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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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03.04.2007
 

Binde-Strichgesellschaft
Ulrich Beck hat ein neues Buch geschrieben

Der Titel zeigt eine wohl nicht ganz gelungene Bindestrichsetzung: "Weltrisiko-gesellschaft". Ich nehme an, daß Beck seiner gut verkäuflichen "Risikogesellschaft" nun noch einen überbietenden Titel nachschicken wollte.
Der Suhrkamp-Verlag ("Lindenstrasse" in Frankfurt) kündigt den Band immerhin in klassischer Rechtschreibung an, und so ist wohl auch das Buch selbst gedruckt - oder? Lesen werde ich es trotzdem nicht.

Eine Frau, die einmal als Dolmetscherin für Beck gearbeitet hatte, erzählte mir, daß Beck der einfachste ihrer Klienten war: Sie wußte immer schon im voraus, was er als nächstes sagen würde. Eine bessere Charakterisierung ist kaum möglich.



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Kommentare zu »Binde-Strichgesellschaft«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.01.2015 um 08.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=813#27697

Ein Nachtrag dazu: Eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte, waren meine 15 Minuten Ruhm als erste Adresse in Sachen Rechtschreibreform(kritik). Ich wurde buchstäblich jeden Tag angerufen. Dabei stand meine Telefonnummer nicht einmal im Telefonbuch, aber ich konnte und wollte der Sekretärin des Instituts nicht verbieten, sie weiterzugeben. Damals glaubte ich ja noch, etwas bewirken zu können. Ich dachte, wenn die Journalisten gegen die Reform sind, müßten sie doch auch bereits sein, etwas dagegen zu tun. Aber warum sollten sie konsequenter handeln als die Kultusminister, die ja auch gegen die Reform waren, als sie sie beschlossen und durchsetzten? Politik wird eben durch Interessen bestimmt und nicht durch Argumente.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.01.2015 um 08.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=813#27696

In die Nachrufe auf Ulrich Beck mischt sich mancherorts ein leicht ironischer Ton wegen der medialen Allgegenwart des Verstorbenen und seines Geschicks als Schlagwort-Erfinder. Ich kann nicht beurteilen, ob er ein so bedeutender Soziologe war. Unwillkürlich fiel mir der "bedeutendste deutsche Pädagoge" ein, von dem es ja kein einziges Werk zur empirischen Erziehungswissenschaft gibt. Beck wird mit Habermas verglichen.

Interessant ist für uns eben die Schlagwortmächtigkeit. Auf absehbare Zeit ist es nicht möglich, das Wort "Risiko" zu verwenden, ohne gleich die "-gesellschaft" anzuhängen - oder eben dieser Versuchung ausdrücklich zu widerstehen. Ebenso ist "Aufstand" mit "proben" verbunden. Einige Jahrzehnte war es unmöglich, über Liebe zu sprechen, ohne auf Erich Fromm zu kommen. Das ist mit dem Aussterben einer Generation zu Ende gegangen, bis auf ein paar ganz alte Leute (meines Jahrgangs).

Viele versuchen, sich ein Markenzeichen zuzulegen ("gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit"), wenigen gelingt es. Die Medien müssen sofort wissen, wen sie zu einem bestimmten Schlagwort anzurufen haben; das ist das Ziel.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.04.2014 um 07.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=813#25704

Noch eine Bemerkung zum "Lustrum" (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=813#8166): In einer Zeitung las ich mal:

Julien Green, mit heute 91 Jahren ein Lustrum hinter Ernst Jünger ... (SZ 31.12.91)

Sicherlich wollte der Schreiber einen Gleichklang vermeiden (der 91jährige Julien Green, fünf Jahre jünger als Ernst Jünger ...), aber Lustrum ist in einer deutschen Zeitung ziemlich monströs.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.07.2013 um 16.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=813#23650

Zeugnisse für Drucker sind wahrscheinlich nicht so häufig wie Leben von Musikern.

Kulturell überaus folgenreich war der Wandel in der Musikpraxis und folglich im Musikerleben ... (Thomas A. Szlezák: Was Europa den Griechen verdankt. Tübingen 2010:59

Es ist aber dann doch das Erleben von Musik gemeint. Übrigens ein schönes Buch, auch in herkömmlicher Rechtschreibung gedruckt. Obwohl griechische Textstellen abgedruckt sind, braucht man kein Griechisch zu können.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.06.2011 um 09.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=813#18876

Zu wenige Bindestriche führen auch nicht gerade zum Erfolg: An mehreren Universitäten gibt es einen Studiengang "Deutsch als Fremdsprachenphilologie".
Wer hätte gedacht, daß Deutsch eine Philologie ist!
"Fremdsprachenphilologie" ist wissenschaftssystematisch auch ein Unding. Das habe ich vor über 30 Jahren gesagt und mir wenig Freunde damit gemacht. Damals wollte man die sogenannten Auslandsgermanisten an die deutschen "Deutsch-als-Fremdsprache-Philologen" als ihre wissenschaftlichen Gesprächsparter verweisen statt an die deutschen Germanisten. Aber deutschen Anglisten z. B. diskutieren selbstverständlich mit englischen und amerikanischen (und japanischen) Anglisten und nicht mit den Lehrern des Englischen as a foreign language. Aus dem Anschlag auf die Internationalität der Wissenschaft konnte auf die Dauer nichts werden, trotz Beihilfe durch den DAAD.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.04.2007 um 07.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=813#8244

In China habe ich oft erlebt, daß Studenten die richtige Schreibweise eines Zeichens nicht mehr ganz gegenwärtig war. Manchmal haben sie dann das Zeichen probeweise mit dem Finger in die andere Hand "geschrieben", weil auch hier (wie beim Klavierspielen) das "Fingergedächtnis" oft zuverlässiger arbeitet als das visuelle. Sie haben einander auch gegenseitig korrigiert.
Ich besitze das nützliche Büchlein des bekannten Sinologen Fenn: "Chinese characters easily confused".
Nach all dem würde ich schon sagen, daß es eine chinesische Orthographie gibt. Sie steht übrigens auch auf dem Lehrplan der Sinologie.
 
 

Kommentar von Pt, verfaßt am 13.04.2007 um 17.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=813#8243

>>Das Chinesische hat schätzungsweise etwas über 1.300 verschiedene Silben. Ist das nun wenig oder viel? Wie viele Silben das Deutsche hat, konnte ich nie herausfinden. Das Japanische hat, wie für agglutinierende Sprachen üblich, nur sehr wenige verschiedene Silben (100?).<<

Das dürfte auch davon abhängen, wie die Silben gebaut sind.

 
 

Kommentar von Pt, verfaßt am 13.04.2007 um 17.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=813#8242

>>Ja, jede hochentwickelte Schrift muß Regeln haben, im Chinesischen die "zheng4 zi4 fa3" (korrekt Zeichen Regel), aber es ist doch etwas völlig anderes als unsere Rechtschreibung.<<

Wirklich?

>>Ich würde das so vergleichen: Wenn man bei uns den i-Punkt vergißt oder ob man das Z mit oder ohne zusätzlichen Querstrich schreibt, das sind wohl kaum Fragen der Rechtschreibung, oder?

Im Türkischen ist das i ohne Punkt ein eigenes Zeichen mit eigenem Lautwert, das heißt eine Frage der Rechtschreibung. Und da nun mal viele Türken hier in Deutschland leben . . .

Wenn man einmal das gesamte chinesische "Alphabet" (also 2000 oder mehr, je nach Bedarf) gelernt hat, gibt es keine Probleme mit der Rechtschreibung mehr.<<

Ja, wenn . . . und bei den Japanern kommen da noch Katakana und Hiragana hinzu und wann man was verwendet.

>>Unsere 59 kleinen und großen Buchstaben lassen dagegen eine Unzahl an Kombinationsmöglichkeiten zu. Da reicht es nicht, festzulegen, wie jeder Buchstabe geschrieben wird, sondern es geht um genau diese vielen Kombinationen.<<

Diese Unzahl an Kombinationsmöglichkeiten ist ja gerade das Gute daran. Mit einer relativ geringen Anzahl von Zeichen läßt sich alles wiedergeben. Und bis zur Reform waren die ''Unzahl von Kombinationsmöglichkeiten'' auch kein wirkliches Problem, da es für jedes Wort im wesentlichen eine Schreibweise gab. Diese entsprach bei vielen Wörtern mehr oder weniger der Aussprache oder war durch sinnvolle Regeln ableitbar. Außerdem war sie überall präsent, so daß sie sich einem von selbst einprägte. Wirkliche Schwierigkeiten dürfte es nur bei ungebräuchlichen Fremdwörtern gegeben haben. Es ist das ''Verdienst'' der Reformer, daß wir nun auch Schwierigkeiten bei der Schreibung von gebräuchlichen Wörtern haben. Außerdem sind nicht alle Kombinationsmöglichkeiten der Buchstaben im Deutschen erlaubt. Solche Einschränkungen gibt es aber auch bei anderen Sprachen. Das Problem, das sie ansprechen, ist als sehr viel kleiner, als es auf dem ersten Blick den Anschein hat.

Aber es steht ein interessantes Problem dahinter: Gibt es sowas wie ''graphische Morphologie'' oder ''graphische Syntax''? Meiner Meinung nach ja, und das ist auch der Grund, warum man nicht generell sagen kann, daß graphische Benutzeroberfläche ''einfacher'' zu verstehen oder zu bedienen wären als z. B. die textliche Eingabe von Kommandos z. B. unter LINUX. Die hier vorgeschriebene korrekte Eingabesequenz von Zeichen, um eine bestimmte Funktion auszulösen, wird durch graphische Benutzeroberflächen nur in eine Eingabesequenz von anzuklickenden Bildschirmfeldern transformiert. Wer nicht weiß, welche Felder er in welcher Reihenfolge anklicken muß, der befindet sich in einer ähnlichen Lage als derjenige, der nicht weiß, welche Reihenfolge von welchen Zeichen er eingeben muß.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 11.04.2007 um 11.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=813#8201

zu Pt #8195:
Meine Bemerkung "ein Zeichen für jede Silbe" (#8174) war etwas kurz, sie war so gemeint, daß ein Zeichen immer genau eine Silbe und fast immer auch ein Wort bedeutet. Aber es gibt ja viel mehr Zeichen als Silben und so werden natürlich viele verschiedene Zeichen mit verschiedener Bedeutung gleich ausgesprochen, d.h. entsprechen der gleichen Silbe und der gleichen Betonung.
Ja, jede hochentwickelte Schrift muß Regeln haben, im Chinesischen die "zheng4 zi4 fa3" (korrekt Zeichen Regel), aber es ist doch etwas völlig anderes als unsere Rechtschreibung. Ich würde das so vergleichen: Wenn man bei uns den i-Punkt vergißt oder ob man das Z mit oder ohne zusätzlichen Querstrich schreibt, das sind wohl kaum Fragen der Rechtschreibung, oder? Wenn man einmal das gesamte chinesische "Alphabet" (also 2000 oder mehr, je nach Bedarf) gelernt hat, gibt es keine Probleme mit der Rechtschreibung mehr. Unsere 59 kleinen und großen Buchstaben lassen dagegen eine Unzahl an Kombinationsmöglichkeiten zu. Da reicht es nicht, festzulegen, wie jeder Buchstabe geschrieben wird, sondern es geht um genau diese vielen Kombinationen.

 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.04.2007 um 20.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=813#8197

Natürlich war es mein Fehler, hier überhaupt von Bindestrich statt Trennstrich zu reden. Ich wollte ja auch bloß meine Bemerkung über Beck loswerden ...

Die phantastischen Angaben über die Zahl der chinesischen Schriftzeichen kommen dadurch zustande, daß man alle jemals gebrauchten Zeichen und ihre Varianten zusammenzählt. Wenn man 2000 Zeichen kennt und dazu eine Anzahl von Kombinationen, ist man schon ziemlich gut.

Das Chinesische hat schätzungsweise etwas über 1.300 verschiedene Silben. Ist das nun wenig oder viel? Wie viele Silben das Deutsche hat, konnte ich nie herausfinden. Das Japanische hat, wie für agglutinierende Sprachen üblich, nur sehr wenige verschiedene Silben (100?). Das hat alles für sich genommen wenig Bedeutung.
 
 

Kommentar von Pt, verfaßt am 10.04.2007 um 18.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=813#8196


>>Ein Beispiel. Ich hatte Mühe, das Wort Hymenopterengiftallergie in einem fachwissenschaftlichen Text zu lesen, ich brauchte drei Anläufe. . . .
Das hängt auch zusammen mit der Bildung der Leser. Eine allgemeine Empfehlung für alle Texte und Textsorten hat keinen Sinn. . . . <<

Als ich in der Schule war, habe ich schwierig erscheinende Wörter gerne überlesen. Dann fing ich mit der Lektüre von Perry Rhodan an. Nach den ersten paar Heften merkte ich, daß, wenn ich weiterhin solche Wörter überlesen würde, ich mir dann das weitere Lesen dieser Literatur -- und das entsprechende Geld -- sparen könnte,denn dann, denn dann würde ich kaum etwas verstehen. So fing ich an, das Wort, bei dem mir dies aufgefallen war, ganz bewußt zu lesen. Natürlich brauchte ich mehrere Anläufe dafür. -- Und dieses Wort war weitaus kürzer als Hymenopterengiftallergie.

Natürlich kann ein Bindestrich auch manchmal zum Verständnis beitragen:
Prototor -- ist das sowas wie ein Gladiator? -- vs. Proto-Tor. (Titel von Band 1998: Am Proto-Tor)

>>Prämissen wie "Wir sind alle intelligent" sind für mich keine Hilfe bei der Entscheidung für oder gegen einen Bindestrich.<<

Dies war keine Prämisse, dies war Humor.

''Ganz nebenbei, haben Sie noch nicht bemerkt, daß es auf dieser Welt nur und ausschließlich nur intelligente Menschen gibt? Rücksichtnahme auf gegenteilig Begabte erübrigt sich daher von selbst.''
 
 

Kommentar von Pt, verfaßt am 10.04.2007 um 18.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=813#8195

>>Also ich weiß nicht, ob man z.B. beim Chinesischen überhaupt von Rechtschreibung sprechen kann. Sie benutzen um die 4000 verschiedene Zeichen, eins für jede Silbe, was auch ungefähr eins für jedes Grundwort bedeutet. Das war's dann auch schon zur chinesischen Rechtschreibung.<<

Generell würde ich davon ausgehen, daß die Existenz einer Schrift früher oder später auch die Existenz einer Rechtschreibung impliziert, völlig unabhängig vom Charakter der Schrift, d. h. unabhängig davon ob es sich um eine Bilder- oder Buchstabenschrift handelt. Soweit ich weiß, benutzen sie 40.000 verschiedene Zeichen -- ich habe auch schon weit höhere Zahlen diesbezüglich gelesen --, die teilweise recht komplex sind und für deren Aufbau aus einfacheren Zeichen es sicher auch Regeln gibt, analog unserer Rechtschreibregeln. Das kann gar nicht anders sein. Ich habe auch mal in einer Sendung gehört, daß da ein Zeichen mit einem anderen Radikal geschrieben wurde, das aber ansonsten dasselbe bezeichnet. (Nebenbei: Im Japanischen gibt es unterschiedliche Lesarten von Zeichen.) Eines für jede Silbe kann auch nicht korrekt sein, denn eine Silbe kann in verschiedenen Chinesischen Sprachen (oder Dialekten) zwischen 4 bis 9 Töne tragen. Es gibt auch eine Geschichte, die nur niedergeschrieben, nicht aber sprachlich wiedergegeben kann, denn sie besteht nur aus der Wiederholung einer einzigen Silbe, der Sinn erschließt sich erst mit der Schrift.

>>Wir buchstabieren auch nicht jedes Wort durch, sondern haben nach einiger Zeit das komplette Schriftbild von genauso vielen Wörtern im Kopf. Ich glaube, mit all den Varianten aufgrund der Flektion, Satzzeichen (Bindestrichen usw.), Umlaute, Wortbildungsmöglichkeiten, Groß-Klein-Schreibung, Auseinander-Zusammen-Schreibung, ... ist unsere Rechtschreibung eher schwieriger als die chinesische Schrift, was natürlich nicht heißen soll, daß die chinesische ärmer an Ausdrucksmöglichkeiten ist. Sie benutzt nur ganz andere Mittel.<<

Aber bei uns gibt es nur eine relativ kleine Anzahl von Zeichen und die Rechtschreibung folgt im wesentlichen der Aussprache -- natürlich gibt es Ausnahmen. Auch die (klassischen) Rechtschreibregeln sind nicht so schwierig. Chinesisch ist das Paradebeispiel einer isolierenden Sprache
schlechthin, d. h. die Wortbildungsmöglichkeiten beschränken sich hauptsächlich auf Komposition bzw. Hintereinandersetzung (ich weiß nicht, ob man bei Chinesischen von Komposita sprechen kann). Man könnte also denken, daß es einfach sein muß, da man sich um vieles, was es in europäischen Sprachen gibt, nicht zu kümmern braucht. Aber andersherum dürfte gerade das die Sprache besonders schwierig machen, da es nur wenige Ausdrucksmöglichkeiten gibt. Auch ist die Wortbildung im Chinesischen sehr beschränkt, da Wörter nicht beliebig lang sein können und nur ein äußerst
geringes Silbeninventar vorhanden ist.

>>Zurück zum Bindestrich: der ist natürlich wegen der für das Deutsche besonders typischen Zusammensetzungen absolut notwendig, aber die Grundregel heißt, so sparsam wie möglich einsetzen, damit er nicht zum Hackstrich wird. sss muß man nicht zerhacken, wenn man ßs schreibt. 8jährig ist ohne Strich sehr deutlich geschrieben. Ein Einkaufssonntag ist doch sehr leserlich. Besonders unschön finde ich den Hackstrich dann, wenn er nach einem Fugen-s steht: Einkaufs-Sonntag. Hilfe, hoffentlich geht der schnell vorüber!<<

Da stimme ich Ihnen gerne zu! Doch hat die Reform gerade da, wo wir den Bindestrich bzw. Trennstrich besonders häßlich finden, diesen vorgesehen, mit der Begründung der Erleichterung. Das führt dann dazu, daß auch hier die uns von anderer Seite her bekannte Übergeneralisierung einsetzt: Der Binde- bzw. Trennstrich wird ohne Überlegung eingesetzt, denn er führt ja -- angeblich -- zu einer Erleichterung. (Dies trifft natürlich auch zu, aber eben nur in bestimmten Fällen, die man im Deutschen auch ohne Bindestrich bestens lösen könnte.)
Erschwerend kommt hinzu, daß viele Leute nicht zwischen Binde- und Trennstrich unterscheiden können, geschweige denn zwischen Binde- Trenn- und Gedankenstrich. Ist es Ihnen schon mal aufgefallen, daß man häufig Wörter mit einen Gedankenstrich, mit Leerstelle davor und dahinter, sieht, die man in normaler Zusammenschreibung problemlos lesen könnte. Das ist das Problem der ''Erleichterungspädagogik'': Die wenigen Fälle, wo eine Erleichterung angebracht wäre, führen bei Leuten, die mit Sprache nicht so sensibel umgehen, zu Verallgemeinerungen und Übergeneralisierungen, die dann eher verärgern und letztlich genau dazu führen, was wir verhindern wollen: den schludrigen Umgang mit Sprache und Schriftsprache.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 05.04.2007 um 23.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=813#8177

Ein Beispiel. Ich hatte Mühe, das Wort Hymenopterengiftallergie in einem fachwissenschaftlichen Text zu lesen, ich brauchte drei Anläufe. Ein Stück einfacher ist Hymenopterengift-Allergie. Also korrigierte ich den Bindestrich hinein, obschon die Adressaten des Textes den Ausdruck Hymenopteren kennen mußten. Dasselbe machen Redakteure einer bekannten Boulevardzeitung, wenn sie sich für die Schreibweise Motorrad-Dieb entscheiden: Sie schreiben leserfreundlich, und das ist lobenswert. Man muß hier nun wirklich bedenken: Wer sind die Leser? Wie konzentriert werden sie den Text lesen? Das hängt auch zusammen mit der Bildung der Leser. Eine allgemeine Empfehlung für alle Texte und Textsorten hat keinen Sinn. Deshalb ist ja der Duden mit seinen "eindeutigen" Dudenempfehlungen so neben der Spur. Meistens ist eine bestimmte Variante zu bevorzugen, manchmal aber eine andere. Prämissen wie "Wir sind alle intelligent" sind für mich keine Hilfe bei der Entscheidung für oder gegen einen Bindestrich.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 05.04.2007 um 17.58 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=813#8176

So interessant dies Bindestrichdiskussion auch ist, so kann ich mir doch nicht den Hinweis verkneifen, daß es sich in dem Buchtitel nicht um einen Binde- sondern um einen Trennstrich handelt.
Dieser Trennstrich ist nach den Trennregeln ja auch nicht falsch, sondern allenfalls ungeschickt. Aber vielleicht meint Ulrich Beck ja tatsächlich eine Gesellschaft des Weltrisikos und nicht eine Weltgesellschaft des Risikos. Bei der gegenwärtigen Hysterie um eine weltweite "Klimakatastrophe" wäre das ja auch durchaus naheliegend.

Das Beispiel zeigt, daß Zusammensetzungen mißverständlich sein können und ein Bindestrich manchmal notwendig ist, um den Sinn klarzustellen.

Bei dieser Debatte sollte auch nicht vergessen werden, daß niemand gezwungen ist, unübersichtliche oder gar mißverständliche Zusammensetzungen zu bilden. Man kann sich auch anders ausdrücken und etwa von einer Diskussion über den Bindestrich und nicht von einer Bindestrichdiskussion sprechen.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 05.04.2007 um 17.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=813#8175

Lesen heißt nicht Buchstaben, sondern Wörter erkennen. Wörter identifiziert man an ihren Wortgrenzen. Das merkt man z.B. bei Ortsschildern in kyrillischer Schrift. Wenn die Fachausdrücke als Lexeme (im Wortschatz gespeicherte semantische Einheiten) bekannt sind, ist auch ein noch so langes Wort sofort in seine Einzelbegriffe zerlegbar. Etwas schwieriger ist es bei okkasionellen WBK (Gelegenheits-Wortbildungen). Ganz schwierig ist es bei für den Leser fachfremden Ausdrücken, die Wortgrenzen der Einzelwörter zu erkennen. Wer beruflich viele Texte schnell lesen und als wichtig oder unwichtig bewerten muß, ist über jede Lese-Erleichterung dankbar.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 05.04.2007 um 16.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=813#8174

zum Beitrag von Pt, #8172: Also ich weiß nicht, ob man z.B. beim Chinesischen überhaupt von Rechtschreibung sprechen kann. Sie benutzen um die 4000 verschiedene Zeichen, eins für jede Silbe, was auch ungefähr eins für jedes Grundwort bedeutet. Das war's dann auch schon zur chinesischen Rechtschreibung. Wir buchstabieren auch nicht jedes Wort durch, sondern haben nach einiger Zeit das komplette Schriftbild von genauso vielen Wörtern im Kopf. Ich glaube, mit all den Varianten aufgrund der Flektion, Satzzeichen (Bindestrichen usw.), Umlaute, Wortbildungsmöglichkeiten, Groß-Klein-Schreibung, Auseinander-Zusammen-Schreibung, ... ist unsere Rechtschreibung eher schwieriger als die chinesische Schrift, was natürlich nicht heißen soll, daß die chinesische ärmer an Ausdrucksmöglichkeiten ist. Sie benutzt nur ganz andere Mittel.

Zurück zum Bindestrich: der ist natürlich wegen der für das Deutsche besonders typischen Zusammensetzungen absolut notwendig, aber die Grundregel heißt, so sparsam wie möglich einsetzen, damit er nicht zum Hackstrich wird. sss muß man nicht zerhacken, wenn man ßs schreibt. 8jährig ist ohne Strich sehr deutlich geschrieben. Ein Einkaufssonntag ist doch sehr leserlich. Besonders unschön finde ich den Hackstrich dann, wenn er nach einem Fugen-s steht: Einkaufs-Sonntag. Hilfe, hoffentlich geht der schnell vorüber!
 
 

Kommentar von Pt, verfaßt am 05.04.2007 um 14.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=813#8173

Zum Beitrag von Thomas Roediger am 05.04.2007 um 12:56 Uhr

>>Zu Kommentar #8168

Das mag sein.

Ich vermute nur: Sie tippen Ihren Text. Würden Sie die Bindestriche schreiben, wenn Sie mit der Hand schrieben?!

Ich denke nicht -- es scheint in erster Linie eine Tipp-Angewohnheit, eine Bildschirmfrage zu sein. Obendrein: Lesen Sie mal (wieder) einen handgeschriebenen Text -- es geht leichter, tatsächlich (Finnisch am Desktop!).<<

Das kommt natürlich darauf an, mit was man einen Text tippt. Benutzt man einen PC oder eine elektrische Schreibmaschine, so ist der Bindestrich kein Problem, bei einer mechanischen Schreibmaschine aber schon: Der linke kleine Finger muß dann öfter durch Drücken der Umschalttaste den ganzen Wagen anheben, was natürlich sehr anstrengend ist, wenn man jedes Kompositulm und zusätzlich noch Vorsilben durch Bindestrich abspreitzt.
Es hat also allenfalls mit der verwendeten Tastatur zu tun und mit einer Modeerscheinung, ähnlich der hochhackigen Schuhe, mit denen sich Frauen früher ihre Füße kaputtmachten, um elegant zu erscheinen.

>>Ich denke mal, die Reform dämmerte mit dem Siegeszug der Rechner einher; Schwierigkeiten eine Sprache zu "digitalisieren", im "Gegenlicht" lesbar zu machen, sie in Reihungen von Einzelzeichen zu konstruieren (das Japanische eignet sich da hervorragend).<<

Ganz so dramatisch würde ich es nicht ausdrücken, es ist eher so, daß selbst der sprachlich unbegabteste Mensch noch soviel Sprachgefühl hat, daß er die Dummheiten der Reformer intuitiv vermeiden würde, früher oder später. Es bedarf schon eines gewissen Sendungsbewußtseins oder Glaubenseifers, wenn man solche Intuition überwinden will, oder enfach nur Gruppenzwang. Ein Rechner hat natürlich weder Intuition noch Sendungsbewußtsein oder Glaubenseifer, auch unterliegt er nicht dem Gruppenzwang. Aber das tut der Anwender und läßt die mehr oder weniger reformkonforme Rechtschreibkorrektur die Arbeit erledigen, zum Ärgernis des Lesers. Die von Ihnen erwähnten Wortungetüme lassen sich im Deutschen leicht vermeiden.
 
 

Kommentar von Pt, verfaßt am 05.04.2007 um 14.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=813#8172

Zum Beitrag von Wolfgang Wrase am 04.04.2007 um 21:39 Uhr:

>>Ich verwende und empfehle den Bindestrich offenbar häufiger als die meisten anderen im Forum. Motorrad-Dieb liest sich eine Spur leichter als Motorraddieb, das halte ich für eine Tatsache.<<

Aber ist es auch eine Tatsache? Es dürfte schwer sein, eine solche Behauptung zu beweisen. Dies ist vermutlich gar nicht möglich, wir können uns aber auf die Erfahrungswerten von hundert Jahren klassischer Rechtschreibung berufen.

>>Zeitungen haben nicht nur Intelligenzbestien als Leser.<<

Was hat die Benutzung von Bindestrichen mit Intelligenz zu tun?
Ganz nebenbei, haben Sie noch nicht bemerkt, daß es auf dieser Welt nur und ausschließlich nur intelligente Menschen gibt? Rücksichtnahme auf gegenteilig Begabte erübrigt sich daher von selbst.

>>Warum sollten Redakteure nicht daran denken, daß den Anfängern geholfen wird, während den Fortgeschrittenen kein Schaden entsteht?<<

Glauben Sie nicht, daß es auch intelligente Angänger gibt. Anfänger ist jeder mal unabhängig von Intelligenz. Auch die Reformer wollten mit ihren Verschlimmbesserungen den Anfängern entgegenkommen.

Woher nehmen sie die Gewißheit, daß den Anfängern dadurch geholfen wird? Schließlich lernt man Rechtschreibung, wie wir alle zu wissen glauben, durch vieles Lesen rechtschriftlich korrekter Texte, und wenn sie die den Anfängern durch ''optische Stützräder'' oder ''optische Pampers'' -- oder soll ich besser ''optische Windeln'' schreiben? -- vorenthalten, verinnerlichen diese eben ein derartig zerspießtes Schriftbild -- und werden das auch nachahmen -- und nicht die korrekte Schreibung. Und woher wollen sie wissen, daß Fortgeschrittenen dabei kein Schaden entsteht?
Für Profis wie Sie, Herr Wrase, ist klar, was mit dem Bindesstrich gemeint ist, aber ein ''Anfänger'' könnte da verunsichert werden, ob die Schreibweise mit Bindestrich nicht eine etwas andere Bedeutung trägt.
Die fehlenden Oberlängen bei Doppel-s-Schreibung und die Zerspießung der Wörter durch Bindestriche sowie das Zerreißen von Wörtern sind doch die Reißnägel der Reform im Reisbrei eines Textes.

>>Und wenn man müde oder unkonzentriert ist, kann man auch als geübter Leser von solchen kleinen Erleichterungen profitieren. Ich selber schreibe statt Stilideal lieber Stil-Ideal – dem Leser zuliebe. Es hängt natürlich auch vom Kontext ab, vom Adressatenkreis etc.<<

Wenn man müde und unkonzentriert ist, sollte man sich keiner anspruchsvollen geistigen Arbeit hingeben, und wenn doch, so einem ein unnötiger Bindestrich oder ein zerrissenes Wort dabei eher verärgern. Das Wort ''Stilideal'' vs. ''Stil-Ideal'' ist natürlich besser mit Bindestrich lesbar, das hat aber nichts mit Ermüdung oder Vereinfachung zu tun, sondern -- meines Erachtens -- mit dem Leseprozeß selbst. Ich weiß nicht, ob dieser schon so gut erforscht ist, daß man wissenschaftlich fundierte Aussagen diesbezüglich machen kann.

Zum Beitrag von Karin Pfeiffer-Stolz am 05.04.2007 um 06:41 Uhr

>>Die Verwendung von Bindestrichen verstärkt sich selbst, denn auch Sprachmarotten unterliegen der Mode. Was ich oft zu Gesicht bekomme, verändert auch mich selbst.<<

Der Bindestrich ist ja strenggenommen keine Sprachmarotte, sondern allenfalls eine Schreibmarotte, die aber auch Auswirkungen auf die Sprechweise haben
kann, denn damit wird der ''nichtkompositionale'' Charakter eines solchen zerspießten Wortes herausgestellt, und damit auch eine andere Betonung. (Zumindest dürfte das für Leute gelten, die das entsprechende zusammengeschriebene Wort als richtig kennengelernt haben.)
Ansonsten stimme ich ihnen zu.

>>Jeder mag die Versuchung, es so zu machen wie andere, an sich selbst beobachten.<<

Darauf spekulieren die Reformer ja!

>>Mit dem geistigen Horizont hat das nur teilweise zu tun. Teilweise, weil sprachbewußte Menschen den Versuchungen nicht leicht nachgeben, sondern bei fragwürdigen Erscheinungen bewußt gegensteuern. Aber manche Veränderungen dringen so penetrant ins Leben ein, daß sie sich trotz Gegensteuerung durchsetzen.<<

Aus genau diesem Grund dürfen wir nicht hoffen, daß sich auf lange Sicht das Bessere durchsetzen wird, wenn wir nur beide Schreibweisen parallel erlauben würden. Aus genau diesem Grund ist auch das von manchen propagierte Nachgeben in Teilbereichen -- um es den Anfängern einfacher zu machen! -- so gefährlich. Einfachheitserwägungen dürfen keine Rolle spielen, wenn es um Korrektheit geht, denn gibt man ersterem nach, so wird früher oder später auch letzteres den Bach runtergehen.

Rechtschreibung sollte bewußt als Kulturgut angesehen werden, das über scheinpädagogischen Erleichterungserwägungen stehen sollte. Mir ist absolut unverständlich, wie sich die Verantwortlichen um vermuteter minimaler Erleichterungen willen den Bärendienst einer Rechtschreibreform aufbinden lassen konnten und wie sogar Leute wie Herr Wrase in diese Richtung argumentieren. Andere Sprachen -- wie Chinesisch oder Japanisch -- haben eine ungleich schwierigere, d. h. hier lernaufwendigere Rechtschreibung.
 
 

Kommentar von Thomas Roediger, verfaßt am 05.04.2007 um 12.56 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=813#8171

Zu Kommentar #8168

Das mag sein.

Ich vermute nur: Sie tippen Ihren Text. Würden Sie die Bindestriche schreiben, wenn Sie mit der Hand schrieben?!

Ich denke nicht -- es scheint in erster Linie eine Tipp-Angewohnheit, eine Bildschirmfrage zu sein. Obendrein: Lesen Sie mal (wieder) einen handgeschriebenen Text -- es geht leichter, tatsächlich (Finnisch am Desktop!).

Ich denke mal, die Reform dämmerte mit dem Siegeszug der Rechner einher; Schwierigkeiten eine Sprache zu "digitalisieren", im "Gegenlicht" lesbar zu machen, sie in Reihungen von Einzelzeichen zu konstruieren (das Japanische eignet sich da hervorragend).

(WortUngetüme, Wort-Ungetüme oder Wort Ungetüme sind doch alles meist Errungenschaften des Web 2.0)

Und im Falle eines Falles: Mit Typographie lassen sich sperrige Wortungetüme schon mal mäßigen, bestimmt!

 
 

Kommentar von Adelung, verfaßt am 05.04.2007 um 10.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=813#8170

Ein sehr beliebtes Gegen Stück der Binde Strich-Schreibung ist ja auch die Getrennt Schreibung von Nomen, um so lästige "Lese Hindernisse" zu umgehen.

Dies scheint schon so beliebt zu sein, daß selbst das Finanz Ministerium nun keinerlei Orthographie Kenntnisse mehr aufzuweisen scheint. Nur so läßt sich erklären, daß der neue Gold Euro die Aufschrift "UNESCO Welterbe" hat - man beachte den fehlenden Binde Strich.

Ich habe bereits eine E-Mail Nachricht ans Finanz Ministerium geschickt, in der ich darum bat, mich darüber aufzuklären, wie es sein kann, daß ein deutsches Ministerium nicht fähig sein kann, die Recht Schreibung korrekt anzuwenden, jedoch habe ich bis heute keine Antwort erhalten.
 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 05.04.2007 um 06.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=813#8169

Die Verwendung von Bindestrichen verstärkt sich selbst, denn auch Sprachmarotten unterliegen der Mode. Was ich oft zu Gesicht bekomme, verändert auch mich selbst.
Jeder mag die Versuchung, es so zu machen wie andere, an sich selbst beobachten. Mit dem geistigen Horizont hat das nur teilweise zu tun. Teilweise, weil sprachbewußte Menschen den Versuchungen nicht leicht nachgeben, sondern bei fragwürdigen Erscheinungen bewußt gegensteuern. Aber manche Veränderungen dringen so penetrant ins Leben ein, daß sie sich trotz Gegensteuerung durchsetzen.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 04.04.2007 um 21.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=813#8168

Ich verwende und empfehle den Bindestrich offenbar häufiger als die meisten anderen im Forum. Motorrad-Dieb liest sich eine Spur leichter als Motorraddieb, das halte ich für eine Tatsache. Zeitungen haben nicht nur Intelligenzbestien als Leser. Warum sollten Redakteure nicht daran denken, daß den Anfängern geholfen wird, während den Fortgeschrittenen kein Schaden entsteht? Und wenn man müde oder unkonzentriert ist, kann man auch als geübter Leser von solchen kleinen Erleichterungen profitieren. Ich selber schreibe statt Stilideal lieber Stil-Ideal – dem Leser zuliebe. Es hängt natürlich auch vom Kontext ab, vom Adressatenkreis etc.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 04.04.2007 um 16.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=813#8167

Der Bindestrich eine "Lese- und Verständnis-Erleichterung" (Germanist, # 8160)? -- Ich weiß nicht, bzw.: nur da, wo er es schon immer war (also z. B. bei den berühmten "Druckerzeugnissen", zur Hiatus-Überbrückung oder, wie in diesem Fall, wenn ein wenig gängiges Fremdwort mit einem anderen Wort in Kontakt tritt). Mich erinnert die Manier, auch einfache Komposita mit Hilfe eines Bindestrichs (Binde-Strichs) zu zerlegen, an den Wurststand in meiner Lieblingsmetzgerei. Die Verkäuferinnen dort haben die nervende Angewohnheit, dem Kunden jede Scheibe einzeln zu zeigen, bevor sie sie zu den anderen aufs Einwickelpapier legen. Die Marotte mag zum Teil einer Analogiebildung zu von der Reform nahegelegten Bindestrichschreibungen (Schloss-Schule, Brenn-Nessel) geschuldet sein. Zu einem anderen Teil geht sie sicher auch auf die Vermutung zurück, es bei den Lesern mit Idioten zu tun zu haben (Herr Markner hat bereits auf die Anfänge der exzessiven Bindestrichschreibung in den Boulevardzeitungen hingewiesen).

Das scheint mir aber noch nicht alles zu sein. Schreibungen wie "Motorrad-Dieb", "April-Sonntag", "Skandal-Geschichte" oder "Wurst-Scheibe" haben in ihrer Unbeholfenheit ja auch etwas Wichtigtuerisches und zugleich Schülerhaftes. Sie sagen nicht nur etwas über den Adressaten bzw. dessen Einschätzung durch den Schreiber aus, sondern auch etwas über den Schreiber selbst, der sich für die auffälligere Form der Verschriftung entschieden hat, mit der er einerseits eben auffällt und andererseits zeigt, daß er weiß, aus welchen Bestandteilen sich das Wort zusammensetzt, mit dem er renommieren will. Tel style, tel homme: Das ist das Gegenteil des Stilideals, nach dem gute Prosa den Leser nicht merken läßt, wieviel Arbeit sie gekostet hat.

Die exzessive Verwendung des Bindestrichs wirft somit auch ein Licht auf den anthropologischen Typus, der heute in den Zeitungsredaktionen dominiert und dort gewissermaßen die leitfähige Schicht zur Durchsetzung der Reform war.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.04.2007 um 15.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=813#8166

Nur weil es gerade (auch) um Politik geht, hier eine nicht-orthographische Beobachtung:

In Polen wird ja gerade "gesäubert". Dazu schreibt die Zeitung:

„Das aus dem lateinischen abgeleitete polnische Wort „lustracja” bedeutet wörtlich „Durchleuchtung”. (SZ 4.4.2007)

Das mag etymologisch zutreffen. Aber schon die alten Römer haben Lustration usw. nicht mehr durchschaut, für sie stand die Bedeutung „Reinigung” im Vordergrund:

Lustrum nominatum tempus quinquennale a luendo, id est solvendo, quod quinto quoque anno vectigalia et ultro tributa per censores persolvebantur. (Varro De lingua latina 6.11)

Der Herausgeber Kent (Loeb) schreibt in einer Fußnote: „most probably from lavare 'to wash'.” Ob diese Alternative zur üblichen Deutung (zu lucere, dt. leuchten, Licht usw.) lautlich möglich ist, kann ich als Laie nicht sagen.

Für die Polen dürfte es jedenfalls um „Säuberung” gehen, entsprechend der Tschistka damals in der Sowjetunion, nur mit anderem Vorzeichen.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 04.04.2007 um 13.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=813#8165

Solche Zufallsfunde beweisen nichts. Vgl. zum Thema Christina Killius: Die Antiqua-Fraktur Debatte um 1800 und ihre historische Herleitung, Wiesbaden 1999, sowie Silvia Hartmann: Fraktur oder Antiqua. Der Schriftstreit von 1881 bis 1941, Frankfurt a.M. 1998.
 
 

Kommentar von Fungizid, verfaßt am 04.04.2007 um 13.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=813#8164

Herr Markner, Sie sitzen einem Irrtum auf, wenn Sie schreiben, die politische Aufladung der Frakturschriften sei durch die Linken schon Ende des 18. Jhs. erfolgt. Damals gab es diesen Begriff noch nicht, erst ab der Nationalversammlung, also lange danach; auch die Sozialdemokratie und der Sozialismus kamen erst später - und wenn Sie damit meinten, daß die besonders innovativ-revolutionär-demokratisch-internationalistischen Kräfte vielleicht der Antiqua angehangen haben mochten, dann schauen Sie doch mal nach, in welcher Schrift Goethes "Römisches Carneval" erschienen ist, dessen Autor gewiß weder damals noch heute von den Linken vereinnahmt worden sein könnte. Büchners Danton hingegen erschien ausschließlich in Fraktur.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 04.04.2007 um 12.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=813#8163

Der manchmal nötige Remotivationsbindestrich: die Vor-Aussetzung, die Hoch-Zeit.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 04.04.2007 um 11.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=813#8162

Passend zur gestrigen A 6-Baustelle schreibt der Mannheimer Morgen heute über eine 680 Euro-Spende.
 
 

Kommentar von Tobias Bluhme, verfaßt am 04.04.2007 um 10.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=813#8161

Eine Mitarbeiterin einer PR-Agentur schreibt mir heute:

[i]vielen Dank für Ihre Anmeldung. Ein Presseplatz ist bereits für Sie
reserviert und ich halte Sie diesbezüglich weiterhin auf dem Laufenden. Freue mich natürlich sehr auf ein persönliches Kennen lernen und wünsche Ihnen jetzt erst mal ein schönes Osterfest und viel Spaß beim Eier-Suchen.[/i]
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 04.04.2007 um 10.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=813#8160

Bindestriche sind eine Lese- und Verständnis-Erleichterung, aber eine Schreib-Erschwerung, also das Gegenteil der Ziele der Reformer. Sie eignen auch gut als "Scherzkekse".

Eine "Vorausetzung" ist etwas ganz anderes als eine "Vor-Raussetzung". Letztere wird z.B. von Saalordnern bei politischen Versammlungen praktiziert.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 04.04.2007 um 02.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=813#8159

Der exzessive Gebrauch von Bindestrichen in Nominalkomposita war zunächst eine Domäne der Boulevardzeitungen. Allein auf S. 3 der gestrigen Leipziger Volkszeitung finden sich neben akzeptablen Ad-hoc-Bildungen wie z. B. Aufklärungs-Tornados (aber neben Aufklärungstornados, wenige Zeilen darunter!) auch Hochwasser-Gebieten, Schreibmaschinen-Texte, Bord-Computer, Wiederaufbau-Projekte, Nein-Sagern.

Der Fehler vorraus statt voraus ist älter als die Reform.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 04.04.2007 um 01.00 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=813#8158

Zum "Binde-Strich" zitiere ich nur mal den letzten Mannheimer Morgen (3.4.2007): Einkaufs-Sonntag, April-Sonntag, Motorrad-Diebe, Telefon-Hilfe, Diesel-Rösser, Extra-Wege, Schloss-Schule (wie einfach war es doch mit der Schloßschule), ... Ich könnte noch lange so weitermachen.
Ein Artikel beschäftigt sich mit dem Ausbau der Autobahn "A 6", mehrfach geht es darin immer wieder um die "A 6", und folgerichtig heißt die dicke Überschrift: "Gewaltige Erdverschiebungen auf der A 6-Baustelle". Das ist also kein Druckfehler, sondern Methode!

Und noch eine Ergänzung zum Trennstrich: die Duden-konforme, jetzt so häufig in den Zeitungen zu sehende Trennung "Vo-raussetzung" ist meiner Meinung nach die Hauptursache für den Schreibfehler "Vorraussetzung", der mir im innerbetrieblichen (sozusagen halböffentlichen) Schriftverkehr neuerdings oft aufgefallen ist. Da wird einem suggeriert, hier werde etwas rausgesetzt, und man kombiniert es später eben mit der sehr geläufigen Vorsilbe vor.

 
 

Kommentar von Fungizid, verfaßt am 03.04.2007 um 15.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=813#8147

Wohl eher: Staat's Besuch...
 
 

Kommentar von Daniel Sokera, verfaßt am 03.04.2007 um 15.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=813#8145

Staats Besuch

Vor einiger Zeit hatte die 17-Uhr-Tagesschau noch den »Staats-Besuch« einer wichtigen Persönlichkeit angekündigt; in der 20-Uhr-Ausgabe wurde daraus immerhin ein »Staatsbesuch«.
Vielleicht hatte man ein Einsehen und wollte der zuschauenden Nation zur besten Sendezeit keinen entstellenden ›Bindestrich-Furunkel-Text‹ mehr präsentieren.
Ich verstehe nicht, warum seit der Rechtschreibreform so inflationär mit dem Bindestrich umgegangen wird und kann Herrn Weiers’ emotionsreiche Reaktion sehr lebhaft nachvollziehen.
Die nächste Stufe der Wortzerreißung wäre dann vermutlich der »Staats Besuch«.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 03.04.2007 um 12.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=813#8141

Das Buch heißt ja eigentlich "Weltrisikogesellschaft", ohne Strich, aber wer so einen sperrigen Titel erfindet, der ohne Abtrennung kaum in einer ordentlichen Schriftgröße auf einen Buchdeckel paßt, der hat natürlich auch seinen Anteil an diesem mißlungenen Trennstrich. Mißlungene Trennung nicht im orthographischen Sinne, deshalb würde ich dies nicht mit dem "Binde-Strich" gleichsetzen, aber mißlungen sehr wohl in gestalterischer Hinsicht.

Ich lese immer wieder in verschiedenen Zeitungen, erst letztes Wochenende wieder im Mannheimer Morgen und in der FAZ, die Trennung "Vo-raussetzung". Sowas ist für mich die reine Katastrophe, und ich werde wohl nie verstehen, wie denkende Menschen so schreiben können. Dafür könnte man sogar den "Bi-ndestrichorden" vergeben.
 
 

Kommentar von David Weiers, verfaßt am 03.04.2007 um 10.59 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=813#8140

Besonders störend ist diese Verlegenheitsmethode mit dem Bindestrich (und ich prügle da auf mein Innerstes ein, damit es mich nicht dazu verleitet, gar allzu herablassend von "Primitivmethode" zu sprechen) bei Allerweltswörtern wie "Gift-Müll" (so gesehen in einer Schlagzeile der BILD... oder war es der Kölner Express? Bleibt sich gleich...), "Industrie-Park", "Kauf-Rausch" usw.
Aber noch viel stärker schäumt ja die Galle, wenn auf einmal so etwas wie "Lebens-Beratung" oder "Gesellschafts-Wandel" auf den Plan tritt.

Und ich rufe, ja schreie verzweifelt in die Wüste hinaus: "Ihr Brüder und Schwestern, Ihr habt ein Recht auf Hirn! Laßt Euch das Ruder nicht aus der Hand nehmen, Ihr dürft Euch wehren, Ihr dürft -- denken!"
Aber vergebens... die Wüste schweigt.
 
 

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