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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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14.10.2009
 

Tiere
Gedankenanregungen aus der „Süddeutschen“

Gestern berichtete die SZ auf ihrer Wissensseite, daß sich Paviane verschiedener Arten auch über die Artengrenze hinweg paaren: "Meist seien es männliche Tiere, die Weibchen einer benachbarten Art begatten." Klingt irgendwie seltsam.

Der Philosoph Edmund Husserl (meiner Ansicht nach ein wissenschaftsgeschichtliches Verhängnis wie die ganze "Phänomenologie") sagte 1935 in einem bekannten Vortrag: "Nach der guten alten Definition ist der Mensch das vernünftige Lebewesen, und in diesem weiten Sinne ist auch der Papua Mensch und nicht Tier."

Das war politisch nicht korrekt, und heute wäre er dafür in ziemliche Schwierigkeiten geraten.

In der Zeitung wird anläßlich der Buchmesse auch ein jetzt übersetztes neueres Buch von Tomasello vorgestellt, das den gestischen Ursprung der Sprache vertritt. Tomasello ist seit Jahren auf dem richtigen Weg, es fehlt nur noch ein Abstandnehmen von der mentalistischen Begrifflichkeit. Es gibt im Leben eines Kleinkindes keinen Moment, in dem es anfängt, dem anderen einen Geist zu unterstellen ("Theory of Mind"). Eltern haben von einer solchen Revolution im Verhalten ihrer Säuglinge auch noch nie etwas bemerkt. Die Entwicklung eines Kindes ist zwar erfreulich und erstaunlich, aber Wunder finden nicht statt.
Tomasello weiß nicht, wie nahe er Skinner schon gekommen ist, weil letzterer tabu ist.



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Kommentare zu »Tiere«
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Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 16.10.2009 um 18.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1227#15102

Ganz unabhängig von der Phänomenologie scheint mir die Frage nach dem Menschsein der Papua darauf hinauszulaufen, ob ein Menschenfresser (als welcher der Papua zumindest noch zu Husserls Zeiten nicht ganz unberechtigterweise galt), also einer, der in seinem Ernährungsverhalten nicht zwischen Mensch und Tier unterscheidet, seinerseits dennoch als Mensch vom Tier zu unterscheiden sei. (Freilich unterscheidet der Kannibale sich in seiner Indifferenz nicht vom Vegetarier. Soweit man dem einen das Menschsein zubilligt, wird man es dem anderen nicht absprechen dürfen.)

Ein Problem gibt es hier deshalb, weil und soweit die Unterscheidung zwischen Mensch und Tier mit dem Kannibalismustabu zusammenfällt. Die Unterscheidung ist eine konstitutive, selbst nicht hintergehbare bzw. ableitbare Setzung. Daher kollidiert sie mit dem Kernsatz der Ontologie, dem Satz des Parmenides: „Sein heißt, bestimmt sein.“ Alle Versuche, diesem Mangel abzuhelfen, führen in die Aporie. Ob der Mensch nun als zoon politikon oder als animal loquax (oder auch als „vernünftiges Lebewesen“) bestimmt wird, immer hebt die Definition genau diejenige Unterscheidung auf, die erst einen Definitionsbedarf hergestellt hat.

Der Ausweg ist das von Ernst-Wolfgang Böckenförde postulierte Definitionsverbot für „Mensch“. Das Postulat hat allerdings nur dann Sinn, wenn man auf die Unterscheidung zwischen Mensch und Tier Wert legt, und es ist nur dann vertretbar, wenn man die gängige Wissenschaftsideologie und die ihr zugrunde liegende Metaphysik nicht ernster nimmt, als sie es verdient haben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.10.2009 um 06.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1227#15105

Natürlich unterscheiden die Papua zwischen Mensch und Tier. Menschen gehören nicht zum täglichen Speiseplan. Es handelt sich um getötete Angehörige verfeindeter Stämme, die, in Lehm gehüllt und gut gewürzt, gebacken und verzehrt werden. Ich erinnere mich an den Klagegesang einer jungen Frau, deren Bräutigam in Sichtweite auf der anderen Seite des Tals gebacken wurde. Die Tonaufnahme stammt von einem der bekanntesten deutschen Eipo-Forscher. Ich muß oft daran denken, wenn es um den Ursprung der Sprache und den Anteil der Frauen daran geht.

Den Satz des Parmenides, lieber Herr Bärlein, würde ich gern mal im Original nachlesen, wo steht er denn? (Ich habe vor Jahrzehnten mal den ganzen Text des P. übersetzt, damals ist auch eine Miszelle von mir über den platonischen "Parmenides" erschienen, ich glaube, im "Hermes". Parmenides ist wahrscheinlich auch für Sprachwissenschaftler interessant. Wenn man nur wüßte, was er gemeint hat!)
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 17.10.2009 um 14.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1227#15109

Etwas beschämt muß ich zugeben, daß der von mir behauptete Satz des Parmenides sich so weder bei Parmenides noch im „Parmenides“ findet. Vielmehr ist die Aussage „Sein heißt, bestimmt sein“ lediglich eine Implikation des Satzes, Sein und Denken seien dasselbe (oder auch umgekehrt). Castoriadis folgend, der diese Implikation als Kernsatz der ontologischen Tradition insgesamt (bei Kant etwa in Form der Bestimmung von Sein als Bestimmtheit bezüglich aller Prädikate) auffaßt, habe ich diese Implikation etwas verkürzt als den Satz des Parmenides selbst ausgegeben. Aber ich kann es wenden wie ich will, philologisch habe ich natürlich unrecht.

Was die Papua angeht, bezweifle ich nicht, daß sie zwischen Mensch und Tier unterscheiden. Allerdings dürfte diese Unterscheidung kaum die Frage zulassen, ob Papua Menschen sind. Ein Satz wie "Nach der guten alten Definition ist der Mensch das vernünftige Lebewesen, und in diesem weiten Sinne ist auch der Papua Mensch und nicht Tier" ist für einen Papua nicht einmal diskriminierend, sondern sinnlos.

Im übrigen leuchtet ein, daß nicht nur auch, sondern gerade für den Kannibalen, der zwischen Mensch und Tier unterscheidet, Menschenfleisch etwas Besonderes sein muß. Das ändert aber nichts an dem Problem, das der Nichtkannibale mit dem Kannibalen hat, soweit für ihn der generelle Verzicht auf den Verzehr von Menschenfleisch Bestandteil seines Menschenbildes ist. Sogar wenn er das Problem (daß der Kannibale eben in anderer Weise zwischen Mensch und Tier unterscheidet als er selbst) durchschaut, muß er den Konflikt nicht zwingend relativistisch als interkulturelles Mißverständnis auflösen. Er kann ebensogut sagen: „Umso schlimmer für den Kannibalen.“
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.04.2011 um 17.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1227#18445

Wenn es die von Tomasello so benannte "Neun-Monats-Revolution" in der Entwicklung des Kleinkindes gäbe, müßte sie – ihrer behaupteten Bedeutung entsprechend – universell sein und könnte doch der Aufmerksamkeit frühere Generationen nicht entgangen sein. Das Schlagwort ist nun allgegenwärtig, es scheint sich aber niemand die Mühe zu machen, die "Revolution" auf ihre Wirklichkeit hin zu überprüfen. Seltsames Zeugnis für die Macht der Sprache.

Was ist eigentlich aus der berühmten "Acht-Monats-Angst" geworden, die René Spitz postulierte? An Freuds Entwicklungsstadien des Kindes glauben nur noch die eingefleischten Anhänger. Es ist kaum zu glauben, wie die psychologischen Moden unsere Wahrnehmung verzerren. Oral, anal, narzißtisch (!) usw. – ein Netz aus Schlagworten, kaum zerreißbar.

Jeder glaubt mit solchen Wortwerkzeugen hantieren zu können, und warum auch nicht? Es ist ja alles Literatur, da kann jeder mitreden.

„Manzoni war ein Meister der Psychologie und das lange, bevor es die Psychologie als moderne Wissenschaft überhaupt gab. Er hat in den 'Verlobten' eine Fülle glänzender Porträts geschaffen, die oft nachgeahmt und im Grunde nie übertroffen wurden.“ (Reich-Ranicki in FAS 29.7.07)
Reich-Ranicki ist selbst kein Psychologe, aber trotzdem kann er die Psychologie alter Meister auf ihre Qualität hin beurteilen.

"Jedem Selbstmord geht ein langer Prozess von Frustrationen voraus, die das Opfer nicht mehr in den Griff bekommt. Aggressionen können nicht mehr nach außen abgelassen werden – und dann richtet der oder die Lebensmüde diese Aggressionen schließlich gegen sich selbst." (Spiegel 9.7.2001 zum Tod Hannelore Kohls)
Journalisten wissen alles. (Leider immer erst hinterher ...)

"Mangels Urteilskraft war der Kaiser nicht fähig, eine Situation richtig einzuschätzen." (SZ 27.1.09)
Das ist eine Tautologie, daher unwiderleglich.

Der bayerischer Verfassungsschutz beobachtet ein Ansteigen linksextremistischer Gewalttaten. „Verantwortlich dafür machte Herrmann ein 'Absinken der Hemmschwelle für Gewaltanwendung'.“ (SZ 31.3.09)
Noch eine Tautologie.

"Sein stets prekärer und doch offenbar unentbehrlicher Ehestand findet seine Entsprechung im Abschied vom Lyrik-Genre; die prosaische Existenzform des Bürgers und eine poetische Produktion scheinen sich auszuschließen. Dennoch setzt die Reibungshitze zugleich produktive Energien frei." (Richard Kämmerlings in FAZ 21.4.2001 über Michel Leiris)
Aha!

Über einen politischen Schlüsselroman von Martin Walser schreibt die Zeitung, die ihn vorabdruckt: „Seit Koeppens 'Treibhaus' 1953 erschienen ist, hat es ein besseres Buch über das leise Verhältnis von Macht und Wahn nicht gegeben.“ (FAZ 29.2.1996)
Psychologie und Soziologie – das muß man nicht studieren, das kann man sowieso.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.04.2011 um 09.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1227#18558

Das Papua-Zitat stammt aus dem berühmten "Krisis"-Vortrag Husserls von 1935, in dem noch weitere Bemerkungen dieses Kalibers stehen.

Was ich aber nebenbei erwähnen wollte: Husserl glaubte es wohl besonders schön zu machen, indem er das allbekannte Wort Krise durch das erlesene Krisis ersetzte. (Er sagt ja auch gern Telos statt Ziel usw.) Nur bedeutet Krisis im Griechischen etwas anderes, woraus sich unsere Krisenbedeutung erst auf verschlungenen Wegen entwickelt hat. Es ist also wieder mal nur sprachliches Imponiergehabe, passend zum anmaßlichen Inhalt des ganzen Vortrags.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.05.2012 um 08.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1227#20745

Zu den lohnendsten Aufgaben gehört die verhaltensanalytische Erklärung der phänomenologischen Redeweise samt ihrer erstaunlichen Anziehungskraft, d. h. des ganzen Windpalastes der "Phänomenologie".
In jungen Jahren war ich selbst davon sehr angezogen, von meinem Deutschlehrer auf Nicolai Hartmann hingewiesen und von dort dann zu Husserl usw. fortschreitend. Aber schon nach wenigen Semestern (auch Wittgensteinlektüre, aber mehr parallel als auslösend) kam mir das Ganze wie eine riesige Sprachverirrung vor, und dabei bin ich geblieben, später natürlich durch Skinner noch sehr viel entschiedener.

Ich habe mich angesichts der Versponnenheit Husserls oft gefragt, ob dieser Mann überhaupt gelebt hat, ob es eine Biographie gibt, sozusagen. Heute bin ich auf eine Textzusammenstellung gestoßen, die ihm sogar einen gewissen Humor nachweist, womit ich nun wirklich nicht gerechnet hatte. Das möchte ich Ihnen nicht vorenthalten:

PDF-Datei
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.08.2012 um 16.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1227#21260

In allen größeren Zeitungen wird über Forschungen berichtet, die eine Gruppe von Anthropologen und Primatologen durchgeführt hat. Das offizielle Abstract lautet so:

Theft in an ultimatum game: chimpanzees and bonobos are insensitive to unfairness
1.Ingrid Kaiser
2.Keith Jensen
3.Josep Call and
4.Michael Tomasello

Abstract
Humans, but not chimpanzees, punish unfair offers in ultimatum games, suggesting that fairness concerns evolved sometime after the split between the lineages that gave rise to Homo and Pan. However, nothing is known about fairness concerns in the other Pan species, bonobos. Furthermore, apes do not typically offer food to others, but they do react against theft. We presented a novel game, the ultimatum theft game, to both of our closest living relatives. Bonobos and chimpanzee ‘proposers’ consistently stole food from the responders' portions, but the responders did not reject any non-zero offer. These results support the interpretation that the human sense of fairness is a derived trait.

Wie man sieht, ist das Ganze in einer völlig ungeeigneten Begrifflichkeit dargestellt. Fairness, theft usw. haben bei Tieren überhaupt keinen Sinn.Aber diese begriffskritische Anmerkung ist keinewegs das Ergebnis der Untersuchungen, die gar nicht erst hätten durchgeführt werden können, wenn man nicht ernsthaft von den ungeeigneten Begriffen Gebrauch gemacht hätte. Bekanntlich hat schon Aristoteles zwischen mehreren Gerechtigkeitsbegriffen unterschieden (austeilend vs. ausgleichend). Es gibt ein hübsches Büchlein, das der Marburger Historiker und Wirtschaftswissenschaftler Bernhard Laum als Pensionär aufgrund von Beobachtungen an seinen Enkeln verfaßt hat: „Kinder tauschen, teilen, schenken“ (1966). Hauptsächlich geht es darin um das Verteilen von Geburtstagskuchen u.ä. – es zeigt sich z. B., daß Jungen überwiegend meinen, jeder müsse gleich große Portionen bekommen, während Mädchen dazu neigen, dem Bedürftigen mehr zu geben. Auf die Einzelheiten kommt es hier nicht an. Piaget hät ähnliche Beobachtungen gemacht. Es gibt Gesellschaften von Jägern und Sammlern, die ihre Beute ganz anders verteilen, als es unserem Gerechtigkeitssinn entspricht. Diebstahl gibt es sowieso nur, wo die gesellschaftliche Konvention des Eigentums herrscht.
Löwenrudel haben ihre angeborenen Verteilungsverfahren. Ich erinnere mich an die Katzen, die wir vor 40 Jahren hielten. Wenn der Kater ein junges Wildkaninchen erbeutet hatte, verzehrte er es im Hausflur, und seine „Gattin“ saß daneben und schaute aufmerksam, aber unbeweglich zu. Manchmal ließ er etwas übrig, das verzehrte sie dann. Wenn nicht, dann eben nicht. Was ist daran fair oder unfair? Dumme Frage. Die Tiere verhalten sich so, daß die Art überlebt, sonst gäbe es sich gar nicht mehr. (Wie verantwortungsbewußt! „Du bist nichts, deine Art ist alles!“)
Auf Tiere kann man solche Begriffe, die aus der menschlichen Gesellschaft stammen, schlechterdings nicht anwenden. Die Überschriften („Geborene Egoisten“) erweisen das Ganze als Pop-Wissenschaft. Die Öffentlichkeitsarbeit funktioniert aber glänzend. Alle vier Wochen gibt es ähnliches zu lesen, vor allem aus dem Leipziger MPI.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.01.2013 um 17.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1227#22266

Hier noch einige Stückchen Laienpsychologie:

Leni Riefenstahl wird nachgesagt, daß ihr schon als Tänzerin „die höchste und wichtigste Qualität abging, die Seele“ (SZ 2.7.07). Später in derselben Rezension heißt es noch einmal, daß ihr die Seele abging – ein „Vakuum in ihrer Persönlichkeit“.

„Mit Renée gelingt Franzen das überzeugende Porträt einer von Selbsthaß zerriebenen, sexuell frustrierten Karrierefrau.“ (FAZ 6.8.05)

Der Politiker Barack Obama verdankt seinen Erfolg dem „Charisma“ (SZ-Magazin 13.7.07).

Adorno erklärte den autoritären Charakter mit „Ich-Schwäche“.

Im Fernsehen läuft ein Film über einen Päderasten und Kindermörder. Die Zeitungen besprechen ihn als „Psychogramm“ (SZ 23.9.95, FAZ 26.9.95) bzw. „Studie eines Psychopathen“ (FAZ) und gehen davon aus, daß hier psychologische Erkenntnis vermittelt werde.

„Von gelegentlicher Kolportage findet Becker stets wieder zu psychologischer Präzision, wenn er in Rückblenden die Beweggründe scheinbar spontaner Reaktionen offenlegt.“ (FAZ 1.12.95 Filmrezension)

Daß der SPD-Vorsitzende Scharping sich nach seiner Abwahl den Bart abnahm, wird gedeutet: „Scharping zeigt mit seinem abrasierten Bart, daß er einen Neuanfang will, daß er aktiv werden will.“ – Aber das hat so ziemlich jeder Journalist damals geschrieben.

Die Finanzkrise 2009 wurde meist der „Gier“ zugeschrieben.

Das menschliche Beharrungsvermögen ist der größte Hemmschuh bei der Suche nach Innovationen. (SZ 18.5.10)

Mosebachs Gesellschaftsromane sind glänzende soziologische Analysen. (Ijoma Mangold)
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 06.01.2013 um 02.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1227#22267

Der Begriff »Laienpsychologie« suggeriert unglücklicherweise, daß professionelle Psychologie besser sei.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.01.2013 um 04.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1227#22268

Sehr berechtigter Einwand. Die Psychologen bekennen sich teilweise dazu, die "folk psychology" fortzuführen. Ein schlagendes Beispiel brachte vor wenigen Tagen die ZEIT, als sie den professionellen Psychologen Stephan Grünewald zu Steinbrück und den Deutschen befragte. Die Tastatur sträubt sich, den geballten Unsinn wiederzugeben. Erfreulicherweise sehen das fast alle Leser ebenso. Einer wies auf die Absurdität hin, solche Studien mit dem schärfsten Numerus clausus zu bewehren.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.03.2013 um 06.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1227#22794

Der campus-Verlag bewirbt ein neues Buch von Grünewald: "Die erschöpfte Gesellschaft. Warum Deutschland neu träumen muss."
Es handelt sich um Werbung für dessen „rheingold institut“. Näheres dortselbst (http://www.rheingold-marktforschung.de/), man kann sich auch eine Leseprobe angucken.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.06.2013 um 05.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1227#23376

Junge Bonobos verständigen sich ähnlich wie Menschenkinder. Allerdings bleiben sie bei der Gebärdensprache (die man ihnen eigens zu diesem Zweck beigebracht hat). Und so weiter. Darüber berichtet der SPIEGEL. Man braucht gar nicht hinzusehen, um zu wissen, daß es sich um Forschungen von Patricia Greenfield handelt. Das erscheint alle paar Jahre in ziemlich ähnlicher Weise im SPIEGEL, z. B. schon am 17.12.1979!
Ich verfolge das Thema auch schon so lange und kann nicht erkennen, daß man irgendwelche Fortschritte erzielt hätte. Wirklich erfolgreich ist nur die Pressearbeit.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.01.2014 um 06.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1227#24849

Noch zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1227#18445:

Psychobabble wird erwartungsgemäß durch Neurobabble abgelöst. Ein Buch über Putin soll ein "Neurogramm" des Politikers liefern, meint die FAZ in einer Besprechung vom 15.1.14. So kann man gefahrlos alle bisherigen "Psychogramme" auf den neuesten Stand bringen. Irgendwie stimmt es ja, daß alles im Kopf und in den Nervenzellen ist, nicht wahr?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.06.2014 um 06.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1227#26095

Nachtrag zum Papua-Zitat bei Husserl:

Husserl’s reference to Papuan natives in several places in his work is presumably an indirect allusion to the work of Lévy-Bruhl and especially his Primitive Mythology, which specifically discusses the Papua of New Guinea. New Guinea was a particularly evocative figure for German thinkers because it had been a German protectorate from 1885 to 1914.

(Dermot Moran: “Even the Papuan is a Man and not a Beast”: Husserl on
Universalism and the Relativity of Cultures -
http://www.ucd.ie/philosophy/staff/dermotmoran/moranpublicationsandresearchpapers/#d.en.4736)

 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.09.2014 um 05.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1227#26790

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1227#18445

Charlotte Roches Roman „Schoßgebete“ ist eine verstörende Studie über Blut, Sex und Trauma. (stern.de 18.9.14)

Ein Roman ist keine Studie, auch wenn autobiographische Züge darin vorkommen. Romanautoren erforschen nichts. Es wäre gut, diese Begriffsverwirrung zu beenden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.03.2018 um 05.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1227#38327

Man hat schon vermutet, daß der "Erfolg" der Gattung Mensch auf seinem hochgezüchteten Sozialleben beruht, wozu auch die Sprache gehört. Die technische Überlegenheit hat sich auf dieser Grundlage entwickelt (kulturelle Überlieferung und Akkumulation von Erfahrungen).
Daher auch die hochgezüchtete Bereitschaft zur Zeichendeutung. Die Kehrseite ist die Bereitschaft zum Aberglauben: Faces in the clouds, wie schon erwähnt (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#36825).

Die Himmelserscheinungen sind keine Zeichen und bedeuten nichts. Diese Einsicht hat Tausende von Jahren gebraucht: Übergang von der Astrologie zur Astronomie.

Überragende Bedeutung der Sprache: Tiere dösen vor sich hin, Menschen reden vor sich hin.
 
 

Kommentar von Theodor Icker, verfaßt am 30.01.2019 um 19.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1227#40722

Man kann alles mögliche in ein hinreichend komplexes Muster hineinsehen oder -hören: in Wolken, Sternbilder, Klecksographien, Eingeweide, Vogelflug, Kaffeesatz, Handlinien, Lebensläufe, Charaktere, Krankheitsverläufe; Meeresrauschen, Kurzwellensalat. Das verstärkt sich selbst durch Unterdrücken widersprechender oder irrelevanter Anteile. Wenn man sich einmal einbildet, ein Muster erkannt zu haben, wird man es immer wieder entdecken. Aus demselben Grund werden solche Projektionen auch nie widerlegt. Die Interpretationsmöglichkeiten etwa bei einem „Charakter“ sind so vielfältig, daß die Operationalisierung jedenfalls mit den herkömmlichen Begriffen ausgeschlossen ist. Der Aberglaube ist unsterblich, wie Vorurteile.
Das alles hat sicher einen evolutionären Nutzen, aber in unserer hochzivilisierten Welt ist der Deutungsüberschuß sehr gefährlich geworden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.04.2019 um 05.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1227#41300

Ich beobachte die Vögel im Garten, Meisen, ein Rotkehlchen, eine Wildtaube. Sie sind jede Sekunde mit Ausschau nach Gefahren beschäftigt, auch beim Fressen, das zeigt die ständige Kopfbewegung, das Äugen.
Die Paviane im Zoo sind auch beim scheinbar ruhigen Dasitzen unablässig mit dem Austesten und Befestigen ihrer Rangordnung beschäftigt. Der Boß klettert auf den höchsten Baumstamm, schubst ein Weibchen mit Säugling herunter und steigt wieder herab. Der arme Kerl muß den ganzen Tag seine Leute schikanieren.

Auch mancher menschliche Pascha wäre wohl glücklicher, wenn er nicht wegen des gesellschaftlichen Zwangs genötigt wäre, jeden Augenblick den Boß zu spielen. Immerhin gibt es in dieser Hinsicht eine gewisse Entspannung, wenn man etwa noch an das 19. Jahrhundert mit seinen Ehrbegriffen denkt. Die unzärtliche Beziehung zu den eigenen Kindern, wie in älteren Biographien greifbar, berührt uns fremd und unangenehm. Unter Migranten sehen wir noch, wie es auch bei uns mal war. Alle Familien auf die gleiche Art unglücklich...
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.11.2020 um 04.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1227#44665

Die Dressur (ja, Dressur!) von Menschenaffen ist weit fortgeschritten, so daß wir schon die Metaphysik von Gorillaweibchen kennenlernen durften (Koko). Andererseits: Bonobos sitzen zwar gern um ein wärmendes Lagerfeuer herum, man kann ihnen aber um keinen Preis der Welt beibringen, es zu unterhalten. Ab und zu ein Stöckchen nachlegen, wenn es heruntergebrannt ist, das sollte doch nicht zu schwer sein? Zumal der Erfolg sich unmittelbar einstellt: es wird wieder heller und wärmer. Aber alles war bisher vergeblich. Auf, ihr "Kognitionswissenschaftler", erklärt uns, welche "kognitiven Fähigkeiten" dazu erforderlich wären!
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 05.12.2023 um 11.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1227#52352

Warum wilde Tiere sich mehr vor Menschen fürchten als vor Löwen

lautet eine Teilüberschrift der heutigen Freien Presse, Seite 1.
"Warum", das erfährt man in dem Artikel jedoch nicht, nur daß es so sei. Dafür wurden Lautsprecher und Kamera vor Wasserstellen installiert und per Bewegungsmelder eingeschaltet.

Die Tiere flohen doppelt so oft vor harmlosen Stimmen aus dem Radio wie vor dem Knurren von Löwen.

Wieso waren die Stimmen aus dem Radio harmlos, das Löwenknurren aus dem Radio jedoch nicht? Das sind halt menschliche Maßstäbe.
 
 

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