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15.03.2007
Stefan Wolf
Statt eines Nachrufs
Bei meiner bekannten Vorliebe für Trivialliteratur wird es niemanden überraschen, daß ich den Tod des erfolgreichsten deutschen Jugendbuchautors, Rolf Kalmuczak, herzlich bedauere. Aus Gründen, die wir Erwachsenen kaum nachempfinden können, lieben zahllose Kinder die TKKG-Reihe über alles.
Ich nehme an, daß der voraussehbare Sieg des Guten und vor allem die insgeheim doch noch verehrten Ideale der Ritterlichkeit usw. ihren Reiz ausüben. Der pädagogische Wert dieser Bücher ist daher in meinen Augen ziemlich hoch zu veranschlagen, zumal ein ganz eigenes Sprachbewußtsein (bis hin zu beigefügten Erläuterungen schwieriger Wörter) darin zu finden ist.
Zwischenfrage: Wie kann ein einzelner Mensch so viel schreiben, und zwar so, daß es offenbar brauchbar ist – für Fernsehanstalten, Zeitungen und ein wechselndes Publikum? Alle Achtung!
Ohne seinen Namen zu nennen (ich wollte "Stefan Wolf" nicht in Schwierigkeiten mit seinem Verlag bringen), habe ich hier schon einmal erwähnt, daß er ein entschiedener Gegner der Rechtschreibreform war. In diesem Sinne schrieb er mir vor etwa zwei Jahren und bedankte sich für unseren Kampf. Er selbst habe, wie er dann auch telefonisch berichtete, die Umstellung seiner neueren Bücher nicht verhindern können, aber ihm blute jedesmal das Herz, wenn er (übrigens ziemlich vergeblich) versuche, das Schlimmste zu verhindern. Er schickte meinen Töchtern auch Bücher und Kassetten und lud uns ein, ihn in Garmisch-Partenkirchen zu besuchen, aber dazu ist es nun leider nicht mehr gekommen.
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Kommentare zu »Stefan Wolf« |
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Kommentar von Heinz Erich Stiene, verfaßt am 15.03.2007 um 22.21 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=805#8021
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Herrn Icklers sanfter Nachruf auf einen überaus erfolgreichen Kinderbuchautor, mag er nun Rolf Kalmuczak geheißen oder sich Stefan Wolf genannt haben, legt eine kleine, stille Tragödie bloß, gewiß nur einer von ungezählten hierzulande. Da wurde ein Mann, der in seiner Sprache ganz offensichtlich zu Hause war und sich ihrer souverän zu bedienen verstand, gleichsam über Nacht entmündigt, enteignet, aus seiner Heimat vertrieben. So jedenfalls muß auch Rolf Kalmuczak es empfunden haben. Leute, die eigentlich von seiner sprudelnden Kreativität abhängig waren und mit ihm zweifellos gutes, sehr gutes Geld verdienten, spielten sich von einem Tag auf den anderen als seine Vormunde auf und verwiesen ihn auf die Katzenbank. Schlimm genug, daß Stefan Wolf bzw. Rolf Kalmuczak diesen bitteren Verlust, der ihm letztlich von einer Handvoll geld- und geltungsgeiler Kleinsthirne zugefügt worden war, mit ins Grab hat nehmen müssen. Und traurig, sehr traurig, daß wir alle erst jetzt davon erfahren dürfen. Der Verlag, lieber Herr Ickler, sollte doch nicht ungenannt bleiben.
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Kommentar von Thomas Roediger, verfaßt am 16.03.2007 um 12.40 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=805#8024
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Nach dieser traurigen Geschichte und nach den Kommentaren zu letzten Beiträgen frage ich mich:
Wie machen das die anderen, wie schaffen die das, wie kommen die damit zurecht?
Führen wir alle ein Doppelleben? Trennen wir zwischen Arbeit und "Überzeugung"? Schockierend auch: Manche ängstigen sich sogar hier im Forum!
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Kommentar von Alexander Glück, verfaßt am 16.03.2007 um 13.51 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=805#8025
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Ich schreibe konsequent in klassischer Rechtschreibung, und zwar sowohl privat als auch beruflich. Wer von mir "neue Rechtschreibung" geliefert haben will, den frage ich höflich, welche er denn möchte. Probleme hatte ich damit bis jetzt in keinem einzigen Fall.
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 16.03.2007 um 22.57 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=805#8026
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Welche Mittel haben Verlage eigentlich, einen Schriftsteller zu einer bestimmten Schreibweise zu zwingen?
Ich denke, sie erwerben wohl die Rechte an der Veröffentlichung, aber doch nicht das Recht, ein Buch umzuschreiben?
Ich bin sicher, daß Bücher von Reiner Kunze (der u.a. auch Kinderbücher schreibt) oder von Günter Grass und von vielen anderen niemals in Neuschrieb erscheinen werden. So bekannte und erfolgreiche Autoren haben es natürlich leichter als andere, den Verlag zu wechseln, aber Stefan Wolf zählte sicher eher zu den ersteren.
Ich zweifle keinesfalls an dem obigen Tagebucheintrag, aber es wäre sehr interessant, mehr darüber zu erfahren, wie manche Verlage sich so einfach gegen den Willen ihrer Autoren durchsetzen können.
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Kommentar von Thomas Roediger, verfaßt am 17.03.2007 um 11.38 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=805#8027
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Grass veröffentlicht bei Steidl – die fertigen gute Bücher: klassische Rechtschreibung, erstklassige Typographie und Ausstattung. Kunze ist bei Fischer, da wird es wohl gesondert gehandhabt werden. Bei Literaturverlagen (wie Suhrkamp) ist es noch oft so, daß klassische Rechtschreibung stringent angewandt wird.
[Gestern hatte ich ein hübsches Bändchen von Haffmans (nur über 2001, nicht über den Sortimentsbuchhandel erhältlich – ähnlich wie die Büchergilde Gutenberg auch nicht über den regulären Buchhandel läuft) in der Hand; wer versteht es sonst noch: Fadenbindung, kleinstes Taschenbuchformat, hervorragend lesbar; aber: "Er gehörte zu den Ersten, ..." und so fort, die Trennungen nach neuer Rechtschreibung. Das ist ärgerlich, denn sonst – dem Äußeren entsprechend – in klassischer Rechtschreibung. So mischt sich was, das wird in den Jahren zunehmen.]
Bei allen anderen Sparten sieht es schon anders aus. Haben Sie ein Kinder- oder ein Jugendbuch in klassischer Rechtschreibung gesehen, welches in den letzten Monaten erschien?! Schulbücher ja eh.
Zurück zu Herrn Wolf. Ich nehme mal an, ihm ging es wohl wie (fast?) allen aus der Jugendbuchecke, sie ist (wie Schulbücher und Lehrwerke) wohl die rigoros reformierteste. Mir ist kein Kinder- oder Jugendbuch bekannt, das Preise bekommen hat oder das in Empfehlungslisten landete; was wiederum mit der Coda des Verlagswesens – den Verbänden und Vereinen – zu tun hat (ich sprach das kürzlich hier an). Da fällt mir ein: Unter den Preisträgern sind kaum noch deutsche Autoren, der Markt ist "international und lizenzträchtig", ich glaube so um die 80% (ich lasse mich gerne eines Besseren belehren).
Herr Glück scheint mir im übrigen ein Glückspilz zu sein! Meine Überredungskünste haben Grenzen, bei Privatkunden (sei es aus der Wissenschaft oder der schöngeistigen Literatur) mag das gehen, aber Kunden aus der Wirtschaft?
Wäre Steidl ein Jugendbuchverlag, ja, was für ein Traum!
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Kommentar von Kai Lindner, verfaßt am 17.03.2007 um 12.24 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=805#8028
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Haffmanns bei 2001 veröffentlicht so, wie es der Autor wünscht...
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 17.03.2007 um 19.26 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=805#8030
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Ließen sich Kinder- und Jugendbücher in der guten Rechtschreibung denn über den Laden-Buchhandel verkaufen, oder würden sie da mit mündlichen Warnhinweisen versehen? Falls sie dort verkaufbar sind, sollten die "guten" Verlage ihre Chance erkennen und die guten Schriftsteller an sich ziehen mit der Zusicherung, deren Rechtschreibung nicht zu verfälschen.
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Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 17.03.2007 um 22.41 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=805#8031
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Kinder- und Jugendbücher wären so gut wie unverkäuflich, wenn sie in herkömmlicher, guter Rechtschreibung erschienen. Jeder freie Verlag muß sich diesem Zwang beugen - oder sich von diesem Sektor trennen. Das ist die (von den Reformern in bewußter Perfidie geschaffene) Realität. Auch ein Steidl Verlag könnte sich nicht dagegen stemmen.
Da alle Eltern daran interessiert sind, daß ihre Kinder an der Schule gute Noten bekommen ... nein, ich muß das nicht weiter erklären.
Nur die Zeit kann es richten. Und sie wird.
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Kommentar von Alexander Glück, verfaßt am 18.03.2007 um 18.57 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=805#8040
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Herr Roediger möge die zweite Seite der Angelegenheit berücksichtigen, daß nämlich die meisten Kunden, die Manuskripte in klassischer Rechtschreibung akzeptieren, diese dann stillschweigend auf Neuschrieb oder eine Hausorthographie umstellen.
Andererseits haben Autoren und Herausgeber durchaus weitgehende Mitbestimmungsmöglichkeiten, vor allem bei Buchausgaben. Ein in Österreich situierter Verlag bat um einige Änderungen an einem von mir herausgegebenen Manuskript, unter anderem um die Formulierung "Autorinnen und Autoren" statt "Autoren".
Getreu dem Motto: "prôtos ephê dyo logous einai peri pantos pragmatos antikeimenous allêlois" (Protagoras, Diog. L. IX 8, 51) brauchte ich nur darauf hinzuweisen, daß diese besondere Hervorhebung von "Autorinnen" eine geschlechtliche Herabsetzung impliziert, und die Sache war vom Tisch.
Man sollte eine Menge mitmachen, man muß aber nicht alles.
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Kommentar von Thomas Roediger, verfaßt am 19.03.2007 um 10.51 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=805#8046
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Bei mir wandern praktisch nur Mischschreibungen über den Tisch, egal welche Altersgruppe oder welches Metier. Bei Belletristik fruchten die Überredungskünste eher, nicht bei anderen Sparten. Zudem: Wenn der Klappentext und die Werbung in neuer, der Inhalt aber in klassischer Rechtschreibung daherkommt, was dann?! -- große Verlagshäuser, viele Abteile: 1. Klasse: Lektorat, 2. Klasse: Mediengestalter, 3. Klasse: Herstellung, 4. Klasse: Fußvolk wie Setzer und Korrektoren. Agenturen sind Dienstleister (Verlage?!), die sich an anderen Dingen orientieren (müssen): dasjenige, was alle vermeintlich tun und wollen.
Hier wurde des öfteren von einer Zweiklassengesellschaft geredet, die sich da anbahnt. Ich möchte eins draufsetzen: Wir sind schon mittendrin!
Die Gilde der älteren Romanciers (hervorragendes Verkaufsargument: es gibt daher nur noch Romane, keine "Kleinformen" mehr wie Novellen, Erzählungen etc.), welche das Feuilleton beherrschen und herrschaftlich in ihrer eigenen Rechtschreibung schreiben dürfen; und da sind natürlich noch die "Kleinen", die schreiben halt Kinderbücher, das ist doch keine Literatur!
Gehen Sie mal zu einer Buchhändlerin (der "Buchhändler" ist ja vom Aussterben bedroht) und bieten ihr ein Jugendbuch in klassischer Rechtschreibung an! Alles Vertrauenssache: großer Verlag, große Rabattierung, großzügiges Remissionsrecht; der Börsenverein schreibt vor, der Barsortimenter entscheidet, die Medien machen publik. Ersparen Sie also dem Verlagsvertreter eine peinliche Situation. Alles sind Wirtschaftsunternehmen und alle arbeiten folgerichtig, auch Schulbuchverlage und Agenturen sind in erster Linie Wirtschaftsunternehmen (der Staat?).
Frau Karin Pfeiffer-Stolz hat vollkommen recht, man hat keine Wahl. Ich habe einmal ein Jugendbuch in klassischer Rechtschreibung herausgebracht, Sie können sich denken, was für Folgen das hatte!
Insofern hat Herr Alexander Glück schon Schwein ;-)
PS: Am Fuße einer E-Mail der Nationalbibliothek stand folgender Hinweis:
"Seit dem 29.06.2006 heisst Die Deutsche Bibliothek Deutsche
Nationalbibliothek."
Heysesche Stilblüten in Folge der Rechtschreibreform auch bei den "Größten der Szene".
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.03.2007 um 11.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=805#8047
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Es müßte sich einmal ein Verleger finden, der den Spieß umdreht und ankündigt, Kinder- und Jugendbücher in klassischer Rechtschreibung herauszubringen, als Qualitätssiegel sozusagen. (Das ist hier schon einmal angeregt worden, ich weiß, aber die Zeiten ändern sich, und heute könnte es viel eher funktionieren.)
Meines Wissens ist die Probe aufs Exempel noch nicht gemacht worden. Wären solche Bücher wirklich zum Scheitern verurteilt? Welcher Autor macht mit? Könnte man alte Kinderbücher neu auflegen, an denen keine Rechte mehr bestehen?
Vermutlich würde der Verlag geschnitten. Aber wenn es ein etwas größerer wäre? Kennt jemand jemanden?
Der Gipfel wären natürlich Schulbücher, auf denen als Gütesiegel stünde "Nicht für den Schulgebrauch zugelassen!" Es müßten aber ganz vorzügliche Schulbücher sein, an denen kein Schüler vorbeikommt, wenn er die staatliche Schule überleben will. (Es ist, glaube ich, schon erwähnt worden, daß die Lehrer heute für die häusliche Arbeit ganz offen Bücher empfehlen, die nicht zugelassen sind, sogenannte "Lernhilfen"; der Anfang ist also schon gemacht.)
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Kommentar von Thomas Roediger, verfaßt am 19.03.2007 um 12.49 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=805#8048
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Es handelte sich nicht um irgendein Jugendbuch, es war ein überarbeiteter Nachdruck eines in der DDR erschienenen Bestsellers, der unter anderem von der DEFA verfilmt wurde (wird regelmäßig im Fernsehen ausgestrahlt). Wer würde es wagen, hierbei die Rechtschreibung zu ändern! Den DDR-Jargon behielten wir bei, außer ein paar Änderungen, die die Autorin wünschte, so strichen wir nur "Kolchose" und ähnliches (was eigentlich auch verwerflich war, finde ich heute).
Das Buch kam zum Beispiel nicht in eine Empfehlungsliste für Büchereien, da es kein Deckenband (neudeutsch: Hardcover) ist (Büchereien haben kein Geld für den Buchbinder mehr)! Nicht die inhaltliche Qualität zählt, nein, einzig die Ausstattung (es reicht pro forma ein billiger Pappband, der eh bald zerschlissen ist). Welch Armutszeugnis.
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Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 19.03.2007 um 15.47 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=805#8049
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Die Auswechselung von "Kolchose" gegen politisch Korrekteres oder wie das heute heißen mag ist ohnehin verwerflich, weil sprach- und geschichtsklitternd. Zu DDR-Zeiten konnte man mit Benennungen Position beziehen, was arg wenige taten. Mir ist Karl-Marx-Stadt nie über die Lippen gekommen, und in Dresden bleibt mir der Fürstenplatz eben derselbe und nicht der Fetscher-Platz, weil eben dieser es noch viel weniger verdient hat, nach ihm einen Platz zu benennen, auch wenn heute Neunzigjährige ganz anderer Meinung sind.
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 19.03.2007 um 17.27 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=805#8050
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Für Ausgaben in besserer Rechtschreibung gebe ich Klassikern, die sowohl von Jugendlichen als auch von Erwachsenen gekauft und gelesen werden, größere Marktchancen. Ein Beispiel für schon Vorhandenes: Bozena Nemcová, Die Großmutter, Eine Erzählung aus dem alten Böhmen, manesse im dtv, 2.Auflage Februar 1996 (als "Babicka" die Pflichtlektüre aller tschechischen Schulkinder).
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 19.03.2007 um 18.07 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=805#8052
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Chemnitz wurde "draußen", einschließlich des Schulunterrichts, immer Karl-Marx-Stadt genannt, aber wenn man unter sich war, das heißt, überall dort, wo man Mundart sprach, da hieß es nie anders als, wie schreibe ich das nun am besten, Chams (Aussprache ähnlich wie das englische 'cam' + s).
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Kommentar von Heinz Erich Stiene, verfaßt am 19.03.2007 um 19.13 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=805#8054
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In der Reihe 'Fischer Schatzinsel' erschien 1995 Cornelia Funke, Hinter verzauberten Fenstern. Eine geheimnisvolle Adventsgeschichte. Im Oktober 2002 kam das anscheinend recht erfolgreiche Buch bereits in 9. Auflage heraus. Der Text auf der Umschlagrückseite trägt hier das unmißverständliche Reformsignal: "dass". Auch die verlagseigene Werbung im Anschluß an die Geschichte ist durchgehend reformiert, also "dass", "muss" oder "Lionel wie Karamell". Cornelia Funkes Geschichte selbst aber kommt, o Wunder! ganz in herkömmlicher Rechtschreibung daher.
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 20.03.2007 um 13.07 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=805#8056
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Auch die jetzt gedruckten Kinder- und Jugendbücher können nicht mehr vererbt werden, weil sie in einer "Übergangsrechtschreibung" gedruckt sind, die bald auch nicht mehr der Schulrechtschreibung entsprechen wird. Das ist das Geschäftsmodell der Verlage, denn das frühere Weitervererben war geschäftsschädigend.
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Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 20.03.2007 um 14.33 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=805#8057
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Zum Geschäftsmodell (#8056): Das ist in den USA, wo wir in den Hochschulen viel mehr mit "Textbüchern" arbeiten, die sich die Studenten selber kaufen müssen, schon seit langem gang und gäbe. Alle zwei Jahre so kommt 'ne gleich überholte Auflage heraus. Und den Autoren ist das natürlich auch recht. Sie können bei ihrem Brötchengeber hervorheben, wie erfolgreich ihr Textbuch doch sei. Und der Klett-Verlag, dessen Pons-Großwörterbuch sehr solide war, hat da bei der Rechtschreibverformung natürlich auch gleich gern mitgemacht, obwohl die da vom Sachlichen her doch hätten besser Bescheid wissen müssen. Wenn alle Universitäten ein neues Buch anschaffen müssen, — nun, non olet.
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Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 20.03.2007 um 21.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=805#8059
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Schreibung in Kinder- und Jugendbüchern unterliegt – wie hier ausführlich dargestellt – besonderen Restriktionen bzw. kleinlichster Gängelung. Eine Herausgabe der "Geschichten aus der Murkelei" von Hans Fallada in Neuschrieb würde zu ihrer Verunfallung führen.
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Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 24.03.2007 um 09.18 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=805#8074
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Zum Ritter und zur Ritterin (Georg Kreisler) und dazu, "daß diese besondere Hervorhebung von 'Autorinnen' eine geschlechtliche Herabsetzung impliziert" (Alexander Glück, #8040), in richtigem Deutsch:
"Eine Frankfurter Familienrichterin, die eheliche Gewalt mit Bezug auf den Koran gerechtfertigt hat, ist von einem Scheidungsverfahren abgezogen worden. Das Amtsgericht in Frankfurt am Main gab am Mittwoch einem Befangenheitsantrag einer Rechtsanwältin gegen die Richterin statt. Der Fall werde einem anderen Richter übergeben, hieß es."
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.04.2008 um 09.35 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=805#11840
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Die alten TKKG-Bände sind bei C. Bertelsmann neu erschienen und auf Reformschreibung umgestellt. In Bd. 20 (Das Geheimnis der chinesischen Vase, 2004) sind aber stehengeblieben: Tolpatsch, Rolläden. Falsch ist Montag Früh. Tut mir Leid (passim); wie Recht du hast soll auch nach der Revision von 2006 „korrekt“ sein. Herrn Zehetmair, der das zu verantworten hat, ist es offensichtlich egal.
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Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 02.04.2008 um 10.34 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=805#11845
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Wie auch andere, stelle ich immer wieder fest, daß ich auf diesen Seiten eine Menge lerne. Nun erfahre ich, daß einer meiner Lieblingsautoren von früher (auch wenn's bei mir "Locke und Tom" waren und nicht TKKG) ein Rechtschreibreformgegner war und leider nicht mehr unter uns weilt.
Ich lese im Zusammenhang mit Kinder- und Jugendliteratur immer wieder, daß sich die Verlage weigern, solche Bände in klassischer Orthographie aufzulegen. Das kann ich ja auch verstehen, die Verlage befürchten finanzielle Nachteile, weil besorgte Eltern solche Schriften nicht kaufen und Lehrer abraten könnten.
Warum aber sollten sie das tun? Eltern, die glauben, Bücher in klassischer Orthographie seien giftig, mag es vereinzelt geben, den meisten ist die Orthographie aber herzlich egal. Lehrer sind im allgemeinen froh, wenn die Schüler überhaupt etwas lesen, und sind die Eskapaden der RSR ohnehin leid.
Ich finde es wirklich erstaunlich, daß sich unter den zahllosen Verlagen im deutschsprachigen Raum offenbar nicht einer findet, der mal einen Versuchsballon startet und eine "Classic Edition" oder "Retro-Design-Ausgabe" herausbringt. Die alten Druckfahnen müßten doch noch da sein, und so teuer dürften die Rechte – zumindest von alten Büchern – auch nicht sein.
Sicher: Ein paar Eiferer aus dem KMK-Umfeld würden Zeter und Mordio schreien und nach Kräften versuchen, den Verlag der Kindesmißhandlung zu zeihen. Aber würde das nicht wegen offenkundiger Lächerlichkeit umgehend verpuffen?
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.12.2009 um 18.08 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=805#15337
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Cornelia Funke hat kürzlich den Jacob-Grimm-Preis erhalten, ausdrücklich auch wegen ihres Umgangs mit der deutschen Sprache. Nun, ich hatte seinerzeit aus orthographischem Interesse einen Blick in "Tintenherz" geworfen und außer der unerfreulichen Rechtschreibung auch eine Sprachgestaltung bemerkt, die ich ziemlich grauslich fand. "Prätentiös" wäre wohl der richtige Ausdruck. Alle Personen, auch das zwölfjährige Mädchen, sprechen dieselbe bemühte Bildungssprache. Störender ist, daß Funke anscheinend einen Rat aus Ludwig Reiners' Stilkunst beherzigt hat: Man geht nicht durch Türen, sondern „schiebt sich“ hindurch, „lugt“ durch Fenster, „mustert“ jemanden, „stapft“ usw. – Funkes Lieblingsfloskel ist "nicht sonderlich", auch "unweit" ist beliebt. Es unterlaufen auch viele plumpe Stilfehler von der Art jenes "Ich verschwand im Walde." (z. B. S. 84, 86, 109)
Funkes Bücher sind zu Bestsellern aufgebaut worden und werden ja wohl auch verfilmt. Meine Töchter wollten sie wegen des langweiligen Inhalts nicht lesen, sind allerdings ein bißchen angloman und lesen daher fast nur Englisches.
Ich bin immer wieder bedrückt wegen der totalen Gleichgültigkeit so vieler Menschen, besonders auch Literaturkritiker gegenüber der Sprache. Nur so war es möglich, daß in keiner einzigen Jugendbuchrezension die unglaublichen Folgen der Rechtschreibreform erwähnt wurden, die ich anderswo dokumentiert habe.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.09.2016 um 08.06 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=805#33224
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Stoße zufällig wieder mal auf den einstigen Bestseller-Autor und Deutschlehrer-Liebling Michael Ende. Dessen Verhunzung durch die Rechtschreibreform (Herr Denk hat nachgezählt) ist natürlich eine Schande, aber dazu will ich jetzt nichts sagen.
Ich habe Michael Endes Bücher nie zu Ende lesen können, als meine Kinder sie lasen (ebenso ging es mir mit Cornelia Funke). Die vielgerühmte „Phantasie“, die solche Autoren plakatieren, schien mir zu mühsam und dürftig, als daß sie die Plattheit der Gedanken hätte verbergen können.
Sehen wir uns dazu ein Interview an, aus dem auch Wikipedia zitiert:
ENDE: Ich muß aber sagen, daß ich größte Zweifel habe, ob der, den ich Christus nenne, der gleiche ist, zu dem die christliche Kirche betet. Glauben heißt für mich nicht, sich in einer total diesseitigen, von den Naturwissenschaften beherrschten Welt eine jenseitige Welt vorzustellen, also im islamischen Sinn die Welt Allahs, aus der ab und zu irgendwelche Offenbarungen kommen, sondern mir geht es darum, bereits die Welt, in der wir leben, als eine Offenbarung anzusehen. Ich bin überzeugt, daß es über unserer menschlichen Existenz eine unendliche Hierarchie höherer Intelligenzen gibt, aber nicht, wie Herr von Däniken meint, als Bewohner anderer Sterne, das ist Blödsinn, sondern als das, was man früher Engel und Erzengel nannte.
Werden uns diese Engel vor der Selbstvernichtung bewahren?
ENDE: Daran glaube ich.
Warum sollten die ausgerechnet uns Menschen so wichtig nehmen?
ENDE: Weil die Menschheit der Nabel der Welt ist. Für mich schaut die Welt so aus, daß der gesamte Kosmos wie ein riesiges Amphitheater von Göttern und Dämonen erfüllt ist, die mit atemloser Spannung zuschauen, was wir hier machen. Ich halte uns für den Mittelpunkt des Universums. Wenn ich das nicht mehr glauben könnte, wüßte ich nicht, warum ich überhaupt leben sollte.
(http://www.a-e-m-gmbh.com/andremuller/interview%20mit%20michael%20ende.html)
Ob besagte Deutschlehrer das auch in ihre "Unterrichtsmodelle" aufgenommen haben?
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.08.2017 um 05.22 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=805#35859
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Wie ich zufällig lese, sind die TKKG-Bände "postnazistisch", sexistisch, rassistisch. Ich muß mir meine Töchter noch einmal genauer anschauen.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.12.2019 um 06.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=805#42600
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Wir haben schon gelesen, was Cornelsen über die von Diethard Lübke (gestorben 2015) vereinfachten Klassiker schreibt:
"Jede Textausgabe enthält darüber hinaus vielfältige Zeichnungen und Fotos. Die Fotos sind besonders wichtig bei den Dramen. Sie veranschaulichen die Handlung und wecken spontanes Interesse. Sie eignen sich außerdem dazu, das Textverständnis zu überprüfen (Welche Textstelle wird durch das Foto veranschaulicht? Wer sind die Personen? Worum geht es?)."
Ich habe diese pädagogischen Fragen (die übrigens in sehr vielen englischen und amerikanischen Klassikerausgaben gleich im Anhang stehen und nicht erst in Lehrerhandreichungen) immer abstoßend gefunden. Sie verhindern das identifizierende Lesen, ich meine das wilde Lesen mit heißen Ohren, wie nur Kinder es können. Skinner hat ebenfalls kritisiert, daß die Jugendlichen daran gewöhnt werden, beim Lesen schon die Fragen im Hinterkopf zu haben, die der Lehrer anschließend stellen wird.
Harry Potter ist von vielen Millionen Kindern wild gelesen worden, und wie ich mitbekommen habe, als unsere Töchter noch klein waren, haben sehr viele Mädchen auch Cornelia Funkes "Wilde Hühner" verschlungen. Gut so (auch wenn ich Funke nicht berauschend finde, aber für mich schreibt sie ja auch nicht)!
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