechtschreib-Debatte andauert, desto mehr muß man an Selbstverständliches erinnern: daß nur Schreibregeln etwas taugen, die die sprachlichen Gegebenheiten adäquat und möglichst exakt abbilden. Freilich: Wenn die Verhältnisse komplex sind, dann können die Regeln unter Umständen kompliziert werden. Letztlich beschreiben sie aber nur das, was jeder halbwegs kompetente (muttersprachliche) Sprecher intuitiv und mühelos vollzieht und jeder Leser ebenso selbstverständlich nachvollzieht. Wenn es beim Schreiben zu Problemen kommt, tut Übung not, und im Zweifelsfall sind Nachsicht und Toleranz zu üben. Aber ein ausgeklügeltes und leistungsfähiges (nicht: fehlerfreies!) Regelwerk durch ein vermeintlich einfaches, in Wahrheit nur grobes und bewußt undifferenziertes zu ersetzen, um "Fehlerquellen" zu vermeiden, ist fast so, als würde man die Gesetze aufheben, um die Kriminalitätsrate zu senken.
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Kommentar von Thomas Paulwitz, verfaßt am 28.04.2005 um 14.12 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=247#667
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Michael Braun ist ja kein Unbekannter. Einer seiner polemischen Artikel diente im vergangenen Jahr sogar als Vorlage für eine Abiturprüfungsaufgabe im Leistungskurs Deutsch. Brauns Polemik sollte mit einem Text verglichen werden, in dem die Ablehnung bestimmter reformierter Schreibungen begründet wird. So mutige Deutschlehrer, die sich trauen, solche Aufgaben zu stellen, gibt es leider nur wenige.
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Kommentar von Reinhard Markner, verfaßt am 28.04.2005 um 15.32 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=247#668
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Als Mitarbeiter am Goethe-Wörterbuch hat Herr Lohse einen guten Blick für das Rückwärtsgewandte der vermeintlichen Reform auch an diesem Punkt. Eine Reform wäre es allenfalls gewesen, die Kleinschreibung autofahren anzuerkennen. Während sie andernorts mit Artikelproben operierten, ist den Reformern nicht aufgefallen, daß das Fehlen eines Artikels auch als Indiz für die Kleinschreibung dienen könnte, also er fährt auto (und nicht mit der Bahn) vs. er fährt das Auto (. . . in die Werkstatt). Wer Rad fährt, sollte auch Theil nehmen. Alles schon mal dagewesen.
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Kommentar von Hans Krieger, verfaßt am 28.04.2005 um 17.17 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=247#669
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Herr Lohse hat recht: die Vorschrift im Wörterverzeichnis zu „radfahren / Auto fahren“ im alten Duden stimmte mit der Regel 207 nicht überein. Darauf habe ich in meinen Aufsätzen wiederholt hingewiesen. In der Erwiderung auf Braun habe ich diesen Aspekt weggelassen, weil einem Halbinformierten wie jedem normalen Wörterbuchbenutzer das Recht zugebilligt werden muß, das Wörterverzeichnis für verbindlich zu halten.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.04.2005 um 17.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=247#670
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Es ist richtig, daß die Dudenregeln viel besser waren als ihr Ruf, gerade was das ausgelutschte Beispiel "radfahren" usw. betrifft. Im Wörterverzeichnis war das Problem dann nicht so gut behandelt.
Weshalb ich aber hierzu noch einmal das Wort ergreife: Vor längerer Zeit habe ich mal an einer inzwischen etwas versumpften Stelle darauf hingewiesen, daß Radfahrer und Autofahrer tatsächlich verschieden gesehen werden. Seither hat sich diese Beobachtung immer wieder bestätigt, denn ich fahre jeden Tag mit dem Rad und achte darauf, was die Leute sagen. Ganz überwiegend warnen sie, wenn ich angepest kommt, ihre Kinder oder Hunde mit "Vorsicht, da kommt ein Radfahrer!", manchmal auch "...ein Rad". Aber noch nie habe ich jemanden rufen hören "Vorsicht, da kommt ein Autofahrer!" Man warnt immer vor dem Auto. Daraus folgt nicht unmittelbar eine bestimmte Schreibweise, gewiß, aber ein Unterschied wird gemacht. Daher ja auch "radeln", wozu es keine Entsprechung auf der Seite der motorisierten Vehikel gibt.
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Kommentar von Fritz Koch, verfaßt am 28.04.2005 um 17.32 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=247#671
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Mich stört viel mehr, daß in der Duden-Grammatik steht "bin / habe gefahren", aber im alten und neuen Rechtschreibduden nur "bin Auto gefahren" aufgeführt ist. Bei Zug, Bahn, Bus, Auto muß doch unterschieden werden können, ob ich passiv als Mitfahrer Zug, Bahn, Bus, Auto (Instrumental) gefahren bin oder aktiv als Lenker Zug, Bahn, Bus, Auto (Akkusativ) gefahren habe. Die Polizei fragt bei Unfällen, wer Auto gefahren hat. Oder unterscheiden nur die Bayern genauer, auch ob man gesessen ist (nämlich im Sessel) oder gesessen hat (nämlich im Gefängnis)?
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Kommentar von Konrad Schultz, verfaßt am 28.04.2005 um 18.27 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=247#672
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Herr Koch stammt offenbar nicht aus Mitteldeutschland. Dort hat man im Sessel gesessen ("ist" klingt sehr süddeutsch), man ist Auto gefahren oder hat das Auto gefahren, und die Polizei fragt am ehesten, wer der Fahrer ist. Was hier hochsprachlich korrekt ist, weiß ich leider nicht.
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Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 29.04.2005 um 04.25 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=247#674
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autofahren und antifahren
Es gibt noch einen weiteren Grund für die tatsächliche Tendenz zur Ungleichschreibung von radfahren/Auto fahren (freilich nur bei dieser Anordnung der Bestandteile). Zufällig geht es hier um Auto[/i]/auto, und das kleingeschriebene auto... ist nun einmal stark als Vorsilbe ("selbst...", "eigen...") von ausgesprochen fremdsprachlichen Begriffen definiert: automatisch, autochthon, autonom, autolytisch ... Zwar handelt es sich bei Auto(mobil) eigentlich um dieselbe Vorsilbe, doch längst hat sich das Auto als normales Alltagswort ohne fremdsprachlichen Charakter davon abgesetzt. Jedenfalls erwartet man beim Anblick des Wortanfangs auto... im Sinne der Statistik eben nicht das Auto, sondern etwas Fremdsprachliches vom Typ autodidaktisch usw. Nur selten wird dieses Schema durch Wörter wie autofrei oder autoverrückt durchbrochen. Diese Konkurrenz mit einer anderen sprachlichen Erscheinung ist bei rad... nicht gegeben.
Noch fremder wäre die Verknüpfung eines alleinstehendes auto[/i] mit der Bedeutung des Substantivs das Auto(mobil) - deshalb schreibt man auch in der Regel Ich fahre Rad und nicht Ich fahre rad, um so mehr: Ich fahre Auto.
Also sozusagen: Wenn das Rad nicht Rad heißen würde, sondern zufällig zum Beispiel Anti, dann würden wir wahrscheinlich schreiben Anti fahren und lieber nicht antifahren.
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Kommentar von R. M., verfaßt am 29.04.2005 um 08.48 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=247#675
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*Anti?
Velo!
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Kommentar von Thomas Paulwitz, verfaßt am 29.04.2005 um 09.13 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=247#676
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Radeln steht nicht alleine. Der Duden verzeichnet das Wort "auteln" als "veraltet für Auto fahren (aus Liebhaberei)".
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Kommentar von Fritz Koch, verfaßt am 29.04.2005 um 10.46 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=247#677
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Herr Wrase hat recht: ich fahre auto kann auch bedeuten: ich fahre selbst oder selber.
Im Duden geht es unter "Auto, auto" mit den Bedeutungen "KFZ" oder "selbst" wild durcheinander. Für sprachhumorige Mehrdeutigkeiten stehen zur Verfügung: Autodafé: Autoverbrennung, Autograph: Autobeschrifter, Autohilfe: Selbsthilfe, Autokorrektur: Neueinstellung des Autos, Autokratie: Herrschaft der Autoindustrie, Autolyse: Auflösung eines Autos, Automechaniker: Selbstreparierer, Autonomie: Autovermessung, Messung des Autoverkehrs, Autopilot: der Fahrer des Autos, Autoplastik: Denkmal eines Autos, Autopsie: Sichtprüfung des Autos, Autoreparatur: selbsttätige Reparatur oder ohne fremde Hilfe, Autoschlange: Schlangenart, die Autos bevorzugt, Autostop: selbsttätiges Anhalten, Autostrich: Beschriftung des Autos, Autotelefon: selbsstätiges Telefon, Autotoxin: Gift für Autos, autotroph: Autos fressend, Autotypie: Autobeschriftung, Autounfall: Unfall ohne Fremdeinwirkung oder Fremdverschulden u. a.
Die Skandinavier sagen "bil" und die Polen "samochod" (Selbstläufer) für das Automobil.
"Radfahren" wird sicher mit der Zeit durch "biken" abgelöst.
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 30.04.2005 um 01.10 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=247#679
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Da die Diskussion über das Thema "radfahren" wieder ausgebrochen ist, möchte ich auch meinen Senf dazugeben:
Die Wendung "radfahren" unterscheidet sich von den Beispielen "Auto fahren", "Schlitten fahren" usw. dadurch, daß das Wort "Rad" in der Bedeutung "Fahrrad" keineswegs zum allgemeinen deutschen (aktiven) Wortschatz gehört - ähnlich wie "radeln". Jedenfalls verwende ich beide Wörter nie. Vielleicht täusche ich mich, aber mir scheint, daß diese Wörter eher im Süddeutschen verbreitet sind. Wer das Wort "Rad" nicht verwendet, kann natürlich auch nicht "Rad fahren" bilden. Für ihn ist "radfahren" eine stehende Wendung, eine Abkürzung für "Fahrrad fahren", die den störenden Gleichklang vermeidet. Daraus mag sich erklären, daß sich "radfahren" als die überwiegende Schreibung durchgesetzt hat.
Es bleibt die Frage, warum in "ich fahre Rad" das "Rad" laut altem Duden großgeschrieben wird.
Zunächst ist festzustellen, daß dies nicht das einzige Beispiel derartiger "Unlogik" ist. Der alte Duden schrieb ja auch "maschineschreiben" aber "ich schreibe Maschine" vor.
Nun ist es so, daß viele vergleichbare Verbindungen selten, wenn überhaupt, mit Nachstellung des Verbzusatzes verwandt werden. So sagt mein Duden (1961), daß "kopfrechnen" nur in der Grundform (Infinitiv) gebräuchlich sei. Dagegen kennt mein Wahrig das Verb "kopfrechnen" überhaupt nicht, dafür - im Gegensatz zum Duden - aber das Verb "seiltanzen", das aber nur im Infinitiv gebräuchlich sei. Dadurch stellt sich die Frage nicht, wie wohl "ich rechne kopf (Kopf)" oder "ich tanze seil (Seil)" zu schreiben sei. Persönlich würde ich übrigens auch nie "ich schreibe Maschine" sagen oder schreiben. Ähnliches gilt nach meinem Eindruck selbst bei Getrenntschreibung. So dürfte "ich fahre Auto" wesentlich seltener vorkommen als die Infinitivform "Auto fahren".
Ich vermute nun, daß diejenigen, die das Wort "Rad" in der fraglichen Bedeutung nicht verwenden, sich scheuen, "radfahren" mit Nachstellung des Verbzusatzes zu verwenden. Bei denjenigen dagegen, die "Rad" verwenden, dürfte die Scheu, die Nachstellung zu verwenden, geringer und die Großschreibung von "Rad" in diesem Fall durchaus natürlich sein. Infolgedessen wäre "ich fahre Rad" tatsächlich die überwiegende Schreibweise. Daher könnte die entsprechenden Feststellungen des Duden, die ja häufig als willkürliche "Vorschrift" dargestellt werden, empirisch durchaus begründet sein. Wenn man den Usus als Hauptkriterium anerkennt, dann ist eher die Auffassung von Prof. Ickler, daß man aus Gründen der Logik oder Grammatik genausogut auch "Rad fahren" schreiben kann, fraglich.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.04.2005 um 07.03 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=247#680
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Die feinen Beobachtungen von Herrn Achenbach erkenne ich an und möchte noch hinzufügen, daß mich schon seit langem eine bisher wenig beachtete Erscheinung interessiert: daß nämlich grammatische Strukturen manchmal reihenfolgeabhängig sind (was sie nach strukturalistischer Auffassung nicht sein sollten). Eigentlich sollte es keinen Unterschied machen, ob eine grammatische Verbindung (hier Verb + Ergänzung) in Haupt- oder Nebensatzstellung, im Präsens oder im Perfekt vorkommt, sie bleibt als Konstruktion immer gleich. Dem ist nun aber nicht immer so. Man kann z. B. sagen "Er hat so gut wie gewonnen", aber nicht "Er gewinnt so gut wie". Es gibt noch weiteres dieser Art. Daß besonders in Fachsprachen so viele Verbkomposita (?) vorkommen, die nur in infiniten Formen gebraucht werden, ist ja auch ein bißchen unlogisch ("spritzgießen" usw.). Es zeigt aber, daß diese infiniten Formen, ursprünglich nominaler Natur, nicht vollständig ins Verbparadigma integriert sind, sondern ihre Doppelnatur beibehalten haben.
Was nun das Radfahren betrifft, so ist gegen "Rad fahren" weder grammatisch noch logisch noch - vor allem - vom Befund her etwas einzuwenden. Ich habe ja auch immer nur behauptet, daß die Zusammenschreibung nicht verboten werden darf, aber nicht aus logischen Gründen, sondern weil sie schon lange üblich ist. Das Problem liegt in der Groß- oder Kleinschreibung bei Distanzstellung. Tatsächlich sträubt sich wohl in vielen von uns etwas gegen die Kleinschreibung "ich fahre rad, laufe eis" usw. Man könnte die Sache logisch in Ordnung bringen, indem man hier groß schreibt und das Ganze als Suppletivform auf das Paradigma "Rad fahren, Eis laufen" zurückführt.
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Kommentar von R. M., verfaßt am 30.04.2005 um 11.45 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=247#681
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Radeln ist süddeutsch, aber bei Rad unterscheidet sich regional doch wohl nur die Aussprache. Die Preußen haben keine Scheu vor einem Satz wie Ich habe das Rad [gesprochen Ratt] an dem Zaun angeschlossen.
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Kommentar von Fritz Koch, verfaßt am 30.04.2005 um 13.05 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=247#682
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Eine wirkliche Lösung des Problems, ob echte Komposition aus Substantiv und Verb oder Pseudokomposition durch Rückbildung aus substantiviertem Infinitiv wäre die nichttrennende Gleichbehandlung der finiten Formen:
Ich sandstrahle, punktschweiße, bergsteige, eislaufe, seiltanze, maschinenschreibe, schlittenfahre, autofahre, radfahre, skilaufe, schlittschuhlaufe, kopfstehe, schlangestehe, kegelschiebe, standhalte, schritthalte, notlande, brustschwimme, rückenschwimme usw., wobei im Partizip II das -ge- eingeschoben wird. Es würde das Leseverständnis nicht erschweren, Satzklammern in Form von Einschüben verhindern und das Schreiben erleichtern.
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Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 30.04.2005 um 15.25 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=247#683
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Herr Icker schrieb:
"... und möchte noch hinzufügen, daß mich schon seit langem eine bisher wenig beachtete Erscheinung interessiert: daß nämlich grammatische Strukturen manchmal reihenfolgeabhängig sind (was sie nach strukturalistischer Auffassung nicht sein sollten)."
Ich vermute, daß man dieses Prinzip der Reihenfolgeabhängigkeit sehr weit auslegen kann. Vielleicht so weit, daß man sagen kann, radfahren, sogar radzufahren seien Zusammensetzungen, fährt Rad jedoch nicht. Gleichzeitig hängt sehr viel davon ab, wie man die grammatischen Strukturen benennt, welche Vorstellungen, Modelle, Theorien zugrundeliegen. (In diesem Fall: Wie definiert man Zusammensetzung? Kann man beweisen, daß ratsuchend eine Zusammensetzung ist? usw.)
Für komplexe Strukturen muß es auch eine komplexe Begrifflichkeit geben. Meines Erachtens sollte der Begriff des Verbzusatzes noch weiter ausdifferenziert werden. Es widerstrebt mir, daß Rad fahren und radfahren als grammatisch völlig gleichwertig (und bloß orthographisch verschieden) behandelt werden.
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