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12.02.2007
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Deutsche Sprachgeschichte – leicht verdüstert
Wilhelm Schmidt: Geschichte der deutschen Sprache. 10. Aufl. von Helmut Langner und Norbert Richard Wolf. Hirzel 2007.
Typographisch fällt auf, daß die Anführungszeichen allesamt oben stehen – im Deutschen recht unüblich.
Schon im Vorwort zur 8. Aufl. 2000 hieß es: „Die neuen Regeln der Orthographie werden in sinnvoller Weise angewendet; das heißt, in wenigen begründeten Fällen – vor allem der Groß- und Kleinschreibung sowie der Getrennt- und Zusammenschreibung – haben wir uns nicht den neuen Vorgaben angeschlossen.“
Es gibt auch einen zurückhaltend formulierten Abschnitt über die Rechtschreibreform.
Es heißt einmal verselbstständigt, sonst nur selbständig usw.
im einzelnen, Nomen agentis (usw.), Strassburger Eide, allgemeingebräuchlich, so genannte/sogenannte, Nuß
Die Kapitel von Ratsmitglied Wolf sind besonders schlampig gedruckt, viele Fehler sind stehengeblieben. Wolf schreibt einmal Orthografie und einmal orthografisch, sonst nur Orthographie, graphisch usw., manchmal sodass, dann wieder so dass, vor Allem, aber seit längerem, bei weitem; der erste, läßt, seßhaft, Drukker, Mannessische Liederhandschrift; es gibt falsche Spatien mitten im Wort, und stellenweise scheinen ganze Wörter oder Satzteile ausgefallen zu sein. Wolf zitiert auch einfachste Sachverhalte und alltägliche Begriffe in der Formulierung anderer Germanisten, so daß der ganze Text wie eine Collage aus Hunderten von Zitaten wirkt.
Das Werk enthält immer noch marxistische Schnörkel aus seiner Entstehungszeit: „dialektisches“ Verhältnis von Sprechen und Denken, objektive „Widersprüche“ der Gesellschaft als Motiv der Veränderung, „verallgemeinerte Widerspiegelung“ und andere Ladenhüter. Über die Sprache der DDR heißt es: „Die gesellschaftlichen Neuerungen auf dem Gebiet der späteren DDR machten es gleich nach Kriegsende erforderlich, eine Fülle neuer Wörter zu bilden, in denen sich der demokratische bzw. sozialistische Charakter des angestrebten Systems widerspiegeln sollte.“ (190) Hat Stalin wirklich den Ostdeutschen die Demokratie bringen wollen? Für die Sprache der BRD sollen englische Entlehnungen wie Jitterbug, Wrigley, Dresge (vielleicht Druckfehler für Dredge?), Plunger, Moisture, Coordinate (für Kleidungsstücke) kennzeichnend sein. Und über die heutige Situation: „Einige Anglizismen, wie high (! gemeint ist wohl hi), by by (!), hello, o.k./okay, all right, super, cool, werden sogar schon in der Sprache von Kleinkindern gebraucht.“ (194) Ich habe noch nie ein Kleinkind all right sagen hören.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.06.2025 um 15.32 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=794#55499
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„Der Wortschatz ist der Teil der Sprache, in dem sich die gesellschaftlichen Veränderungen im Laufe der Geschichte unmittelbar widerspiegeln. Das hängt damit zusammen, daß die Sprache für den Ablauf der Produktion unbedingt nötig ist (so ist sie ja auch entstanden).“ (Ingeborg Seidel-Slotty: Die Bedeutung der Wörter. Halle 1960:4)
Das Büchlein ist sprachwissenschaftlich solide, aber zugleich für die DDR typisch. Daß die Sprache aus der Arbeit (man sagte gern „Produktion“) entstanden sei, wurde ständig wiederholt, nur weil Engels es gesagt hatte. Die Verfasser waren wohl oft zu intellligent und zu gebildet, um es zu glauben, aber gesagt werden mußte es irgendwo. Der Beispielsatz ist: Das hübsche Mädchen aus der LPG reist zu ihrem Bräutigam in die Volksdemokratie Rumänien. Der naheliegenden Kritik am tautologischen Volksdemokratie wird mit dem Hinweis vorgebeugt, das sei dann nicht dialektisch gedacht.
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Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 15.02.2007 um 12.39 Uhr 
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=794#7728
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Die ewige Widerkehr
Besonders freuen sich über die nunmehr 10. Auflage sicher die seinerzeit zur Lektüre des Kompilats von Schmidt Verpflichteten. Bleibt vor dem Hintergrund der zur deutschen Sprachgeschichte vorliegenden neuen und teils profunden Werke die Frage, ob die Neuauflage dem Volk nur die permanente Zugänglichkeit marxistischen bzw. vulgärmaterialistischen Gedankengutes, in halbneu-halbalter Orthographie, sichern soll.
Besonders ergreifend sind by by und das nicht nur in einigen älteren Western und Jerry Cottons, sondern offenbar auch in der deutschen Alltagssprache beheimatete all right.
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Kommentar von Yutaka Nakayama, verfaßt am 13.02.2007 um 14.23 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=794#7718
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Fundstücke aus dem "Taschenwörterbuch der deutschen Sprachgeschichte", verfaßt von K.Ogino/H. Saito, Tokyo 2005:
"Spracheinfluss" neben "Sproßvokal",
"Grimmsches Gesetz", "Manessische Handschrift", "Vernersches Gesetz".
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Kommentar von R. M., verfaßt am 12.02.2007 um 13.36 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=794#7711
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all right bzw. alright ist im Deutschen insgesamt ungebräuchlich, auch unter Erwachsenen.
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