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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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24.07.2007
 

Verrückte Welt
Notizen vom Wochenende

Als ich am Samstag laut kreischend mit dem neuen "Harry Potter" zur Kasse der Thalia-Buchhandlung stürzte, pries ich mich glücklich, nicht auf die deutsche Übersetzung angewiesen zu sein.
Hat jemand sich schon mal die Rechtschreibung in den bisherigen sechs deutschen Bänden angesehen? Es muß ja lustig sein, die Reformversionen mitzuverfolgen.

Erheiternd waren übrigens auch die ebenso krampfhaften wie vergeblichen Versuche der Literaturkritik, mit dem Phänomen puren Lesefutters fertigzuwerden. Das meiste läuft auf den Vorwurf an Frau Rowling hinaus, das geschrieben zu haben, was sie geschrieben hat, und nicht etwas anderes, was sie auch hätte schreiben können (z. B. über Probleme der Globalisierung usw.). Aber lassen wir das.

Um unserer Gesundheit willen sollen wir zu Vorsorgeuntersuchungen gezwungen werden - ein Milliardengeschäft für die Gesundheitsindustrie, das nur deshalb noch nicht recht in Gang kommt, weil die Ärzte selbst nicht viel davon halten.

Um unserer Sicherheit willen sollen wir unsere Festplatten sowie Schlafzimmer für die staatlichen Ermittler öffnen.

Dazu paßt es, daß wir ohne den Staat einfach nicht richtig schreiben können. Diese Einsicht ist in den Köpfen schon längst fest verwurzelt.

In der Süddeutschen Zeitung wurden die Mitglieder des spanischen Königshauses gestern als "die Royals" bezeichnet. Das kommt mir nicht spanisch vor. Französisch ist unzweifelhaft der Name einer Initiative des französischen Gaststättenverbandes: "Service en tête". Die SZ übersetzt: "Dienstleistung im Kopf". Ist denn das richtig? Oder ist es so etwas wie Eminems "Ich hol die Scheiße aus dem Klo" (Cleaning up my closet)?

Beim Blättern in dem Schülerduden "Wortgeschichte" stieß ich auf den "springenden Punkt: "... eine Lehnübersetzung von lat. 'punctum saliens' und bezieht sich auf die antike Vorstellung, im Weißei des Vogeleis befinde sich ein Blutfleck als hüpfender Punkt, der das Herz des werdenden Vogels bildet."

"Antike Vorstellung"? Aber ich habe als kleiner Junge selbst Hühnereier angebrütet und beim Aufschlagen den hüpfenden Punkt mit eigenen Augen gesehen, und es war in der Tat das künftige Herz.



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Kommentare zu »Verrückte Welt«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.10.2023 um 08.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#51875

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#23786

Seit diesem Eintrag sind drei Enkelkinder hinzugekommen, an denen wir unsere Beobachtungen verfeinern konnten. Alle drei lehnten den Schnuller von Anfang an ab. Ob es damit zusammenhängt, daß sie jederzeit Zugang zur Mutterbrust hatten?

Übrigens glaube ich bei unseren Kindern grundlegende Charakterzüge gleich nach der Geburt festgestellt zu haben, aber es wäre natürlich gut, so etwas sofort aufzuschreiben (wenn man schon keine Experimente machen kann). Der Charakter ist wohl doch im wesentlichen eine Ausdifferenzierung sehr einfacher Züge. "So mußt du sein, dir kannst du nicht entfliehen ... Geprägte Form, die lebend sich entwickelt."
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 24.09.2021 um 21.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#47170

Der MM berichtet heute (S. 32) über die BBC-Dokumentation "Prince Philip: The Royal Family Remembers":

BBC gewährt in einer Dokumentation zum 100. Geburtstag des verstorbenen Prinzgemahls private Einblicke in das Palastleben

Sind die Royals schon so abhängig von der BBC?
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 09.04.2020 um 08.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#43384

Auch genial, Peter Eisenberg für die männliche Hauptrolle zu verpflichten!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.04.2020 um 16.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#43382

An Hitchcocks sprichwörtliche Cameos erinnert die Unterbringung des Namens Spielberg im Film, nicht wahr?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.04.2020 um 16.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#43381

Und warum sollte ein Tankwagenfahrer die Absicht haben, einen ihm völlig unbekannten Zeitgenossen umzubringen?

The truck had twin rear axles, a CAT 1674 turbocharged engine with a 13-speed transmission, making it capable of hauling loads over 30 tons and top speeds reaching 75–80 mph. (https://en.wikipedia.org/wiki/Duel_(1971_film)) S. a. https://www.dealsonwheels.co.nz/trucks/features/1707/cover-story-duel-peterbilt-truck

Im ausführlichen Wikipedia-Eintrag steht, daß absichtlich ein untermotorisierter Pkw ausgesucht wurde. Nur schön rot mußte er sein. Und vielleicht waren die Rückspiegel damals noch nicht so gut? Mr. Mann benutzt seinen durchaus, aber es scheint mir nicht unplausibel, daß er sich auch immer wieder mal umdreht, als ob er sozusagen nicht fassen könnte, was er im Spiegel sieht.

Ich sehe das Ganze wie einen verfilmten Albtraum. Hitchcock wird erwähnt, der das auch konnte. Der Verfolgte könnte sich wahrscheinlich auf vernünftigere Weise aus der Affäre ziehen, aber in solchen Träumen kommt man manchmal nicht drauf, oder die Füße wollen sich einfach nicht vom Boden lösen usw.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 08.04.2020 um 12.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#43380

Ich frage mich immer, ob es technisch möglich ist, daß so ein zigtonnenschwerer, riesiger Monstertruck schneller ist als ein normaler PKW. Wohl nicht.

Irgendwie verrückt auch das ständige sekundenlange Umdrehen des gejagten PKW-Fahrers, als ob er keinen Rückspiegel hätte.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.04.2020 um 08.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#43379

Nach längerer Zeit wieder mal Spielbergs "Duel" angesehen. Er hatte eigentlich vor, den ganzen Film ohne Dialoge zu drehen, was ihn noch besser gemacht hätte.
Ich sehe solche Low-budget-Arbeiten gern, wie auch Marionettentheater usw., weil da die Kunst nicht vom Aufwand erschlagen wird.
Mir fiel wieder auf, wie raffiniert ganz am Schluß noch der Felsbrocken ins Bild rollt. Das ist wirklich genial.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.05.2019 um 05.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#41391

Vor einigen Jahren lachten wir über das zufällig aufgefundene Album mit Schwarzweißfotos, auf denen eine Familie vergeblich versucht hatte, ihren schwarzen Hund festzuhalten: Man sah immer nur ein schwarzes Loch. Daran erinnert das Foto der Familie Thunberg in der FAS: Die Bildunterschrift nennt gewissenhaft alle vier Personen und den Golden Retriever rechts im Bild, nicht aber den schwarzen Hund in der Mitte, der nur aus der seltsamen Handhaltung der ihn kraulenden Tochter zu erschließen ist. (In anderen Medien ist er etwas aufgehellt und dadurch gut erkennbar.)

Hier ist der Hund fast weggeschnitten, wahrscheinlich weil ihn niemand gesehen hat:
https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/klimaaktivistin-greta-vorabdruck-aus-dem-buch-der-thunbergs-16160815.html
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.02.2019 um 13.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#40788

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#26961

Auf Drängen lieber Menschen habe ich mir mal Spielbergs "E.T." angesehen (auf DVD in der animationstechnisch überarbeiteten Zweitfassung). Der Alien ist einerseits zu menschenähnlich, was nur auf gemeinsame Abstammung deuten könnte, andererseits überraschend unbeholfen für ein Geschlecht von sehr fortgeschrittenen Raketenkonstrukteuren. Es ist eigentlich alles wie bei uns, nur grotesk verzerrt. Dazu einige schwache Szenen, die mich ernsthaft gestört haben.

Typischer amerikanischer Familienfilm und nur mäßig unterhaltsam. Der elfjährige Hauptdarsteller ist allerdings gut geführt und verdient großes Lob. (Auch in "Harry Potter" sind die Kinder den ausgezeichneten Berufsschauspielern durchaus gewachsen. Aber vielleicht ist es gar nicht so schwer, Kinder vor der Kamera agieren zu lassen.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.12.2014 um 11.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#27665

Danke, das ist großartig!
 
 

Kommentar von Sigmund Freud, verfaßt am 31.12.2014 um 10.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#27664

Ihrem Wunsch nach Psychoanalyse schenke ich gern Gehör. Wir verstehen nämlich die Behauptung, man wolle nicht analysiert werden, regelmäßig als Ausdruck des Wunsches, analysiert zu werden. Diese Reaktionsbildung ist ganz alltäglich. Wie sehr Sie sich die Analyse wünschen, geht ferner daraus hervor, daß Sie der Bundeskanzlerin Ihres Landes die Grundzüge der Politik erklären. Denn in der Realität erklärt die Bundeskanzlerin die Grundzüge der Politik, das können Sie gewiß einsehen. Und zwar ganz so, wie der Analytiker Ihnen die Psyche erklärt.

Hier liegt ohne Zweifel eine doppelte Verschiebung im Traume vor: von der Psychoanalyse auf die Politik und von der Rolle dessen, der belehrt werden möchte, auf jene des Erfahrenen, der Sie zu belehren imstande ist. Hinter dem Traumbild des Bürgers steht der Patient, und mit der Bundeskanzlerin ist in Wahrheit der Psychologe gemeint: ein mächtiger Psychologe, wir wir sehen, ja der mächtigste im ganzen Land. Um so klarer wird nach der Entschlüsselung der Abwehrmechanismen, daß Sie die Grundzüge Ihrer Seele aus meinem Munde erfahren wollen.

Betrachten wir aufgrund dieser Voraussetzungen das Erlebnis im Traum nun näher mit dem Lichte der Deutung. "Sie trug eines ihrer Kostüme, und es kam mir etwas zu eng geschnitten vor." Hier klingt recht deutlich die Erotik an, die sich in Ihnen regt. Das Kostüm der Kanzlerin in ihrer mütterlichen Erscheinung kommt Ihnen zu eng vor, da Sie sich insgeheim die Vereinigung mit der Mutter wünschen. Jeder Mann ist ein kleiner Ödipus. Der kleine Ödipus möchte an die Brust der Mutter und sehnt im Innersten die Vereinigung herbei. Die Enge der Kleidung ist als Vorstufe jenes Entkleidens der Mutter zu deuten, das Sie sich ersehnen. Die Verschiebung dieses höchst dramatischen Vorgangs auf das unverdächtigere Verhalten, der Mutter die Politik zu erläutern – hier sehen wir unmittelbar die Rationalisierung –, zeigt noch einmal, wie sich Ihre Triebe in Abwehrmechanismen verkleiden müssen, um sich vor der Aufsicht des Über-Ich, der väterlichen Instanz, in Sicherheit zu bringen. In schöner und beispielhafter Weise sehe ich meine Theorie, die bisher noch jeden Zweifel überstanden hat, aufs neue bestätigt.

Ich möchte hoffen, Ihre Einsicht in Ihre geheimen Wünsche mit meinen Hinweisen befördert zu haben. Seien Sie kollegial aus Wien gegrüßt. Ihr S. Freud
 
 

Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 29.12.2014 um 19.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#27643

Witzig auch die Mehrdeutigkeit des Begriffs. "Ich komme im Kostüm" kann sehr verschiedenes bedeuten: streng seriös oder gaga.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.12.2014 um 05.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#27630

Neulich habe ich von Angela Merkel geträumt. Ich traf sie auf einer Party und erklärte ihr mit sehr vernünftigen Worten (wie mir im Traum schien) die Grundzüge der Politik. Sie trug eines ihrer Kostüme, und es kam mir etwas zu eng geschnitten vor. Ich sah dann mal nach, woher die Kostüme als Damenkleidung überhaupt gekommen sind. Wikipedia erklärt:

"Unter einem Kostüm ist in der Damenmode die Kombination von Jacke und Rock bzw. Hose (Hosenanzug) zu verstehen. Diese in England kreierte Kleidung war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine bedeutende Neuerung und wurde relativ schnell Bestandteil der Garderobe vieler im Berufsleben stehender Frauen."

Kreieren habe ich schon kommentiert, es paßt wirklich nur in die Sprache der Mode mit ihren Verrücktheiten.

Aber wer hätte voraussagen können, daß das lateinische consuetudinem einmal diese Bedeutung annehmen würde? Man denkt an seltsame Verschiebungen wie bei der ebenfalls genannten Garderobe und dem inzwischen ausgestorbenen Frauenzimmer.

Was die Sache selbst angeht, so dürfte tatsächlich die Absetzung von der Hausfrau das Motiv des Kostüm-Tragens sein.

Warum ich von Merkel geträumt habe? Falls jemand sich psychoanalytisch daran versuchen will, kann ich jetzt schon sagen, daß ich ihm nicht glauben werde. Ein anderer Traum vor einigen Tagen brachte mich mit einem älteren Kollegen zusammen, zu dem ich u. a. sagte, er sehe so jugendlich aus. Ich hatte noch nie von ihm geträumt, aber als ich es meiner Frau erzählte, sagte sie: "Das ist doch klar: Du hast vor dem Einschlafen Dorothy Sayers gelesen, und die Frau von Professor X ist doch Sayers-Expertin, weißt du das nicht mehr?" Tatsächlich erinnerte ich mich nun wieder eines Gesprächs mit Frau X vor etwa zehn Jahren, als meine Frau sich ebenfalls mit Sayers beschäftigte und wir das Ehepaar X bei einer Festlichkeit trafen.

Eine solche Verknüpfung ist – selbstverständlich – "unbewußt", aber eine weitere Begründung braucht man nicht zu suchen. Manchmal geht einem ein Stück Musik im Kopf herum, und wenn man darüber nachdenkt, findet man den Anlaß Stunden zuvor. An solchen Zusammenhängen haben sich die Psychoanalytiker noch nicht versucht, weil sie wenig Nahrhaftes hergeben, es ist eben der ganz normale "assoziative" Alltag.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.11.2014 um 13.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#27388

Es gibt Fähigkeiten, um die man normalerweise niemanden beneidet, z. B. die Kunstfurzer im Varieté. Dazu würde man zunächst auch die Fähigkeit rechnen, nach Belieben rülpsen zu können. Und doch übt meine schon erwähnte logopädische Tochter das gerade und erfüllt das ganze Haus mit ihren schon sehr fortgeschrittenen Künsten. Es gibt nämlich kehlkopfoperierte Patienten, denen genau diese Kunst aus dem schrecklichen Gefängnis der Sprachlosigkeit heraushilft. Man kann den Rülpston mit einigem Geschick im Mundraum so modulieren, daß jeweils zwei bis drei verständliche Wörter zu hören sind. (Nutzen eigentlich Bauchredner das auch?)
Die andere Möglichkeit mit dem elektrischen Tongenerator, den man von außen am Hals ansetzt, ist wohl bekannter.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.10.2014 um 17.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#26961

Ich sehe selten Filme, und Science fiction finde ich meist langweilig. Man hat sicher schon oft bemerkt, daß auch die krassesten Aliens immer noch viel zu menschenähnlich sind. Besonders lächerlich sind die Hörner und Warzen, die ja keinerlei evolutionäre Wahrscheinlichkeit haben. Irgendwie haben alle diese Wesen genau wie wir eine kommunikative Vorderseite und eine dorsale Insuffizienz. Das ist nicht besonders interessant.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.08.2014 um 08.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#26493

In einem ganzseitigen Artikel über Gewalt in den Religionen bezichtigt der protestantische Dogmatiker Friedrich Wilhelm Graf Richard Dawkins eines „neuen biologistisch naiven, reflexionsresistenten Trivialatheismus“ (FAZ 7.8.14). Die übliche Beschimpfung. Auf die Rabulistik deses wortreichen Aufsatzes will ich nicht eingehen.

Dawkins zeigt an vielen Beispielen, daß die scheinbare Absichtlichkeit, Geplantheit oder Zweckmäßigkeit in der Natur sich evolutionär und damit naturalistisch erklären läßt und keinen Planer voraussetzt. Damit entfällt ein Hauptargument der Theologen (teleologischer Gottesbeweis). Es ist wahr, daß viele Theologen sich inzwischen etwas anderes ausgedacht haben, bestimmt etwas Nichttriviales, aber das ist kein Grund, Dawkins in dieser Weise herabzusetzen. "Reflexionsresistent" ist ja einfach "dumm". Darauf würde ein Dawkins-Leser nicht so leicht kommen.
Jede Kritik an ihren Lehrmeinungen kontern die Theologen mit dem Hinweis, das sei überholt, man sei theologisch längst weiter. (Nur die Gläubigen informiert man besser nicht, wie weit die Theologen schon sind.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.05.2014 um 03.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#25822

Richard Dawkins hat, wie er in seiner Autobiographie berichtet, als Kind und Jugendlicher gestottert, besonders unter Anspannung. Die Schüler sollten bei bestimmten Aufgaben selbst die Zahl ihrer richtigen Antworten in den Raum rufen. Wenn er die Höchstzahl erreicht hatte, rief er "nine" statt "ten", um den gefährlichen Anlaut zu vermeiden.
Wer weiß, wie viele Menschen Nachteile in Kauf nehmen durch solche und andere Vermeidungsstrategien, nicht nur bei der Aussprache - wo es schon eine große Vielfalt gibt, wie ich durch meine logopädische Tochter nach und nach herausfinde.
Dawkins sagt auch sehr Interessantes über das Mobben (natürlich "bullying") in der Schule. Auch über Schulsysteme und Bildungspolitik. Ich kann "An Appetite for Wonder" wärmstens empfehlen.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 19.02.2014 um 21.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#25187

Nein, das stimmt, es war ja auch gar nicht vom Recht am eigenen Bild die Rede, sondern vom »Recht auf das eigene Bild«.
 
 

Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 19.02.2014 um 20.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#25186

"Das Recht am eigenen Bild ist keine reine Urheberrechtsfrage" – hat auch keiner behauptet. Bitte um relevantere Beiträge.

 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 19.02.2014 um 18.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#25184

Den Kunstvorbehalt wird es weiter geben, ebenso wie das Recht, die eigenen Kinder am Strand zu knipsen. Das Recht am eigenen Bild ist keine reine Urheberrechtsfrage, wie der Gesetzgeber durch die Einführung von StGB § 201a bereits deutlich gemacht hat.
 
 

Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 19.02.2014 um 16.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#25180

Natürlich ist es nicht in Ordnung, wenn jemand mit Bildern von irgendjemandem Geld verdient ohne Einwilligung der Betreffenden und ohne ihnen Tantiemen zu zahlen, aber das hat nichts spezifisch mit pornographischen Inhalten zu tun. Das ist eine Frage des Urheberrechts und des Rechts auf das eigene Bild. Was jemand, der irgendwie in Besitz dieser Bilder gelangt ist, damit macht, interessiert mich ziemlich wenig. Von mir aus kann er sie auch an die Wand hängen und als Zielscheibe fürs Pfeilewerfen benutzen oder sich den Hintern damit abwischen, wen geht das was an? Und wer schreit da nach dem Staatsanwalt? Andere machen's mit Bildern barbusiger Frauen. Oder denken wir an die Szene aus "Frühlings Erwachen"! Begeht da jemand eine Straftat? Sind wir gar wieder soweit, daß Aufführungen solcher Theaterstücke verboten werden müsen?

 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 19.02.2014 um 10.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#25176

Wenn der gegenwärtige Wortlaut des Gesetzes als lächerlich oder unzeitgemäß empfunden wird, spricht das für dessen Änderung. Das Rechtsempfinden ändert sich nun einmal. Es wird heute weithin nicht mehr als anstößig empfunden, wenn pornographische Schriften vertrieben und gelesen werden. Andererseits wundern sich viele, warum es erlaubt sein soll, daß Kinder – ungefragt, uneinwilligungsfähig – als Wichsvorlage herhalten müssen. Wo ist das Problem? Das StGB ist schon oft umgeschrieben worden und verträgt auch weitere Änderungen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.02.2014 um 07.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#25173

Also wie war das noch mal mit "Schriften", die ja im StGB an erster Stelle genannt werden und woran die anderen Medien nur angehängt sind? Wer ist der Geschädigte?
(Ich hatte auch mal die Frage nach Simulationen aufgeworfen. Man kann ja die wüstesten Sachen digital simulieren.)
Als Strafgrund bleibt nur die vermutete Wirkung auf den Empfänger, aber wenn der erwachsen ist, bleibt gar nichts mehr.
Auch gibt es weite Bereiche, die weder rechtlich noch moralisch relevant sind, aber trotzdem so peinlich, daß man sie geheimhalten möchte und daß die unwegigen Arten der Beschaffung und Bezahlung sehr wohl verständlich sind, also etwa die Fixierungen der Fetischisten und Masochisten.

Das Fotografieren von Kindern verstößt eigentlich immer gegen deren Persönlichkeitsrecht, ganz unabhängig vom Gebrauch, den irgend jemand von den Bildern macht. Ich habe mich schon als Kind nicht gern fotografieren lassen
und stelle mich heute noch ungern zum Fotografieren auf.

 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 19.02.2014 um 05.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#25172

Ich habe die Affäre zuletzt nur lückenhaft verfolgt. Neuerdings will die SPD oder jedenfalls Gabriel Edathy aus der Partei werfen. Dessen Verhalten gilt jetzt als absolut unmöglich, nicht vereinbar mit den Werten der SPD.

Mir stört daran die Heuchelei. Wieso ist das den drei SPD-Granden denn nicht aufgefallen, solange die Information über Edathys Bild- und Videokäufe noch nicht in der Öffentlichkeit war? Genauso kann man fragen, warum es so entsetzlich gewesen wäre, wenn Edathy einen höheren Posten bekommen hätte. Gegen seinen Verbleib im Bundestag und in der Partei hatte man damals anscheinend nichts. Jetzt plötzlich rauft man sich die Haare, jetzt ist schon die SPD-Mitgliedschaft untragbar.

Wenn sie wenigstens ehrlich wären. Sie könnten doch sagen: "Bei der Empörung, die Edathy ausgelöst hat, wäre sein Verbleib in der Partei für uns schädlich. Deshalb bleibt uns gar nichts anderes übrig, als ihn auszuschließen." Statt dessen machen sie sich die Verteufelung zu eigen und erklären sie zur Parteilinie. Ist die Unglaubwürdigkeit von Gabriel in dieser Frage eigentlich schon kritisiert worden?
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 18.02.2014 um 21.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#25171

Was soll daran spießig sein, die Persönlichkeitsrechte von Kindern für schützenswert zu erachten?
 
 

Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 18.02.2014 um 18.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#25170

"Es gibt gesundheitsgefährdende Paragraphen (wg. Lachkrampf)." – Wenn es denn zum Lachen wäre! Aber das Muckertum feiert wieder fröhliche Urständ. Natürlich müssen jetzt die Gesetze verschärft werden, Gesetzeslücken geschlossen werden! Damit ordentlich alles verboten ist, was der selbstgefällige Spießer ekelig findet. Renate Künast muß man hier wohl ausnahmsweise verteidigen, wenn sie davor warnt, daß bald Eltern nicht mal mehr ihre Urlaubsfotos zeigen können. Aber dafür das schäbige Nachtreten der SPD-Führung auf ihren ehemaligen Abgeordneten (Rückgrat hatten sie ja noch nie)!

 
 

Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 15.02.2014 um 12.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#25152

Bei Friedrichs Rücktritt geht es um die Frage, ob er Geheimnisse verraten hat. Hat er gegen eine Pflicht als Minister verstoßen? Eine erwiesene Pflichtversäumnis ist gewiß ein Rücktrittsgrund; eine vermutete mindestens eine politische Belastung.

Edathy ist damit sowieso kein Gefallen getan worden. Wie soll er sich gegen den Vorwurf wehren, er hätte Zeit genug gehabt, alle Beweise zu vernichten, und deshalb sei nichts gefunden worden?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.02.2014 um 08.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#25147

Die erste und die letzte Seite der Zeitung und auch dazwischen so manche Spalte sind mit Nachrichten und Kommentaren über den Rücktritt eines Ministers gefüllt. Sogar die ganze große Koalition könnte auseinanderbrechen, Und warum? Letzten Endes spitzt sich alles auf die Frage zu, ob auf Kinderfotos, die einem anderen Politiker in hohem,wenn auch nicht ganz ungewöhnlichem Maße gefielen, die an sich unbeträchtlichen, ja geradezu beispiellos langweiligen Geschlechtsteile von Jungen "prominent" zu sehen waren oder gar "im Mittelpunkt" standen. Aber selbst wenn sie genau im Mittelpunkt standen und von der Automatik der Digitalkamera scharf gestellt wurden, kommt es darauf an, ob einer die Bilder "verbreitet, öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt, oder sonst zugänglich macht oder herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, ankündigt, anpreist, einzuführen oder auszuführen unternimmt".
Es gibt gesundheitsgefährdende Paragraphen (wg. Lachkrampf).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.11.2013 um 09.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#24411

Zum Kampf der Royals (und früherer Pädagogen) gegen den Schnuller bzw. das Daumenlutschen: Eine fixe Größe der frommen Erziehung war ja auch die "Abtötung des Fleisches". Noch die Humanisten, die der Askesekultur des Mittelalters entrinnen wollten, filterten die zu lesende antike Literatur sorgfältigst, damit nichts Lustvolles in die Hände pubertierender Kinder geriete.
Zur Abtötung der Fleischeslust diente dann das cilicium, sprachlich interessant (auf Kilikien verweisend), heute noch als Büßerhemd redensartlich erhalten – und in dem schönen Gedicht "Fabrikstraße tags" von Paul Zech (das wir in der Schule gelesen haben). Damit hängt auch die Redewendung "in Sack und Asche gehen" sachlich zusammen. Interessant ist auch die Übertragung auf den "Bußgürtel", den angeblich die Opus-Dei-Leute benutzen, um sich an das Leiden Christi zu erinnern, den man aber auch in Sexshops erwerben kann, sicher nicht gerade zur Abtötung der Fleischeslust. Abbildungen besonders unter "cilice" bei Google.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.07.2013 um 05.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#23786

Aus England wird Unfaßbares berichtet. Der jüngste Thronfolger soll auf natürlichem Wege zur Welt gekommen sein, und die Mutter hat das "ohne starke Schmerzmittel" bewältigt. Ich kenne jemanden, der das auch so gemacht hat.

Kate will ihren Sohn selbst stillen und außerdem "ohne Schnuller" aufziehen. Dann wird er am Daumen lutschen, und es ist eine alte Frage, ob das besser ist. Man hat ja auf mechanischem und chemischem Wege versucht, das Daumenlutschen zu unterbinden. Aber der Mund als Lustquelle ist nun mal bei Säuglingen sehr wichtig. Ammen haben früher vorgekautes Brot in ein Leinenbeutelchen gebunden (bei Wilhelm Busch noch zu sehen) und den Kindern in den Mund gesteckt. Der Speichel wandelt die Stärke in Zucker um.

Die Schnuller sind heute so geformt, daß sie Zahnstand und Kieferform günstig beeinflussen, jedenfalls besser sind als der Daumen.

Ineressante Frage: Welche Rolle spielt die orale Lust beim Sprechenlernen? Das Babbeln führt durch Rückmeldung über das Gehör zu einer willkürlichen Beherrschung der Körperteile, die dann in den Dienst der Sprache treten. Wer sich nicht selbst hören kann, verstummt dann wieder. Was aber der pädagogische Entzug oraler Lust bewirkt, wissen wir noch nicht. Vielleicht wird das "royale Baby", wie es dummerweise in der deutschen Presse genannt wird, ein Lispler oder Stotterer? Ich würde dieses Risiko nicht eingehen und dem Prinzen lieber einen "anatomisch geformten Beruhigungssauger" gönnen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.10.2012 um 11.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#21652

In der "Welt" versucht sich Thomas Kielinger als Literaturkritiker.
Er zitiert: "Er schwenkte seine Augäpfel" mag als Manierismus noch hingehen. "Er bewahrte eine Erinnerung an ihre ungeschützte rosa Scheide, als sei der Weihnachtsmann plötzlich unter ihnen aufgetaucht", strapaziert dagegen unser Sprachempfinden beträchtlich. Kurz ist der Weg von der Höhe des Ruhms in die Einfalt der Trivialität.
Beide Beispiele hat zuvor der "Evening Standard" kritisiert, allerdings im Original: Scratching his left temple to screen his face, he swivelled his eyeballs to glance down at her hands usw. – Nicht einmal das stammt also von Kielinger selbst. (Bei den Augäpfeln denkt man an Harry Potter, vielleicht ist das Absicht.) Aber darum geht es ihm auch gar nicht:
"Die Milliardärin J. K. Rowling geißelt die Mittelschicht, aus der sie selbst stammt." Das soll, wie der weitere Text zeigt, ein Vorwurf sein. Hätte Rowling eine Schicht geißeln sollen, aus der sie nicht stammt und die sie daher nicht von innen heraus kennt?
Kielinger weiß alles: "Solch märchenhafte Verfügung über den Mammon verlangt die Antithese – die Sympathie für das Prekariat und die Verachtung der eigenen Klasse. (...) J. K. Rowling verfällt aufs soziale J’accuse, um sich gegenüber der erdrückenden Last ihres Erfolges zu rechtfertigen." Da kann man nur noch staunen. Übrigens verfügt man nicht über den Mammon, sondern dient ihm, das ist ja gerade der Witz.
Und müßte man, um sein Gewissen zu beruhigen, nicht gerade die Reichen anklagen, zu denen man plötzlich gehört? Und müßte das Gewissen nicht besonders beunruhigt sein, wenn man, anders als Rowling, unverdientermaßen zu Reichtum gelangt ist? Und hat nicht Rowling, worauf sogar Kielinger hinweist, enorme karitative Anstrengungen unternommen, obwohl (!) ihr Reichtum durchaus verdient über sie gekommen ist? Und kann man nicht einfach mal das Maul halten (Kurt Beck)?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.10.2012 um 07.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#21644

Es war schon seltsam, wie sich in den letzten Tagen die deutsche Presse darauf geeinigt zu haben schien, daß Rowlings neuem Buch kein besonderer Erfolg beschieden sei. „Käuferansturm bleibt aus“ (Stern), „Neuer Rowling-Roman startet bescheiden“ (Kurier) – das war der Tenor. Las man weiter, erfuhr man, daß der Roman in England die Bestsellerliste anführt und sich in Amerika 375 000 mal in sechs Tagen verkaufte, ein phantastischer Erfolg für jeden Schriftsteller (nur nicht für die Harry-Potter-Verfasserin). Rowling wird das Buch nicht wegen des Geldes geschrieben haben, wovon sie ja genug hat. Die Engländer, die der Inhalt zuerst angeht, nehmen es sehr wohl zur Kenntnis. Was sollte die Verfasserin mehr wollen? Der Vergleich mit den Auflagen der Potter-Bände ist ja nicht gerade zwingend. Aber einer plappert es dem anderen nach.
 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 27.07.2007 um 10.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#9808

Rechtschreibung und Bürokratie

Unsere Rechtschreibung ist 1996 in die Klauen der Bürokratie geraten, wo sie seither eisern festgehalten wird. Ihre Einführung und das Beharren auf den Dummschreibungen ist das Werk der Bürokraten im gehobenen Staatsdienst (Staatssekretäre Krimm, Besch, Stillemunkes usw.)

Der Begriff „Bürokratie“ ist negativ besetzt, weil die übertriebenen Auswirkungen bürokratischen Handelns in das private und geschäftliche Leben des Bürgers eingreifen. „Bürokrat“ ist ein Schimpfwort, das kein Staatsdiener für sich in Anspruch nehmen möchte, obwohl doch jeder von ihnen im wahrsten Sinne des Wortes ein „Bürokrat“ ist. Dieser Bürokrat kann, anders als der gewählte Parlamentarier, nach eigenem Ermessen entscheiden und in das Leben des einzelnen Bürgers eingreifen. Der Bürger hat den Bürokraten nicht gewählt, und deshalb ist jener als Amtsinhaber nicht mehr Diener des Volkes. Die Politiker in den Parlamenten können demnach nur noch abnicken, was längst beschlossen ist.
Wir haben mit der Rechtschreibreform ein anschauliches Beispiel dafür, wie die Bürokratie zur Zementierung unmöglicher und schädlicher Verhältnisse sorgt: Ich glaube nicht zu irren, wenn ich unterstelle, daß Politiker wie Wulff oder Rüttgers vom ehrlichen Wunsch bewegt waren, die Rechtschreibreform rückgängig zu machen. Ich bin sicher, die meisten Politiker hätten – heute noch – den Spuk gern beendet. Doch fehlt ihnen das zu die Möglichkeit. (Das betrifft nicht nur das Thema Orthographie.) Die wahre Macht liegt in den Händen der Bürokraten. Diese aber können wir auch wiederum nicht persönlich dafür haftbar machen, daß sie ihr Amt zum Terror gegen die Bürger mißbrauchen: Wer vor vollen Schüsseln sitzt, wird sich bedienen! Ich kann nicht den Hund zum Hüter meines Wurstpakets machen. Schuld ist das System, das Mißbrauch nicht nur erlaubt, sondern sogar dazu herausfordert. Den Menschen, der allen Versuchungen widersteht, hat Gott noch nicht geschaffen. Die Väter des Grundgesetzes haben nicht ahnen können, daß Jahrzehnte später diese Demokratie zur sozialistisch eingefärbten Bürokratiediktatur entarten würde. (Wobei ich nicht sicher bin, ob man einer in der Zukunft liegenden Gefahr durch Regelungen in der Gegenwart wirksam entgegentreten kann. Freiheit hat man nicht, man muß sie ständig neu erringen!)

Ein äußerst interessantes Werk zum Thema Bürokratie kann ich jedem Interessierten empfehlen. Autor ist Ludwig von Mises. Das Buch heißt „Die Bürokratie“ und ist im Academia Verlag, Sankt Augustin, erschienen. Ich erlaube mir, daraus zu zitieren:

„Totalitarismus ist viel mehr als bloß Bürokratie. Er bedeutet die Unterordnung des Lebens, der Arbeit und der Freizeit eines jeden Individuums unter die Anordnungen derjenigen, die an der Macht sind und ein öffentliches Amt bekleiden. Er bedeutet die Erniedrigung von Menschen zu Zahnrädern in einer allumfassenden Maschine von Zwang und Nötigung. Er zwingt das Individuum auf jede Tätigkeit zu verzichten, die der Staat nicht gutheißt. Er toleriert keine abweichende Meinung. Er bedeutet die Umwandlung der Gesellschaft in eine streng disziplinierte Arbeitsarmee ... In jedem Fall bedeutet er einen radikalen Bruch mit derjenigen Lebensweise, der die zivilisierten Nationen in der Vergangenheit anhingen. Er bedeutet nicht bloß eine Rückkehr der Menschheit zum orientalischen Despotismus, unter dem, wie Hegel beobachtete, ein einziger Mensch frei war und alle anderen Sklaven; ... Er [der moderne Sozialismus] ist totalitär im strengen Sinne des Begriffs. Es hält das Individuum vom Mutterleib bis ins Grab hinein straff am Zügel. In jeder Minute seines Lebens ist der „Genosse“ zu unbedingtem Gehorsam gegenüber den Anordnungen der höchsten Behörde gehalten. Der STAAT ist ihm Beschützer und Dienstherr in einem. Der Staat legt seine Arbeit fest, seine Ernährung und seine Freuden. Der Staat sagt ihm, was er zu denken und woran er zu glauben hat.“ (Seite 33)

(Ich füge hinzu: wie er zu schreiben hat ... ob er sich als Mann oder Frau fühlen soll ... was er zu lernen hat ... wie er seine Kinder zu erziehen hat ... was mit seinem Einkommen geschehen soll ... gegen welche Krankheiten er sich schützen soll )

Wir sind auf dem Weg in eine totalitär gelenkte Gesellschaft. Und man möge sich keinen Illusionen hingeben bezüglich der einlullenden Begriffe, die genau das Gegenteil dessen ausdrücken, was gemeint ist. (Neusprech 1984!) Wir nennen einander nicht „Genossen“ und uns wird auch nichts „befohlen“, wir leben in einer „Demokratie“ und sind „frei“. Nichts als Worte. Das Gegenteil davon ist richtig.
Die Stoßrichtung der Kritik darf sich nicht daran erschöpfen, seine Wut an einzelnen Marionetten des Systems auszulassen. Die Folgen der Zerstörung im System (sei es in der Orthographie oder in der Familie oder im Bildungswesen oder in der Wirtschaft) müssen zwar aufgezeigt werden, besonders hilfreich ist auch das nicht, wenn man es dabei beläßt. Wir müssen erkennen, daß dieses System selbst Ziel unserer Kritik und unseres Widerstands sein muß. Es sollte ihm so wenig Unterstützung zukommen wie möglich. Innerer Widerstand beginnt damit, daß wir die wahre Ursache der Unfreiheit erkennen. Widerstand ist eine kluge Haltung, ist diplomatische Arbeit. Wenn Widerstand plump ist und zu Märtyrertum und Selbstzerstörung führt, ist er zwecklos und stärkt möglicherweise das Unrechtsystem selbst.

Die Rechtschreibreform ist ein winziger und randständiger Bereich, der dem Totalitarismus anheimgefallen ist. Andere, wesentlich wichtigere Privatbereiche sind in Gefahr, von der Bürokratie überwuchert zu werden. Unser Widerstand wird sich nicht gegen die Bürokratie selbst oder gegen die Männer und Frauen richten, die dort wirken. Diese sind selbst von den negativen Auswirkungen betroffen. Sie sind oft genug davon überzeugt, gute Arbeit zu leisten – und das tun die meisten von ihnen auch. Wie wollen wir verlangen, daß sie erkennen, welchen „Herren“ sie dienen, und was ihre Tätigkeit im ganzen gesehen bewirkt? Weder Cervantes’ Don Quichotte noch Kleists Kohlhaas sollen unsere Vorbilder sein. Täglich praktizierter Widerstand im persönlichen Umfeld ist meines Erachtens die einzig wirksame Waffe. Rasche Erfolge sind dabei nicht zu erzielen. Systemisch verankertes Unrecht ist widerstandsfähig. Man braucht Geduld.

Bei der Rechtschreibreform ist es allerdings relativ einfach, Widerstand zu leisten: indem man sie ignoriert. Das tun viele. (Die Weigerung unseres Volkes, Kinder zu zeugen, scheint mir unter anderem ebenfalls ein – allerdings unbewußter – Widerstand gegen die politischen Verhältnisse zu sein.)

 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 25.07.2007 um 13.22 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#9791

Zum von Herrn Strasser (in 877#9782) angeschnittenen Problem der GZS von so + Adverb: Die Schreibung ist nicht entscheidbar, sondern zu wählen:

Nehmt, soviel ihr wollt!
vs.
So viel, wie du verträgst, hält sonst keiner aus.
Ebenso:
Solange es funktioniert, ist doch alles bestens.
vs.
So lange wie auf den hatten wir noch nie gewartet.

Die diese Paaren scheidende Regel formuliert sich gewissermaßen von selbst. Die aus ihr folgende Einsicht müßte sein, daß Schreibentscheidungen nicht wortbezogen, sondern äußerungsbezogen zu treffen sind, wenn sie sinnvoll und damit nachvollziehbar sein bzw. werden sollen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.07.2007 um 10.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#9785

Natürlich kann man auch "fertig werden" schreiben. Man schreibt traditionell nicht "fertigist", aber sonst alle Verbindungen aus "fertig" + Verb wahlweise zusammen oder getrennt.

Die Rechtschreibreform hat zunächst durchgehend Getrenntschreibung verordnet. Einiges davon wurde im Duden 1996 als Neuschreibung gekennzeichnet, mit welchem Recht auch immer, denn der alte Duden war in diesem Punkt sehr wortkarg gewesen. Die Revision von 2006 scheint eine dem alten Duden unterstellte Unterscheidungsschreibung wiederbelebt zu haben, die aber nahezu unverständlich ist. Der letzte Duden jedenfalls kennzeichnet die Zusammenschreibung als neu und empfiehlt meistens die Getrenntschreibung, während Wahrig - fast erwartungsgemäß - die Zusammenschreibung empfiehlt. Dies gilt jedenfalls für "fertigwerden", man muß aber jeweils auch die anderen Verbindungen durchsehen, um das vierfarbige Durcheinander würdigen zu können.

Fazit: Die Lösung 1996 war einfach, aber fern von der Schreibwirklichkeit. Mein Wörterbuch ist noch einfacher und entspricht der Schreibwirklichkeit. Die amtliche Regelung 2006 ist aberwitzig.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 25.07.2007 um 09.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#9784

So bewußt wie Herr Strasser werden nur sehr wenige ihre Schreibweisen abwägen und prüfen. Aber dieselben Abwägungsprozesse finden unreflektiert auch bei den anderen Schreibern statt: Das Auge des Schreibers prüft im Zusammenspiel mit dem Sprachgefühl, ob das dasteht, was man schreiben (= ausdrücken, mitteilen) will. Dabei können auch reformierte Schreibweisen zusagen, andere reformierte Schreibweisen entsprechen jedoch nicht dem Sprachgefühl. Unsinnig an dem amtlichen Möchtegern-Regelwerk ist vor allem, daß viele übliche und sinnvolle Schreibweisen nicht anerkannt und folglich als Fehler behandelt werden sollen. Deshalb ist die Reform in der Tat nicht abgeschlossen, kein Frieden ist besiegelt. Die Verlautbarung autoritärer Gültigkeits- und Endgültigkeitsformeln beruht auf einem grundsätzlichen Mißverständnis des Schreibens und hat mit den realen Schreibvorgängen wenig zu tun.
 
 

Kommentar von Hans-Jürgen Martin, verfaßt am 25.07.2007 um 09.03 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#9783

Wenn ich mich recht erinnere, wollte Frau Rowling vor einigen Jahren durchsetzen, daß aus ihren Harry-Potter-Büchern keine Passagen in deutschen Schulbüchern abgedruckt werden, und ist vor einem Berliner Gericht damit gescheitert ("Phänomen der Zeitgeschichte"). Man sollte ihr raten, ihre Bücher nur in konventionellem Deutsch drucken zu lassen - dann haben nur die Kultusminister ein Problem ...
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 24.07.2007 um 23.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=877#9782

Erst durch meine aktuelle nähere Beschäftigung mit reformierten und nicht reformierten Schreibweisen stelle ich fest, daß, wohl immer schon, ich einige Schreibweisen anwende, die offiziell eigentlich erst durch die Reform eingeführt wurden.

Ich bemerke das z. B. am "fertigzuwerden", oben, von Prof. Ickler. Ich hätte in diesem Fall wahrscheinlich "fertig zu werden" geschrieben.
Andere Beispiele sind das schon genannte: "in Bezug auf", was ich als "in meinem/diesem/einem Bezug auf" verstehe,
weiters: "so viel" getrennt, in vielen Fällen, die früher angeblich zusammen geschrieben wurden, nur bei Wendungen wie: soviel ich weiß u. ä. halte ich Zusammenschreibung für besser.
dann: "so lange" eigentlich immer getrennt, außer es bedeutet währenddessen,
und: "zusammen schreiben/zusammenschreiben", das ist ein interessanter Fall, ich bemerke, daß ich hier zwischen beiden Schreibweisen schwanke, je nach Wortlaut des Satzes aber bei gleicher Bedeutung.
Auch das kürzlich anderswo schon einmal zitierte "unterderhand" kommt mir total fremdartig vor, würd' ich selbst nie so schreiben.
So weit (auch getrennt) einige Beispiele.

Ich will damit keinesfalls verallgemeinern, daß mir reformierte Schreibweisen zusagen, aber einzelne finde ich trotzdem in Ordnung.


 
 

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