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28.07.2007
Jauchzet, frohlocket!
Für den Duden geht das Rechtschreibgeschäft nun erst richtig los
In seinem neuesten Rundbrief ("Newsletter") verkündet der Verlag:
"Liebe Leserin, lieber Leser,
auch wenn es für die meisten Schnee von gestern ist: Mit dem Ende des Monats Juli läuft in diesem Jahr die Übergangsfrist für die Einführung der neuen deutschen Rechtschreibung endgültig ab. Ab dem 1. August 2007 gehört die alte Rechtschreibung damit der Vergangenheit an."
Und dann gibt es noch einmal eine kurze Übersicht über die vermeintlich endgültigen Regeln, und selbst der am härtesten Gesottene unter uns kann sich eines Lächelns nicht erwehren:
"Verbindungen aus einem Adjektiv und einem Verb können getrennt oder zusammengeschrieben werden, wenn es sich um ein einfaches Adjektiv handelt, dass [!] das Ergebnis eines Vorgangs bezeichnet."
Sehr erheiternd auch folgendes:
"Ergibt sich aus Adjektiv und Verb eine neue Gesamtbedeutung, so muss zusammengeschrieben werden: [...] ein Wort kleinschreiben (mit kleinem Anfangsbuchstaben)."
Man erinnere sich, daß im alten Duden just diese Verwendung als die wörtliche angesehen wurde, woraus Getrenntschreibung folgte, im Gegensatz zu "Verantwortung wird dort kleingeschrieben" usw. Es bleibt dabei, daß die neue Zusammenschreibung aus den revidierten Regeln nicht herzuleiten, sondern ein unerklärter Fremdkörper im neuen Regelwerk ist.
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Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 28.07.2007 um 19.32 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=881#9826
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Heute kam im Radiosender Bayern 5 aktuell eine als Nachrichtenbeitrag getarnte ca. dreiminütige Werbesendung aus dem Haus Duden. Der Sprecher sagte: Nach der Rechtschreibreform, die inzwischen selbst mehrfach reformiert wurde, sind sich selbst diejenigen nicht mehr sicher über alle möglichen Schreibungen, die früher eigentlich keine Probleme hatten. Unter anderem gab es Beispiele wie: schwarz fahren oder schwarzfahren, was ist jetzt richtig? Doch jetzt gebe es die Lösung: den Duden Rechtschreibtrainer!
http://www.duden.de/produkte/detail.php?isbn=3-411-06614-8
An dieser Art Werbung zeigt sich, daß der Duden kein Interesse an einer soliden, beständigen Rechtschreibung hat, sondern er wünscht sich verwirrte Bürger, die dann millionenfach seine Lern- und Korrektur-Software kaufen bzw. abonnieren sollen. Deshalb half er dabei, die Einheitsschreibung zu zerstören und durch ein unbrauchbares Machwerk zu ersetzen, zunächst natürlich mit der Propaganda, das richtige Schreiben werde durch die Reform erleichtert.
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Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 28.07.2007 um 19.55 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=881#9827
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Duden-Redaktion: "Ergibt sich aus Adjektiv und Verb eine neue Gesamtbedeutung, so muss zusammengeschrieben werden: [...] ein Wort kleinschreiben (mit kleinem Anfangsbuchstaben)."
Dazu Theodor Ickler: Man erinnere sich, daß im alten Duden just diese Verwendung als die wörtliche angesehen wurde, woraus Getrenntschreibung folgte, im Gegensatz zu "Verantwortung wird dort kleingeschrieben" usw.
Damit ist hinreichend belegt, daß in der Duden-Redaktion keiner mehr rechten Durchblikck hat, wie es den mit den "Bedeutungen" (übertragene / (in)direkte, "ungerade", "phraseologisierte" usw.) ist, denn sie polt diese notfalls schnell mal um. Bis die Duden-Redaktion zu grammatischen Regularitäten vordringt, die von weniger "Schriftfernen" bis zur RSR intuitiv richtig in Schrift umgesetzt wurden, wird es noch Jahr(zehnt)e dauern.
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Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 28.07.2007 um 21.56 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=881#9828
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"[...] ein Wort kleinschreiben (mit kleinem Anfangsbuchstaben)."
Die ergänzende Erklärung in der Klammer läßt erkennen, daß selbst die Erfinder dieser Zusammenschreibung meinen, es ist besser, sie zu erklären, da sie sonst mißverständlich sein könnte.
Wenn man alle durch die Reform mißverständlich gewordenen Schreibungen durch nachgestellte Klammererklärungen aufhellte, könnte man ggfs. auf den eigentlichen Text gleich ganz verzichten.
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 28.07.2007 um 23.00 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=881#9829
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Ich glaube, der Dudenverlag vertauscht Ursache und Wirkung: Durch die Zusammenschreibung entsteht ein neues Verb mit einer neuen Bedeutung.
Im übrigen halte ich wie Herr Schatte die Begriffe "wörtliche, übertragene, direkte usw. Bedeutung" für Blödsinn: Getrennt- oder Zusammenschreibung können einfach unterschiedliche Bedeutungen ergeben.
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Kommentar von R. M., verfaßt am 29.07.2007 um 01.02 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=881#9830
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Was Eisenberg eigentlich meinte, aber nicht in Regeln zu fassen vermochte, geht aus seiner Handreichung für die Berliner Schulen hervor. Zusammenschreibung trete ein, wenn „das Resultat der Handlung nicht vom Adjektiv allein, sondern nur von den beiden Bestandteilen gemeinsam bezeichnet“ werde.
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Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 29.07.2007 um 13.50 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=881#9833
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Eisenberg ist mit seiner nachgereichten Handreichung fast ein Wurf gelungen. Rätselhaft bleibt nur, warum auch er wie viele Grammatiker mit ihm nur "Handlungen" kennt und nicht auch (weniger menschliche) Prozesse wie Geschehen, Ereignisse, Vorkommnisse, Unfälle u.v.a.m. Zum Ausgleich beschränkt sich die IdS-Grammatik dagegen weitgehend auf "Ereignisse", auch wenn diese manchmal recht statisch ausfallen.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.07.2007 um 14.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=881#9834
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Hier noch einmal im Überblick:
Duden 1991: groß schreiben (mit großem Anfangsbuchstaben, in großer Schrift schreiben) – großschreiben (besonders schätzen)
Reform 1996: groß schreiben (in großer Schrift schreiben, besonders schätzen) – großschreiben (mit großem Anfangsbuchstaben schreiben)
Revision 2006: groß schreiben (in großer Schrift schreiben) – großschreiben (mit großem Anfangsbuchstaben schreiben, besonders schätzen)
Daraus ergibt sich übrigens, daß jetzt wieder wie vor der Reform geschrieben werden muß (aber nicht geschrieben wurde!): Hier wird Verantwortung ganz großgeschrieben.
In den Zeitungen fand man vor der Reform ungefähr gleich oft Zusammen- und Getrenntschreibung, mit ganz überwog aber Getrenntschreibung. Das Ganze zeigt, daß nur meine Lösung (fakultative Zusammenschreibung in jeder Bedeutung, eher Getrenntschreibung bei weiterer Qualifizierung mit sehr usw.) den Tatsachen gerecht wird.
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Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 29.07.2007 um 15.00 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=881#9835
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So gehen einem die Augen auf und -- über.
Jemand kann hochangesehen sein oder er ist sogar sehr hoch angesehen. Auch ein Ratschlag kann gutgemeint sein oder er ist gar sehr gut gemeint. Die Graduierung bezieht sich nur auf den Modus und verlangt daher nach Desintegration des gesteigerten Elements, falls dieses ein Adjektiv ist.
Ein Begriff kann wohldefiniert sein oder vielleicht sogar höchst wohldefiniert sein. Das Adverb wohl müßte eigentlich ebenfalls desintegriert werden, aber dann wäre der Begriff sehr wohl (`fraglos´) definiert. Um die Homographenkollision (Adverb vs. Partikel) zu vermeiden, wird in solchen Fällen die Zusammenschreibung vorgezogen.
Ein Tee kann schweißtreibend sein oder sogar sehr schweißtreibend. Eine Desintegration des Nomens kann ausbleiben, weil die Steigerung -- auch ohne graphemische Hilfestellung -- nur auf die Intensität des vom Partizip genannten Prozesses beziehbar ist. Schweiß ist nicht graduier- oder intensivierbar, höchstens das Schwitzen.
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Kommentar von D. W., verfaßt am 29.07.2007 um 17.10 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=881#9836
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Bei De Gruyter wurde jetzt beschlossen, "Trübners Wörterbuch" in einer überarbeiteten Fassung und in neuer Rechtschreibung herauszubringen. Die Redaktionsbesetzung wird spannend.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.07.2007 um 17.17 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=881#9837
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So werden ständig Pflöcke eingeschlagen, damit der Rechtschreibrat seine gewaltsam abgebrochene Arbeit nur ja nicht wieder aufnimmt. Ich glaube aber nicht, daß der jetzige Zustand der Schulorthographie der endgültige ist; es bleibt zu vieles unklar und widersprüchlich. Beim einst angesehenen Verlag de Gruyter muß irgendwo ein böser Geist sitzen, der sämtliche Verlagserzeugnisse zu besudeln entschlossen ist.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.07.2007 um 17.39 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=881#9838
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Die zur Zeit „gültige“ Übergangsorthographie, die bis zur nächsten Dudenauflage als die „endgültige“ angepriesen wird, geht im wesentlichen auf die drei Herren Augst, Gallmann und Eisenberg zurück. Von Augst stammt das Dutzend Etymogeleien (einbläuen, Zierrat), Gallmann hat die exzessive Großschreibung durchgesetzt (seit Langem, bei Weitem), und von Eisenberg kommen neben einigen willkommenen Rückbaumaßnahmen zahlreiche unbegreifliche Komplizierungen bei der Getrennt- und Zusammenschreibung, die den Ratsuchenden noch viel zu schaffen machen werden.
Obwohl Augst sich selbst mit Recht für den wichtigsten Mann hinter der gesamten Reform hält, ist er fast vergessen, sein Name wurde im Rechtschreibrat kein einziges Mal erwähnt, und man muß sogar bezweifeln, ob Zehetmair ihn je gehört hat. Gallmann und Eisenberg sind von Anfang an in die Vermarktung der Reform verwickelt.
Dem Dudenverlag kommt das zweifelhafte Verdienst zu, alle seit 1996 in Gang gesetzten Revisionen nach Möglichkeit zu hintertreiben.
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Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 29.07.2007 um 19.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=881#9841
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Mich ärgert die unverhohlene Arroganz, das genüßliche Auskosten des eigenen Triumphes, das sich im ersten Satz dieses Briefes offenbart:
Liebe Leserin, lieber Leser, auch wenn es für die meisten Schnee von gestern ist: Mit dem Ende des Monats Juli läuft in diesem Jahr die Übergangsfrist für die Einführung der neuen deutschen Rechtschreibung endgültig ab. Ab dem 1. August 2007 gehört die alte Rechtschreibung damit der Vergangenheit an.
So sollen Fakten nicht nur vorgetäuscht, sondern auch geschaffen werden. Nur: Wenn das so sicher ist, daß die -- ich verwahre mich gegen dieses Adjektiv -- »alte« Rechtschreibung nun der Vergangenheit angehört, warum muß es dann immer und immer wieder beschworen werden? Vielleicht bleibt doch ein Rest uneingestandenen Zweifels?
Auch wenn ich ein Nichts, ein Niemand bin, möchte ich darauf antworten: Für mich ist die normale Rechtschreibung lebendiger denn je, und ich denke überhaupt nicht daran, auf diese in jeder Hinsicht schlechtere und grammatisch falsche Rechtschreibung umzusatteln, die nichts als Verdruß bereitet. Ich hoffe, daß der Dudenverlag eines nicht so fernen Tages endlich zur Besinnung kommt und daß der Rat für Rechtschreibung bald Schnee von gestern ist. Ein ähnlich inkompetentes und untätiges Gremium, das sich anmaßt, darüber zu befinden, wie die Deutschen, zu denen ich ja auch gehöre, zu schreiben haben, hat es in der Geschichte unserer Schrift noch nicht gegeben. Der Rat muß unverzüglich aufgelöst werden, damit endlich ein tragfähiges Regelwerk und ein unabhängiges Wörterbuch erstellt werden können, das die Einheit der deutschen Orthographie weitestmöglich wiederherstellt.
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Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 29.07.2007 um 19.51 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=881#9843
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Im Magnificat lesen wir: "Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreuet, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. Er stößet die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen" (Luk 1, 51-52). Das ist nicht nur tröstlich ...
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.07.2007 um 09.10 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=881#9844
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Wie der Verlag meldet, sind schon 1 Million Bände des letzten Duden verkauft worden. Der Verlag möchte natürlich noch eine zweite und dritte Million verkaufen, bevor die nächsten Korrekturen an der Reform vorgenommen werden und sich wieder eine ähnlich vielversprechende Geschäftsmöglichkeit eröffnet. Die Presse zieht kritiklos mit. Bisher hat noch keine Zeitung thematisiert, was das Ende der Übergangsfrist für die Schüler bedeutet. Früher sind wir Reformkritiker jedesmal zum 1. August reichlich mit Interviewanfragen eingedeckt worden, aber diesmal erwarte ich keinen Anruf. Die Selbstgleichschaltung ist vollendet.
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Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 30.07.2007 um 11.52 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=881#9846
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Der Deppenzug rollt unaufhaltsam voran. Wie es scheint, ist er vorerst nicht zu stoppen. Ohne Druck von außen wird den Beteiligten nie ein Licht aufgehen, was sie da eigentlich angerichtet haben, daß sie die Schüler betrügen, indem sie ihnen das Recht verwehren, zu einem guten, eines Tages vielleicht sogar einmal hervorragenden schriftlichen Ausdruck zu gelangen. Mit den selbstgerechten Sandsäcken und Holzköpfen im RfR wäre etwa eine ergebnisoffene und an Fakten ausgerichtete Diskussion um Heyse vs. Adelung völlig undenkbar. Es steht nicht gut um unsere Schriftkultur.
So lasset uns denn fürderhin der Stussschreibung frönen, das übrige mit dem Übrigen in einen Topf werfen, alles mögliche mit allem Möglichen zusammenrühren, uns an Jährigen, Spännern, Karätern und Tonnern erfreuen, bis uns dieser unselige Spuk endlich zum Halse heraushängt.
An höhere Einsicht, an den Sieg der Vernunft mag ich kaum noch glauben. Eher schon könnte ich mir eine Zukunft vorstellen, wie Herr Ickler sie angedeutet hat, in der es scheibchenweise zum Rückbau der Reform kommen wird, was natürlich stets gewinnträchtige Neuauflagen der Wörter- und Schulbücher verspricht. Unsere Sprache und ihre Schrift als Geldesel -- die Kaltschnäuzigkeit mancher Geschäftemacher kennt offenbar keine Grenzen. Nicht einmal, wie wir schreiben, um uns auszutauschen, ist ihnen heilig. Daß viele Familien heute kaum noch das Geld für Schulbücher aufbringen können und deshalb anfangen, am Essen und an der Kleidung zu sparen, stört diese Herrschaften nicht. Ich sehe da in meiner moralischen Wertung kaum noch qualitative Unterschiede zu Geiselnahme, Erpressung und Zuhälterei.
Ich spiele dieses Spiel nicht mit und lasse das in meinem kleinen privaten Umfeld auch jeden wissen. Mehr kann ich fürs erste leider nicht tun: einfach Stunk machen bei jeder Gelegenheit, die sich mir bietet.
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Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 30.07.2007 um 13.32 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=881#9847
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Ein Nachtrag noch: Wenn ich mich hier etwas abschätzig über die von mir so genannte Stussschreibung auslasse, beziehe ich mich ausdrücklich nicht auf die schweizerische Orthographie. Es könnte ja immerhin passieren, daß ein Schweizer sich davon angesprochen fühlt, und das wäre keineswegs meine Absicht. Wenn ich Grüsse aus unserem kleinen, aber aufrechten Nachbarland erhalte, in dem man Bier sowohl in Massen als auch in Massen trinkt, störe ich mich überhaupt nicht an dieser s-Schreibung. Ich verstehe nur nicht, warum mir als Nordboje nun beim Lesen die Heysesche aufgenötigt werden soll.
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Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 30.07.2007 um 14.43 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=881#9849
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"Ich verstehe nur nicht, warum mir als Nordboje nun beim Lesen die Heysesche aufgenötigt werden soll."
Herr Köster, das wird Ihnen von Sprachpädagogen (nicht Sprachlehrern) angetan bzw. wohlgetan, um Sie so über die Schrift -- wenn auch etwas spät -- an die deutsche Lautung heranzuführen.
Daß sich in Heyses Weise Verschriftetes schlecht liest, spielt keine Rolle, denn das(s?) schreibt sich in der zweiten Klasse (wie auch in der FAZ) so happy und so easy.
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Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 30.07.2007 um 15.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=881#9850
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Die Aussprache soll bei der richtigen Schreibung zugrundegelegt werden. Es gibt die grob vereinfachte, aber vielfach vermittelte Regel: "Nach kurz gesprochenem Vokal schreibe ss." Die Reformer meinten tatsächlich, daß die Aussprache festgelegt ist. Sie sind sehr von sich selbst als kompetente Sprecher mit Schreibhintergrund ausgegangen, nicht vom gesamten System, in das man auch Kinder und weniger Kompetente mit einbeziehen muß. Die Schreibweise spiegelt nämlich keinesfalls unsere Aussprache, vielmehr hilft sie, die Aussprache über Generationen hinweg zu stabilisieren. Es ist also genau umgekehrt: Durch die Verschriftung ist eine gemeinsame Hochsprache (Aussprache) entstanden. Ich bitte um Nachsicht, wenn ich das so salopp und wenig wissenschaftlich formuliere.
Was die neue s-Schreibung betrifft: Die Ableitungsrichtung der Reformer ist falsch. Richtig sprechen „im Sinne von kurz oder lang“ kann nur, wer auch richtig schreiben kann, nicht umgekehrt, weshalb Heyse auch nur von jenen beherrscht wird, die vor 1996 in der Rechtschreibung sicher waren. Allein mit Hilfe der (persönlich stark variierenden) Aussprache wird sich die Entscheidung ss oder ß niemals finden lassen. Man darf gespannt sein, wann sich an dem Durcheinander der Schriftbilder und mit Hilfe einer praxisuntauglichen, weil falschen Regel auch die Aussprache von s-Wörtern allmählich verändern wird. Wann wird es der Pädagogik dämmern, daß mit der neuen s-Schreibung etwas nicht stimmt bzw. die Vermittlung durch die jetzigen Pseudoregeln nicht gelingen kann?
Ich darf daran erinnern, daß die Regel für Adelung sehr einfach war: Allein mit dem Gebot, am Silben- und Wortende nicht ss zu schreiben, waren die meisten Zweifelsfälle bereits ausgeschlossen. Die Beherrschbarkeit dieser einfachen Regel war durchaus „idiotensicher“, Aussprache hin, Aussprache her.
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Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 30.07.2007 um 16.58 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=881#9851
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Die Durchsetzung der Hochlautung bzw. der gemäßigten Hochlautung konnte erst nach umfassender Alphabetisierung -- also recht spät -- auch durch das Schriftbild gestützt werden (in "My Fair Lady" nicht). Ihren eigentlichen Siegeszug hat die (gemäßigte) Hochlautung weniger durch Aussprachedrill in den Schulen als mit der Verbreitung des (anfangs noch Siebsschen, später phonatorisch zunehmend selbständigen) Rundfunks und Films angetreten. Beide förderten zugleich höchst wirksam die Dialektnivellierung in Richtung gemäßigte Hochlautung. Dennoch müssen Lehrer bis heute (z.B. in Sachsen oder Schwaben) besonders in den ersten Schuljahren dialektal induziertem Schreiben entgegenwirken. In dialektal weniger differenzierten Ethnolekten gab es vor etwa 130 Jahren bei noch schwacher Alphabetisierung kaum artikulatorische Defizite, und es gibt dort auch heute kaum dialektal bedingte Schreibprobleme.
Die in Deutschland langsam um sich greifende sekundäre Analphabetisierung bzw. mühevoll bewerkstelligte "Schriftferne" zeitigt bisher keine artikulatorischen Folgen, abgesehen von evtl. deutlicherem dialektalen Substrat. Dieses Positivum werden sich gewisse Schreibpädagogen sicher zugutehalten.
Der Irrtum der Reformer bleibt, daß die Schrift eine simple Lautkettennotation à la Phonologie ist. Die Schrift notiert dagegen Äußerungen auf mindestens drei supra"segment"alen Ebenen (d.h. über den von der Phonologie säuberlich als types isolierten Lauten): Silben, Silbenkomplexe und (halbwegs) Prosodien. Wort- und Phrasenakzente notiert die (didaktikfreie) Schrift nicht. Man lernt sie also allein vor- bzw. analphabetisch.
Die Rückkehr zu Heyse belegt, daß den Reformern der Begriff der Silbe unbekannt war, auch wenn sich unter ihnen kaum hartleibige Phonologen befinden mögen.
Die Rückkehr zu unsinnigen Getrenntschreibungen belegt, daß ihnen Syntaktisches, Prosodisches und damit Kommunikatives unzugänglich war.
Die Einführung der Großschreibung von nicht auf Größen bezogenen Wörtern belegt, daß weder ihr semantisches noch ihr ontologisches Visier entsprechend gerastert ist. [Kürzer wollt mir´s nicht gelingen]
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.07.2007 um 18.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=881#9852
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Bertelsmann schlägt zurück und schreibt einen Filmwettbewerb aus: Die Wahrig-Rechtschreibung soll verfilmt werden! (http://www.juraforum.de/jura/news/news/p/1/id/176703/f/109/)
Ich schlage vor, das Duden-Universalwörterbuch zu verfilmen, und zwar zuerst das Treiben der Strandräuberinnen, Messerwerferinnen, Kolonnenspringerinnen und Vizeadmiralinnen. Aus dem Schweizer Schülerduden könnte man die Skinheadinnen hinzunehmen; das ist dann aber nicht jugendfrei.
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Kommentar von K.Bochem, verfaßt am 31.07.2007 um 00.45 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=881#9861
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Bei der Filmarbeit könnte Kanzleramtsministerin Maria Böhmer als Sprecherin eingesetzt werden. Auf der Pressekonferenz der Regierung zum 2. Integrationsgipfel am 12.7.2007 brachte Frau Böhmer in einem recht kompliziert aufgebauten Satz die bemerkenswerte Feststellung unter: " (...) Mütter sind (...) Motorinnen der Integration (...)". Den Stenographen kam das dann doch wohl zu dicke vor - die im Internet veröffentlichte "Mitschrift" des Presseamtes ist an der Stelle geglättet, und Motorinnen ist durch Motoren ersetzt.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.03.2016 um 09.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=881#32012
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Um noch einmal auf "My fair lady" zurückzukommen: Eliza droppt ihre anlautenden h's, wie es im Englischen eben soziolinguistisch bezeichnend ist, aber in der deutschen Synchronisation geht das schief, denn in Ich sehe Krähen in der Nähe - Rehe eher noch näher werden die inlautenden h's ja tatsächlich auch in Hochlautung nicht gesprochen. Der beratende Phonetiker Peter Ladefoged (dessen Stimme man auch hört) hätte das bestimmt nicht durchgehen lassen.
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Kommentar von R. M., verfaßt am 22.03.2016 um 09.38 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=881#32025
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Sind das vielleicht Entlehnungen aus dem »Kleinen Hey«?
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