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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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12.02.2007
 

„Stringent“
Zum neuesten Wahrig-Wörterbuch

Wahrig kompakt: Ein Wort – Eine Schreibung. Die WAHRIG-Hausorthografie von A bis Z. Orthografischer Wegweiser für eine einheitliche und stringente Rechtschreibung. Mehr als 50.000 Stichwörter und erklärte Begriffe. Gütersloh/München 2006.

Das Wörterbuch gibt rund 3.000 Empfehlungen, die – wenn man von Stichproben hochrechnet – in etwa 1.000 Fällen von den 3.000 Duden-Empfehlungen abweichen. Gelegentlich widersprechen sie auch den wenigen Empfehlungen im Wahrig-Rechtschreibwörterbuch, das einige Monate zuvor erschienen ist (s. u.).
Die hier empfohlene Rechtschreibung wird als „einheitlich, stringent, konsistent, homogen, sinnorientiert, sinnentsprechend“ bezeichnet. Es wird ausdrücklich angegeben, daß sie für die „Korrektur schulischer Arbeiten o. Ä.“ nicht geeignet ist. Das sind allerdings auch die größeren neuen Rechtschreibwörterbücher von Wahrig und Duden nicht, weil sie die immer noch zu tolerierenden Schreibweisen nicht anführen, die der Lehrer kennen muß, wenn er gerichtsfest korrigieren und benoten will.
Einheitlichkeit durch eine „Hausorthografie“ erreichen zu wollen erscheint von vornherein widersinnig, da der Begriff der Hausorthographie das Partikularistische bereits zum Programm erklärt. Die Duden-Empfehlungen leiden an demselben Widerspruch. Zu beachten ist ferner, daß – dem Zweck des Werkes entsprechend, aber unzureichend erklärt – ein „oder“ nun nicht mehr Schreibvarianten verknüpft, sondern im Gegenteil bedeutungsverschiedene Einträge. So liest man unter „Getrennt- oder (!) Zusammenschreibung: halb staatlich, halb privat; aber: ein halbstaatliches Unternehmen“.

„Das Grundprinzip der WAHRIG-Empfehlungen ist 'klassisch-empirisch'.“ Sie stützen sich auf ein Korpus hauptsächlich von Zeitungstexten: das Saarbrücker Korpus, das von Prof. Manfred Pinkal verwaltet wird. Allerdings wird nicht gesagt, aus welcher Zeit die Belege stammen; die ausgewerteten Zeitungen und Zeitschriften sind früher oder später allesamt auf Reformschreibung umgestellt worden (daher ist z. B. die F.A.Z. nicht ausgewertet, die seinerzeit noch in klassischer Rechtschreibung erschien). Wenn nun aber bei kennenlernen die Zusammenschreibung als empirisch ermittelter Usus angegeben wird (S. 13), dann muß es sich um ältere Jahrgänge handeln, denn gerade hier hat die Reform bis 2004 ganz überwiegend zur Getrenntschreibung geführt, die erst allmählich wieder aufgegeben wird. In welchem Korpus ist überwiegend selbstständig oder aufs Schönste belegt? Das hat es vor der Reform kaum gegeben. (selbstständig wird irrigerweise wieder als Schreibvariante des anders gebildeten selbständig aufgefaßt und empfohlen.) Die Neuschreibungen weichen in so vielen Fällen von der belegten Schreibweise ab, daß die sporadische Berufung auf Häufigkeiten im Korpus deplaziert wirkt. Das Korpus mag belegen, daß Fotografie am häufigsten mit f geschrieben wird (blauer Kasten), es belegt aber sicher nicht, daß das Wort jedesmal überhaupt nicht existiert. Gerade in einem Zeitungskorpus dürfte auch Masurka (Wahrig) nicht annähernd so oft vorkommen wie Mazurka (Duden). Schon beim größeren Wahrig mußte man sich oft wundern, was für ein Korpus es eigentlich sein mag und wie die Auswertung erfolgte.

Resultative Verbzusätze werden zusammengeschrieben, aber wenn einer Zusammenschreibung mit übertragener Bedeutung (Politiker kaltstellen) eine idiomatisierte Resultativverbindung gegenübersteht, wird letztere zur Unterscheidung getrennt geschrieben: ein Getränk kalt stellen. Davon wird z. B., wie schon im Wahrig-Wörterbuch, bloßlegen erfaßt: gerade die buchstäblich resultative Variante soll nun getrennt geschrieben werden, nur weil es daneben noch den übertragenen Gebrauch gibt (Drähte bloß legen, sein Innerstes bloßlegen). Die amtliche Regelung weiß davon nichts, es ist die alte Dudenregel vor der Reform. Wahrig verschärft diesen Ansatz, indem er empfiehlt, matt setzen getrennt zu schreiben, wenn es um Schach geht, sonst aber nur zusammen. In welche Schwierigkeiten man mit der neuen Empfehlung gerät, zeigt das Beispiel leerfegen. Sobald es jemandem einfällt, das Wort übertragen zu gebrauchen (der Arbeitskräftemarkt ist leergefegt), bleibt die Zusammenschreibung dem neuen Gebrauch vorbehalten und die normale Resultativkonstruktion wird wieder getrennt geschrieben! Von solchen Zufälligkeiten kann eine „stringente“ Orthographie nicht abhängig gemacht werden.
Hinzu kommt noch, daß im genau analogen Fall von scharfmachen das Scharfmachen einer Bombe als buchstäbliches Scharfmachen angesehen und daher die Getrenntschreibung vorgeschlagen wird, weil es daneben das idiomatische scharfmachen in bezug auf Hunde gebe (Kasten S. 459). Bei sich satt essen wird gemäß einer nichtamtlichen, von den Wörterbuchredaktionen aber als verbindlich angesehenen Zusatzregel nur Getrenntschreibung angegeben, obwohl es sich um einen Resultativzusatz handelt, und zwar, im Gegensatz zur Meinung der „Handreichungen“ der Geschäftsstelle des Rechtschreibrates, um ein Objektsprädikativ, weil sich überhaupt nicht subjektbezogen sein kann. Daß es auch kein erfragbares Objekt ist, ändert daran nichts. Auch ein rein formales Objekt bleibt ein Objekt (wie z. B. die Form es in der Wendung: es darauf abgesehen haben, es mit den Gegnern halten usw.).

(Hierzu schrieb mir die Redakteurin Sabine Krome am 3.7.2006: »Die WAHRIG-Sprachberatung ist für die Beantwortung von Fragen zur Rechtschreibung, Grammatik und Zeichensetzung zuständig. Ihre E-Mail verstehen wir jedoch nicht als Anfrage an die Sprachberatung, sondern als Kritik an der vom "Rat für deutsche Rechtschreibung" und der KMK beschlossenen Neuregelung 2006 und ihrer Darstellung in der Neuausgabe von "WAHRIG Die deutsche Rechtschreibung" (im Falle des Infokastens zu "satt essen"). "Sich satt essen" schreibt sich nach dieser Regelung im Gegensatz zu "sich kranklachen" getrennt, weil es sich bei dem zweiten Beispiel um eine Zusammensetzung mit einem adjektivischen ersten Bestandteil handelt, die eine neue, idiomatisierte Gesamtbedeutung bildet, welche nicht auf der Basis der Bedeutungen der einzelnen Teile bestimmt werden kann. Die von Ihnen genannte Arbeitsgruppe folgt mit gutem Grund der Auffassung, dass "sich sattessen" ein Subjektsprädikativ ist, weil "sich" bei echt reflexiven Verben kein Objekt darstellt. Daher wird hier ausschließlich getrennt geschrieben, obwohl es sich um ein resultatives Prädikativ handelt. In "WAHRIG Deutsches Wörterbuch" (7. Auflage, 2002) werden die Verbindungen "sich sattsehen" und "sich satthören" als figurativ markiert. Könnte man sich vorstellen, dass ein Kunde auf die Frage des Plattenverkäufers, ob er ein Stück noch einmal anhören wolle, mit "danke, ich bin satt" antwortet? Dieser Fall zeigt zum Beispiel, dass man hier, anders als bei "sich satt essen", durchaus von einer idiomatisierten Gesamtbedeutung sprechen kann. Die Frage, inwiefern die Gesamtbedeutung auf der Basis der Bedeutungen der einzelnen Teile bestimmt werden kann, lässt sich - wie Sie ja selbst wissen - in vielen Fällen nicht leicht beantworten. Dort muss dann eine bestimmte Übereinkunft getroffen werden. Entscheidend für die Darstellung im neuen WAHRIG war, dass diese Schreibweise im amtlichen Wörterverzeichnis eindeutig festgelegt ist. Sie wurde in Abstimmung mit analogen Fällen umfassend diskutiert.«)

reinwaschen müßte als exemplarische Resultativkonstruktion zusammengeschrieben werden; weil es aber ein übertragenes jmdn./sich reinwaschen gibt (hier spielt die Reflexivität anscheinend keine Rolle), wird dieses zusammen- und das wörtliche getrennt geschrieben! sauberwaschen bleibt davon unberührt. Ein Patient wird ruhiggestellt, sein gebrochenes Bein aber ruhig gestellt. In dieser Subtilität sind sich die beiden Wörterbücher einig. Ein weiteres Beispiel für diese neue Komplikation, die den Schreibenden noch viel zu schaffen machen wird: glatthobeln, glattkämmen usw. werden als typische Resultativkonstruktionen zusammengeschrieben, nur glatt bügeln und glatt machen nicht, denn hier existieren zufällig metaphorische Varianten, denen deshalb die Zusammenschreibung vorbehalten bleibt: einen Fehler glattbügeln, eine Geldschuld glattmachen. mürbemachen wäre ein weiteres Beispiel für eine Resultativverbindung, aber weil man nicht nur Teig, sondern auch Menschen mürbemachen kann, wird letzteres zusammengeschrieben und das wörtlich gebrauchte getrennt. Eier werden hartgekocht, Erbsen hingegen weich gekocht, denn nur in diesem Fall gibt es eine übertragene Bedeutung (jemanden weichkochen). (Duden empfiehlt durchweg Getrenntschreibung, was zwar gegen die Sprachentwicklung gerichtet, aber wenigstens konsequent ist.) Während man sich, wie gesagt, satt isst, kann man sich nur kranklachen. Bei kaltmachen ist nicht klar, ob die Zusammenschreibung nur für den übertragenen Gebrauch gelten soll, auf eigene Faust kann es nach dem Gesagten niemand entscheiden.

Diese Ungereimtheiten setzen sich bei den Partizipien fort. Es soll geschrieben werden ein schiefgetretener Absatz, aber ein schief gewickelter Verband, weil es hier noch einen übertragenen Gebrauch gibt, dort aber nicht. Warum aber werden die typischen Resultativkonstruktionen blau färben, weiß streichen usw. allesamt getrennt geschrieben? rot schminken soll getrennt geschrieben werden, ebenso rot gefleckt und rot gestreift, aber rotgeweint und rotglühend zusammen – wo der Duden ebenfall durchweg Getrenntschreibung empfiehlt. § 35 schließt jegliche Zusammenschreibung mit sein aus; die regelwidrige, aber im amtlichen Wörterverzeichnis angeführte Form dagewesen wird kommentarlos empfohlen.
Die nichtamtliche, aber von den Wörterbüchern trotzdem befolgte Regel über Subjekts- und Objektsprädikative wird außerdem durch ein Bündel von drei Ausnahmen gestört: Verbindungen mit fest-, tot- und voll- sollen zusammengeschrieben werden, auch wenn es sich um Subjektsprädikative handelt, daher volllaufen usw. Im Gegensatz zum größeren Wahrig werden jedoch nur spärliche Beispiele angeführt und gar kein zusammenfassender Kommentar.

Wahrig empfiehlt anders als Duden Zusammenschreibung von saubermachen, kann aber bei sauber halten nur die amtlich verordnete Getrenntschreibung registrieren. Bei voneinanderscheiden (mit fragwürdiger Betonung auf dem Zusatz) ist die Zusammenschreibung wohl etwas zu weit getrieben. Auch die von beiden Wörterbüchern empfohlene Zusammenschreibung prallfüllen leuchtet nicht ein.
Verb + Verb soll, ebenfalls „zur Kennzeichnung von Idiomatisierung“, zusammengeschrieben werden: sitzenbleiben (in der Schule), sitzen bleiben (auf dem Stuhl). Dies wäre wieder die alte, 1996 abgeschaffte Dudenvorschrift, nun aber als bloße Empfehlung formuliert und durch die Interpretation in der „Handreichung“ noch erheblich ausgeweitet. Daher stammen die gewöhnungsbedürftigen Neuschreibungen: jemanden schmorenlassen, eine Sache für sich sprechenlassen, die Zügel schleifenlassen, einen Termin platzenlassen, die Kupplung kommenlassen usw. (jeweils wegen des übertragenen Gebrauchs). So soll man auch eine Person sich setzen lassen, Eindrücke jedoch sich setzenlassen. Knifflige Frage: wie steht es mit dem Kaffee? Er „setzt sich“, aber nicht wörtlich … Die neuen Bestimmungen sind so unklar, daß selbst die nachgeschobene „Handreichung“ die Probleme nicht lösen konnte und noch einiges zu tun bleibt.

Bedauerlicherweise empfiehlt Wahrig ebenso wie Duden durchweg Getrenntschreibung bei selbst gebacken usw. Auf sehr feinsinnige Überlegungen gründet sich offenbar die Unterscheidung von selbstklebend und selbst zahlend. Der Eintrag stabil gebaut erklärt sich nur dadurch, daß das größere Wörterbuch auch stabilgebaut als Variante vorsieht. Manchmal hat man den Eindruck, daß die beiden Partizipien unterschiedlich behandelt werden: oben stehend, obengenannt. Der Unterschied zwischen hochstehend und niedrig stehend ist aber so nicht erklärbar.
Das Wörterbuch verzeichnet korrekt die Neuschreibung Rad fahren als einzig zulässige, empfiehlt aber für das Partizip Zusammenschreibung: radfahrend, radschlagend usw., anders als der Duden.
Die Gegenüberstellung „rein Leinen, aber (!): eine reinleinene Tischdecke“ ist irreführend, da die Konstruktionen nicht vergleichbar sind. Rein Leinen gehört in die Reihe: rein Seide, rein Wolle usw. und hat mit dem Adjektiv nichts zu tun. Offen bleibt, ob es prädikativ heißt: Die Tischdecke ist rein leinen.
Der schon erwähnten Beseitigung von jedesmal aus dem deutschen Wortschatz kann sich Wahrig nicht widersetzen, denn hier ist keine Variante vorgesehen, aber wenigstens wird ein paarmal gerettet, während Duden auch hier ein paar Mal empfiehlt. Warum es weiterhin diesmal, manchmal, soundsovielmal geben soll, aber nicht jedesmal, bleibt unerfindlich, aber diese Unklarheit geht auf das Konto der Reformer selbst.

Bei Nominationsstereotypen werde, so die Einleitung, „systematisch die Großschreibung empfohlen: das Schwarze Brett“ usw. Das trifft nicht zu, denn z. B. beim schnellen Brüter empfiehlt Wahrig gegen die Regel und gegen die Empirie Kleinschreibung, Duden hingegen Großschreibung. Wahrig empfiehlt Recht haben, Unrecht haben – ein besonders gravierender Unterschied zum Duden, der die herkömmliche, grammatisch richtige Kleinschreibung vorzieht. Nach Wahrig soll man also schreiben: wie Recht du hast! Das wird sich kaum halten lassen. Bemerkenswerterweise stehen die groß geschriebenen Verwendungen weiterhin unter recht und nicht unter Recht, obwohl sie doch das Substantiv enthalten sollen. Dies alles kann der F.A.Z., die sich nach den Wahrig-Empfehlungen richten will, nicht gefallen, auch nicht, daß sich Wahrig anders als der Duden gegen die traditionelle F.A.Z.-Schreibung Albtraum für Alptraum entschieden hat. Die Großschreibung Pädagogische Hochschule oder Medizinische Fakultät kann so allgemein nicht behauptet werden, in deskriptivem Gebrauch wird weiterhin klein geschrieben. (Übrigens wird die reformbedingte Zusammenschreibung von kleinschreiben und großschreiben nur registriert, aber nicht begründet; sie läßt sich aus den Regeln nicht herleiten, sondern muß als seltsame Ausnahme angesehen werden.)

Wahrig empfiehlt wie Duden Aberhundert Blumen, Abertausend Blumen. Der Eintrag im amtlichen Wörterverzeichnis, der dies ermöglicht, scheint eher einer Unachtsamkeit zu entspringen als einer korrekten Auslegung der entsprechenden Regel. § 58 (6) zielt nämlich nur auf die Zahlsubstantive ab, die aber in den genannten Verbindungen nicht vorliegen können. Übrigens müßte nach derselben Logik auch Hundert Blumen zulässig sein und empfohlen werden, aber das ist bisher nicht der Fall, obwohl die Formulierung im größeren Wahrig es eigentlich schon nahelegt: „Drückt hundert eine unbestimmte Menge aus, kann groß- oder kleingeschrieben werden.“ Demnach wäre korrekt: Du machst immer Hundert Einwände. Solche krassen Fälle werden aber bisher ausgespart.

Bei Tête-à-tête müßte das zweite Substantiv groß geschrieben werden, bei Spaghetti Bolognese hingegen das Adjektiv klein. Diese Fehler sind wie so viele andere aus dem größeren Wörterbuch übernommen. Alle neuen Wörterbücher sind sich einig, daß bei Lupus in fabula und L'art pour l'art das erste Wort und nur dieses groß geschrieben wird, aber nach den Regeln ist es nur schwer nachzuvollziehen.
Während das Wahrig-Rechtschreibwörterbuch besonders für attributen Gebrauch die Zusammenschreibung engbefreundet empfiehlt, lautet die neue Empfehlung nur noch eng befreundet. Es ist unklar, was den Gesinnungswandel innerhalb weniger Wochen ausgelöst hat.
Im blau unterlegten Kasten zu schwer liest man sonderbarerweise:
„Zusammenschreibung: das Kind ist durch den Autounfall schwerbehindert /W/ (= Wahrigempfehlung); Amtsdeutsch aber nur: schwerbehindert“. Ebenso zu schwerbeschädigt. - Wieso „aber“? Des Rätsels Lösung: Im Wahrig-Rechtschreibwörterbuch war an entsprechender Stelle verzeichnet, daß sowohl Getrennt- wie Zusammenschreibung zulässig sei, in der Amtssprache „jedoch“ nur Zusammenschreibung. Auf dieselbe Weise erklären sich die skurrilen Einträge etwa bei besorgniserregend, ekelerregend, menschenverachtend, treibstoffsparend, verdachterregend, verderbenbringend, schönmachen; „eine besorgniserregende Entwicklung; aber nur: besorgniserregender, sehr besorgniserregend“. Immerhin empfiehlt Wahrig in zahlreichen Fällen wie schmutzabweisend, händchenhaltend, respekteinflößend die Zusammenschreibung, während Duden die schwerfälligen Reformschreibungen von 1996 (Schmutz abweisend, Händchen haltend, Respekt einflößend) doch noch durchzusetzen versucht.
übelgelaunt soll zusammengeschrieben werden, schlecht gelaunt dagegen getrennt. Die Unterscheidung zwischen spätgeboren und früh verstorben leuchtet ebenfalls kaum ein, besonders „konsistent“ ist es jedenfalls nicht. Die durchweg empfohlene Getrenntschreibung schwer verständlich usw. bei gleichzeitig angegebener, die Zusammengesetztheit markierender Betonung auf dem ersten Teil ist sprachwidrig. Sogar bei grob fahrlässig wird Betonung auf dem Erstglied angegeben, zugleich aber Getrenntschreibung empfohlen. Wahrig empfiehlt durchgehend vielbeschäftigt usw., während Duden beim reformierten viel beschäftigt bleibt.
Sonderbar sind die ungleichen Angaben: Handvoll, das (!) – Mundvoll, der – Armvoll (ohne Artikel)
Neben der Beethovenschen Sinfonie „Pastorale“ nennt man ein ländliches Musikstück eher das Pastorale, nicht die. Das Kilometer, das Quadratmillimeter usw. sind wohl eher selten. Auch bei Lumberjack ist das neutrale Genus seltsam, Duden kennt nur das Maskulinum.
Mendelssohn-Bartholdy sollte ohne Bindestrich geschrieben werden.
Unter flechten stehen die Vergangenheitsformen von fechten. Der Eintrag zu Kosak sollte grammatisch überarbeitet werden, die Kürzung hat ihm nicht gutgetan. Tribalismus wird als „Zugehörigkeitsgefühl zu einem Stamm“ erklärt; das ist falsches Deutsch nach dem Muster des „Reisebuchs durch Rußland“.
Das Wörterbuch kennt wie die größeren Werke nur Solstitium, obwohl es auch Solstiz gibt und daher eine Variante Solstizium in Erwägung gezogen werden müßte, wie es ja auch bei Justizium der Fall ist (vom Duden empfohlen, im vorliegenden Wahrig nicht verzeichnet). Der von beiden Wörterbuchredaktionen empfohlene Lizenziat (für den Lic. theol.) sieht eher geschäftstüchtig als katholisch aus.
Bei Trichine usw. ist die Aussprache falsch angegeben (mit ach-Laut statt ich-Laut). Septime und Septimenakkord sollen auf der ersten Silbe betont werden, was wohl eher selten vorkommt. Bei Singapur ist die Betonung auf der Endsilbe auch eher selten. Daß Räter mit [tsj] ausgesprochen werden soll, bleibt unverständlich, bis man sich erinnert, daß im großen Wörterbuch hier noch ein Rätier dazwischengestanden hat; dessen Aussprache ist in der Eile stehengeblieben. Der Eintrag zu Madam ist gegenüber dem größeren Wörterbuch so zusammengestrichen, daß sich auch hier widersprüchliche Ausspracheangaben nebeneinander finden. Das lange e in Rebhuhn verdankt sich der volksetymologischen Anlehnung an Rebe, kann aber keine Allgemeingültigkeit beanspruchen. Die Aussprache von Partyservice ist abwegig. Die Angaben unter Magnolie, Lymphdrainage wären ebenfalls zu überprüfen. Diese Fehler stehen alle schon im Rechtschreib-Wahrig.
Es trifft nicht zu, daß von uraufführen nur Partizip und Passiv gebräuchlich seien; nicht nur der Infinitiv kommt oft vor, sondern auch finite Formen: die 'Krakauer Begrüßung', die Pfitzner mit der 'Philharmonie des Generalgouvernements' uraufführte … (SZ 6.7.1996). Ähnliches gilt für andere rückgebildete Verben wie rückfragen, rückkoppeln, rückübersetzen, rückvergüten, ferner Probe singen/schreiben, leisetreten. Wahrig empfiehlt brustschwimmen, delfinschwimmen, aber nur schwimmt Brust, schwimmt Delfin; andererseits Marathon laufen, obwohl die Neuregelung auch marathonlaufen vorsieht. Duden hält es in diesem Punkt ebenso; beide versuchen mit den äußerst unklaren revidierten Regeln zurechtzukommen. Sicherheitshalber gibt es zu Marathon laufen gleich noch einen zweiten Eintrag.

PC wird als „Personalcomputer“ erklärt, aber dieses Wort soll es gar nicht geben, nur Personal Computer. perlmuttern soll „aus Perlmutter“ heißen, aber dieses Wort ist der Kürzung zum Opfer gefallen. Lesbierin wird als Lesbe erklärt, auch dieses Wort fehlt. Die Erläuterung zu übergehen („wechseln [Methoden]“) ist mir unverständlich. Der Eintrag u. A. w. g. ist mißlungen: das g ist kursiv gesetzt, und der Punkt dahinter fehlt.

Bedeutungsangaben sind unsystematisch über den Text verstreut. Sie dienen keinesfalls, wie es denkbar wäre, der Disambiguierung, sonst müßte beispielsweise bei schrubben und schruppen etwas zu finden sein. Man soll Markise und Marquise unterscheiden, es wird aber kein Hinweis gegeben, was jeweils gemeint ist. Bei Lithurgik und Liturgik, Kardätsche und Kartätsche wären differenzierende Angaben dringend notwendig. Serviertochter und Shagpfeife werden erklärt, Serife nicht, und bei Sezessionskrieg oder Pleuelstange wird die Auskuft geradezu enzyklopädisch. Unter Marillenknödel findet man beinahe das ganze Rezept, aber was ist Mäeutik? Manchmal fällt das Ungleichgewicht besonders in die Augen: Spargel ('eine Gemüsepflanze'), sorglos ('sich keine Sorgen machend') und Specht ('ein Vogel') werden erklärt, Spekulum, Spinnaker oder Stagediving aber nicht. Man könnte Tausende von ähnlichen Fällen anführen. Sehr oft wird nur der Bereich angegeben, dem ein Wort zugehört: „Plotter EDV“, „Plebejer im alten Rom“ usw. Je nach Bearbeiter scheinen auch verschiedene Wörterbuchabschnitte unterschiedlich dicht mit Bedeutungsangaben versehen zu sein, vgl. z. B. die besonders dicht bestückten Seiten 299 ff.

Textkorpus wird als „(digitale) Sammlung von Texten“ definiert; der eingeklammerte Zusatz ist irrelevant. Muß bei Styrol erwähnt werden, daß es wie Benzin riecht? Der Haemoccult-Test® (empfohlene Schreibweise, aber welche andere käme bei diesem Warenzeichen in Frage?) ist keine „Blutuntersuchung zur Krebsvorsorge“. hasenrein heißt nicht „verdächtig“, sondern das Gegenteil davon. Homo Faber wird ungenau als „technisch begabter Mensch“ erklärt.

Sagt man wirklich das Trademark? Duden kennt hier nur feminines Genus. Stainless Steel gehört in ein englisches Wörterbuch, ebenso Meet and Greet (dem übrigens ein anders geschriebenes Plug and play gegenübersteht). Von Sweater, Quorum und Primerate soll es keinen Plural geben, von Synthetics keinen Singular; all das trifft offensichtlich nicht zu. Daß Radium, Levitikus („das dritte Buch Mose“), die Knesset oder das Pentagon, als Bezeichnung für das amerikanische Verteidigungsministerium, keinen Plural haben, versteht sich von selbst, aber wie heißt der Plural von Radix? Was bedeutet „Pl.“ hinter Korbblütler, Rachenblütler? Es gibt wie im Rechtschreib-Wahrig einen eigenen Eintrag Reges, aber beim Grundwort Rex ist der Plural weggefallen. Ähnlich verhält es sich mit Pater, Patres. Aus unerfindlichen Gründen werden Miszellen nur im Plural angeführt. pink und türkis werden zu Unrecht als unflektierbar bezeichnet, vgl. ein türkises Schlummerlicht (SZ 27.1.2007) und viele weitere Belege. Auf die Mousse folgt sogleich das Mousse au Chocolat.
Bei Ragoût fin fehlt das W, denn auch die Schreibweise ohne Zirkumflex ist zulässig und wird vom Duden sogar empfohlen. Bei Polysacharid/-saccharid ist die Kennzeichnung fachsprachlicher Schreibweise vertauscht, vgl. dagegen den Eintrag Sacharid. Wahrig empfiehlt Konvoi; es ist nicht zu erkennen, gegen welche Alternativschreibung sich diese Empfehlung richten könnte.
Wahrig empfiehlt Hämorrhoiden, Duden erwartungsgemäß Hämorriden (mit dem nunmehr unerklärlichen Doppel-r); beide eint der Irrtum, daß es sich hier um orthographische Varianten handele und es überhaupt etwas zu „empfehlen“ gebe. Oxid, oxidieren, Kohlenmonoxid usw. sind als empfohlene Varianten gekennzeichnet, offenbar in Abgrenzung gegen das immer noch zulässige nichtfachliche Oxyd. Aber warum fehlt die entsprechende Kennzeichnung bei Kohlendioxid? Wie weit der Variantenbegriff des Wörterbuchs reicht, zeigt das „empfohlene“ Kohlenhydrat (gegenüber nicht mehr verzeichnetem Kohlehydrat).

Die Silbentrennung kann nicht überzeugen. Es soll tri-ploid, aber Trip-tychon getrennt werden, Ot-algie, aber Neu-ralgie, Mis-anthrop, aber Phi-lanthrop, Syn-ästhesie, aber Ki-nästhesie. In unzähligen Fällen werden die morphologischen, sinngemäßen Trennungen gar nicht mehr angeführt; man findet also ausschließlich Res-taurant, Res-triktion (aber Kon-striktion), Sy-nekdoche, Pithe-kanthropus, Pro-senchym, Koleop-tere usw. Diese Auswahl ist nicht als besondere Empfehlung gekennzeichnet, man könnte also meinen, daß es hier überhaupt keine Wahlmöglichkeit gebe. In Wirklichkeit ist daher die Zahl der Wahrig-Empfehlungen viel größer als die offen ausgewiesene. Was für eine „Kopie“ mag die Rektos-kopie sein? Bei Mikroskopie bleibt diese Trennmöglichkeit außer Betracht. Warum sollte man Trennungen wie retros-pektiv überhaupt in Erwägung ziehen? Die neue Trennung von st führt zur mechanischen, nicht eben sinnvollen Aufspaltung Piedes-tal und sogar Metas-tase. Dies werden die Medizinier gewiß nicht übernehmen. To-ilette führen alle neuen Wörterbücher an, eine ganz überflüssige „Erleichterung“. Die Trennung Gu-angdong ist recht unzivilisiert, da Guang einsilbig ist. Die Nachrichtensprecher bemühen sich allmählich um eine halbwegs korrekte Wiedergabe des Chinesischen, nur Wörterbücher wie das vorliegende geben noch Jangtseki-ang an (immerhin wird Hwang-ho empfohlen).

Stendel/Ständel(wurz) ist gar nicht erst eingetragen. Angesichts der vielen, zum Teil recht entlegenen Fachausdrücke verwundert das Fehlen von Pantograph und Paraphe, paraphieren. Warum Hartz, Peter („ehem. Personalschef von VW“) überhaupt zu Wörterbuchehren gekommen ist, erfährt man nur im Duden. Hardcore ist gewiß auch ein Ausdruck aus der Physik, aber zuerst denkt man dabei wohl an etwas anderes.

Trotz aller Schwächen ist das Wörterbuch ein weiterer Schritt auf dem Weg zurück. Manches erledigt sich gleichsam von selbst. So denkt zum Beispiel niemand daran, den feinen Pfannkuchen anders als Crêpe zu nennen. In diesem und anderen Fällen sind sich Wahrig und Duden einig; nur die Schüler „dürfen“ Krepp schreiben, aber es wird ihnen nichts nutzen, wenn man sie gegen die Welt der Erwachsenen erzieht.

Das Erscheinen dieses Wörterbuchs überrascht, denn als der Dudenverlag mit seinen Empfehlungen hervorgetreten war, hatte der Vorsitzende des Rechtschreibrates verärgert reagiert, und auf der nächsten Ratssitzung wurde die Vorgehensweise des Duden heftig diskutiert:
„In seiner Sitzung am vergangenen Freitag hat der Rat für deutsche Rechtschreibung die neue Duden-Ausgabe kritisiert: 'Es ist nicht Intention des Rates, dass vom Rat beschlossene Varianten in den allgemeinen Wörterbüchern durch Empfehlungen nur einer Variante eingeschränkt werden', sagte Zehetmair den Medien.“ (Börsenblatt 25.9.2006) Das nun vorgelegte Wörterbuch ist zwar kein „allgemeines“, strebt aber gleichwohl die Wirkung eines allgemeinen Rechtschreibwörterbuchs an: die deutsche Rechtschreibung in einer bestimmten Weise zu vereinheitlichen. Seine Unzulänglichkeiten und die Unterschiede zum Duden machen eine weitere Beschäftigung des Rechtschreibrates mit der deutschen Orthographie unumgänglich.



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Kommentare zu »„Stringent“«
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Kommentar von Ivan Panchenko, verfaßt am 30.04.2022 um 22.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#49038

PC wird als ‚Personalcomputer‘ erklärt, aber dieses Wort soll es gar nicht geben, nur Personal Computer.“

Im Rechtschreibduden von 1991 findet sich „Per|so|nal‿ab|bau“ mit unterstrichenem a und dazu unter anderem „…com|pu|ter“, das Personal- wird hier also deutsch statt englisch ausgesprochen. Diese Konstruktion ist natürlich immer noch zusammenzuschreiben, das amtliche Wörterverzeichnis kennt sie einfach nur nicht, stattdessen Personal Computer, was vollständig aus dem Englischen entlehnt ist. (Es wäre allerdings freilich konsequent gewesen, Personalcomputer als Stichwort in diesen Wahrig aufzunehmen, wenn schon PC damit erklärt wird.)

Personalcomputer [pɛrzoˈnaːlkɔmˌpjuːtɐ]
Personal Computer [ˌpøːɐ̯sənəl kɔmˈpjuːtɐ]
 
 

Kommentar von Ivan Panchenko, verfaßt am 19.01.2020 um 18.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#42788

Stellungnahme von Dr. Bopp (canoonet) zu Tête-à-Tête: „Die Kleinschreibung des zweiten ‚tête‘, wie sie im amtlichen Wörterverzeichnis steht, kann dadurch begründet sein, dass ‚tête à tête‘ im Französischen eine adverbiale Wendung ist und dass Substantive gemäß §55 E2 in fremdsprachigen adverbialen Wendungen kleingeschrieben werden. Die[s] gilt auch, wenn die adverbiale Wendung substantiviert ist. […] Im Gegensatz zu ‚à discrétion‘ […] ist ‚tête à tête‘ […] im Deutschen aber veraltet/unüblich. Canoonet und offenbar auch andere Wörterbücher geben deshalb die Großschreibung des zweiten ‚Tête‘ an. Es ist aber so, dass wir auch angeben sollten, welches die Schreibung in der amtlichen Wörterliste ist.“

Andererseits akzeptiert Duden neben Printing-on-Demand auch Printing-on-demand, vielleicht weil das keine Wortgruppe ist (in § 55(3) geht es um mehrteilige Fügungen und unter einer Fügung wird ja oft eine Wortgruppe verstanden, doch wenn da schon extra „mehrteilig“ steht, geht es vielleicht allgemein um Konstruktionen aus mehreren Teilen), sondern ein einzelnes Wort (man beachte die Bindestriche). Bopp lieferte eine andere Begründung: „In ‚on demand‘ ist ‚demand‘ ein Substantiv (-> Großschreibung ‚Printing-on-Demand‘). Man könnte aber auch argumentieren, dass ‚on demand‘ eine adverbiale Wendung ist (-> Kleinschreibung ‚Printing-on-demand‘), wofür wir aber nicht plädieren. Es gäbe auch Argumente für die Getrenntschreibung ‚Printing on Demand‘ und ‚Printing on demand‘.“

Ich plädiere für Getrenntschreibung, im Englischen kann man zwar print-on-demand service schreiben (attributive Verwendung), schreibt aber print on demand. Rock and Roll soll im Deutschen doch auch nicht mit Bindestrichen geschrieben werden. Printing on demand mit demand in Kleinschreibung wäre konstruierbar aus Printing als einzeln entlehntes Wort und on demand, was aber nicht so naheliegend ist, Printing ist kein so geläufiger Anglizismus. (Klarstellung zu #42505: Duden online hat Face-to-Face-Kommunikation, im Rechtschreibduden ist das Wort nicht verzeichnet.)

Bei die oberen zehntausend/Zehntausend habe ich zu kurz gedacht, man könnte durchaus von den oberen zehntausendEN reden (die paar zehntausend im oberen Bereich), wobei Nathaniel Parker Willis von the upper ten thousand statt von the upper tens of thousands sprach und die letztgenannte Variante im Englischen seltener ist. Dennoch: Wenn ich die oberen zehntausend ohne weitere Qualifikation wie paar gebrauche, dann kann zehntausend doch gar nicht für mehrere zehntausend (unbestimmtes Vielfaches von 10 000) stehen, sondern nur für 10 000, oder? Wenn das so ist (ansonsten wäre das ja mehrdeutig), steht die Schreibweise die oberen Zehntausend in reformierter Rechtschreibung auf wackeligen Füßen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.12.2019 um 15.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#42559

Wie gesagt, prallfüllen ist praktisch nicht belegt. (Um nicht mit reinen Wörterbucheinträgen belästigt zu werden, gibt man als Suchform am besten finite Formen ein, etwa prallfüllte.)

Übrigens fehlt prall neuerdings im amtlichen Wörterverzeichnis.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.12.2019 um 15.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#42558

In diesem Wörterbuch steht korrekterweise, daß es für die „Korrektur schulischer Arbeiten o. Ä.“ nicht geeignet sei. Bedenkt man, daß die Neuregelung eine reine Schulorthographie ist, klingt das aber doch recht komisch.
Nun, das ist wegen der permanenten Revision Schnee von gestern. (Bei Amazon kann man es für 97 Cent noch erwerben.)
 
 

Kommentar von Ivan Panchenko, verfaßt am 30.11.2019 um 00.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#42505

„Bei Tête-à-tête müßte das zweite Substantiv groß geschrieben werden, bei Spaghetti Bolognese hingegen das Adjektiv klein. Diese Fehler sind wie so viele andere aus dem größeren Wörterbuch übernommen.“

Tête-à-tête und Tete-a-tete stehen im amtlichen Wörterverzeichnis (übrigens auch im ÖWB in der 43. Auflage), daher ist dem Wahrig hier kein Fehler anzulasten. Ist aber der Eintrag im amtlichen Wörterverzeichnis konsequent? In der Fügung Tête à Tête würde für das zweite Tête nach § 55(3) Großschreibung gelten, Tête-à-Tête ließe sich als direkte Entlehnung aus französisch tête-à-tête (Substantivierung der Adverbphrase tête à tête) begründen, Tête-à-tête kann aber als Substantivierung des deutschen Adverbs tête-à-tête angesehen werden. Im Großen Wörterbuch der deutschen Sprache und dem Wahrig Fremdwörterlexikon (beide unter wissen.de) findet sich Tête-à-tête, andererseits Fil-à-Fil, mir ist aber auch kein Adverb fil-à-fil im Deutschen bekannt.

In einigen Quellen ist die Sache verzerrt dargestellt: Der Duden hat Tête-à-Tête/Tete-a-Tete, das Online-Rechtschreibwörterbuch von PONS ebenfalls, dafür ein Tete-a-tete mit jemandem haben, in der korrekturen.de-Wortliste findet sich „Tête-à-tête / Tete-a-tete“ in der Spalte „Reformschreibung 1996 bis 2004/2006“, aber „Tête-à-Tête / Tête-à-tête / Tete-a-Tete / Tete-a-tete“ in der Spalte „Heutige Rechtschreibung seit 2004/2006“, obwohl Tête-à-Tête/Tete-a-Tete im amtlichen Regelwerk nach wie vor NICHT verzeichnet ist, canoonet ordnet Tête-à-tête als „[a]lt, nach Reform ungültig“ ein, das DWDS-Wörterbuch als ungültige Schreibung, auch Rechtschreibung für Dummies führt Tête-à-Tête – Rechtschreibung für Dummköpfe eben. Die SOK führt Tête-à-Tête/Tete-a-Tete unter „R06“ und empfiehlt davon abweichend die traditionelle Schreibung.

Der Duden schreibt Face-to-Face-Kommunikation, jedoch gibt es im Englischen neben face to face auch das Adjektiv face-to-face (much workplace communication is face-to-face), daher spricht auch in Reformschrieb, soweit ich das sehe, nichts gegen Face-to-face-Kommunikation, man könnte ja auch face-to-face kommunizieren schreiben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.11.2019 um 06.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#42482

Man könnte auf die Belege hinweisen und sich logische Erörterungen sparen. Als ich mein Wörterbuch machte, fand ich die ersten acht und die oberen Zehntausend als übliche Schreibweisen vor und habe das selbstverständlich so aufgenommen.
Die Intuition läßt sich aber auch begründen. Das erste wird fast immer pronominal gebraucht, das zweite substantivisch. Was ist damit gemeint?
Man nennt eine Grundmenge und bezieht sich selektierend darauf zurück. Die ersten acht sind also fast nie die dem Range nach ersten Acht, sondern einfach numerisch die ersten acht Abgezählten.
Die oberen Zehntausend zählt man nicht ab und stoppt bei 10000, sondern man meint einfach die Elite, eine Klasse.
Das ist alles täppisch genug ausgedrückt, aber so ungefähr dürfte man es empfinden.
 
 

Kommentar von Ivan Panchenko, verfaßt am 26.11.2019 um 19.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#42480

Vor der Reform galt nach Duden die ersten drei, aber die oberen Zehntausend, dies empfinde ich als inkonsequent.

Heute führt der Duden zehntausend hier sowohl in Klein- als auch in Großschreibung und empfiehlt Großschreibung, doch selbst unter der Annahme, Aberhundert (was ja im amtlichen Wörterverzeichnis steht) sei im „Singular“ zulässig, ist es problematisch, per Analogie auf die Zulässigkeit von die oberen Zehntausend mit Zehntausend im „Singular“ zu schließen, denn in wörtlicher Bedeutung ist zehntausend anders als aberhundert keine vage Mengenangabe, in der Tat steht in § 58 E5 in Klammern „nicht in Ziffern schreibbare“, es kann aber doch die oberen 10 000 geschrieben werden, auch wenn es hier nicht um Exaktheit geht.

Als Begründung von Aberhundert habe ich noch in Betracht gezogen, Aberhundert könne wie Tausend in mehrere Tausend als Pluralform analysiert werden, bei die oberen zehntausend steht aber gerade die Kleinheit der Zahl im Vordergrund, man wird wohl kaum die oberen zehntausenden sagen wollen.
 
 

Kommentar von Ivan Panchenko, verfaßt am 07.11.2019 um 09.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#42366

Noch etwas zu aberhundert:

Daß „hundert und aber hundert“ usw. nicht mehr möglich sein soll, scheint mir nicht so sicher. Das Schweigen des amtlichen Wörterverzeichnisses allein zieht Wörter noch nicht aus dem Verkehr. Aberhunderte gab es daneben schon immer.

Im Eintrag zum Adverb aber hat canoonet als Beispiel in der Tat tausend und aber tausend (= tausend und abermals tausend). Es gibt getrennt geschriebenes aber in der Wendung aber und abermals, wer aber so für die Zulässigkeit der Schreibweise aber und aber tausend argumentiert, könnte auch argumentieren, anstelle von dasselbe könne auch das selbe geschrieben werden, da ja auch jenes selbe geschrieben werden kann, und anstelle von stattdessen reformiert immer noch statt dessen, da es dessen nicht nur als Relativ-, sondern auch als Demonstrativpronomen gibt. (Übrigens sind gelegentlich Schreibweisen der Art 967 Tausend anzutreffen – analog zu größeren Tausenderpotenzen: x Millionen etc. –, tatsächlich kann ja mehrere tausend geschrieben werden, in Reformschreibung auch mehrere Tausend.)

Als Adverb ist aber in der Gegenwartssprache auf feste Wendungen beschränkt. Wenn zwar aberhundert erwähnt wird, aber nicht aber hundert, dann ist es nicht sehr abwegig, das als Verbot zu werten.
 
 

Kommentar von Ivan Panchenko, verfaßt am 22.10.2019 um 20.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#42291

Zu Hundert und Aberhundert: Im amtlichen Regelwerk findet sich auch „zigtausend[e], Zigtausend[e]“ mit Verweis auf § 58 E5, Duden und Wahrig („Ein Wort – eine Schreibung“) empfehlen Zigtausend gegenüber zigtausend. Selbst eine wörtliche Auslegung der Regel gibt das nicht her, denn da geht es speziell um Hundert, Tausend und („[e]ntsprechend auch“) Dutzend. Zwar bezeichnet zigtausend eine unbestimmte Menge, das rührt aber von zig und nicht von tausend – oder soll etwa auch „mehr als Hundert“ zulässig sein, weil die Mengenangabe insgesamt ungenau ist? Das ist doch absurd.

Gut, im Regelwortlaut steht in Klammern „nicht in Ziffern schreibbare“ und man wird kaum „100 und aberhundert“* schreiben, aber auch wenn es stilistisch unschön wäre, die Zahl in dieser Wendung in Ziffern zu schreiben, gibt die Wortform an sich dennoch eine in Ziffern schreibbare Menge an (bei der Beurteilung, ob etwas für eine unbestimmte Menge steht, gehe ich von einer wörtlichen Interpretation aus).

Als Rechtfertigung kam mir noch in den Sinn, Aberhundert könne wie Tausend in mehrere Tausend als Pluralform analysiert werden (wobei mehrere eben nicht auftritt). Andererseits: Kann man anstelle von „Wir tranken mehrere Glas Wein“ wirklich „Wir tranken Glas Wein“ sagen? Jedenfalls könnte nach dieser Denke dann auch Hundert Blumen anstelle von mehrere Hundert Blumen geschrieben werden.

* Belegstelle (in Google Books steht übrigens „Mathias-Grünewald-Verlag“, obwohl der Verlag mit zwei t geschrieben wird: „Matthias-Grünewald-Verlag“): https://books.google.de/books?id=wzbZAAAAMAAJ&q=%22100+und+aberhundert%22
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.01.2017 um 07.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#34205

Bemerkenswert ist auch, daß Krome in jener Mail nicht zwischen "figurativ" und "idiomatisch" unterscheidet und den großen Schnitt zwischen wörtlich und figurativ/idiomatisch legt. Daher ist bis zum heutigen Tage satt essen, aber sattsehen zu schreiben. Das widerspricht natürlich jeder Intuition und Logik, es ist der auch von Eisenberg forcierte Fimmel mit der "neuen Gesamtbedeutung" usw., also genau jene feinsinnige semantische Begründung, von der die Reform ursprünglich und ganz mit Recht abrücken wollte (wenn auch manchmal mit falschen Ergebnissen, weil falschen formalen Kriterien). Zur GKS bei festen Verbindungen schlägt der dritte Bericht nun vor, den Schnitt an eine andere Stelle zu legen: Figurativer Gebrauch wird ausdrücklich nicht mehr durch die Schreibweise vom wörtlichen unterschieden, wohl aber idiomatischer. Ich habe schon gezeigt, welche neue Begriffsverwirrung zugrunde liegt.

Daß jemand, der sich satt gesehen hat, nicht einfach sagen kann, er sei satt, hat einen ganz anderen Grund als den angeführten. Auch arm kann man nicht einfach so sagen, wenn man nicht den Mangel an Geld meint. Ist jemand durch den Louvre gegangen, kann er durchaus sagen, er sei satt vom Sehen. Ebenso bei kranklachen: Ich bin krank vom Lachen), aber nicht einfach Ich bin krank.

Der ganze Vorgang ist sehr bezeichnend. Man sieht richtig, wie die Ratsmitglieder (d. h. einige wenige) hin und her schwanken. Orientierten sie sich endlich wirklich am Sprachgebrauch, wüßten sie, was sie zu tun hätten.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 31.12.2016 um 23.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#34203

In "blau streichen" könnte "blau" auch der Zustand des Anstreichers sein. "blaustreichen" wäre eindeutig (für den Leser).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.12.2016 um 18.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#34201

Im Haupteintrag hatte ich aus einem Brief von Sabine Krome zitiert:

Die von Ihnen genannte Arbeitsgruppe folgt mit gutem Grund der Auffassung, dass "sich sattessen" ein Subjektsprädikativ ist, weil "sich" bei echt reflexiven Verben kein Objekt darstellt.

Bisher haben alle Grammatiken in ich esse mich satt einen Objektsakkusativ gesehen. Ich nenne stellvertretend Blatz (II 336):

"Wie machen lassen auch andere Verba, die in prägnanter Bedeutung ein Machen, Bewirken in sich schließen, einen reinen Prädikatsakkusativ in der Form eines flexionslosen Adjektivs zu, z. B. Sich tot lachen (= durch Lachen tot machen). (...) sich satt essen, sich müde arbeiten; er hält ihn warm.)

Blatz unterscheidet mit Recht nicht zwischen an sich transitiven und intransitiven Verben. Es geht nämlich nicht darum, ob ein Prädikativ zu etwas sieden (blau), etwas mahlen (klein) usw. hinzutritt, sondern es geht umgekehrt um blau sieden, klein mahlen, wozu dann noch ein Objekt hinzutritt, daher auch die Reihenfolge. Also gegen Eisenberg nicht: den Zaun streichen – und zwar blau, sondern blau streichen – und zwar den Zaun.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.01.2016 um 09.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#31437

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7709

Mütter sollen schon im „Kreissaal“ damit anfangen, ihren Kindern Lieder vorzusingen. (FAS 24.1.16)

"Kreissaal ist eine alte Schreibweise von Kreißsaal. Sie ist seit der Reform von 1996 nicht mehr korrekt." (Wiktionary)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.12.2015 um 20.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#30901

Den "Adjunktor" gibt es in der IDS-Grammatik und ihrem Umkreis:

„Kopf einer ADJUNKTORPHRASE ist ein Adjunktor (als, wie), der eine NP, eine PROP, eine PP, eine ADJP/ADVP zu einem Adjunkt macht. Insbesondere bildet sie das Komplement eines Kopulaverbs, fungiert also als Prädikativ (Das ist wie Balsam). Neben der prädikativen Funktion hat die Adjunktorphrase Funktionen als Modifikator (Hans/ich als Kunde; schlau wie Oskar).“ (IDS-Grammatik, 1997 (Bd. 1):79)


Es ist die Frage, ob das überhaupt "Phrasen" sind. Bemerkenswerterweise kann man sie nicht erfragen, ohne das als oder wie schon in der Frage unterzubringen.
 
 

Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 04.09.2014 um 22.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#26659

Die PDF-Datei von Wahrigs "Ein Wort – eine Schreibung" ist im Web-Archiv gespeichert und kann z.B. unter http://web.archive.org/web/20101129190122/http://wissenmedia.de/.files/pdf/wahrig/978-3-577-07567-1.pdf abgerufen werden (ca. 60 MB).
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 15.04.2013 um 16.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#22996

zu "Saint-Priest la Roche":

Ich befinde mich gerade in Sankt Leon-Rot.
Die Gemeinde entstand im Zuge der Gemeindereform aus den beiden einst selbständigen Orten Rot und Sankt Leon. (nach www.st-leon-rot.de)

Nicht gerade ein deutlicher Unterschied hinsichtlich des Bindestrichs.
 
 

Kommentar von Helmut Steffens, verfaßt am 15.04.2013 um 15.36 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#22995

Zitat:

"Wenn man analog zum Isländischen und Russischen "Mendelssohn" nur als Abstammungsbezeichnung vor dem eigentlichen Familiennamen ansieht, wäre kein Bindestrich nötig"

Welchen Grund gibt es, für die Rechtschreibregeln der deutschen Sprache Regeln einer anderen Sprache als Grundlage anzusehen?

Im Französischen heißt es beispielsweise "Saint-Priest la Roche", und diese dem Französischen eigene Syntax unterscheidet sich deutlich von der des Deutschen.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 15.04.2013 um 15.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#22994

Wenn man analog zum Isländischen und Russischen "Mendelssohn" nur als Abstammungsbezeichnung vor dem eigentlichen Familiennamen ansieht, wäre kein Bindestrich nötig.
 
 

Kommentar von Helmut Steffens, verfaßt am 15.04.2013 um 14.09 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#22992

Zitat: "Mendelssohn-Bartholdy sollte ohne Bindestrich geschrieben werden".

Wieso? Lagen alle Lexika, auch Musiklexia und der Duden, bisher falsch?

Momentan schwindet die Kenntnis über die Bindestrich-Regelung in dramatischem Maße, und wenn selbst die "Johann Wolfgang von Goethe-Univeristät" und die "Anna Amalia Bibliothek" (seltsamer Nachname – wer heißt schon "Bibliothek"?) diese Regel souverän mißachten, frage ich mich, wieso überhaupt noch Rechtschreibregeln beachtet werden sollen.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 07.01.2013 um 12.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#22286

Um Zahlwörter, auch unbestimmte, eindeutig als Substantive zu kennzeichnen, wäre die Wiedereinführung des Genitivus partitivus nach diesen sinnvoll.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 07.01.2013 um 10.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#22285

Zitat aus Professor Icklers Rezension:

Wahrig empfiehlt wie Duden Aberhundert Blumen, Abertausend Blumen. Der Eintrag im amtlichen Wörterverzeichnis, der dies ermöglicht, scheint eher einer Unachtsamkeit zu entspringen als einer korrekten Auslegung der entsprechenden Regel. § 58 (6) zielt nämlich nur auf die Zahlsubstantive ab, die aber in den genannten Verbindungen nicht vorliegen können. Übrigens müßte nach derselben Logik auch Hundert Blumen zulässig sein und empfohlen werden, aber das ist bisher nicht der Fall, obwohl die Formulierung im größeren Wahrig es eigentlich schon nahelegt: „Drückt hundert eine unbestimmte Menge aus, kann groß- oder kleingeschrieben werden.“ Demnach wäre korrekt: Du machst immer Hundert Einwände. Solche krassen Fälle werden aber bisher ausgespart.

––

Dieser Unsinn wird auch vom Duden nicht bewältigt, wie auch? Man kann sich es bei Duden online ansehen. Da wird zunächst aufgespalten in drei Einträge: hundert (Zahlwort), Hundert (Substantiv), Hundert (hier geht es um das substantivierte Zahlwort die Hundert). Das erstere Hundert wird noch einmal aufgespalten in zwei Bedeutungen, von denen die zweite hier relevant ist: "unbestimmte, unübersehbare Anzahl in der Größenordnung von einigen Hundert". Dieses Hundert ist angeblich ein Pluraletantum. Das leuchtet ja bei einem beliebigen Beispiel wie Hunderte Sterne zunächst auch ein.

Wie kommen wir nun aber zur ebenfalls möglichen Kleinschreibung? Von ihr ist bei diesem Eintrag Hundert nicht ausdrücklich die Rede – logisch, da geht es ja um ein Substantiv. Dennoch wird bei den Beispielen stets auch die Kleinschreibung angeboten. Merkwürdig. Sieht man beim Eintrag hundert (Zahlwort) nach, wird dort fröhlich behauptet (in Übereinstimmung mit dem Regelwerk), es sei sowohl Klein- als auch Großschreibung möglich, also z. B.
ein paar Hundert oder hundert
Weiteres Beispiel:
Hundert und Aberhundert oder hundert und aberhundert Sterne
(Duden empfiehlt durchgängig die Großschreibung)

Das eröffnet dem Leser die Möglichkeit zu höherer grammatischer Verwirrung. Man fragt sich, was der Unterschied zwischen dem hier großgeschriebenen Zahlwort und dem verdammt ähnlichen Substantiv Hundert sein soll, das im nächsten Eintrag abgehandelt wird. Genau dasselbe kann es wohl nicht sein. Denn das Substantiv mit einer sehr ähnlichen Definition ist ja angeblich ein Pluraletantum, aber bei ein paar Hundert oder bei Hundert und Aberhundert Sterne liegt das Zahlwort nicht im Plural vor. Und wieso sollte es überhaupt getrennte Einträge geben, falls das groß geschriebene hundert identisch mit dem Substantiv Hundert sein sollte?

Insgesamt gibt es damit laut Duden ein "Zahlwort" hundert, das auch im Singular existiert und "bei unbestimmten (nicht in Ziffern schreibbaren) Mengenangaben" sowohl klein als auch groß geschrieben werden kann; und unter diversen Substantiven namens Hundert ein nahezu gleiches Wort, das aber nur im Plural auftaucht und nach Belieben auch klein geschrieben werden kann. Ich glaube, da gibt es noch einiges zu reparieren.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.03.2009 um 17.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#14006

Das Wörterbuch "Ein Wort – eine Schreibung" wird jetzt zum kostenlosen Download angeboten. Das Interesse wird sich in Grenzen halten.
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 02.03.2007 um 06.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7869

Herr Ludwig schrieb:

Zu "fast immer 'the child ... she' usw. Das ist nun auch schon wieder merkwürdig: Männer forschen, Frauen werden erforscht."
Ja, die wissenschaftlichen Zeitschriften, die sich der non-sexistischen Sprache verschrieben haben, die können gar nicht mehr anders.


Ich meine, gerade durch dieses Gebaren werden die Kinder doch sexualisiert. Eine der Folgen konnte man jetzt wieder in Leipzig besichtigen.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 22.02.2007 um 22.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7827

Skandinavische unveränderliche Relativpronomen:

dänisch: huset, som/der er malet gront. - Das Haus, das grün angestrichen ist. ("der" kann nur als Subjekt im Satz stehen.)
huset, (som) vi bor i. - Das Haus, in dem wir wohnen.
(vgl. engl. the house in which we live - the house [which] we live in)

schwedisch: huset, (som) vi bor i - das Haus, in dem wir wohnen

norwegisch: Boka, (som) du gav meg, var veldig interessant. - Das Buch, das du mir gegeben hast, war sehr interessant.

isländisch: húsit, sem ég bý í - das Haus, in dem ich wohne
Die Schriftsprache verfügt außerdem über das Pronomen "er" (der, die, das), das ebenfalls unveränderlich ist:
húsit, er hann bý í - das Haus, in dem er wohnt
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 22.02.2007 um 17.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7824

Noch zu den guten, alten "Nomina" unseres Germanisten (#7796: "Nomen: Substantive, Adjektive, Pronomen, Numerale"): Altgriechisch ist leider griechisch für mich, aber ich sehe, daß hier die formale Möglichkeit, diese Wörter in "Fälle" zu setzen, diese Wortarten in eine Klasse zusammenfaßt. Der schon zitierte *Webster* hat aber dann unter "noun": 1. any of a class of words naming or denoting a person, thing, action, quality, etc. [und mit "quality" sind nicht Eigenschaftswörter gemeint, sondern klar Substantive!]. 2. any word, phrase, or clause similarly used; substantive." Wir müssen also jedesmal wissen, welche Termini wofür verwendet werden und dürfen nicht vom (notwendigerweise einschränkenden) Terminus auf das ganze Gemeinte schließen.

Noch zum Relativpronomen /som/ in den nordgermanischen Sprachen (#7807): Einer meiner Kollegen in der Skandinavischen Abteilung hier sagte mir, daß noch bis ins 19. Jahrhundert "där" (= da) oft als Relativpronomen gebraucht wurde. — Natürlich sind diese Relativpronomen /som/, /wo[r]/, där/ unflektiert, da sie ja auf Adverbien zurückgehen, und nur Substantive, Pronomen und Adjektive und früher auch die Kardinalzahlwörter über "eins" ("wir sind der Kinder drei-e", "wir geben das einfach allen vieren", "zweierlei") haben "Fälle".

Zum englischen Relativpronomen *Null* (= es kann "auch weggelassen werden" [#7807]) meine ich, daß es ein "that" ersetzt, das als unterordnende Konjunktion oft ausgelassen wird, auch im Deutschen: "I know (that) he is coming tonight", "bis (daß) der Tod euch scheide", "ich weiß, daß er heute abend kommt" neben "ich weiß, er kommt heute abend".
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 22.02.2007 um 16.47 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7822

Wenn "Rektos-kopie", dann bitteschön aber auch "Anal-ogie!
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 22.02.2007 um 16.43 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7821

Besser Adler / Bünting aus demselben Hause und Geschäft

Die uns dank K. Bochem zugänglich gewordenen idiomatischen "Erklärungen" von Göttert am Beispiel von wohl sind nicht sinnfällig, sondern hinfällig, weil sie dem Schreiber nichts an die Hand geben, was ihm Schreibsicherheit gibt. Es ist eben nicht so, wie einst von Trier und in der Wortfeldtheorie behauptet, daß man ein Wort nur versteht, wenn man die anderen in seiner Umgebung sich zurechtrüttelnden auch kennt. Genausowenig kann man den Schreiber auf mißverstandene und in diesem zusammenhang weitgehend irrelevante Idiomatik verweisen.
Es ist auch nicht so, wie einst geradezu bildungsbürgerlich in der DDR inständig gelehrt, daß man ein Wort erst richtig versteht, wenn man seine Etymologie kennt (anhand des dünnen Wasserzieher). Fürs Feuilleton sicher ganz nützlich. Wäre es so, müßten neun Zehntel der Deutschen als kommunikativ unterbelichtet gelten. Das trifft aber nicht einmal auf schlechtere hessische Gesamtschulen zu.
Immer wenn das Wort Bedeutungsverstärkung oder andere aus seinem Nest in einem Text erscheinen, sollte man sich schleunigst aus diesem verabschieden, um so Zeit zu sparen und sich vor Gehirnlasierung zu schützen. Wie – in der Sprache Namen – verstärkt man eine Bedeutung? Oder sollte verstärken hier "idiomatisiert" sein?
 
 

Kommentar von K.Bochem, verfaßt am 22.02.2007 um 16.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7820

zu #7818, Bitte an die Redaktion:
Mir ist nicht klar, warum die Fettschrift nicht überall funktioniert hat. Da der Fettdruck Teil der Zitate ist, bitte ich um entsprechende Änderung. Danke!

(Leider funktionieren Fettung und Kursivierung nicht über einen manuellen Zeilenwechsel hinweg. Red.)
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 22.02.2007 um 16.09 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7819

Die von Germanist hervorgeholten Prädikatsnomen wurden seinerzeit zu einer bis heute wichtigen Scheidung eingeführt. Im zweiten Prädikatsteil der deutschen Prädikats stehen von den Hilfsverben i.e.S. abhängige verbale Elemente. Die Kopulaverben als Hilsfverben i.w.S. dagegen binden nicht-verbale Elemente ins Prädikat ein, worin ihre bedeutende Leistung besteht. Als Prädikatsnomen bezeichnete man die besonders üblichen nominalen Prädikative und als Prädikativ erscheinende Wörter anderer Wortarten, sprich: Adjektive.
Noch heute erklären Valenzgrammatiken, es gäbe nur Nominal- und Adjektivalergänzungen zu Kopulae (als Vollverben!), mit denen sie allein nominale und adjektivische Prädikative meinen. Kopulaverben können indessen Elemente aus allen Wortklassen außer dem Verb + Partizip I ins Prädikat einbinden, im Deutschen die Nomina zudem in allen Kasus.
Der Name Prädikatsnomen zeigt, wie sich ein Terminus von seiner Bedeutung löst, wenn der Hintergrund verblaßt.
 
 

Kommentar von K.Bochem, verfaßt am 22.02.2007 um 16.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7818

Seit vorgestern gibt es einen Göttert

Aldi-Süd verkauft seit dem 20.2.07 ein "Neues Deutsches Wörterbuch" aus dem Helmut-Lingen-Verlag, Köln, von Karl-Heinz Göttert, Uni Köln, für 4,99 € – löst keine Probleme, wie ich beim Durchblättern gesehen habe, ist aber eine starke Duden-Konkurrenz!

Aus dem Waschzettel:
"(...) das Neue Deutsche Wörterbuch mit seinen 100.000 Eintragungen (...) berücksichtigt die seit dem 1. August 2006 verbindlichen Schreibungen, die in vielen zusätzlichen Infokästen (...) weiter gehend erläutert werden." Statt "verbindliche Schreibungen" heißt es an anderer Stelle auf dem Umschlag "aktuelle Schreibweisen" und "gültige Schreibweisen".

Aus einem dieser Infokästen:
"wohl
1)
Bei Verbindungen mit Verben und wohl wird zusammengeschrieben, wenn eine neue, idiomatisierte Gesamtbedeutung entsteht, d.h. sich aus dem Zusammenhang ein Sinn ergibt, der sich aus den einzelnen Bestandteilen nicht ergeben hätte: wohltun angenehm sein; (jemandem) wohlwollen (jemandem) Gutes wollen
2) Wenn es nicht eindeutig zu bestimmen ist, ob sich durch die Verbindung von wohl mit einem Verb eine Sinnveränderung ergibt, können derartige Verbindungen sowohl getrennt als auch zusammengeschrieben werden: wohlergehen/wohl ergehen; wohlfühlen/wohl fühlen
3)
Bei Verbindungen mit adjektivisch gebrauchten Partizipien kann getrennt oder zusammengeschrieben werden: wohlbehütet/wohl behütet; wohlversorgt/wohl versorgt; wohlüberlegt/wohl überlegt; wohlerzogen/wohl erzogen; wohlgenährt/wohl genährt; aber nur: wohlbehalten; wohlgemeint; wohltuend (...)"
Unter 6) steht dann:
"Wenn wohl in Verbindung mit weiteren Adjektiven eine bedeutungsverstärkende Funktion hat, wird ebenfalls zusammengeschrieben: wohlbeleibt; wohlverdient"

Der Verlag weist darauf hin, daß "alle Informationen in diesem Buch (...) von Autor, Lektorat und Verlag sorgfältig erwogen und geprüft worden (sind). Eine Haftung (...) ist ausgeschlossen."
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 21.02.2007 um 20.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7811

Der nächste Schritt wäre dann: "Wo einmal lügt, da glaubt man nicht." (#7800)
Nein, das ginge dann doch wohl zu weit, lieber Herr Ickler, jedenfalls fürs erste. Was uns sonst noch erwartet beim widerwärtigen Stand der Bildung unter den gegenwärtigen KultusministerInnen ist natürlich nicht vorauszusehen. Aber die Wo[r]- und Da[r]-Komposita, die das Deutsche also demonstrativ und relativ verwendet, und auch das mundartliche Relativpronmen *wo*, sind *impers.*, beziehen sich immer nur auf Nicht-Personen. Doch unter dem Einfluß des englischen "who", das ja beinahe wie "wo" geschrieben wird, nicht wahr, und wo wir Deutsche doch alle so gut englisch können, Professoren, Politiker, Fernseh-, Radio- und Zeitungsleute, nicht wahr, beinahe besser als deutsch manchmal, nicht wahr, Mann, unter solchem Einfluß wäre "Wo einmal lügt" ja gar nicht so sehr gemogelt und auf gar keinen Fall gelogen! Und "da glaubt man nicht" folgt dann ganz folgerichtig, entsprechend der "wo - da"-Automatik der Deutschlerner mit englischer Muttersprache. Also ich beginne Ihre Befürchtung scho zu teilen.

Zu "fast immer 'the child ... she' usw. Das ist nun auch schon wieder merkwürdig: Männer forschen, Frauen werden erforscht."
Ja, die wissenschaftlichen Zeitschriften, die sich der non-sexistischen Sprache verschrieben haben, die können gar nicht mehr anders. Seit langem weiß jeder, daß Kinder als Jungen und Mädchen zur Welt kommen und aufwachsen. Aber das den Entwicklungenpsychologen für "child" vorgeschriebene Personalpronomen ist jetzt eben "she" und seine obliquen Formen. Ist doch ganz einfach: wir schreiben nämlich nicht mehr in der Muttersprache, wir müssen ja non-sexisch schreiben; und für anderes gibt es keine Papierzuteilung. Ist doch in Deutschland auch so: Bekommt die Forschungsgruppe Deutsche Sprache Geld von Bund und Ländern oder das Mannheimer Institut für Deutsche Sprache? (Aber selbst beim IDS findet sich: "Gemäß Beschluß der Mitgliederversammlung gelten z.Zt. folgende Beitragssätze [Mindestbeiträge, im übrigen nach Selbsteinschätzung]" [www.ids-mannheim.de/org/freunde.html; Stand allerdings April 2002])

Das "unflektierte Relativpronomen 'som' (isländisch 'sem')", auf das unser Germanist hinweist (#7807), entspricht übrigens unserem "wie". Statt des für uns eingeengten lokalen "wo" also das für uns jetzt sehr eingeengte modale "wie". Und es geht auch.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 21.02.2007 um 17.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7807

Die skandinavischen Sprachen (ohne Finnisch) haben das unflektierte Relativpronomen "som" (isländisch "sem"). Es kann niemals nach einer Präposition stehen, die muß dann ans Satzende. Im Dänischen, Schwedischen und Norwegischen kann das Relativpronomen auch weggelassen werden kann, wenn es nicht Subjekt des Satzes ist, wie im Englischen: "the house we lived in" (Der skandinavische, besonders der altisländische Einfluß auf die englische Sprache ist übrigens ein hochinteressantes Kapitel.)
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 21.02.2007 um 14.57 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7805

Adverbiale, Sekundärpradikationen (und redebezogene Elemente)

Horst Ludwig und wohl auch Klaus Achenbach haben meine Intention verstanden. Und K. Bochem wie unser Germanist stimmen mir im großen und ganzen sicher zu. Adjektive sind in der neueren Taxonomie allerdings nicht mehr Nomen (in teutonisierter „Terminologie“: „Ding“wörter,„Haupt“wörter, „Namen“wörter etc.), sondern gehören schlicht in den „nominalen Bereich“. Mit den grammatischen Waisenkindern als und wie eingeführte Nomina lassen sich nur mit Gewalt als Sekundärprädikationen fassen (diese Wörtchen nenne ich seit Jahren recht vorläufig "Adjunktoren" (samt Definition). Die so gebildeten Syntagmen sind adjungierte freie oder obligatorische Adverbiale (der Funktion, Zuordnung, Einordnung etc.) und durch wie bzw. als – hinreichend unterscheidbar etwa von Sekundärprädikationen. Sie stellen also in der Schreibung kein Problem dar.

Einfordern wollte ich mit meinem Ausflug in die arg hartleibige Syntax ein Minimum an Wissen zu dieser, das die Reformer hätten haben sollen, bevor sie anfingen, in die deutsche Graphie zu pfuschen. Die Darlegung sollte der Diagnostik und zugleich der Prophylaxe dienen. Der kleine Ausschnitt von hier Relevantem aus der Syntax wurde – so bündig wie möglich und daher schwer verdaulich – zudem in therapeutischer Absicht nachgezeichnet, unter Ausblendung seiner Kellergeschosse. Man könnte mit ihm die meisten speziell dieser GZS-Probleme aus der Welt schaffen bzw zu den Akten legen. Aus diesem minimalen linguistischen Syntaxwissen läßt sich ohne größeren Aufwand applikatives und zugleich abrufbares (Kontroll)wissen für die Schreiber ableiten. Die Darstellung dieses Wissens kann ohne weiteres linguistische Terminologie aussparen, sowohl in der muttersprachlichen als auch in der fremdsprachlichen Unterweisung. Übrigens ist die syntaktische oder taxonomische Etikettierung der Äußerungselemente für die Ermittlung und Differenzierung ihrer Funktion bzw. Leistung in der gegebenen Äußerung keinesfalls Voraussetzung, auch wenn die Schulbücher das durchgängig suggerieren.

Das Deutsche hat – vor dem Hintergrund etwa des Englischen, des Latein oder der slawischen Sprachen – recht eigene stellungssyntaktische und bildungs- wie flexionsmorphologische Merkmale, die die möglichen Lösungen seiner Schreibung im Grunde genommen determinieren, d.h., kaum Raum für „Kreativität“ oder Phantasie-Paragraphen lassen. Linguisten sollte dieser Umstand ohnehin klar sein, aber auch ihre Schuldigkeit, diese Eigenschaft des Deutschen Schreibern und Lernern als Hilfestellung bewußt zu machen.

Das Englische hat den recht regulär gesetzten Adverbindex –ly, auch das Latein und die slawischen Sprachen kennzeichnen ihre Adverbien morphologisch bzw. „wortbildnerisch“ sehr regulär.

Das Deutsche signalisiert die syntaktische Zuordnung von Adjektiven nur dann, wenn sie in der Nominalklammer stehen (das Englische nicht einmal dort). In anderen Positionen bleiben sie unflektiert, weshalb die deutsche Grammatik – wunderbarerweise – überall dort Adjektive hat, wo andere Sprachen Adverbien haben. Das liegt gewiß nicht an der absoluten Einmaligkeit des Deutschen, sondern an der ihr angediehenen Grammatikschreibung. Beklagen kann sie sich ja nicht, Schüler indessen schon. Sie nehmen später noch als Erwachsene Reißaus, wenn sie das Wort „Grammatik“ nur hören. Warum wohl?

Im Deutschen muß man sich, wenn ein unflektiertes Adjektiv (vielleicht Adverb?) völlig vereinsamt im Satz steht, den Kopf darüber zerbrechen, ob es ein (adverbiales) Satzglied repräsentiert oder syntaktisch zuzuordnen ist, was die teils frustrierende Suche nach seinem Nomen induziert. Im Englischen erkennt man wenigstens das Adverb sofort, im Latein und in den slawischen Sprachen führt die Flexion eines einsam stehenden Adjektivs blindlings zur richtigen Zuordnung. Im gesprochenen Deutsch wird diese indexalische Unterbestimmtheit durch die Prosodie ausgeglichen, im geschriebenen indes durch eine dasselbe erledigende (bis zur Deform halbwegs) sinnvolle gewachsene Schreibung. Kurzum: Die Sprachgegebenheiten des Deutschen ergeben aus sich selbst heraus die möglichen Lösungen für seine Verschriftung. Wer meint, eine Lösung seien die über Jahre kollektiv ausgehandelten u faulen Kompromisse in Paragraphen, hat von seiner Niedrigkeit vor der Sprache überhaupt und von der Spezifik des Deutschen insbesondere wohl zu wenig begriffen.

Die im Forum diskutierte Frage, ob man fertigmachen in „übertragener“ bzw. böser Bedeutung graphemisch von fertigmachen in direkter / „gerader!“ Bedeutung unterscheiden möge, sollte besser negativ entschieden werden, weil sonst wiederum der von den Deformern bis zum Erbrechen durchexerzierte Unfall eintritt, daß aufgrund einer (immer sekundären) Bedeutungs„übertragung“ (wenn Ullmann das wüßte!) das schließlich deren Voraussetzung bildende Verb plötzlich in Segmenten zu verschriften ist, damit (auch von Sprachblinden) die „übertragene“ Bedeutung „erkannt“ wird. Das kann auf gar keinen Fall der Weg, höchsten ein Holzweg sein. satt sein und es satt sein sollten übrigens auch nicht wie Synonyme zusammengestellt werden. Denn das wiederum typisch deutsche Funktions- bzw. Strukturobjekt es dient zu nichts anderem als gerade zur Homonymendifferenzierung bzw. – vice versa – zur Vermeidung der Kollision eben solcher.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.02.2007 um 09.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7800

Der Weg zu einer neutralen Form ist auch im Deutschen längst beschritten. Man denke an die Pronominaladverbien "womit", "damit" sowie an das mundartlich weit entwickelte Relativum "wo". Also: "die Tasche, womit ich verreise" (statt "mit der"), "die Tasche, wo ich zu Hause vergessen habe" usw. Der nächste Schritt wäre dann: "Wo einmal lügt, da glaubt man nicht."

In den letzten Tagen habe ich viele englische Aufsätze zur Entwicklungspsychologie gelesen. Die Verfasser waren meistens Männer, aber sie scheinen sich nur mit Mädchen zu beschäftigen, denn es heißt fast immer "the child ... she" usw. Das ist nun auch schon wieder merkwürdig: Männer forschen, Frauen werden erforscht.
 
 

Kommentar von Sigmar Salzburg, verfaßt am 21.02.2007 um 07.40 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7799

Der Bedarf nach einer Femininform zu „wer“ ist also dringend: wer/der > wie/die
„Wie einmal lügt, der glaubt man nicht ...“
Aber eine maskuline Form für den feministischen Dativ?
Ein Ende ist nicht abzusehen.
 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 21.02.2007 um 07.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7798

"Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht."
Ha, da ist doch noch Reformbedarf! Danach schreiben wir korrekt:
"Wer einmal lügt, der oder dem glaubt man/frau nicht, und wenn er oder sie auch die Wahrheit spricht."
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 21.02.2007 um 01.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7797

"[...] und ab da waren im Deutschen die Nomen nur noch die Substantive." (#7796)
Naja, und in den neusprachlichlichen Gymnasien hat das englische "noun (noun), n. [ME. nouwne; OFr. noun, nun, non, nom < L. *nomen*, a name]" (*Webster's New World Dictionary*) eben auch mitgewirbelt. Manche der linguistisch durchaus interessanten Unterscheidungen sind aber nicht für alle Sprachen relevant; und selbst wenn sie in der Muttersprache eine Rolle spielen, so beschreiben, meine ich, nicht alle davon somit sogar gesamtschulgerechte Tatbestände. Man muß nicht die "kausativen Verben" verstehen, um "du fällst über die Eiche" und "du fällst die Eiche" richtig zu schreiben. (Und wenn wer Kausativa nicht kennt, aber weiß, was Faktitiva sind, war er nur auf einer anderen Schule, weiß aber deshalb nicht unbedingt mehr.) Für die, die es gebrauchen, ist das Verb "milchen" natürlich wichtig; aber es ist wirklich nur interessant — und nicht unbedingt nötig — zu wissen, daß das Kausativum dazu "melken" ist. Im Englischen haben wir "milk" für beides; und im Englisch des amerikanischen Mittelwestens ist die Unterscheidung zwischen "lie" (liegen) und "lay" (legen) praktisch ausgestorben, und trotzdem können sich die Leute genau ausdrücken. Ich weiß jedenfalls, was ich tun muß, wenn mir mein Arzt sagt: "Lay down." (Ganz über den Weg traue ich ihm aber trotzdem nicht. [Und auch das ist wichtig zu wissen, gehört aber auf ein anderes Blatt.])

Die Mehrheit der Jounalisten und fast alle Sekretärinnen schrieben vor der Reform ohne Schwierigkeit richtig, ohne zu wissen, was ein Subjektsprädikatssubstantiv ist oder was ein Objektsprädikatssubstantiv ist oder was der Unterschied zwischen den beiden ist. Aber wie gesagt, für manche Sprachen mag dieses Wissen sehr relevant sein! Und auch manche "neuen" Termini zur Beschreibung der Struktur der deutschen Sprache können besser sein als die, mit denen wir von der lateinischen Grammatik her vertraut sind. Vor allem jedoch dürfen wir uns nicht von der grammatischen Bezeichnung verleiten lassen, nicht mehr auf die Sache selbst zu schauen. Das Interrogativpronomen "wer" ist mask. Sg., aber mit "Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht" sind alle gemeint, auch und vor allem die Lügnerinnen, wie man jetzt schon immer hinzufügen muß. Das muß auch frau einsehen, so sie es kann.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 20.02.2007 um 23.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7796

Ganz exakt muß man folglich unterscheiden:
Subjektsprädikatssubstantive: er kam als Freund,
Subjektprädikatsadjektive: er lag krank im Bett,
Objektsprädikatssubstantive: er nannte ihn seinen Freund,
Objektsprädikatsadjektive: er kannte ihn nur gutgelaunt.
Schwieriger ist es bei reflexiven Verben:
er sah sich als Verlierer,
er meldete sich krank.

In lateinischen, altgriechischen und deutsch-sprachgeschichtlichen Grammatiken sind Nomen: Substantive, Adjektive, Pronomen, Numerale.
Irgendwann haben die Grundschullehrer das "Namenwort" erfunden, und ab da waren im Deutschen die Nomen nur noch die Substantive.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 20.02.2007 um 12.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7791

Sollen wir durch Getrennt- oder Zusammenschreibung unterscheiden, ob man "sich fertig macht" zum Ausgehen oder "sich fertigmacht" durch Überarbeitung?
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 20.02.2007 um 01.51 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7789

Frau Krome hat ja durchaus recht, wenn sie sich bei "sich sattsehen" auf die amtliche Wörterliste beruft. Dort steht es ja tatsächlich so geschrieben. Andererseits hat diese Berufung etwas Selbstreferentielles, denn es waren doch gerade die Wörterbuchverlage, die bei der Ausarbeitung der Wörterliste maßgeblich beteiligt waren. Wie hätte sie sich denn sonst über die Vorgänge in der klandestinen „Arbeitsgruppe“ äußern können? Aber dann hätte sie doch gleich die sachlichen Gründe, die die Arbeitsgruppe zu einer bestimmten Entscheidung geführt haben, darlegen können. Sie tut es vermutlich gerade deshalb nicht, weil sie weiß, daß diese anfechtbar und vermutlich zum Teil bloße „Übereinkunft“ sind.
Zu ihren Ausführungen zum Subjektsprädikativ bei „sich satt essen“ lohnt ein Blick in das Grimmsche Wörterbuch, wo es heißt: „besondere beachtung verdient die sehr gebräuchliche verbindung sich satt essen, wobei satt als prädicativer accusativ zu sich gesetzt ist.“
Völlig verfehlt sind ihre Ausführungen zum Kunden im Musikladen. Es mag ja sein, daß der Kunde nicht sagen würde „Danke, ich bin satt“; er könnte aber durchaus sagen „Danke, ich bin es satt“ oder „Danke, ich bin satt vom Hören“.

Deshalb ist hier die Anwendung der Regel § 34 (2.2) schlechterdings falsch. Danach besteht obligatorische Zusammenschreibung nur dann, „wenn der adjektivische Bestandteil zusammen mit dem verbalen Bestandteil eine neue, idiomatisierte Gesamtbedeutung bildet, die nicht auf der Basis der Bedeutungen der einzelnen Teile bestimmt werden kann“. Die übertragene Bedeutung von „sich sattsehen“ ist aber keine „neue Gesamtbedeutung“, sondern ergibt sich ausschließlich aus der übertragenen Bedeutung von „satt“. Diese ist uralt („meine Augen sind satt“; s. ebenfalls das Grimmsche Wörterbuch). In der übertragenen Bedeutung ist „satt“ daher ein ganz normaler Resultativzusatz zu Verben wie „sehen“ oder „hören“. Entsprechendes gilt für „jmdn fertigmachen“. Auch hier hat schon das Adjektiv „fertig“ eine übertragene Bedeutung, die sich nicht erst aus der Zusammensetzung ergibt („der Mann ist fertig“).

Von einer neuen Gesamtbedeutung könnte man viel eher bei „fertigstellen“ sprechen. Denn was hat die Bedeutung dieser Zusammensetzung mit der Bedeutung von „stellen“ zu tun? Vielleicht deshalb empfinde ich die Schreibung „fertig stellen“ (wie sie weiland die Reformer erzwingen wollten) als schlicht „falsch“. Was sagen Duden und Wahrig dazu?
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 20.02.2007 um 01.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7787

K. Bochem hat recht (#7757), aber unser Germanist auch (#7780). Schatte beherrscht die Terminologie der modernen Linguistik wie kein zweiter; — und das ist es eben! — Ich spreche übrigens von Prädikatsadjektiven (also nicht von "Prädikatsnomen"), wenn sie sich auf das Subjekt oder Objekt beziehen, und von "adverbial gebrauchten Adjektiven", wenn sie "sich auf die Art und Weise der Tätigkeit" beziehen. Aber Schattes "objektsprädikativ" ist, wenn ich das richtig verstehe, sicher auch richtig (etw. weich kochen) und wohl zu etwas nütze. Nur wird's zusammen mit dem Perfektpartizip im Passiv auf einmal subjektsprädikativ ("prädikative Attribute zu Objekt oder zu Subjekt"). Das alles könnte ich meinen amerikanischen Studenten im Deutschunterricht nicht zumuten, — bin ich doch schon glücklich, wenn sie "attributive Adjektive" (Adjektive vor Substantiven) mit den richtigen Endungen sprechen und bei adverbialen Adjektiven nicht "-lich" (wegen des englischen "-ly") hinzufügen. Zu "Daß diese einsichtigen und somit sogar gesamtschulgerechten Tatbestände nirgendwo Thema des Faches *Muttersprache* sind, steht auf einem anderen Blatt": Völlig richtig, aber auch das kann ich durchaus verstehen.

Zu "Scheinbar gibt's da draußen mehr orthographische Masochisten als man glaubt ..." (#7786): Nicht nur "scheinbar", nicht mal nur "höchstwahrscheinlich", sondern ganz sicher nachweislich! Dafür, daß ihnen als Erwachsenen noch wer sagt, wie sie schreiben dürfen, geben sehr viele Deutsche durchaus gern sehr viel aus. Derart untertänig genießen sie dann ein ihnen gemäßes Glück, auch wenn sie eigentlich wenig zu schreiben haben und deshalb nur schwerlich zum Schreiben kommen. Offen zur Sprache kommen darf das aber nicht.
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 19.02.2007 um 23.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7786

Daß Hausorthographiesammler ca. 10,– Euro für eine neue Orthographie ausgeben, die sie noch nicht haben, kann ich verstehen. Aber wieso sollte sich ein Normalbürger ausgerechnet ein Buch kaufen, in dem die Hausorthographie eines Verlages beschrieben ist? Noch dazu, wie die Besprechung zeigt, eine solche, die weit davon entfernt ist, intuitiv zu sein und trotz gegenteiliger Behauptung noch nicht einmal durchgängig sinnrichtig. Scheinbar gibt's da draußen mehr orthographische Masochisten als man glaubt ...

Aber zur Abwechslung mal was Lustiges von Bernd Regenauer (weil Rosenmontag ist): "Die Rechtschreibreform sei nur das Ergebnis von Übersetzungsfehlern, denn mit der Verfassung des Dudens sei ein Billig-Usbeke beauftragt worden", so der Kabarettist in seinem Programm.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 18.02.2007 um 19.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7780

"Früher war alles besser", da hieß auch ein prädikativ verwendetes, also unflektiertes Adjektiv "Prädikatsnomen", wenn es sich auf das Subjekt des Satzes bezog; aber "Umstandsbestimmung", wenn es sich auf die Art und Weise der Tätigkeit bezog.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 18.02.2007 um 17.58 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7779

Sicher haben bereits einige den mir in "Was steht da ..." unterlaufenen Fehler bemerkt, den ich hier korrigieren möchte. In Sie sprangen sorglos über den Zaun liegt natürlich das Subjektprädikativ sorglos vor, allein schon deshalb, weil kein Objekt vorhanden.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 17.02.2007 um 11.42 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7760

Was steht denn da eigentlich?

So könnte die Frage lauten, die gemäß der Prosodie mit der Schreibung geklärt wird (bzw. wurde, solange die Deformer nicht dreinpfuschten). Vor dem zweiten Prädikatsteil stehen
· als sog. „verbnahe“ Satzglieder obligatorische oder fakultative Modal- oder Gradadverbiale und obligatorische Lokal- oder Direktionaladverbiale,
· prädikative Attribute zu Objekt oder zu Subjekt und
· redebezogene Partikeln (Illokutionspartikeln, Abtönungspartikeln, Modalpartikeln; in immer noch recht gebräuchlichen Stilistiken auch als „Füllsel“ diffamiert).

Zum einen kommt es dadurch gewissermäßen zu einem Streit um den besten Platz, d.h. den unmittelbar vor dem zweiten Prädikatsteil, zum andern kommen in derselben Position Elemente zu stehen, die im Deutschen morphologisch hinsichtlich ihrer Wortklasse nicht indiziert sind.
Diese dem Mittelfeld / Satzfeld des Deutschen eigene Anordnung syntaktisch und funktional differenter Elemente geht einher mit ihrer im Deutschen fehlenden morphologischen Kennzeichnung, z.B. als Adverb oder Adjektiv (Partikeln haben keine), bei gleichzeitiger häufiger graphemischer Ununterscheidbarkeit (Homographe). Daher finden sich noch heute Sek-I-Lehrbücher, in denen den Schülern Objektsprädikative wie in Sie sprangen sorglos über den Zaun als Modaladverbiale serviert werden (im Rahmen syntaktischer "Analyse").

Die normale Schreibung des Deutschen hat Mittel entwickelt, diese prosodisch unterschiedenen, aber morphologisch und (in kürzeren Sätzen) stellungssyntaktisch ununterschiedbaren Elemente entsprechend zu notieren, in erster Linie durch die graphemische Inkorporation der (inflektierten) Adjektive der Zweitprädikation ins Partizip. In manchen Fällen wurden dann entsprechende Verben ins Lexikon aufgenommen (weichklopfen). In ad hoc gebildeten Sätzen wird von den Schreibern oft eine graphemisch analoge und zugleich legitime Notation gefunden, die keinesfalls automatisch zu Lexikalisierung des „entsprechenden“ Verbs führen muß (z.B. kaputtpflegen. Es hätte weder lexikologischen Sinn, solche Chimären zu erfassen, noch wäre es lexikographisch ausführbar. Nicht jede inkorporierte Schreibung z.B. eines Objektprädikativs ist also Repräsentant eines neuen „Lexems“. Ähnlich liegt das Problem im Falle von hineinschlingern oder herausblubbern usw., d.h. im Falle der graphemischen Integration der Direktionalergänzungen, die uns die Deformer wohl nur gelassen haben, weil sie halt so „virtuell“ sind.

Daß diese einsichtigen und somit sogar gesamtschulgerechten Tatbestände nirgendwo Thema des Faches „Muttersprache“ sind, steht auf einem anderen Blatt. Es zeigt aber vielleicht die nach wie vor ein wenig krämerhafte Perspektive des muttersprachlichen Grammatik(!)unterrichts, dem ein gewisser (holistischer?) Abstand zum Gegenstand sichtlich versagt bleibt oder bleiben soll.
 
 

Kommentar von K.Bochem, verfaßt am 17.02.2007 um 04.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7757

Konrad Schultz u.a.: Jetzt hauen sie alle auf Herrn Schatte ein ...

Eben nicht alle: Ich finde, man sollte Herrn Schattes (manchmal unnötig kompliziert scheinendem) Stil nicht mit plattem "Kompliziert kann ich auch" oder nicht zutreffendem "Das sind doch wirklich schon Allgemeinplätze" begegnen. Das haben die Beiträge nun wirklich nicht verdient. Manches geht eben erst durch Nachschlagen und zweites Lesen auf, wie man weiß. Und in vielen Fällen hat es sich dann gelohnt – oder etwa nicht?
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 16.02.2007 um 16.04 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7753

Die Existenz übertragener / idiomatischer / buchstäblicher Varianten „bewirkt“ Getrenntschreibung und Tilgung aus dem Wörterbuch

Wenige kurze Auszüge aus „Zum neuesten Wahrig-Wörterbuch“ im Rechtschreibtagebuch von Theodor Ickler mit eigenen Hervorhebungen vorab:
„… gerade die buchstäblich resultative Variante soll nun getrennt geschrieben werden, nur weil es daneben noch den übertragenen Gebrauch gibt (Drähte bloß legen, sein Innerstes bloßlegen). […]
Hinzu kommt noch, daß im genau analogen Fall von scharfmachen das Scharfmachen einer Bombe als buchstäbliches Scharfmachen angesehen und daher die Getrenntschreibung vorgeschlagen wird, weil es daneben das idiomatische scharfmachen in bezug auf Hunde gebe (Kasten S. 459). […]
Eier werden hartgekocht, Erbsen hingegen weich gekocht, denn nur in diesem Fall gibt es eine übertragene Bedeutung (jemanden weichkochen).
Diese Ungereimtheiten setzen sich bei den Partizipien fort. Es soll geschrieben werden ein schiefgetretener Absatz, aber ein schief gewickelter Verband, weil es hier noch einen übertragenen Gebrauch gibt, dort aber nicht.“

Welcher geniale Lexiko- und / oder Orthograph ist auf die "Idee" gekommen, das Gegebensein von idiomatischem neben wörtlichem Gebrauch als Begründung für Getrenntschreibung, ja für Schreibungsmotivation überhaupt anzuführen? Vielleicht kochte man vor fünfzig Jahren wirklich nur Erbsen und evtl. Schuhsohlen weich, Menschen indessen (noch) nicht. Falls nun jemand auf die Idee kommt, nicht nur Möhrchen, sondern z.B. auch Menschen kleinzuhacken (in übertragener Bedeutung!!!), dürfen wir dann (falls der Wahrig es notiert) ab dem Datum der Notation im Wahrig die Möhrchen nur noch klein hacken?

Solches in Wörterbüchern zeugt davon, daß die an der Schreibung Werkelnden nicht einmal ahnen, wie schnell Idiomatisches dank des Witzes oder der Benennungs- und Beschreibungsnot der Sprecher und Schreiber laufend neu entsteht, während manches Idiom still von hinnen geht. Zudem muß nach dieser – mit Verlaub – „Regel“ die gegebene Schreibung (z.B. weichkochen) die idiomatische (Neu)bedeutung annehmen, während in neu zu installierender Schreibung (hier: weich kochen) das Altbekannte bzw. Wörtliche zu verschriften ist. Vielleicht ist das die jeden Verstand weichkochende neueste Dialektik hartgesottener Weltverdreher, sicher aber ist es ein klassisches Aporion.
Wer halbwegs bei Troste ist, wird keine Schreibung davon abhängig machen, ob eine idiomatische Verwendung des gegebenen Ausdrucks schon oder noch nicht installiert ist. Weder die Lexikographie noch die Grammatik sollten so verfahren, daß sie auf jeder weiteren Erfindermesse widerlegt werden.
Kann man einen Rasen oder die deutsche Schreibung ödepflegen oder nur öde pflegen?
 
 

Kommentar von Fungizid, verfaßt am 16.02.2007 um 11.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7750

Das sind doch wirklich schon Allgemeinplätze.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 16.02.2007 um 10.57 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7749

Wo sind die "Nebelkerzen"?

Nach dem Neuschrieb dürfen wir lesen:

"Er hat sich bloß gestellt, aber nicht selbst bezichtigt."
Und wir können uns dann ganz demokratisch heraussuchen, was wohl gemeint ist (nicht: wohlgemeint ist), d.h. das, was geschrieben steht, oder vielleicht auch:
"Er hat sich bloßgestellt, aber nicht selbst bezichtigt."

Und weiter:
"Die RSR hat die Schreibung sicher gestellt, aber nicht vereinfacht."
oder:
"Die RSR hat die Schreibung sichergestellt, aber nicht vereinfacht."

Hinter diesen "unscheinbaren" Differenzen stehen grammatische Scheidungen, die jedem Sprecher des Deutschen intuitiv geläufig sind. Die Deformer wollten dieses Scheidungsvermögen per Graphie nicht glatt machen, sondern glattmachen bzw. plattmachen. Natürlich kann man diese Fragen wie in einer Vorlesung detailliert darlegen, aber das ist wohl nicht der Sinn des Forums.
 
 

Kommentar von Konrad Schultz, verfaßt am 16.02.2007 um 10.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7748

Jetzt hauen sie alle auf Herrn Schatte ein – ich auch. Kompliziert kann ich auch, in der Mathematik. In der Grammatik bin ich Laie. Ich lese das also so, daß in "Er ist bekannt" das Wort "bekannt" im Prädikat mit dem Wörtchen "wohl" zusammengeschrieben werden kann, dadurch haben wir ein neues Wort "wohlbekannt" mit einer bestimmten Bedeutung. Wir können auch auf die Zusammenschreibung verzichten wie die Reformfreunde, und dann haben wir mit "Er ist wohl bekannt" etwas ganz anderes. Ich lasse mich gern korrigieren, wenn ich das falsch verstanden habe.
 
 

Kommentar von Fungizid, verfaßt am 16.02.2007 um 10.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7747

Die Sache sollte auch Herrn Schatte zumindest so ernst sein, daß er nicht noch grammatische Nebelkerzen in die Menge wirft. Cui bono?
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 15.02.2007 um 22.53 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7741

Ich möchte mich der Bitte von Charlotte anschließen und darüber hinaus Herrn Schatte auch bitten, den Teilnehmern dieses Forums in verständlichem Deutsch mitzuteilen, wo all diese grundlegenden Erkenntnisse der "deutschen Sprachwissenschaft" zu finden sind. Haben wir alle jahrelang im dunkeln getappt, wo doch die "ultimative" Widerlegung der Rechtschreibreform so nah war?
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 15.02.2007 um 20.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7738

"Ist auch billiger!"
Untertitel: Matt in sechs Mails

(ein Dialog, aus dem Leben gegriffen)


Erste Mail

Guten Morgen zusammen,

beim Schriftzug (...) bitte ß statt ss. Wir hatten uns auf die bessere Rechtschreibung geeinigt.

Viele Grüße

XY


Zweite Mail

Hallo XY,
Da wir auch viele familien als kunden haben, werden wir uns der neuen rechtschreibung beugen und genuss mit ss schreiben, um die schulkinder nicht zu verwirren - sie haben es eh schon schwer genug. das gilt ab jetzt auch für den (...) [Titel], der ebenfalls nach der gültigen rechtschreibregelung geschrieben wird.

Sei so gut und berücksichtige das in deinem manuskript

Lg AB


Dritte Mail

Hallo,

wer setzt das durch?

Viele Grüße

XY


Vierte Mail

Hallo XY
Zeitungen, vor allem aber flyer, plakate etc. - das sind alles drucksorten, die auch von kindern gelesen werden. Und ich weiß aus eigener erfahrung, wie oft es vorkommt, dass sich kinder vor lehrern damit rechtfertigen, fehler von zeitungen oder plakaten etc. übernommen zu haben - und schleßlich sei das gedruckt und damit richtig...ich will (...) [Kunde] nicht mit solchen dingen konfrontieren. Also - neue rechtschreibung, da sind wir auf der sicheren seite.


Fünfte Mail

Liebe AB,

auf der sicheren Seite ist man schon mal GAR NICHT, wenn man, wie Du jetzt, die sogenannte "neue" Rechtschreibung als "gültig" und die "alte" als "falsch" bezeichnet. Das kannst Du persönlich so sehen, es ist aber nicht allgemeingültig.

Zweitens müßte zunächst einmal geklärt werden, welche Version dieses Experiments Du genau meinst, welches Wörterbuch, welchen Regelstand, welches Variantenspiel. Mehr konservativ, mehr progressiv, mehr so oder mehr so.

Drittens hat Frau (...) [Kunde] mir ganz klar gesagt, daß sich die (...) [Firma] für die traditionelle Rechtschreibung entscheidet, und ich wüßte nicht, wieso nun eine Neuentscheidung von Dir aus, ohne Veranlassung, nötig sein sollte.

Viertens, und das ist im Grunde mein Hauptwiderspruch: (...) [Kunde] bietet ein Gegenangebot zum üblichen Massenmüll. Wir beugen uns auch nicht dem Diktat der allgegenwärtigen Backhilfsmittel, nur weil ein durch Biohefe ausgelöster Furz vielleicht ein Schulkind irritieren könnte. (...) [Kunde] ist NICHT Mainstream, sondern Qualität, das Überkommene, das Richtige, das echte Schrot und Korn. In den Schulen herrscht gegenwärtig ein Gemisch aus den verschiedensten Orthographien, zuhause steht auch einmal ein alter Band von Karl May, die Leute haben ja nicht alle Bücher von vor August 2004 verbrannt, und wenn doch, dann muß man dazusagen, daß die Bücher von 2004 heute auch nicht mehr dem "gültigen" Regelwerk entsprechen. Es ist absolut überflüssig, jetzt -- ohne Notwendigkeit und unter Aufgabe unserer Glaubwürdigkeit -- so einen Schwenk zu machen.

Fünftens, was die Fehlerdiskussion der Schüler betrifft: Weder der aktuelle Duden noch der aktuelle Wahrig verzeichnen die 2004-2006 "gültigen" Schreibweisen, die laut Neuregelung nach wie vor zu tolerieren sind. Ein Lehrer kann also sowieso nicht gerichtsfest korrigieren. Bis der Rest dieser Reform zusammengebrochen ist, hilft es -- auch und gerade Kindern -- , außerhalb der Schulen sprachrichtige Schreibweisen zu sehen.

Laut österreichischer Bundesregierung darf jeder, der will, klassisch schreiben. Die Kinder wachsen mit oder ohne (...) [Titel] nicht unter der Käseglocke einer fiktiven Neuschreibung auf, sondern sehen vieles. Eine Umstellung hätte folglich keinerlei Vorteile, ausschließlich Nachteile.

Viele Grüße

XY


Sechste Mail

Mann ei, mir ist das sowas von wurscht - du musst mir da keine romane schreiben - du bist der texter und wenn du glaubst, dich über die neue regel hinwegsetzen zu müssen - okay, okay
Ich schreib immer schon ein kurzes ss so, nie mit ß - hab mich so gesehen auch nie an regeln gehalten.

Also - alles mit ß
Ist auch billiger!
 
 

Kommentar von borella, verfaßt am 15.02.2007 um 19.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7737

Angesichts dieser Kritik erscheinen für mich die Begriffe "Dudenspitzfindigkeit" und "Rechtschreibschwäche" plötzlich in einem ganz neuen Licht.
 
 

Kommentar von Charlotte, verfaßt am 15.02.2007 um 19.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7736

An Herrn Schatte (#7729):
Können Sie mal ein paar konkrete Beispiele anführen??
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 15.02.2007 um 14.21 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7729

Prädikatsbestandteil oder adverbiales Satzglied

Die deutsche (undeformierte) Normalschreibung kennzeichnet Elemente als zum Prädikat (so etwas gibt es!) gehörige (Subjekt- od. Objektsprädikative), indem sie diese in all den Fällen mit dem Partizip graphemisch vereinigt, wo sie in getrennter Schreibung – gegen den Sinn der Äußerung – als adverbiales Satzglied oder als illokutive Partikel gelesen würden. Und eben diese Leistung bzw. Potenz der gewachsenen deutschen Schreibung ist den Reformern ein Buch mit sieben Siegeln (gewesen oder geblieben), wie vielleicht auch der Rest der deutschen Syntax und Satzsemantik.
 
 

Kommentar von Ingrid, verfaßt am 15.02.2007 um 04.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7726

Ich finde es gar nicht so schlecht, wenn die Schulen mit der Rechtschreibreform keine Schwierigkeiten mehr haben. Wichtiger ist es doch, dass man in der Schule lernt, seine Meinung zu artikulieren.

(Hinweis: Eine Antwort darauf findet sich hier. Red.)
 
 

Kommentar von Konrad Schultz, verfaßt am 14.02.2007 um 13.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7723

Zu #7721: Diese Nachrichtenbastler kommen aus dem Hause DDP.
 
 

Kommentar von David Weiers, verfaßt am 14.02.2007 um 12.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7722

Fünf Monate nach ihrer Einführung ist die Rechtschreibreform nach Ansicht von Experten in den Schulen akzeptiert.

Da hat sich aber einer ordentlich verzählt, oder nicht? Also ich meine mich erinnern zu können, daß das gute Stück vor über zehn Jahren erstmalig und in seltsamer Art und Weise "eingeführt" worden ist.
Ach nein, es war ja erst 1998. Stimmt auch nicht: 2004 war's. Oder doch erst vor fünf Monaten …?
Ich finde es bedenklich, wenn schon die Vergangenheit der letzten fünfzehn Jahre verschleiert wird. Was ist denn dann mit Sachen, die schon fünfzig oder – jetzt kommt's wieder – zweiundsechzig bis vierundsiebzig Jahre her sind? Wie stellt man die denn jetzt dar? Und wer darf sie wie darstellen?
Ich finde, man sollte Geschichtsschreibung amtlich vorschreiben. So kann das ja nicht mehr weitergehen …

Übrigens muß diese Überschrift "Resigniert akzeptiert" doch auch den Reformern sowas von weh tun …

Und wer verbreitet eigentlich immer diese Lüge, daß in den Schulen die Reform akzeptiert worden sei?
Und was soll eigentlich immer dieser Unsinn von wegen "Deutschland sei europaweit das letzte Land, das noch die Groß- und Kleinschreibung habe"? Sind Österreich und die Schweiz jetzt eingemeindet? Habe ich da was verpaßt? Und vor allem: Na und?

Man stelle sich vor: Polen ist europaweit das letzte Land, in dem noch Polnisch gesprochen wird. Jahaa! Das muß man sich nur mal vorstellen!
Und England ist europaweit das letzte Land, in dem das Haus Hannover noch Angehörige auf dem Thron hat. Und überdies sind Finnland, Estland und Ungarn europaweit die letzten Länder, in denen noch offiziell finnougrische Sprachen gesprochen werden. Das geht nicht!
Und Griechenland ist europaweit das letzte Land, in dem noch das griechische Alphabet benutzt wird. Und der Gipfel von Anachronismus und Unverfrorenheit ist das Baskische, das europaweit die letzte Sprache ist, deren Herkunft noch nicht so ganz geklärt ist.
Also ich bitte darum, daß umgehend Kommissionen gebildet werden, die das alles mal schön wegreformieren. So geht's ja nun wirklich nicht weiter! Wir leben in einem vereinten Europa, da muß mal endlich alles amtlich einheitlich werden!

Und überdies ist Homo sapiens sapiens weltweit der letzte Homo sapiens, den es noch gibt. Wie peinlich ist das denn!? Da muß was unternommen werden, und zwar dringend!
Auf, auf! Schreiben wir an die Vereinten Nationen!

Also ganz ehrlich (man verzeihe mir den Ausdruck an dieser Stelle): Mein Hirn kotzt gerade …
 
 

Kommentar von Bundeseinheitliche Rechtschreibung erreicht!, verfaßt am 14.02.2007 um 11.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7721

Rechtschreibreform: Resigniert akzeptiert

BERLIN. Fünf Monate nach ihrer Einführung ist die Rechtschreibreform nach Ansicht von Experten in den Schulen akzeptiert. Der Vorsitzende des Rates für deutsche Rechtschreibung, Hans Zehetmair, sagte zum Jahreswechsel in einem Interview mit der Nachrichtenagentur ddp: "Es ist endlich die Ungewißheit weg, wie man denn nun schreibt, und die daraus resultierende Gefahr, daß man schreibt, wie man will." Zwar könne man noch nicht sagen, ob die Fehler in den Schulen weniger geworden seien. Ihm komme es jedoch darauf an, so Zehetmair, "daß die Sprache ihre Sinnhaftigkeit wiedererhält". Demgegenüber sieht der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, "eine gewisse Resignation" in den Schulen. Man habe sich in Unsicherheiten "eingerichtet". Aber, so Kraus: "Ein Glaubenskrieg ist es nicht mehr." Die Resignation werde jedoch irgendwann "in Beliebigkeit" münden. Nach Ansicht des Vorsitzenden des Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger, hat man sich mittlerweile "mit der Realität abgefunden". Er hält es für unrealistisch, daß sich die Fehlerquote in den Schulen wie erhofft um 50 bis 70 Prozent reduzieren werde. Die meisten Fehler würden bei der Groß- und Kleinschreibung gemacht, und diese Unterscheidung sei auch durch die Reform nicht aufgehoben worden. Deutschland sei europaweit das letzte Land, das noch die Groß- und Kleinschreibung habe, kritisierte der Verbandschef, der sich für diesen Bereich noch "eine bessere Lösung" wünschte. Nach einem mehr als zehnjährigen Prozeß gelten seit 1. August 2006 bundeseinheitliche Regeln für die deutsche Rechtschreibung.

(Hinweis: Das hatten wir schon hier. Red.)
 
 

Kommentar von FAZ, verfaßt am 14.02.2007 um 08.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7720

„Das Wichtigste Verfahren der nächsten Jahre“

Großschreibung von Adjektiven ist jetzt schülerkompatibel??
(Offenbar hat die FAZ-Redaktion den Fehler inzwischen bemerkt. Red.)
 
 

Kommentar von Biertrinker, verfaßt am 13.02.2007 um 17.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7719

Das Marketing der gelben Cosa Nostra wird noch eine ganze Weile darauf verzichten, mit Vernunft Geld zu verdienen, weil das mit Unvernunft bis auf weiteres wesentlich besser klappt (und mehr Schutzgeld bringt). Sie müssen die Schlüsselfiguren zum Kippen bringen, der Rest ergibt sich dann von alleine.
 
 

Kommentar von B. Eversberg, verfaßt am 13.02.2007 um 11.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7717

Die Dickschwarten Duden und Wahrig mit ihrem Variantenwirrwarr schüren einen Bedarf für das schlanke Verzeichnis ohne unnötige Aufbauschung, in das man flugs hineinschaut, und zack, da steht das Wort, so wirds geschrieben seit 100 Jahren, fertig. Wer will denn erst ein Farbgewusel durchschauen, Infokästen konsultieren, Regeln verifizieren, Alternativen abwägen usw. Nun, das Produkt existiert und inzwischen dürften genügend Leute gemerkt haben, was sie sich eingehandelt haben mit den besagten Vielpfündern. D.h. der Boden für ein entsprechendes Marketing ist bereitet. Die Werbung dürfte und sollte ruhig ganz klar sagen, daß jeder das Recht hat, dem Reformzirkus eine Absage zu erteilen, und das ist amtlich. Bis auf Schüler, die müssen noch auf ein Urteil warten …
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 13.02.2007 um 08.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7716

Unglaubliche Errungenschaft

Sinnentsprechende Texte kann man jetzt zu Papier bringen, dank der Neuausgabe des Wahrig Wörterbuches, wer hätte das gedacht!
Und ich war in meiner Naivität bis jetzt der offenbar nicht selbstverständlichen Meinung, daß jeder geschriebene Text keinen anderen Zweck hat, als sinnentsprechend zu sein.
 
 

Kommentar von Wolfgang Scheuermann, verfaßt am 13.02.2007 um 08.23 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7715

Komplikation, die den Schreibenden noch viel zu schaffen machen wird ...

... wenn sie von ihnen zur Kenntnis genommen werden sollte. Ich kann mir keine Zielgruppe vorstellen, in der eine Mehrheit solche Komplikationen "kennen lernen" oder gar anwenden würde wollen.
Hat die Wahrig-Redaktion eine solch unglaubliche Vorstellungskraft?
Oder arbeitet sie rein selbstbezüglich vor sich hin? Oder, schlimmer: haben gar die Bertelsleute eine solche Durchschlagskraft erreicht, daß diese "WAHRIG-Hausorthografie" tatsächlich zur Leitschnur unserer ohnehin sprachlich verlotternden Zeitungsredaktionen werden könnte?

(Man muß das direkt befürchten – schließlich sind Bertelsmann-Projekte strengstens renditeorientiert. Und wie sollte ein solches Buch eine Rendite erwirtschaften, wenn nicht durch Gewalt?)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.02.2007 um 16.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7713

Ich habe den Leserbrief von Prof. Gail auch gelesen. Da ich selbst des Sanskrit einigermaßen mächtig bin, sagte er mir nichts Neues. Es gibt unzählige Beispiele für Genuswechsel bei Fremdwörtern. Im Deutschen ist "der Swastika" völlig unüblich, vielleicht bedienen sich einige Fachleute dieser Form, aber ich sehe keinen Grund, das in mein Wörterbuch aufzunehmen, das ja dem wirklichen Sprachgebrauch verpflichtet ist. Ohne dem hochgeschätzten Indologen nahetreten zu wollen, halte ich solche Richtigstellungen für ziemlich überflüssig. Sie haben übrigens noch einen Haken: Wenn man zwei Sprachen vergleicht, ist es strenggenommen nicht zulässig, vom "selben" oder "verschiedenen" Genus zu sprechen, denn diese Begriffe sind jeweils einzelsprachspezifisch definiert. Beim Genus (zumal in dreigliedrigen Systemen) mag es noch angehen, aber schon beim Kasus oder Tempus verbietet es sich eigentlich von selbst. Daß ein Verb im Deutschen mit dem Genitiv, im Lateinischen "aber" mit dem Ablativ konstruiert werde, ist eine sinnlose Aussage, die nur auf verfänglichen und irreführenden Äquivokationen beruht.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 12.02.2007 um 14.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7712

"bloß" hat 2 Bedeutungen: 1.) nur; 2.) unbekleidet o.ä.; Getrenntschreibung ist nicht eindeutig: Leitungen "bloß legen" kann auch heißen: sie noch nicht fest einbauen und anschließen.

"matt" hat 2 Bedeutungen: 1.) ermattet; 2.) mattgemacht;

"rein" hat 2 Bedeutungen: 1.) nur; 2.) sauber;

"ruhig" hat 2 Bedeutungen: 1.) in Ruhe; 2.) beruhigt;

"glatt" hat 2 Bedeutungen: 1.) geglättet; 2.) sogar.

Falls das Ergebnis der Handlung gemeint ist, sollte immer zusammengeschrieben werden, auch bei "übertragener" Bedeutung. Es ist ja ein Prinzip der deutschen Sprache, daß viele Wörter eine wörtliche und eine "übertragene" Bedeutung haben. Andere Sprachen brauchen dafür getrennte Ausdrücke, also mehr Wörter. Beim Übersetzen in andere Sprachen ist das unbedingt zu beachten.

Zum "Ickler"-Wörterbuch: Herr Prof. Adalbert Gall, Berlin hat in einem sehr lesenswerten Leserbrief in der Südd. Zeitg. vom 10.2.07 nachgewiesen, daß "Swastika" wie andere Sanskrit-Substantive auf kurzes "-a" (aus indoeuropäisch "-o") als "su-asti-ka" ein Maskulinum oder Neutrum ist.
 
 

Kommentar von Kelkin, verfaßt am 12.02.2007 um 09.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=793#7709

Sie schreiben: "Die Unterscheidung zwischen spätgeboren und früh verstorben leuchtet ebenfalls kaum ein, besonders „konsistent“ ist es jedenfalls nicht." Als Traditionalist hat man da erstaunliche Differenzierungsmöglichkeiten:
1a) spät geboren: Beispielsweise um 23 Uhr 50.
1b) spätgeboren: In relativ großem zeitlichen Abstand zu Geschwistern.
2a) früh verstorben: Beispielsweise um 0 Uhr 10.
2b) frühverstorben: Relativ jung gestorben.

In diesem Zusammenhang möchte ich meine Verwunderung darüber ausdrücken, daß der Kreißsaal noch immer nicht seinen verdienten, pseudo-volksetymologisch kreisrunden Grundriß erhalten hat. Wie wäre es mit folgendem Reformeintrag:
- Kreissaal, -e (auch eckig und als Forelle-Blau), veraltet: Kreißsaal.
 
 

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