12.02.2007


Theodor Ickler

„Stringent“

Zum neuesten Wahrig-Wörterbuch

Wahrig kompakt: Ein Wort – Eine Schreibung. Die WAHRIG-Hausorthografie von A bis Z. Orthografischer Wegweiser für eine einheitliche und stringente Rechtschreibung. Mehr als 50.000 Stichwörter und erklärte Begriffe. Gütersloh/München 2006.

Das Wörterbuch gibt rund 3.000 Empfehlungen, die – wenn man von Stichproben hochrechnet – in etwa 1.000 Fällen von den 3.000 Duden-Empfehlungen abweichen. Gelegentlich widersprechen sie auch den wenigen Empfehlungen im Wahrig-Rechtschreibwörterbuch, das einige Monate zuvor erschienen ist (s. u.).
Die hier empfohlene Rechtschreibung wird als „einheitlich, stringent, konsistent, homogen, sinnorientiert, sinnentsprechend“ bezeichnet. Es wird ausdrücklich angegeben, daß sie für die „Korrektur schulischer Arbeiten o. Ä.“ nicht geeignet ist. Das sind allerdings auch die größeren neuen Rechtschreibwörterbücher von Wahrig und Duden nicht, weil sie die immer noch zu tolerierenden Schreibweisen nicht anführen, die der Lehrer kennen muß, wenn er gerichtsfest korrigieren und benoten will.
Einheitlichkeit durch eine „Hausorthografie“ erreichen zu wollen erscheint von vornherein widersinnig, da der Begriff der Hausorthographie das Partikularistische bereits zum Programm erklärt. Die Duden-Empfehlungen leiden an demselben Widerspruch. Zu beachten ist ferner, daß – dem Zweck des Werkes entsprechend, aber unzureichend erklärt – ein „oder“ nun nicht mehr Schreibvarianten verknüpft, sondern im Gegenteil bedeutungsverschiedene Einträge. So liest man unter „Getrennt- oder (!) Zusammenschreibung: halb staatlich, halb privat; aber: ein halbstaatliches Unternehmen“.

„Das Grundprinzip der WAHRIG-Empfehlungen ist 'klassisch-empirisch'.“ Sie stützen sich auf ein Korpus hauptsächlich von Zeitungstexten: das Saarbrücker Korpus, das von Prof. Manfred Pinkal verwaltet wird. Allerdings wird nicht gesagt, aus welcher Zeit die Belege stammen; die ausgewerteten Zeitungen und Zeitschriften sind früher oder später allesamt auf Reformschreibung umgestellt worden (daher ist z. B. die F.A.Z. nicht ausgewertet, die seinerzeit noch in klassischer Rechtschreibung erschien). Wenn nun aber bei kennenlernen die Zusammenschreibung als empirisch ermittelter Usus angegeben wird (S. 13), dann muß es sich um ältere Jahrgänge handeln, denn gerade hier hat die Reform bis 2004 ganz überwiegend zur Getrenntschreibung geführt, die erst allmählich wieder aufgegeben wird. In welchem Korpus ist überwiegend selbstständig oder aufs Schönste belegt? Das hat es vor der Reform kaum gegeben. (selbstständig wird irrigerweise wieder als Schreibvariante des anders gebildeten selbständig aufgefaßt und empfohlen.) Die Neuschreibungen weichen in so vielen Fällen von der belegten Schreibweise ab, daß die sporadische Berufung auf Häufigkeiten im Korpus deplaziert wirkt. Das Korpus mag belegen, daß Fotografie am häufigsten mit f geschrieben wird (blauer Kasten), es belegt aber sicher nicht, daß das Wort jedesmal überhaupt nicht existiert. Gerade in einem Zeitungskorpus dürfte auch Masurka (Wahrig) nicht annähernd so oft vorkommen wie Mazurka (Duden). Schon beim größeren Wahrig mußte man sich oft wundern, was für ein Korpus es eigentlich sein mag und wie die Auswertung erfolgte.

Resultative Verbzusätze werden zusammengeschrieben, aber wenn einer Zusammenschreibung mit übertragener Bedeutung (Politiker kaltstellen) eine idiomatisierte Resultativverbindung gegenübersteht, wird letztere zur Unterscheidung getrennt geschrieben: ein Getränk kalt stellen. Davon wird z. B., wie schon im Wahrig-Wörterbuch, bloßlegen erfaßt: gerade die buchstäblich resultative Variante soll nun getrennt geschrieben werden, nur weil es daneben noch den übertragenen Gebrauch gibt (Drähte bloß legen, sein Innerstes bloßlegen). Die amtliche Regelung weiß davon nichts, es ist die alte Dudenregel vor der Reform. Wahrig verschärft diesen Ansatz, indem er empfiehlt, matt setzen getrennt zu schreiben, wenn es um Schach geht, sonst aber nur zusammen. In welche Schwierigkeiten man mit der neuen Empfehlung gerät, zeigt das Beispiel leerfegen. Sobald es jemandem einfällt, das Wort übertragen zu gebrauchen (der Arbeitskräftemarkt ist leergefegt), bleibt die Zusammenschreibung dem neuen Gebrauch vorbehalten und die normale Resultativkonstruktion wird wieder getrennt geschrieben! Von solchen Zufälligkeiten kann eine „stringente“ Orthographie nicht abhängig gemacht werden.
Hinzu kommt noch, daß im genau analogen Fall von scharfmachen das Scharfmachen einer Bombe als buchstäbliches Scharfmachen angesehen und daher die Getrenntschreibung vorgeschlagen wird, weil es daneben das idiomatische scharfmachen in bezug auf Hunde gebe (Kasten S. 459). Bei sich satt essen wird gemäß einer nichtamtlichen, von den Wörterbuchredaktionen aber als verbindlich angesehenen Zusatzregel nur Getrenntschreibung angegeben, obwohl es sich um einen Resultativzusatz handelt, und zwar, im Gegensatz zur Meinung der „Handreichungen“ der Geschäftsstelle des Rechtschreibrates, um ein Objektsprädikativ, weil sich überhaupt nicht subjektbezogen sein kann. Daß es auch kein erfragbares Objekt ist, ändert daran nichts. Auch ein rein formales Objekt bleibt ein Objekt (wie z. B. die Form es in der Wendung: es darauf abgesehen haben, es mit den Gegnern halten usw.).

(Hierzu schrieb mir die Redakteurin Sabine Krome am 3.7.2006: »Die WAHRIG-Sprachberatung ist für die Beantwortung von Fragen zur Rechtschreibung, Grammatik und Zeichensetzung zuständig. Ihre E-Mail verstehen wir jedoch nicht als Anfrage an die Sprachberatung, sondern als Kritik an der vom "Rat für deutsche Rechtschreibung" und der KMK beschlossenen Neuregelung 2006 und ihrer Darstellung in der Neuausgabe von "WAHRIG Die deutsche Rechtschreibung" (im Falle des Infokastens zu "satt essen"). "Sich satt essen" schreibt sich nach dieser Regelung im Gegensatz zu "sich kranklachen" getrennt, weil es sich bei dem zweiten Beispiel um eine Zusammensetzung mit einem adjektivischen ersten Bestandteil handelt, die eine neue, idiomatisierte Gesamtbedeutung bildet, welche nicht auf der Basis der Bedeutungen der einzelnen Teile bestimmt werden kann. Die von Ihnen genannte Arbeitsgruppe folgt mit gutem Grund der Auffassung, dass "sich sattessen" ein Subjektsprädikativ ist, weil "sich" bei echt reflexiven Verben kein Objekt darstellt. Daher wird hier ausschließlich getrennt geschrieben, obwohl es sich um ein resultatives Prädikativ handelt. In "WAHRIG Deutsches Wörterbuch" (7. Auflage, 2002) werden die Verbindungen "sich sattsehen" und "sich satthören" als figurativ markiert. Könnte man sich vorstellen, dass ein Kunde auf die Frage des Plattenverkäufers, ob er ein Stück noch einmal anhören wolle, mit "danke, ich bin satt" antwortet? Dieser Fall zeigt zum Beispiel, dass man hier, anders als bei "sich satt essen", durchaus von einer idiomatisierten Gesamtbedeutung sprechen kann. Die Frage, inwiefern die Gesamtbedeutung auf der Basis der Bedeutungen der einzelnen Teile bestimmt werden kann, lässt sich - wie Sie ja selbst wissen - in vielen Fällen nicht leicht beantworten. Dort muss dann eine bestimmte Übereinkunft getroffen werden. Entscheidend für die Darstellung im neuen WAHRIG war, dass diese Schreibweise im amtlichen Wörterverzeichnis eindeutig festgelegt ist. Sie wurde in Abstimmung mit analogen Fällen umfassend diskutiert.«)

reinwaschen müßte als exemplarische Resultativkonstruktion zusammengeschrieben werden; weil es aber ein übertragenes jmdn./sich reinwaschen gibt (hier spielt die Reflexivität anscheinend keine Rolle), wird dieses zusammen- und das wörtliche getrennt geschrieben! sauberwaschen bleibt davon unberührt. Ein Patient wird ruhiggestellt, sein gebrochenes Bein aber ruhig gestellt. In dieser Subtilität sind sich die beiden Wörterbücher einig. Ein weiteres Beispiel für diese neue Komplikation, die den Schreibenden noch viel zu schaffen machen wird: glatthobeln, glattkämmen usw. werden als typische Resultativkonstruktionen zusammengeschrieben, nur glatt bügeln und glatt machen nicht, denn hier existieren zufällig metaphorische Varianten, denen deshalb die Zusammenschreibung vorbehalten bleibt: einen Fehler glattbügeln, eine Geldschuld glattmachen. mürbemachen wäre ein weiteres Beispiel für eine Resultativverbindung, aber weil man nicht nur Teig, sondern auch Menschen mürbemachen kann, wird letzteres zusammengeschrieben und das wörtlich gebrauchte getrennt. Eier werden hartgekocht, Erbsen hingegen weich gekocht, denn nur in diesem Fall gibt es eine übertragene Bedeutung (jemanden weichkochen). (Duden empfiehlt durchweg Getrenntschreibung, was zwar gegen die Sprachentwicklung gerichtet, aber wenigstens konsequent ist.) Während man sich, wie gesagt, satt isst, kann man sich nur kranklachen. Bei kaltmachen ist nicht klar, ob die Zusammenschreibung nur für den übertragenen Gebrauch gelten soll, auf eigene Faust kann es nach dem Gesagten niemand entscheiden.

Diese Ungereimtheiten setzen sich bei den Partizipien fort. Es soll geschrieben werden ein schiefgetretener Absatz, aber ein schief gewickelter Verband, weil es hier noch einen übertragenen Gebrauch gibt, dort aber nicht. Warum aber werden die typischen Resultativkonstruktionen blau färben, weiß streichen usw. allesamt getrennt geschrieben? rot schminken soll getrennt geschrieben werden, ebenso rot gefleckt und rot gestreift, aber rotgeweint und rotglühend zusammen – wo der Duden ebenfall durchweg Getrenntschreibung empfiehlt. § 35 schließt jegliche Zusammenschreibung mit sein aus; die regelwidrige, aber im amtlichen Wörterverzeichnis angeführte Form dagewesen wird kommentarlos empfohlen.
Die nichtamtliche, aber von den Wörterbüchern trotzdem befolgte Regel über Subjekts- und Objektsprädikative wird außerdem durch ein Bündel von drei Ausnahmen gestört: Verbindungen mit fest-, tot- und voll- sollen zusammengeschrieben werden, auch wenn es sich um Subjektsprädikative handelt, daher volllaufen usw. Im Gegensatz zum größeren Wahrig werden jedoch nur spärliche Beispiele angeführt und gar kein zusammenfassender Kommentar.

Wahrig empfiehlt anders als Duden Zusammenschreibung von saubermachen, kann aber bei sauber halten nur die amtlich verordnete Getrenntschreibung registrieren. Bei voneinanderscheiden (mit fragwürdiger Betonung auf dem Zusatz) ist die Zusammenschreibung wohl etwas zu weit getrieben. Auch die von beiden Wörterbüchern empfohlene Zusammenschreibung prallfüllen leuchtet nicht ein.
Verb + Verb soll, ebenfalls „zur Kennzeichnung von Idiomatisierung“, zusammengeschrieben werden: sitzenbleiben (in der Schule), sitzen bleiben (auf dem Stuhl). Dies wäre wieder die alte, 1996 abgeschaffte Dudenvorschrift, nun aber als bloße Empfehlung formuliert und durch die Interpretation in der „Handreichung“ noch erheblich ausgeweitet. Daher stammen die gewöhnungsbedürftigen Neuschreibungen: jemanden schmorenlassen, eine Sache für sich sprechenlassen, die Zügel schleifenlassen, einen Termin platzenlassen, die Kupplung kommenlassen usw. (jeweils wegen des übertragenen Gebrauchs). So soll man auch eine Person sich setzen lassen, Eindrücke jedoch sich setzenlassen. Knifflige Frage: wie steht es mit dem Kaffee? Er „setzt sich“, aber nicht wörtlich … Die neuen Bestimmungen sind so unklar, daß selbst die nachgeschobene „Handreichung“ die Probleme nicht lösen konnte und noch einiges zu tun bleibt.

Bedauerlicherweise empfiehlt Wahrig ebenso wie Duden durchweg Getrenntschreibung bei selbst gebacken usw. Auf sehr feinsinnige Überlegungen gründet sich offenbar die Unterscheidung von selbstklebend und selbst zahlend. Der Eintrag stabil gebaut erklärt sich nur dadurch, daß das größere Wörterbuch auch stabilgebaut als Variante vorsieht. Manchmal hat man den Eindruck, daß die beiden Partizipien unterschiedlich behandelt werden: oben stehend, obengenannt. Der Unterschied zwischen hochstehend und niedrig stehend ist aber so nicht erklärbar.
Das Wörterbuch verzeichnet korrekt die Neuschreibung Rad fahren als einzig zulässige, empfiehlt aber für das Partizip Zusammenschreibung: radfahrend, radschlagend usw., anders als der Duden.
Die Gegenüberstellung „rein Leinen, aber (!): eine reinleinene Tischdecke“ ist irreführend, da die Konstruktionen nicht vergleichbar sind. Rein Leinen gehört in die Reihe: rein Seide, rein Wolle usw. und hat mit dem Adjektiv nichts zu tun. Offen bleibt, ob es prädikativ heißt: Die Tischdecke ist rein leinen.
Der schon erwähnten Beseitigung von jedesmal aus dem deutschen Wortschatz kann sich Wahrig nicht widersetzen, denn hier ist keine Variante vorgesehen, aber wenigstens wird ein paarmal gerettet, während Duden auch hier ein paar Mal empfiehlt. Warum es weiterhin diesmal, manchmal, soundsovielmal geben soll, aber nicht jedesmal, bleibt unerfindlich, aber diese Unklarheit geht auf das Konto der Reformer selbst.

Bei Nominationsstereotypen werde, so die Einleitung, „systematisch die Großschreibung empfohlen: das Schwarze Brett“ usw. Das trifft nicht zu, denn z. B. beim schnellen Brüter empfiehlt Wahrig gegen die Regel und gegen die Empirie Kleinschreibung, Duden hingegen Großschreibung. Wahrig empfiehlt Recht haben, Unrecht haben – ein besonders gravierender Unterschied zum Duden, der die herkömmliche, grammatisch richtige Kleinschreibung vorzieht. Nach Wahrig soll man also schreiben: wie Recht du hast! Das wird sich kaum halten lassen. Bemerkenswerterweise stehen die groß geschriebenen Verwendungen weiterhin unter recht und nicht unter Recht, obwohl sie doch das Substantiv enthalten sollen. Dies alles kann der F.A.Z., die sich nach den Wahrig-Empfehlungen richten will, nicht gefallen, auch nicht, daß sich Wahrig anders als der Duden gegen die traditionelle F.A.Z.-Schreibung Albtraum für Alptraum entschieden hat. Die Großschreibung Pädagogische Hochschule oder Medizinische Fakultät kann so allgemein nicht behauptet werden, in deskriptivem Gebrauch wird weiterhin klein geschrieben. (Übrigens wird die reformbedingte Zusammenschreibung von kleinschreiben und großschreiben nur registriert, aber nicht begründet; sie läßt sich aus den Regeln nicht herleiten, sondern muß als seltsame Ausnahme angesehen werden.)

Wahrig empfiehlt wie Duden Aberhundert Blumen, Abertausend Blumen. Der Eintrag im amtlichen Wörterverzeichnis, der dies ermöglicht, scheint eher einer Unachtsamkeit zu entspringen als einer korrekten Auslegung der entsprechenden Regel. § 58 (6) zielt nämlich nur auf die Zahlsubstantive ab, die aber in den genannten Verbindungen nicht vorliegen können. Übrigens müßte nach derselben Logik auch Hundert Blumen zulässig sein und empfohlen werden, aber das ist bisher nicht der Fall, obwohl die Formulierung im größeren Wahrig es eigentlich schon nahelegt: „Drückt hundert eine unbestimmte Menge aus, kann groß- oder kleingeschrieben werden.“ Demnach wäre korrekt: Du machst immer Hundert Einwände. Solche krassen Fälle werden aber bisher ausgespart.

Bei Tête-à-tête müßte das zweite Substantiv groß geschrieben werden, bei Spaghetti Bolognese hingegen das Adjektiv klein. Diese Fehler sind wie so viele andere aus dem größeren Wörterbuch übernommen. Alle neuen Wörterbücher sind sich einig, daß bei Lupus in fabula und L'art pour l'art das erste Wort und nur dieses groß geschrieben wird, aber nach den Regeln ist es nur schwer nachzuvollziehen.
Während das Wahrig-Rechtschreibwörterbuch besonders für attributen Gebrauch die Zusammenschreibung engbefreundet empfiehlt, lautet die neue Empfehlung nur noch eng befreundet. Es ist unklar, was den Gesinnungswandel innerhalb weniger Wochen ausgelöst hat.
Im blau unterlegten Kasten zu schwer liest man sonderbarerweise:
„Zusammenschreibung: das Kind ist durch den Autounfall schwerbehindert /W/ (= Wahrigempfehlung); Amtsdeutsch aber nur: schwerbehindert“. Ebenso zu schwerbeschädigt. - Wieso „aber“? Des Rätsels Lösung: Im Wahrig-Rechtschreibwörterbuch war an entsprechender Stelle verzeichnet, daß sowohl Getrennt- wie Zusammenschreibung zulässig sei, in der Amtssprache „jedoch“ nur Zusammenschreibung. Auf dieselbe Weise erklären sich die skurrilen Einträge etwa bei besorgniserregend, ekelerregend, menschenverachtend, treibstoffsparend, verdachterregend, verderbenbringend, schönmachen; „eine besorgniserregende Entwicklung; aber nur: besorgniserregender, sehr besorgniserregend“. Immerhin empfiehlt Wahrig in zahlreichen Fällen wie schmutzabweisend, händchenhaltend, respekteinflößend die Zusammenschreibung, während Duden die schwerfälligen Reformschreibungen von 1996 (Schmutz abweisend, Händchen haltend, Respekt einflößend) doch noch durchzusetzen versucht.
übelgelaunt soll zusammengeschrieben werden, schlecht gelaunt dagegen getrennt. Die Unterscheidung zwischen spätgeboren und früh verstorben leuchtet ebenfalls kaum ein, besonders „konsistent“ ist es jedenfalls nicht. Die durchweg empfohlene Getrenntschreibung schwer verständlich usw. bei gleichzeitig angegebener, die Zusammengesetztheit markierender Betonung auf dem ersten Teil ist sprachwidrig. Sogar bei grob fahrlässig wird Betonung auf dem Erstglied angegeben, zugleich aber Getrenntschreibung empfohlen. Wahrig empfiehlt durchgehend vielbeschäftigt usw., während Duden beim reformierten viel beschäftigt bleibt.
Sonderbar sind die ungleichen Angaben: Handvoll, das (!) – Mundvoll, der – Armvoll (ohne Artikel)
Neben der Beethovenschen Sinfonie „Pastorale“ nennt man ein ländliches Musikstück eher das Pastorale, nicht die. Das Kilometer, das Quadratmillimeter usw. sind wohl eher selten. Auch bei Lumberjack ist das neutrale Genus seltsam, Duden kennt nur das Maskulinum.
Mendelssohn-Bartholdy sollte ohne Bindestrich geschrieben werden.
Unter flechten stehen die Vergangenheitsformen von fechten. Der Eintrag zu Kosak sollte grammatisch überarbeitet werden, die Kürzung hat ihm nicht gutgetan. Tribalismus wird als „Zugehörigkeitsgefühl zu einem Stamm“ erklärt; das ist falsches Deutsch nach dem Muster des „Reisebuchs durch Rußland“.
Das Wörterbuch kennt wie die größeren Werke nur Solstitium, obwohl es auch Solstiz gibt und daher eine Variante Solstizium in Erwägung gezogen werden müßte, wie es ja auch bei Justizium der Fall ist (vom Duden empfohlen, im vorliegenden Wahrig nicht verzeichnet). Der von beiden Wörterbuchredaktionen empfohlene Lizenziat (für den Lic. theol.) sieht eher geschäftstüchtig als katholisch aus.
Bei Trichine usw. ist die Aussprache falsch angegeben (mit ach-Laut statt ich-Laut). Septime und Septimenakkord sollen auf der ersten Silbe betont werden, was wohl eher selten vorkommt. Bei Singapur ist die Betonung auf der Endsilbe auch eher selten. Daß Räter mit [tsj] ausgesprochen werden soll, bleibt unverständlich, bis man sich erinnert, daß im großen Wörterbuch hier noch ein Rätier dazwischengestanden hat; dessen Aussprache ist in der Eile stehengeblieben. Der Eintrag zu Madam ist gegenüber dem größeren Wörterbuch so zusammengestrichen, daß sich auch hier widersprüchliche Ausspracheangaben nebeneinander finden. Das lange e in Rebhuhn verdankt sich der volksetymologischen Anlehnung an Rebe, kann aber keine Allgemeingültigkeit beanspruchen. Die Aussprache von Partyservice ist abwegig. Die Angaben unter Magnolie, Lymphdrainage wären ebenfalls zu überprüfen. Diese Fehler stehen alle schon im Rechtschreib-Wahrig.
Es trifft nicht zu, daß von uraufführen nur Partizip und Passiv gebräuchlich seien; nicht nur der Infinitiv kommt oft vor, sondern auch finite Formen: die 'Krakauer Begrüßung', die Pfitzner mit der 'Philharmonie des Generalgouvernements' uraufführte … (SZ 6.7.1996). Ähnliches gilt für andere rückgebildete Verben wie rückfragen, rückkoppeln, rückübersetzen, rückvergüten, ferner Probe singen/schreiben, leisetreten. Wahrig empfiehlt brustschwimmen, delfinschwimmen, aber nur schwimmt Brust, schwimmt Delfin; andererseits Marathon laufen, obwohl die Neuregelung auch marathonlaufen vorsieht. Duden hält es in diesem Punkt ebenso; beide versuchen mit den äußerst unklaren revidierten Regeln zurechtzukommen. Sicherheitshalber gibt es zu Marathon laufen gleich noch einen zweiten Eintrag.

PC wird als „Personalcomputer“ erklärt, aber dieses Wort soll es gar nicht geben, nur Personal Computer. perlmuttern soll „aus Perlmutter“ heißen, aber dieses Wort ist der Kürzung zum Opfer gefallen. Lesbierin wird als Lesbe erklärt, auch dieses Wort fehlt. Die Erläuterung zu übergehen („wechseln [Methoden]“) ist mir unverständlich. Der Eintrag u. A. w. g. ist mißlungen: das g ist kursiv gesetzt, und der Punkt dahinter fehlt.

Bedeutungsangaben sind unsystematisch über den Text verstreut. Sie dienen keinesfalls, wie es denkbar wäre, der Disambiguierung, sonst müßte beispielsweise bei schrubben und schruppen etwas zu finden sein. Man soll Markise und Marquise unterscheiden, es wird aber kein Hinweis gegeben, was jeweils gemeint ist. Bei Lithurgik und Liturgik, Kardätsche und Kartätsche wären differenzierende Angaben dringend notwendig. Serviertochter und Shagpfeife werden erklärt, Serife nicht, und bei Sezessionskrieg oder Pleuelstange wird die Auskuft geradezu enzyklopädisch. Unter Marillenknödel findet man beinahe das ganze Rezept, aber was ist Mäeutik? Manchmal fällt das Ungleichgewicht besonders in die Augen: Spargel ('eine Gemüsepflanze'), sorglos ('sich keine Sorgen machend') und Specht ('ein Vogel') werden erklärt, Spekulum, Spinnaker oder Stagediving aber nicht. Man könnte Tausende von ähnlichen Fällen anführen. Sehr oft wird nur der Bereich angegeben, dem ein Wort zugehört: „Plotter EDV“, „Plebejer im alten Rom“ usw. Je nach Bearbeiter scheinen auch verschiedene Wörterbuchabschnitte unterschiedlich dicht mit Bedeutungsangaben versehen zu sein, vgl. z. B. die besonders dicht bestückten Seiten 299 ff.

Textkorpus wird als „(digitale) Sammlung von Texten“ definiert; der eingeklammerte Zusatz ist irrelevant. Muß bei Styrol erwähnt werden, daß es wie Benzin riecht? Der Haemoccult-Test® (empfohlene Schreibweise, aber welche andere käme bei diesem Warenzeichen in Frage?) ist keine „Blutuntersuchung zur Krebsvorsorge“. hasenrein heißt nicht „verdächtig“, sondern das Gegenteil davon. Homo Faber wird ungenau als „technisch begabter Mensch“ erklärt.

Sagt man wirklich das Trademark? Duden kennt hier nur feminines Genus. Stainless Steel gehört in ein englisches Wörterbuch, ebenso Meet and Greet (dem übrigens ein anders geschriebenes Plug and play gegenübersteht). Von Sweater, Quorum und Primerate soll es keinen Plural geben, von Synthetics keinen Singular; all das trifft offensichtlich nicht zu. Daß Radium, Levitikus („das dritte Buch Mose“), die Knesset oder das Pentagon, als Bezeichnung für das amerikanische Verteidigungsministerium, keinen Plural haben, versteht sich von selbst, aber wie heißt der Plural von Radix? Was bedeutet „Pl.“ hinter Korbblütler, Rachenblütler? Es gibt wie im Rechtschreib-Wahrig einen eigenen Eintrag Reges, aber beim Grundwort Rex ist der Plural weggefallen. Ähnlich verhält es sich mit Pater, Patres. Aus unerfindlichen Gründen werden Miszellen nur im Plural angeführt. pink und türkis werden zu Unrecht als unflektierbar bezeichnet, vgl. ein türkises Schlummerlicht (SZ 27.1.2007) und viele weitere Belege. Auf die Mousse folgt sogleich das Mousse au Chocolat.
Bei Ragoût fin fehlt das W, denn auch die Schreibweise ohne Zirkumflex ist zulässig und wird vom Duden sogar empfohlen. Bei Polysacharid/-saccharid ist die Kennzeichnung fachsprachlicher Schreibweise vertauscht, vgl. dagegen den Eintrag Sacharid. Wahrig empfiehlt Konvoi; es ist nicht zu erkennen, gegen welche Alternativschreibung sich diese Empfehlung richten könnte.
Wahrig empfiehlt Hämorrhoiden, Duden erwartungsgemäß Hämorriden (mit dem nunmehr unerklärlichen Doppel-r); beide eint der Irrtum, daß es sich hier um orthographische Varianten handele und es überhaupt etwas zu „empfehlen“ gebe. Oxid, oxidieren, Kohlenmonoxid usw. sind als empfohlene Varianten gekennzeichnet, offenbar in Abgrenzung gegen das immer noch zulässige nichtfachliche Oxyd. Aber warum fehlt die entsprechende Kennzeichnung bei Kohlendioxid? Wie weit der Variantenbegriff des Wörterbuchs reicht, zeigt das „empfohlene“ Kohlenhydrat (gegenüber nicht mehr verzeichnetem Kohlehydrat).

Die Silbentrennung kann nicht überzeugen. Es soll tri-ploid, aber Trip-tychon getrennt werden, Ot-algie, aber Neu-ralgie, Mis-anthrop, aber Phi-lanthrop, Syn-ästhesie, aber Ki-nästhesie. In unzähligen Fällen werden die morphologischen, sinngemäßen Trennungen gar nicht mehr angeführt; man findet also ausschließlich Res-taurant, Res-triktion (aber Kon-striktion), Sy-nekdoche, Pithe-kanthropus, Pro-senchym, Koleop-tere usw. Diese Auswahl ist nicht als besondere Empfehlung gekennzeichnet, man könnte also meinen, daß es hier überhaupt keine Wahlmöglichkeit gebe. In Wirklichkeit ist daher die Zahl der Wahrig-Empfehlungen viel größer als die offen ausgewiesene. Was für eine „Kopie“ mag die Rektos-kopie sein? Bei Mikroskopie bleibt diese Trennmöglichkeit außer Betracht. Warum sollte man Trennungen wie retros-pektiv überhaupt in Erwägung ziehen? Die neue Trennung von st führt zur mechanischen, nicht eben sinnvollen Aufspaltung Piedes-tal und sogar Metas-tase. Dies werden die Medizinier gewiß nicht übernehmen. To-ilette führen alle neuen Wörterbücher an, eine ganz überflüssige „Erleichterung“. Die Trennung Gu-angdong ist recht unzivilisiert, da Guang einsilbig ist. Die Nachrichtensprecher bemühen sich allmählich um eine halbwegs korrekte Wiedergabe des Chinesischen, nur Wörterbücher wie das vorliegende geben noch Jangtseki-ang an (immerhin wird Hwang-ho empfohlen).

Stendel/Ständel(wurz) ist gar nicht erst eingetragen. Angesichts der vielen, zum Teil recht entlegenen Fachausdrücke verwundert das Fehlen von Pantograph und Paraphe, paraphieren. Warum Hartz, Peter („ehem. Personalschef von VW“) überhaupt zu Wörterbuchehren gekommen ist, erfährt man nur im Duden. Hardcore ist gewiß auch ein Ausdruck aus der Physik, aber zuerst denkt man dabei wohl an etwas anderes.

Trotz aller Schwächen ist das Wörterbuch ein weiterer Schritt auf dem Weg zurück. Manches erledigt sich gleichsam von selbst. So denkt zum Beispiel niemand daran, den feinen Pfannkuchen anders als Crêpe zu nennen. In diesem und anderen Fällen sind sich Wahrig und Duden einig; nur die Schüler „dürfen“ Krepp schreiben, aber es wird ihnen nichts nutzen, wenn man sie gegen die Welt der Erwachsenen erzieht.

Das Erscheinen dieses Wörterbuchs überrascht, denn als der Dudenverlag mit seinen Empfehlungen hervorgetreten war, hatte der Vorsitzende des Rechtschreibrates verärgert reagiert, und auf der nächsten Ratssitzung wurde die Vorgehensweise des Duden heftig diskutiert:
„In seiner Sitzung am vergangenen Freitag hat der Rat für deutsche Rechtschreibung die neue Duden-Ausgabe kritisiert: 'Es ist nicht Intention des Rates, dass vom Rat beschlossene Varianten in den allgemeinen Wörterbüchern durch Empfehlungen nur einer Variante eingeschränkt werden', sagte Zehetmair den Medien.“ (Börsenblatt 25.9.2006) Das nun vorgelegte Wörterbuch ist zwar kein „allgemeines“, strebt aber gleichwohl die Wirkung eines allgemeinen Rechtschreibwörterbuchs an: die deutsche Rechtschreibung in einer bestimmten Weise zu vereinheitlichen. Seine Unzulänglichkeiten und die Unterschiede zum Duden machen eine weitere Beschäftigung des Rechtschreibrates mit der deutschen Orthographie unumgänglich.


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