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17.03.2007
Die Relevanten melden sich
Die Deutsche Gesellschaft für Sprachwissenschaft bleibt auf ihrem hohen Roß – und kuscht
»16.03.2007 - (idw) Deutsche Gesellschaft für Sprachwissenschaft
Die gut 1000 Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft, dem zweitgrößten Verband von Sprachwissenschaftlern weltweit, konnten sich auf ihrer jüngsten Jahrestagung über ein besonderes Jubiläum freuen: Die von der Gesellschaft herausgegebene Zeitschrift für Sprachwissenschaft (ZS) wurde 25 Jahre alt, und gefeiert wird dies mit einem pünktlich zum Jahr der Geisteswissenschaften erscheinenden Extraheft.
Die Extraausgabe bietet ein Themenheft von besonderer gesellschaftlicher Relevanz: "Orthographie und Sprachwissenschaft" widmet sich einem in Wissenschaft wie Öffentlichkeit viel diskutierten und fraglos umstrittenen Sujet - der deutschen Rechtschreibung.
Dabei machen die fünf Originalbeiträge deutlich, dass jegliche Rechtschreibreform - soll sie den Zweck erfüllen, Probleme der Normierung zu lösen anstatt sie zu mehren - auf eine systematische Sprachbeobachtung und -analyse aufbauen muss. So zeigen die Aufsätze von Peter Eisenberg & Nanna Fuhrhop, Joachim Jacobs, Ursula Bredel & Beatrice Primus, Jochen Geilfuß-Wolfgang und Hartmut Günther, dass langfristige Reformerfolge in erster Linie einer soliden fachwissenschaftlichen Diskussion bedürfen; und diese sollte keinesfalls verwechselt werden mit den vorzugsweise populärwissenschaftlich geführten Debatten in Feuilleton, Talkshow und anderen beliebten Medienformaten. Linguisten haben wissenschaftlich Fundiertes und damit Relevanteres zur Rechtschreibung zu sagen als die Großschriftsteller.
Darüber hinaus eröffnet "Orthographie und Sprachwissenschaft" dem fachinternen Diskurs wichtige neue Impulse: Auf vielfältige Weise wird ersichtlich, wie die Untersuchung von Orthographie durchaus auch Erkenntnisse in anderen Bereichen der Sprachforschung ermöglicht.
Alles in allem zeigt das Jubiläumsheft, wie die sprachwissenschaftliche Auseinandersetzung mit einem öffentlichkeitsrelevanten Thema Gesellschaft und Wissenschaft gleichermaßen nutzen kann - ein von der Redaktion bewusst gesetzter Akzent, von dem zu hoffen ist, dass er auch über das Jahr der Geisteswissenschaften hinaus Früchte tragen wird.« (Link)
Diese arroganten Töne kennen wir seit Beginn der Debatte. Außer einer folgenlosen "Erklärung" (für deren weitere Verbreitung wir gesorgt haben!) hat diese Gesellschaft nichts zustande gebracht. Unvergessen bleibt, wie frühzeitig - trotz besagter Erklärung - die Zeitschrift für Sprachwissenschaft umgestellt wurde. Für mich ein Grund zum Austritt.
Hier der Briefwechsel:
"(Anrede)
hiermit erkläre ich meinen Austritt aus der Deutschen Gesellschaft für
Sprachwissenschaft. Einem Verein, der sich einerseits klar gegen die
sogenannte Rechtschreibreform ausgesprochen hat und andererseits zuläßt, daß seine Zeitschrift auf eben diese Neuschreibung umgestellt wird, kann ich aus Gründen der Selbstachtung nicht angehören.
Mit den besten Wünschen und herzlichen Grüßen
Ihr Theodor Ickler"
Anwort vom Vorstand:
"Lieber Herr Ickler,
diesen Schritt bedaure ich außerordentlich - und mag ihn persönlich noch nicht als den letzten nehmen, sondern als Mahnung. Sie wissen, daß ich
selbst ebenfalls zu den Kritikerinnen gehöre - die ZS-Entscheidung fiel vor
meiner Amtszeit. Nun muß ich erst einmal forschen, durch wen sie eigentlich
getragen wurde - ob lediglich vom ZS-Redaktionsteam oder von
Vorstand/Beirat.
Wie dem auch sei - meinen Sie nicht, daß es andere, positive Kriterien geben
könnte, die Sie Ihren Austritt noch einmal überdenken lassen könnten? Mir
ist sehr daran gelegen, das Spektrum der SprachwissenschaftlerInnen in der
vollen Breite im Verband präsentiert und aktiv zu sehen.
(...)"
Der ganze Vorgang zeigt, wie leichtfertig man in solchen Sachen vorgegangen ist. Maßgebend war wohl letzten Endes der Einfluß einer Gruppe, die zwar liebend gern selbst eine Rechtschreibreform gemacht hätte, aber dann, weil sie es in Jahrzehnten drittmittelfinanzierter Arbeit nicht vermochte, ein Scheitern der Augstschen Reform für eine kulturpolitisch Katastrophe gehalten hätte und folglich erst einmal mitmachte. Die Gesellschaft hat es kein bißchen besser gemacht als der Deutsche Germanistenverband, und sie kann außerdem für sich in Anspruch nehmen, den dünkelhaften Ton gegenüber Friedrich Denk und den "Großschriftstellern" am weitesten getrieben zu haben.
Schon der Versuch, den betroffenen Laien und den Schriftstellern das Recht auf Mitsprache völlig zu verweigern, spricht diesen Herrschaften das Urteil. Horst H. Munske hat sehr früh auf den Fehler hingewiesen, die Betroffenen nicht zu fragen.
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Kommentar von R. M., verfaßt am 17.03.2007 um 23.22 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=806#8032
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„Linguisten haben wissenschaftlich Fundiertes und damit Relevanteres zur Rechtschreibung zu sagen als die Großschriftsteller.“
Wenn von der deutschen Sprachwissenschaft etwas bleiben wird, dann ihre Überheblichkeit.
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Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 18.03.2007 um 00.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=806#8033
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Klingt das nicht eher, als wollten sich die Damen und Herren Linguisten selber Mut machen? Daß sie zur Rechtschreibung Relevanteres zu sagen haben als Schriftsteller, mag stimmen. Die Frage ist nur, für wen das Gesagte oder noch zu Sagende relevant sein soll. Für die Schriftsteller und ihre Leser, also für die Praktiker, wohl kaum.
Das alles erinnert mich an eine Szene aus Loriots „Pappa ante Portas“. Der pensionierte Herr Direktor Lohse stößt am ersten Tag seines Ruhestandes im heimischen Wohnzimmer auf die langjährige Putzfrau des Hauses, Frau Kleinert, die ihm offensichtlich unbekannt ist. Nachdem er sie darüber belehrt hat, daß Hausarbeit eine straffe Organisation verlangt, wenn sie effektiv sein soll, fragt er sie: „Welches Prinzip lag Ihrer Tätigkeit bisher zugrunde?“ Sie antwortet: „Ja … ich hätte dann jetzt die Betten gemacht.“ Er: „Falsch, Frau Kleinert, ganz falsch! Sie beenden Ihre Aufgabe im Treppenhaus, ich mache die Betten, und Sie stoßen später dazu.“ Wer den Film kennt, weiß, daß das Ganze im Chaos endet.
Die Sprachwissenschaft hat sich im Zusammenhang mit der Rechtschreibreform wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert. Wenn die Beteiligten nach der Ablieferung ihres Jahrhundertwerks eine Menge dazugelernt haben, dann gerade nicht aufgrund eigener wissenschaftlicher Forschung, sondern dank all jener, auf die ihr Verband herabblicken zu müssen meint.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.03.2007 um 06.44 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=806#8034
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Die Herrschaften waren seinerzeit sehr verärgert, weil ihnen (d. h. vor allem: der Homburger Studiengruppe Geschriebene Sprache) "Denk & Co." die Sache aus der unfähigen Hand genommen hatten. Man vergleiche die Tonlage und Stoßrichtung der ersten Erklärung:
Erklärung zur Rechtschreibreform
Deutsche Gesellschaft für Sprachwissenschaft
27. Februar 1997
1.Die Deutsche Gesellschaft für Sprachwissenschaft (DGfS) unterstützt Bestrebungen, die deutsche Rechtschreibung zu vereinfachen und zu vereinheitlichen. Diesen Standpunkt hat sie bereits auf ihrer Jahrestagung in Freiburg im Frühjahr 1996 vertreten.
2.Die vorgeschlagene Reform entspricht jedoch nicht dem Stand der sprachwissenschaftlichen Forschung.
3.Die DGfS distanziert sich entschieden von gegenwärtigen populistischen und wenig sachkundigen Bestrebungen zum Stop der Reform.
4.Die DGfS begrüßt die Einrichtung der zwischenstaatlichen Kommission am Institut für deutsche Sprache Mannheim. Diese bietet die Möglichkeit, wissenschaftlich fundiert durchaus erkennbare Mängel und Probleme der neuen Rechtschreibung zu beheben, eine neue Rechtschreibung zu pflegen und Sprachveränderungen angemessen zu berücksichtigen.
Der Vorstand
Dafydd Gibbon, 27.02.97
War es damals nötig, den Protest der Betroffenen in dieser politischen Angelegenheit derart abfällig zu kommentieren? Es ging doch zuerst darum, das Unternehmen RSR zu stoppen, aber daran war der DGFS nicht gelegen, im Gegenteil.
Besonders aufschlußreich ist Absatz 4. Wie kann man eine Kommission begrüßen, die fast ausschließlich aus den Verfassern der Reform besteht. Aber Peter Eisenberg war damals der führende Kopf der DGFS, das erklärt alles. Die "Erklärung" entspricht genau seiner Doppelstrategie und ist wahrscheinlich von ihm formuliert.
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 18.03.2007 um 11.27 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=806#8036
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"Die gegenwärtigen populistischen und wenig sachkundigen Bestrebungen zum Stop der Reform": Das ist die Universal-Antwort aller Politiker, die gegen den ausdrücklichen Willen des Volkes regieren, und paßt auf wirklich jede gegenwärtige Reform.
"relevant": relevare = aufrichten, wieder in den vorigen Stand einsetzen, erleichtern, lindern; relevatio = Erleichterung (Mittellateinisches Glossar)
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Kommentar von Hans-Jürgen Martin, verfaßt am 18.03.2007 um 12.34 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=806#8038
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> "Linguisten haben wissenschaftlich Fundiertes und damit Relevanteres zur Rechtschreibung zu sagen als die Großschriftsteller."
Bei Auseinandersetzungen wie dieser geht es letztlich immer um das Selbstverständnis der Linguistik bzw. Linguisten: Verstehen sich letztere als Sprachgroßmeister, die aufgrund ihrer Kenntnisse über Sprache anderen ("Laien" und Schriftstellern) vorschreiben dürfen, wie sie zu sprechen und schreiben haben, oder "nur" als (Sprach-) Wissenschaftler, die mit exakten Methoden einen Gegenstand, nämlich die Sprache, exakt beschreiben?
Je weniger dieses Selbstverständnis ein wissenschaftliches ist, desto eher ist es offenbar von Geltungssucht bestimmt, die sich dem Staat andient und umgekehrt sich diesen zu Diensten macht.
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Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 18.03.2007 um 15.47 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=806#8039
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Wir alle haben vor knapp einem Jahr über den bedauernswerten Professor Clemens Knobloch geschmunzelt, weil dieser in "Valerio" (3/2006) behauptet hatte, bei dem "Hände voll" in "alle Hände voll zu tun haben" handle es sich um den Plural von "Handvoll" (weshalb diese richtigerweise als "Hand voll" zu schreiben sei). Am lautesten gelacht haben vermutlich die sprachwissenschaftlichen Laien (d.h. Leute wie ich). Warum? - : Ein unbefangener Mensch verfällt gar nicht erst auf solchen Unsinn. In diesem Lachen, mit dem der Laie sich über den Fachmann erhebt, eklatiert das Problem der Überheblichkeit des Fachmanns.
Es handelt sich ja nicht um einen Einzelfall; vielmehr präsentiert sich die Reform insgesamt - wiederum dem Laien, jedenfalls auf den ersten Blick - als ein Sammelsurium offenkundiger Fehlurteile. Auch in anderen Disziplinen kommen Fehlleistungen vor. Aber den Chemiker, dem bei einem Versuch die Erlenmeyerkolben um die Ohren geflogen sind, wird man trotzdem weiterhin als Wissenschaftler ernst nehmen.
Allerdings muß man ihm nicht erst groß erklären, daß er vermutlich etwas falsch gemacht hat. Anders bei den Sprachwissenschaftlern, die ihr Fach methodisch völlig ungesichert in eine experimentelle Disziplin verwandelt haben und nach dem Eintritt des zu erwartenden Desasters weiterhin die Nase über "Großschriftsteller" und andere fachlich nicht einschlägig ausgewiesene Kritiker rümpfen zu dürfen glauben, die den Unfug von Anfang an Unfug genannt haben.
Die Reform hat nicht nur die Schriftkultur beschädigt, sondern auch das Ansehen der Sprachwissenschaft. Auch dort wird es allmählich Zeit, mit den Aufräumarbeiten zu beginnen. Daß der Reform und ihrem Scheitern ein prinzipielles Mißverständnis des Gegenstandsbereichs von Sprachwissenschaft bzw. des angemessenen Umgangs mit ihm zugrundeliegt, ist gerade für den Fachfremden unübersehbar.
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Kommentar von Ballistol, verfaßt am 18.03.2007 um 19.04 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=806#8041
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Seht euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Kann man denn Trauben lesen von den Dornen oder Feigen von den Disteln? So bringt jeder gute Baum gute Früchte; aber ein fauler Baum bringt schlechte Früchte. Ein guter Baum kann nicht schlechte Früchte bringen, und ein fauler Baum kann nicht gute Früchte bringen. Jeder Baum, der nicht gute Früchte bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen. Darum: an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.
2. Kor 11,13-15, Gal 5,19-22, Joh 15,2; 15,6.
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Kommentar von Kelkin, verfaßt am 19.03.2007 um 10.23 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=806#8044
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Wie war das nochmal mit dem "Herrschaftswissen"? Die ganze Geschichte zeugt vom Versuch einer Experten-Clique, die Macht an sich zu reißen. Man stelle sich vor, die Wirtschaftsfakultät von Wanne-Eikel verlautbarte, sie hätte Relevanteres zur Ökonomie vorzubringen als der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank oder der Wirtschaftsminister.
Beklagenswert ist nur, daß diese Strategie auf kulturellem Gebiet aufgeht. Noch so ein Zitat, das ungehört im Raum verhallte: "Bloß kein Ruf nach dem Gesetzgeber in diesen Bereichen." (Superminister Clement in einer aktuellen Stunde zur Popmusik-Deutschquote).
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.03.2007 um 10.50 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=806#8045
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Nachtrag: Der Ausdruck "Großschriftsteller" mag von großen Schriftstellern (Tucholsky, Musil; Brecht?) erfunden worden sein, er läßt auf jeden Fall das Ressentiment gegen der Erfolgreicheren durchschimmern und hat was Unangenehmes. Heute benutzt ihn jeder kleine Mucker und verschafft sich einen allzu billigen Vorteil, indem er einem Erfolgreichen, dem er sonst nichts vorzuwerfen hat, das Wort "Großschriftsteller" nachwirft.
Sprachwissenschaftler, die es zehn Jahre lang nicht verwinden können, daß sich auch Nichtlinguisten um die Rechtschreibung kümmern, machen sich doch einfach lächerlich.
Bemerkenswerterweise haben diese fundierten und relevanten Herrschaften sich - soweit mir bekannt - noch nie über den Medienstar Bastian Sick geäußert, der ungestraft seine unfundierten Sprüche über die deutsche Sprache verbreiten und alle Bemühungen um sprachliche Bildung zunichte machen kann. Allerdings in neuer Rechtschreibung und auch sonst systemkonform. Liegt es daran?
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Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 20.03.2007 um 19.08 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=806#8058
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Ach hätten sich doch die Relevanten seinerzeit, d.h. zu Zeiten
zu Wort gemeldet. Spätestens "Leid tun" hätte ihnen leid tun oder sie zu geharnischtem Protest bringen müssen. Sie aber saßen still in ihren Studierstuben und Betontürmen. Ihnen ist nicht einmal die klitzekleine Probe der Steigerung mit "sehr" aus der Grundschule eingefallen, die bei Nomina wohl noch heute ausgeschlossen. Das ist halt erhabene Sprachwissenschaft, so mit dem tumben Volke und ebenso tumben Schriftstellern nicht gemein werden wollte und will. Damit läuft sie allerdings Gefahr, bei der nächsten Verteilung von Budgetgeldern für die Wissenschaften als eine gesellschaftlich irrelevante übergangen zu werden.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.08.2019 um 16.09 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=806#42021
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Zu "Spatien" von Joachim Jacobs habe ich 2004, noch am Manuskript entlang, einiges notiert, was vielleicht manchen interessiert. Es geht zwar um Rechtschreibung, Rechtschreibreform und Grammatik, aber auch um die "Theoretische Linguistik". Die Seitenangaben beziehen sich auf die gedruckte Ausgabe 2005.
Es ist das Ziel des Verfassers, die „Optimalitätstheorie“ auf das deutsche Schriftsystem anzuwenden und nebenbei die herkömmliche Schreibweise und die reformierte vergleichend zu bewerten. Die Diskussion soll damit „in Zukunft sachlicher und präziser geführt werden“ können (S. 203). Die Optimalitätstheorie gehört für den Verfasser zu den „High-Tech-Instrumenten der modernen theoretischen Linguistik“, und ein gewisses Übergewicht des Theoretischen über die Empirie ist denn auch der beherrschende Zug dieses Werkes.
Wie Jacobs in der Einleitung angibt, ist die Datengrundlage für die Erforschung der herkömmlichen Schreibweise der Duden von 1991. Damit untersucht er also nicht den Schreibbrauch der Deutschen, sondern die Meinungen einer kleinen Gruppe von Wörterbuchmachern über diesen Schreibbrauch oder vielmehr über einen wünschenswerten Schreibbrauch. Das ist aber nur von begrenztem Interesse. Hierher gehören z. B. Feststellungen über „erlaubte“ Schreibweisen (S. 12) – ein ganz ungewöhnlicher Gesichtspunkt, und in diesem Sinne gilt das auch für die gelegentlich beschworene „Empirie“ (S. 16). Für „Empirie“ und „Schriftsystem“ muß man also fast immer „Duden 1991“ einsetzen. Die Ermittlung eines Systems, das einer sozialen Erscheinung wie der Sprache zugrunde liegt, wäre etwas anderes. Wo immer der Verfasser von der „traditionellen deutschen GZS“ oder dem „traditionellen deutschen Spatiensetzungssystem“ spricht, meint er den letzten Stand der Dudenfestlegungen vor der Reform. Nur ganz selten schimmert einmal durch, daß es eine unabhängige Sprachentwicklung gibt, hinter der die Dudendarstellung „hinterherhinkte“ (S. 166). Hätte Jacobs die tatsächlichen Schreibweisen erforscht, so wäre er möglicherweise zu einem ganz anderen zugrundliegenden „System“ gekommen, und vielleicht wäre es einfacher als das für die Dudennorm postulierte.
„Es gibt also eine große Menge von Schreibungen, hinsichtlich derer sich Alt- und Neu-GZS nicht unterscheiden. Ich nehme an, daß sich in dieser Menge von in beiden Varianten zulässigen und damit in der Regel unstrittigen Schreibungen, die ich als Kern-GZS bezeichne, jene Grundsätze manifestieren, die […] Maßstab richtiger Spatiensetzung […] sind. Entsprechend gehe ich davon aus, daß man diese Grundsätze über die Analyse der Kern-GZS ermitteln kann.“ (S. 4)
Auch die Schnittmenge der erlaubten Schreibungen von 1991 und 1998 ist nicht das System, sondern ein Durchschnitt der Meinungen oder Festlegungen über das System. Seltsamerweise werden auch die Regeln der Reform von 1996 als „Daten“ bezeichnet. Es sind jedenfalls keine sprachlichen Daten.
Ich teile schon die Petitio nicht, daß die GZS es mit der Abgrenzung von Wörtern zu tun habe. Die Überformung durch andere Entwicklungen wird vernachlässigt. Bemerkenswerterweise wird es im Duden 1991 vermieden, die GZS so eng mit der Frage der Wortgrenze (Zusammensetzung vs. Wortgruppe) zu verbinden. Das tut erst die Neuregelung, und Jacobs schließt sich an.
Jacobs führt meine Kritik der RSR an, daß die neue GZS „systemwidrig“ sei, unterstellt aber wenig später, damit hätte ich gemeint, sie verstoße gegen den Duden 1991. Aber für mich ist der Duden 1991 nicht das System, sondern enthält die irrelevanten Ansichten der Dudenredaktion.
Jacobs konstruiert eine morphologische Regel, nach der Verbzusatzkonstruktionen wie zusammenschreiben gebildet werden (S. 46). Damit ist analytisch wahr, daß es sich um morphologische Bildungen handelt und mithin um Wörter und nicht um Syntagmen. Das ist aber dann keine Analyse mehr, denn die Frage nach dem Charakter dieser Bildungen wird durch eine Ad-hoc-Setzung entschieden. Im weiteren Verlauf werden allerdings verschiedene Kriterien angegeben, nach denen sich morphologische Bildungen identifizieren lassen.
Die Reihe der Rückwärtsbildungen (Rückbildungen) hochstapeln, notlanden, kopfrechnen, kurzschließen usw. (S. 39) ist sehr heterogen, denn es sind „trennbare“ Verben mit echten Zusammensetzungen vermischt (du stapelst hoch, notlandest, schließt kurz ...)
Auf S. 45 rückt der bekannte Zirkel bedenklich nahe: Wörter werden zusammengeschrieben, und was zusammengeschrieben wird, ist ein Wort. Der Wortbegriff ist wie die ganze Morpohologie doch wohl der Schrift vorgelagert und sollte ohne Schielen auf die Schreibweise untersucht werden. Wenn zusammenschreiben nicht (zufällig, meistens, noch nicht sehr lange) zusammengeschrieben würde, wäre Jacobs vielleicht gar nicht auf die schöne morphologische Regel gekommen. (Auch S. 92 ist die Ausdrucksweise etwas seltsam, da es nicht um das Getrenntschreiben geht, sondern um das Trennen selbst.) Man könnte wohl eine ebenso schöne Formel finden, die genau dasselbe als syntaktische Gruppe erzeugt.
Für Meyers Gedichtzeile Aufsteigt der Strahl ... setzt Jacobs einen Deklarativsatz mit Verberststellung an, nur wegen der Schreibweise, ebenso in Thomas Manns Andröhnen die Klöppel ..., während er in Manns Auf atmete das Land ... Verbzweitstellung sieht – alles zirkelhaft aus der Schreibweise abgeleitet. Aber Aufsteigt der Strahl ... dürfte wohl kaum mit der volkstümlichen Erzählweise Kommt ein Mann in die Bar ... vergleichbar sein, auch nicht mit Sah ein Knab ein Röslein stehn.
Meiner Ansicht nach ist in allen diesen Fällen die Struktur identisch. Während man die Verbzweitstellung in Aufsteigt der Strahl nur hört, kann man sie in Auf steigt der Strahl auch sehen, das ist alles (Jacobs´ Kritik S. 53 an meiner Beobachtung ist nicht begründet). Statt die „morphologische Bildung“ der Verbzusatzverbindungen eigenständig zu begründen, verweist Jacobs eigentümlich vage auf ihre „sehr konsistente und seit langem übliche Zusammenschreibung“, was sie „eindeutig“ (zweimal!) zu den morphologischen, nicht syntaktischen Gebilden stelle. „Ich sage nicht, daß man Partikelverben auch im Hinblick auf alle anderen Fragestellungen als morphologisch betrachten muß. Wenn es aber um die spezielle Grenzziehung zwischen Morphologie und Syntax geht, die der deutschen GZS (...) zugrunde liegt, wäre es wenig sinnvoll, Partikelverben aus der Morphologie auszuschließen, sie also nicht in dieselbe Klasse von Bildungen einzuordnen, zu der auch Komposition, Affigierung und Konversion gehören.“ (55)
Das heißt: Um die Partikelverben für die herkömmliche Zusammenschreibung reklamieren zu können, rechnet Jacobs sie zu den morphologischen Bildungen – und bewertet die Kriterien entsprechend. Die präzise definierten Kriterien, die Jacobs für die Zuweisung aufstellt, werden immer wieder durch Ermessensentscheidungen über ihr Gewicht relativiert. Es folgt die überraschend flaue Bemerkung: „Im übrigen gehören Partikelverben natürlich auch nach der grammatischen Domäneneinteilung, die den meisten germanistischen Standardwerken zugrundeliegt, in die Morphologie.“ Das ist nur zu gut bekannt (Jacobs erwähnt traditionelle Werke wie Fleischer/Barz), und ich habe es kritisiert. Jacobs erwähnt meinen Hinweis auf Drach, der m. E. gute Argumente für die Gleichbehandlung von heimgehen und nach Hause gehen usw. gebracht hat, geht aber nicht auf ihn ein und hat ihn wahrscheinlich nicht gelesen, denn auch in der Bibliographie kommt er nicht vor. (Arbeiten, die nicht zur „theoretischen Wortbildungsforschung“ im genannten High-Tech-Sinn gehören, werden heute zum Schaden für die Sache oft ignoriert, weil sie nicht „explizit“ und „präzise“ genug formuliert sind. Die Leistung der historischen Grammatik bleiben systematisch unterbelichtet.) Den Begriff des „Gewohnheitsgefüges“ habe ich von Drach, aber ich habe an mehreren Stellen gezeigt, daß er nicht alles deckt. Denn die Verbzusatzkonstruktionen sind reihenbildend und produktiv, so daß man bei passender Gelegenheit auch sagen könnte, etwas werde blaugeschossen usw.
Für wachhalten, wachrütteln usw. beruft sich Jacobs auf die Reihenbildung und wiederum auf die traditionelle „Zusammenschreibung dieser Verben (die durch die Rechtschreibreform nicht aufgehoben wurde)“ (58). Nun, laut Duden 2004 wird wach halten getrennt oder zusammen, wachrütteln jedoch zusammengeschrieben, während die Revision von 2006 durchgehend fakultative Zusammen- oder Getrenntschreibung vorsieht.
Wenn wir von der Schrift einstweilen absehen und uns nur Ausdrucksweisen wie er schreibt zusammen, er nimmt teil, nimmt Stellung usw. anhören, würden wir nicht ohne weiteres auf die Idee kommen, hier NICHT syntaktische Phrasen zu erkennen. Insofern ist es eine Umkehrung der Beweislast, das Gegenteil anzunehmen und die primäre Einschätzung für begründungspflichtig zu erklären.
Soll die Komparation wirklich zur Flexion gerechnet werden, wie das einige neuere Autoren machen? Bisher war klar, daß es Stammbildung ist, und die Stämme werden dann ihrerseits erst flektiert. Andernfalls müßte man flektierte Formen nochmals flektieren – ein ziemlich hoher Preis. Übrigens werden Wörter mit dem Komparativ weiter- nach § 34 der Neuregelung obligatorisch zusammengeschrieben.
Auch ich sehe, daß bei Verbletztstellung die Reihenfolge der Spezifizierungsordnung entspricht, aber ich nehme trotzdem keine „Bewegung“ des Finitums an die Zweitstelle an. Vielmehr scheint es mir zweckmäßig, für das Nennen die Grundordnung und für das Sagen die Verbzweitstellung zugrunde zu legen. Das bloß technische Verfahren der Bewegungstransformation ist ein schwaches Argument für den Vorrang der Grundordnung. Eine falsifizierbare „Annahme“ der TG kann ich darin nicht sehen, es geht ja nicht um die Wirklichkeit, sondern um mehr oder weniger zweckmäßige Simulationsverfahren. Wir sind nicht in der Mathematik, wo die Existenz einer Sache mit ihrer Konstruierbarkeit zusammenfallen mag.
Zum Vorwurf der „Wortvernichtung“: Infolge der Neuregelung werden Wörter wie Handvoll, sogenannt, jedesmal aus den Wörterbüchern entfernt; die Neuregler behaupten, daß es diese Wörter nicht gibt. Es gibt die oft genannten Argumente dagegen. Besonders zu Handvoll hätte ich gern mal ein Gegenargument gehört. Bei sogenannt haben wir eine für das Syntagma völlig abweichende Betonung. Über jedesmal mag man immerhin streiten. Es gibt noch viele andere Beispiele. Gegen auseinander setzen habe ich den Vorwurf der Wortvernichtung nie erhoben, sondern die Getrenntschreibung als immerhin möglich gegen andere Reformkritiker verteidigt. In meinem Wörterbuch tritt dafür der Rundbogen ein.
Das betonte ja ist in meinen Augen nicht die gleichlautende Modalpartikel; vgl. meinen MP-Aufsatz in „Sprachwissenschaft“ (mit Kritik an Thurmair).
Zur Frage der Erweiterbarkeit von Verbzusätzen bzw. Unterbrechbarkeit sind die Fälle zu berücksichtigen, die ich in diversen Schriften angeführt habe und wovon Jacobs nun mit Hinweis auf meine Darstellung anführt: Schreiber hat Max Strauß oft mit auf Reisen genommen. (SZ 10.1.2004) usw. Hier handelt es sich zweifellos um das Partikelverb (die VZ-Konstruktion) mitnehmen. Besonders bei mit und auch bei zurück ist das gar nicht so selten selten, wie Jacobs meint; auch andere kommen vor: Die Union scheint zurück zu sich selbst zu finden. (FAZ 18.3.2000) - Wir können die Menschen nicht allein damit lassen. (FAZ 27.11.86) - War es die Mehrheit der Österreicher, die jubelte? Man kann es nicht wissen, denn wer sich nicht wohl bei der Sache fühlte, schwieg und verbarg sich. (Zeit 4.3.88)
Nach Jacob kommt das Partikelverb bloßstellen im Aussagesatz Sie stellen ihn bloß nicht vor, nur weil es darin keine Konstitutente bildet. Traditionell würde man sagen: Ob zusammengeschrieben oder nicht, in beiden Sätzen kommt dieselbe Konstruktion bloß + stellen vor (Verb mit Objektsprädikativ). Das ist im sprachwissenschaftlichen Sinn beweisbar mit Hilfe von Texten, die ausdrücklich stellt bloß und bloßstellt als identisch erkennen lassen.
Warum nennt Jacobs tot in totprügeln ein „Resultativadverbial“?
Daß die Betonung nicht in allen Fällen ein sicheres Kriterium für Wortbildung ist, weil andere primäre Spezifikatoren ebenfalls den Hauptakzent tragen, habe ich auch immer betont und sogar gegen manche Mitstreiter durchfechten müssen (136).
Bei weil er anders denkt höre ich durchaus Hauptbetonung auf dem Adverb; das ist vielleicht noch einmal zu überprüfen.
Die Zusammenbildungen mit Partizip I lassen sich noch überzeugender an Beispielen wie diensthabend darstellen.
Es mag sein, daß die Besonderheit von spazierengehen in der Literatur oft übersehen worden ist; ich selbst habe wieder und wieder darauf hingewiesen; hier ein Auszug aus meinem „Kritischen Kommentar“:
„(6) Verb (Infinitiv) + Verb, zum Beispiel:
kennen lernen, liegen lassen, sitzen bleiben, spazieren gehen.
Kommentar:
Auch hier werden offenbar sehr unterschiedliche Gefüge gewaltsam über einen Leisten geschlagen. Mit der allgemeinen Getrenntschreibung wollte man zunächst eine scheinbare Unregelmäßigkeit beseitigen, die sich in der Duden-Literatur etwa so las:
„Entsteht kein neuer Begriff, so wird in einigen Fällen (z. B. spazierengehen) trotzdem zusammengeschrieben.“ (Mentrup 1968, S. 132)
Die Deutung scheint voreilig, denn hier ist durchaus etwas Neues entstanden. Im Gegensatz zu baden gehen, schlafen gehen usw., die seit je getrennt geschrieben wurden, bedeutet spazierengehen gerade nicht „zum Spazieren gehen“ (wie es bei baden gehen, einkaufen gehen usw. der Fall ist), sondern es bedeutet das Spazieren selbst, eben den „Spaziergang“. Die Zusammenschreibung war daher nicht unmotiviert (ähnlich Dückert/Kempcke 1984, S. 201: spazierenfahren, -gehen, -reiten als „Abschattungen des Grundwortes“). Gallmann und Sitta mokieren sich zu Unrecht über die alte Vorschrift, spazierengehen, aber einkaufen gehen zu schreiben (1996, S. 48; vgl. 1996a, S. 48; 1997, S. 97). Ihr zufriedenes Resümee „Es gibt keine Ausnahmenlisten mehr“ ist daher ebenso kurzsichtig wie Nerius´ Behauptung (1989, S. 136), es sei in diesen und den folgenden Fällen von einer „prinzipiell gleichen Funktion“ des Infinitivs auszugehen.
Dasselbe gilt für einen etwas größeren Komplex von verbalen Gefügen. Die Reformer rühmen sich[/i], eine alte Dudenspitzfindigkeit beseitigt zu haben, nämlich Unterscheidungen wie stehenbleiben und stehen bleiben (so Gallmann/Sitta 1996, S. 47). Es ist zuzugeben, daß die Erklärung dieses Unterschieds nicht immer überzeugend gelungen war; z. B. wird in Duden Bd. 9 wieder der übertragene Gebrauch mit dem eigentlichen, grammatischen Unterschied verwechselt und vermischt. Daß ein Druckfehler stehenbleibt und nicht wie ein Bote, der sich nicht setzen darf, stehen bleibt, ist nicht nachvollziehbar. Ihrem grammatischen Bau nach sind beide Wendungen identisch. Gallmann und Sitta übernehmen leider die Redeweise von „wörtlicher und übertragener Bedeutung“ (1996, S. 111). In Wirklichkeit gilt folgendes: Wer stehenbleibt, kommt zum Stehen; wer dagegen stehen bleibt, steht weiterhin. Während ich an der Türklinke hängenbleibe, sagt man von einem Bild, daß es hängen bleibt, wo es hängt. Dies entspricht der unterschiedlichen Behandlung von Verbindungen des Verbs bleiben mit Adjektiven: Das Paradebeispiel der Reformer, übrig bleiben, wurde bisher zusammengeschrieben, weil es nicht heißt ´weiterhin übrig sein´ – im Gegensatz zu gültig bleiben = ´weiterhin gültig sein´; bleiben hat also einen ähnlichen Status wie ein Kopulaverb (vgl. Eisenberg 1989, S. 94), und dies war der Grund der Getrenntschreibung. Anders gesagt: Das Kopulaverb bleiben hat eine durative Aktionsart und ergänzt sein und werden in ganz systematischer Weise. Dagegen hat bleiben in Kombination mit Verbzusätzen eine punktuelle Bedeutung; es ist daher auch mit Adverbien wie plötzlich kombinierbar: plötzlich hängenbleiben usw. Das vielzitierte Beispiel sitzenbleiben (´nicht versetzt werden´) widerspricht dieser Deutung nicht: Während der Klassenverband unaufhörlich weiterrückt, kommt das Curriculum des Sitzenbleibers zu einem plötzlichen Halt. Bei jenem Mauerblümchen, das sitzenbleibt oder sitzen bleibt, während alle anderen unter die Haube kommen, kann man zu verschiedenen Schreibungen gelangen, je nach gewählter Bildlichkeit.
Auch könnte man sich eine Möglichkeit wünschen, zwischen gehen lassen (= ´zulassen, daß etwas weiterhin geht´) und gehenlassen (= ´freilassen´) zu unterscheiden (übrigens analog der traditionellen Unterscheidung zwischen [einen Platz] frei lassen und [einen Vogel] freilassen). – Im „Bericht“ vom Dezember 1997 hat die Kommission einzig und allein für kennenlernen die Zusammenschreibung wiederzugelassen; mehr als den kleinen Finger wollte sie offenbar nicht geben, die Sprache selbst fordert jedoch die ganze Hand.“
Soweit mein Kommentar von damals.
(Nachtrag: Im vierten Bericht 2004 ist die Konzession kennenlernen wieder zurückgenommen worden, Getrenntschreibung also weiterhin und endgültig vorgesehen. In den Empfehlungen des Rechtschreibrates von 2006 wird die Zusammenschreibung wieder zugelassen.)
*kennenlernbar – ist das ein Argument? Es kann verschiedene Ursachen haben, daß man so etwas nicht oft bildet. vgl. stehenlaßbar.
Ich vermisse einen Hinweis auf die Wüstersche Regel, die der Reform offenbar weiterhin zugrunde liegt (vgl. auch den dritten und vierten Bericht), obwohl sie im Regelwerk nicht ausgesprochen ist: „Entweder klein und zusammen oder groß und getrennt“. Weiteres in meinem Beitrag „Die verborgenen Regeln“ (in Eroms/Munske). Da sich Jacobs nicht mit der Sprache selbst, sondern mit den beiden normativen Kodifizierungen von Duden und Reform beschäftigt, hätte man ein Eingehen auf die Hintergründe der Reform erwarten können. Schließlich haben sich viele Urheber der Neuregelung über ihre Tätigkeit geäußert. Es gibt keinen Grund, sich nur mit ihren endgültigen Texten zu beschäftigen.
gutgehen, leichtfallen – das ist die übertriebene Dudennorm, nicht die Sprachwirklichkeit.
S. 147: Hier setzt Jacobs sich über die Sprachentwicklung hinweg, die ja zu immer mehr Zusammenschreibungen (zufriedenstellen usw.) geht und daher in Jacobs´ Sinn eine anschwellende „Flut von Ausnahmen“ erzeugt. Das sind wohlgemerkt keine Schikanen des Dudens, der im Gegenteil hinterherhinkt. Eine Regel, von der die tatsächliche Sprachentwicklung immer stärker abweicht, kann nicht richtig sein. Hierzu auch S. 158: Kann eine Regelung „Irregularitäten eindämmen“? Die Schreibwirklichkeit ist, wie sie ist, dem haben sich die Regeln zu fügen. Allerdings haben die Reformer frühzeitig erklärt, sie wollten der Sprachentwicklung (zur vermehrten Zusammenschreibung) „entgegentreten“. S. 149: „vorher gültig“? – Nein, vorher üblich, auch über die Dudennorm hinaus. Das ist ein großer Unterschied, denn gerade da zeigt sich, daß die Reform nicht gegen den Duden, sondern gegen die Sprachentwicklung selbst gerichtet ist. Die Reformer wollten erklärtermaßen die Sprachentwicklung „korrigieren“, nicht den Duden. So ist es auch im Urteil des Bundesverfassungsgerichts verstanden (und als Unterfangen gebilligt) worden.
Von Schaeder, dem Urheber der reformierten GZS, gibt es eine Reihe kommentierender und rechtfertigender Schriften, die ein merkwürdiges Licht auf die Fähigkeiten dieses Grammatikers werfen. Zwei davon zitiert Jacobs auch. Aus diesen Schriften geht u. a. hervor, daß Schaeder glaubt, Wörter wie das Busfahren seien als Zusammenrückungen aus den entsprechenden Textstücken in wir wollen Bus fahren entstanden.
Schaeder und Augst haben zur Rettung der Reform nachträglich die Lehre in die Welt gesetzt, bei Substantivierung von Aufsehen erregend trete Zusammenschreibung ein. Gallmann und Sitta sind dem von Anfang an entgegengetreten, erst im dritten Bericht rückt die Kommission davon ab. Jacobs stimmt ihnen mit Recht zu.
Zu einer wohlwollenden Interpretation der Neuregelung, wie von Jacobs (gegen die strengeren Kritiker) angemahnt und selbst versucht, kann ich mich nicht entschließen, weil ich die Reformer und den Hergang der Reform insgesamt zu gut kenne.
Jacobs bemängelt, daß um 2000 der Duden „Hybrid-GZS“ eingeführt habe, also „nicht offiziell gültige“ Zusammenschreibungen, die zur alten RS zurückführten. Aber das war mit der Kommission abgesprochen und insofern zumindest offiziös. Die weitere Entwicklung gab dem Duden recht.
„Manche Sprecher können satt bzw. leid mit zu erweitern, andere (wie ich) können es kaum, vgl. *weil mir das zu leid tut. (Bei leid tun wird das Erstglied im übrigen von heutigen Sprechern eher als Substantiv als als Adjektiv gedeutet.)“ (S. 111) Dazu Fn. S. 184 mit Hinweis auf meinen Einwand; das Adjektiv leid sei aber aus den meisten Varietäten des Deutschen verschwunden.) Worauf sollen Probanden kommen, wenn man ihnen das Wort leid/Leid isoliert vorlegt? Natürlich auf das Substantiv. Die Leute sagen leid tun und denken gar nicht an die Wortart der Bestandteile.
Es kommt nicht darauf an, ob das Adjektiv noch erhalten ist, sondern darauf, daß die substantivische Deutung nicht funktioniert. Die Sprecher kümmern sich nicht um die Wortart der Verbzusätze, das ist das Entscheidende.
Belege:
Warum willst, warum willst du singen nicht mehr?
Das tut mir gar zu leid. (Hoffmann v. Fallersleben: Der Nachtigall Antwort)
Ach, Röslein am Fenster droben,
Du tust uns auch gar zu leid. (Wilhelm Busch: Das traurige Röslein)
Daß ich Dich gestern nicht gesehen habe, tut mir zu leid. (Franziska zu Reventlow an Emanuel Fehling, 2. 3. 91)
Diese Beispiele, die sich mühelos vermehren lassen, würden nach Jacobs gegen die Zusammenschreibung sprechen, weil Verben nicht mit zu intensiviert werden können.
recht haben kommt anscheinend gar nicht vor. Jacobs selbst schreibt einmal Recht haben (und einmal krass), obwohl das Buch in herkömmlicher Orthographie gehalten ist.
Nur beiläufig kommt Jacobs auf die Einschränkungen beim prädikativen Gebrauch des erweiterten Partizips I zu sprechen. Die stilistische Beschränkung auch beim attributiven Gebrauch, die ich auch in dem von ihm zitierten Aufsatz erwähne, scheint er nicht zu kennen.
Zum Funktionsverbgefüge in Frage stellen schreibt Jacobs: „Das verbale Zweitglied ist nicht der Bedeutungskern, der durch in Frage modifiziert wird. Nach Aufweis einer bedeutungsexplizierenden Paraphrase verweist es vielmehr lediglich auf eine bestimmte Art des Zutreffens der mit Frage verbundenen Einstellung auf den Referenten des Subjekts. Damit ist das Verb selbst der modifizierende Teilausdruck der Konstruktion.“ (S. 91)
Das verstehe ich nicht. Zunächst sind immer viele verschiedene Paraphrasen möglich, sie beweisen eigentlich gar nichts. Warum soll der Bedeutungskern zugleich der Schwerpunkt sein? Es kann doch ein semantisch blasser Kern durch ein gewichtigeres Element modifiziert werden. Vgl. seine richtige Darstellung, daß bei kennenlernen, spazierengehen der „Bedeutungsschwerpunkt“ auf das Erstglied verlagert sei (S. 151). Trotzdem liegt das Spezifikandum im Zweitglied vor. Fragwürdig ist auch die aus der Satzmodusdiskussion bekannte Auffassung, daß es bei Fragen usw. um „Einstellungen“ gehe – ein Psychologismus, der nicht weiterführt.
Für trotzdem, anhand, infolgedessen u.v.a. nimmt Jacobs „Univerbierung“ an – gibt es dafür außer der Schreibweise ein unabhängiges Argument? Ebenso Muttergottes.
Jacobs behandelt auch Regeln der Spatiensetzung, die eigentlich zu den Richtlinien für den Schriftsatz bzw. für das Maschinenschreiben gehören. Er selbst läßt übrigens regelwidrig das Spatium in Abkürzungen weg: z.B., u.a., d.h.
Bei weissagen fehlt ein Hinweis auf die volksetymologische Begründung dieser Schreibweise. (S. 109)
Wie der Duden sich vor die Wirklichkeit schiebt, sieht man an der Erklärung von ernst nehmen, das in Wirklichkeit sehr oft zusammenschrieben wird. (S. 111)
Mit Recht wendet sich Jacobs gegen die Auffassung, die ja auch Eisenberg vertritt, daß „Abweichungen von der syntaktischen Wohlgeformtheit Zusammenschreibung zur Folge haben“. (133) Was würde er erst zu deren Überhandnehmen in der Revision von 2006 sagen?
Bei den Zusammensetzungen wie kaltlächelnd usw. (S. 145) ist Erstbetonung nicht durchweg sicher.
Am Ende bespricht Jacobs noch die Änderungen des Jahres 2004, wobei ihm auffällt, daß die ersten Beschlüsse der Kommission nicht ganz mit der späteren Fassung (im Duden; sie sind aber auch in Buchfassung erschienen, allerdings viel später) übereinstimmen; vor allem die Öffnung der Partikelliste und die paradoxe Formulierung „folgende ... zum Beispiel“ bemerkt er kritisch, genau wie ich.
Für ihn stehen Grauen erregen und grauenerregend nicht in einem Ableitungsverhältnis wie bei den Reformern, sondern sind als Zusammenbildungen analysiert (wie bei Pümpel-Mader, die angeführt wird). Dadurch ist die unterschiedliche Schreibweise des alten Duden (sporadisch auch in der Reform) gerechtfertigt.
Jacobs hat zum Muster kochendheiß nur noch siedendheiß gefunden (in Wörterbüchern!), aber es gibt auch noch leuchtendblau, glühendheiß, brütendheiß (alle im Duden) und sicher noch mehr davon. Warum sollte es nicht leichtverdaulichste geben? Es gibt zweifellos Dieses Essen ist nicht das leichtverdaulichste, das Buch nicht das leichtverständlichste. [Hunderte von Belegen bei Google.]
„So wird nichtssagend aus der Sicht der hier vorgeschlagenene Analyse nicht deswegen zusammengeschrieben, weil man einen graphischen Hinweis auf den Bedeutungsunterschied zu nichts sagend geben möchte, sondern weil es sich um ein morphologisch gebildetes (nämlich durch Zusammenbildung entstandenes) Zeichen handelt. Die Bedeutungsdifferenzierung ist also nur ein – sicher nicht unwillkommener – Nebeneffekt.“ (159)
Daran ist richtig, daß es schon im Lautsprachlichen den Unterschied gibt, was auch immer man von der Herleitung als „Zusammenbildung“ sagen mag. Auch die Betonung ist normalerweise verschieden. Diesen Unterschied gibt man dann auch in der Schrift wieder. Es ist gleichgültig, ob man dem Schreiber unterstellt, die Verschiedenheit der beiden Gebilde (Wort und Syntagma) graphisch andeuten zu wollen, oder den Wunsch, einen Bedeutungsunterschied anzuzeigen. Übrigens halte ich es nicht für plausibel, mit Zusammenbildung aus einem kaum anzunehmenden verbalen Syntagma nichts sagen zu rechnen.
Zu Semi-Partikelverben wie stattgeben soll gar kein homonymes Syntagma *Statt geben existieren. Das ist, soweit es zutrifft, eine ganz junge Erscheinung. Es gab noch vor kurzem das kleine Subsystem Statt haben, geben, finden, vgl. Grimms Dt. Wb., wo Zusammenschreibung noch gar nicht angeführt ist (wie auch bei den Beispielen leichtverständlich usw.), wohl aber auf „Univerbierung“ hingewiesen wird: „statt haben ist zunächst eine freie wortgruppe, verbindung eines verbs mit seinem object, und so mhd. durchaus. im verlaufe der nhd. zeit tritt dann allmählich ein engerer zusammenschlusz ein, wodurch statt seine selbständigkeit verliert und das ganze sich der zusammensetzung nähert. dies zeigt sich zunächst darin, dasz statt in diesem sinne die fähigkeit verliert, attribute zu sich zu nehmen.“ „das vollkommene zusammenwachsen zu einem zusammengesetzten verb zeigt sich darin, dasz man seit beginn des 19. jahrh. dazu ein part. perf. in activem sinne bildet; dies stattgehabt (...) ist völlig gleichbedeutend mit stattgefunden.“ „auch hier läszt sich eine stufenweise fortschreitende ´univerbierung´ beobachten. die verbindung statt finden ist von anfang an formelhafter als statt haben, da bei ihr ein attribut zu statt nicht üblich ist.“ „den besprochenen wendungen entspricht als causativ statt geben. dieser ausdruck begegnet mhd. erst vereinzelt, etwas häufiger im mnd., erreicht sehr ausgedehnte verwendung im ältern nhd. (16.–18. jahrh.) und geht schlieszlich wieder stark zurück, sodasz heute nur noch gewisse speciellere gebrauchsweisen übrig sind, und auch diese nur im schriftlichen ausdruck.“
Soweit ich sehe, thematisiert Jacobs nirgendwo die eigentümliche Annahme des Duden, daß zwischen [i]sich jemanden warmhalten und die Suppe warm halten (mit unrealistisch vorgeschriebenem Schreibunterschied) auch ein Betonungsunterschied bestehe; dasselbe bei unzähligen vergleichbaren Gebilden.
Es ist müßig, die „unterschiedliche Spatiensetzung in Fällen wie grün streichen vs. aufräumen“ (S. 171) erklären zu wollen, da die Schreibwirklichkeit auch längst grünstreichen kannte, als der Duden noch auf Getrenntschreibung beharrte.
An der Neuregelung kritisiert Jacobs mit Recht, daß die eigentlichen Regeln oft nichtssagend formuliert sind und der eigentliche empirische Gehalt in den Erläuterungen versteckt ist. (S. 175)
Jacobs erschließt aus dem alten Duden gewisse Regeln, findet dann aber auch Schreibweisen, die diesen Regeln widersprechen. Deren Menge spielt bei der Bewertung von Alt- und Neuschreibung eine Rolle. Bei der Neuschreibung wäre allerdings ein von den Reformern selbst erstelltes, ebenso umfangreiches Wörterverzeichnis erforderlich und nicht nur eine mehr oder weniger sichere Auslegung wie im reformierten Großen Wörterbuch des Dudenverlags (das als nicht orthographisches Wörterbuch ohnehin eine fragwürdige Vergleichsbasis darstellt; es zeigt wie das DUW, das ebenfalls erklärtermaßen kein orthographisches Wörterbuch ist, manche Eigenwilligkeit gegenüber dem gleichzeitig erschienenen Rechtschreibduden).
Mit einem kritischen Seitenhieb auf mich stellt Jacobs fest, daß das Verbot der Zusammensetzung mit Adjektiven auf -isch, -ig, -lich seinen Grund in einer tatsächlich vorhandenen Abneigung gegen solche Zusammensetzungen habe, sofern es sich um Determinativ- und nicht um Koordinativbildungen handele. Deshalb heiße es in der Neu-GZS mikroskopisch klein, aber nach wie vor wissenschaftlich-technisch. Hier hätte Jacobs zunächst auf einen Widerspruch der Neuregelung eingehen müssen, denn die Bindestrichkomposita, die er mit Recht ohne weiteres zu den Komposita stellt, werden in der Neuregelung so behandelt, als seien es gar keine. Außerdem gibt es aber sehr wohl determinative Zusammensetzungen dieser Art wie grünlichgelb. Die Praxis nach R 40 bestand lediglich darin, koordinative Bildungen von Farbbezeichnungen durch Bindestrich von den determinativen zu unterscheiden.
Jacobs versucht, bestimmte Erscheinungen entweder als „morphologische Bildungen“ (Wortbildungen) oder als syntaktische Verbindungen zu beschreiben, aber diese herkömmliche Dichotomie ist vielleicht nicht ausreichend. Der Verbzusatz scheint mir nach wie vor unverstanden.
Jacobs´ Hinweis, daß zwischen (aus der Partikelliste) nicht als trennbarer Verbzusatz gebraucht werde (182), trifft nicht ganz zu; Duden hat immerhin landet in Rom zwischen. Jacobs vermutet, daß die Auswahl der Partikeln „nach einem bestimmten System erfolgte“ (182). Hätte er sich mit der Geschichte dieser ständig wechselnden Auswahl beschäftigt (s. die vergleichende Übersicht in meinem Buch „Regelungsgewalt“), dann würde er das vielleicht anders sehen. Auch die vier Berichte der Kommission, die unbedingt einbezogen werden sollten, zeigen das halbblinde Herumtappen der Reformer in unverstandenen Bereichen der Sprachwirklichkeit. Überhaupt hätte, wenn denn schon die beiden Regelwerke und nicht die gewachsene Schriftsprache selbst untersucht werden sollten, ein Eingehen auf die Geschichte und die Hintergründe nahegelegen, denn solche Produkte fallen ja nicht vom Himmel, sondern sind von leibhaftigen Menschen ersonnen, die auch heute noch Auskunft über ihre Überlegungen geben können.
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Kommentar von R. M., verfaßt am 27.08.2019 um 22.20 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=806#42026
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Wenn diese Anmerkungen noch vor der Veröffentlichung des Buchs gemacht wurden, sind sie offenbar wirkungslos geblieben (wie dann auch das Buch selbst).
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.08.2019 um 06.08 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=806#42027
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Fast wirkungslos, man lebt eben in verschiedenen Welten. Wie verschieden, das wird ja auch am Wikipedia-Eintrag "Optimalitätstheorie" deutlich, auf den ich an anderer Stelle hingewiesen habe. Die "Theoretische Linguistik" im Gefolge Chomskys ist aus meiner Sicht nicht an der Sprache (= an den Sprachen) interessiert, sondern an der "logischen Form linguistischer Theorien" und solchen feinen Dingen ud kommt sich gar sehr überlegen vor ("high tech"!).
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.10.2023 um 05.06 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=806#52025
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Zur Optimalitätstheorie der „theoretischen Linguistik“ schreibt Wikipedia:
„Ein großes Problem der OT ist die Übergenerierung. Bei angenommenen 600 Beschränkungen, die allesamt frei gerankt werden können, ergeben sich
600! ≈ 1,265 ⋅ 101408
mögliche Grammatiken.“
Die Gelehrten streiten sich noch, ob die OT eine Metatheorie sein könnte. Man hört die Mühle klappern, sieht aber das Mehl nicht, muß sich dann aber belehren lassen, das Mehl sei gar nicht Zweck der Veranstaltung. Leider betrifft es Lehrstühle, von denen man Mehl erwartet und nicht Konstruktionszeichnungen für Mühlen.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.10.2023 um 05.16 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=806#52026
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Nachtrag: Ganz ohne Mehl geht es doch nicht. Aber zum Beispiel die Behandlung der Verbzusätze durch die Optimalitätstheoretiker zeugt von einer geradezu kindlichen Einfalt. (Was ein Kompositum ist, läßt man sich von dudengerechten Zusammenschreibung vorgeben!) Man ist eben über das Collegium logicum nicht hinausgelangt in die Niederungen der wirklichen Sprache, geschweige denn des Verhaltens wirklicher Menschen. Zum Studium der Sprachgeschichte blieb sowieso keine Zeit, bevor man den nächsten Lehrstuhl besetzte.
Die Computerlinguistik, noch am ehesten ein Betätigungsfeld, hat aber die Erwartungen auch nicht erfüllt. Die erfolgreichen Übersetzungsprogramme und sprachfähigen KI-Geräte gehen ganz andere Wege.
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