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18.01.2007
Erbarmen mit Stoiber
„Herzensanliegen“
Nicht jeden Spott hat der frühere bayerische Ministerpräsident auch wirklich verdient.
Das Hinrichten von Blumen (man kann es als Audiodatei herunterladen) ist natürlich ziemlich komisch, aber die „Kompetenzkompetenz“ braucht man ihm nicht auch noch vorzuwerfen, das ist ein juristischer Fachausdruck, der ihm von Berufs wegen geläufig ist. Uns Rechtschreibern wird Stoiber vor allem durch folgende Äußerung in Erinnerung bleiben:
Die Presse: „Können Sie noch nachvollziehen und der Bevölkerung vermitteln, was mit der Rechtschreibreform los ist?“
Stoiber: „Die Reform ist sicher nicht mein Herzensanliegen. Es zeigt sich aber auch hier, daß die Leute immer weniger akzeptieren, was oben beschlossen wird. Und ich möchte vermeiden, daß genau so etwas wie mit der Rechtschreibreform auch mit dem Euro passiert!“ (Die Presse 5.3.1998)
Ob Herzensanliegen oder nicht: in Bayern ist die Rechtschreibreform unnachsichtig durchgesetzt und ein ungeheurer Schaden angerichtet worden, alles unter Stoiber und mit tatkräftiger Hilfe von Minister Zehetmair, Ministerin Hohlmeier sowie den Ministerialbeamten Toni Schmid und Dr. Stefan Krimm. Stoiber hat in jener Äußerung den Ton angeschlagen, der dann in ganz Deutschland bestimmend wurde: Staatsräson. Zur Rechtschaft gezogen wird keiner der Genannten, aber einfach vergessen wollen wir es ihnen auch nicht.
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Kommentare zu »Erbarmen mit Stoiber« |
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Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 19.01.2007 um 14.40 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=774#7321
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Zur Blumenhinrichtung siehe hier.
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Kommentar von Wolfgang Scheuermann, verfaßt am 23.01.2007 um 09.24 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=774#7382
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Ich lerne auf "Schrift & Rede" ständig dazu: Kompetenzkompetenz hatte ich tatsächlich unter die Stoiberiana gezählt (man findet es aber im "Leipziger Wortschatz"); Rechtschaft war mir neu (dabei ist es ein schönes Wort, das sich eigentlich auch im Grimmschen Wörterbuch finden lassen sollte – aber auch da habe ich es nicht gefunden).
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Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 23.01.2007 um 11.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=774#7385
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Lieber Herr Wagner, was genau steht da zur "Blumenhinrichtung"? Ich komme über das "hier" von hier aus nicht richtig weiter. Ich selbst mag die eigenen Ausdrücke in Dialekten, und wenn wir etwas "herrichten" können, dann kann ich auch verstehen, daß wir auch etwas "hinrichten" können, ohne dabei gleich in jedem Fall an Galgen und Scharfrichterbeil denken zu müssen. Wobei ich jetzt also sehe, daß unsere Standard-Hinrichtung eigentlich verengend verschöntes Gerede ist. Denn was da wirklich geschieht, ist ja ...
Ich werfe also Stoiber nicht vor, daß er so spricht, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Daß er jedoch trotz meiner Warnung den letzten Beschluß der KMK zur Rechtschreibreform abgesegnet hat und daß mir dann irgendein Unterling da eine nichtssagende "Erklärung" dazu schickt, — ja wegen sowas sollte ein Ministerpräsident schon gehen müssen, nicht wahr? (Immerhin war aber Bayern das einzige Land, von dem ich eine Antwort auf meine Warnung an alle Länderchefs damals bekam ...)
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Kommentar von Peristaltik, verfaßt am 23.01.2007 um 12.08 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=774#7386
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Daß Stoiber, dieses "blonde Fallbeil" (Zitat FJS), dann und wann eine Blume hinrichtet, macht gar nichts. Frau Merkel zertritt beim Spazieren in der Uckermark weitaus mehr.
Aber das Herrichten und die Hinrichtung kommen rein sprachlich vom selben Ursprung her, dem nämlich, daß etwas so gefügt wird, daß es recht wird. Und da macht es (unsere hohe Ethik mal beiseitegelassen) keinen Unterschied, ob man eine Blume hübsch in die Vase steckt oder einen rechtmäßig Verurteilten festschnallt und ihm den Strohkorb unter den Kopf stellt.
Schlümm, aber echt wahr.
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Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 23.01.2007 um 22.36 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=774#7395
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Lieber Herr Ludwig, Sie werden auf der von mir angegebenen Seite auf folgendes Tondokument verwiesen: http://www.die-stimme-der-freien-welt.de/sounds/060227.stoiber-blumen.mp3
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Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 23.01.2007 um 23.10 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=774#7398
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Vielen Dank, lieber Herr Wagner. Trotz meines ernsten Verständnisses fürs Hin- und Herrichten, auch dem von Blumen, habe ich gleich laut losgelacht. — Jaja, beim Versuch eines so hohen Herrn, so menschlich mit den Menschen selbst zu reden, damit er in die Macht gewählt werde, kann's "natürlich ziemlich komisch" werden.
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 24.01.2007 um 19.04 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=774#7407
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wg. "hinrichten": Der allzu sorglose Umgang mit "jemanden suspendieren" erinnert Lateiner daran, daß das wörtlich auch "jemanden aufhängen" heißt.
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Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 05.02.2007 um 19.58 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=774#7607
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Die Staatsraison der Revolutionaire
Die Überschrift würde bewußt reaktionär geschriftet, genauer absolutistisch-französisch. Aus der Zeit dieser gottseidank verflossenen Herrschaftsform stammt der Name Staatsraison und der von ihm getragene böse Begriff, mit dem gegebenenfalls jede Untat legitimiert wird. Bedenklich muß stimmen, daß sogenannte Demokraten (oder cosi fan tutte?) ihn aus der absolutistischen Gruft geholt haben, um einer Untat von wenig begnadeten „Revolutionairen“ staatsoffiziösen Anstrich zu geben, gelegentlich das eigene klägliche Versagen zu bemänteln und seinen (Un)geist zu offenbaren (nach Augst: „offen bahren“).
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.06.2016 um 09.27 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=774#32761
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Nicht nur Stoiber, auch andere Gewaltige haben sich anläßlich der Rechtschreibreform zu erkennen gegeben, darum dieser Nachtrag:
Stoiber stärkt Rat für deutsche Rechtschreibung den Rücken / Stoiber: „Hohe Kompetenz des Rats für deutsche Rechtschreibung hat Vorzug vor bürokratischen Vorschlägen“ / „Rechtschreibung braucht breite Akzeptanz“
Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber hat heute dem Rat für deutsche Rechtschreibung ausdrücklich den Rücken gestärkt. Stoiber: „Mit der Einsetzung des Rates für deutsche Rechtschreibung ist es gelungen, hoch qualifizierte Fachexperten und ausgewiesene Kenner der deutschen Sprache und Rechtschreibung an einem Tisch zu versammeln. Unter dem Vorsitz des ehemaligen bayerischen Kultusministers Hans Zehetmair hat der Rat die Chance, einen großen Konsens zu finden und widerstrebende Meinungen zusammenbringen.“ Stoiber erklärte, der Rat für deutsche Rechtschreibung stehe für Pluralität und Kompetenz von Schriftstellern über Wissenschaftlern bis hin zu den großen Verlagen. Stoiber: „Ich werde mich nicht an bürokratischen Vorschlägen, sondern an der Kompetenz des Rates für deutsche Rechtschreibung orientieren.“ Stoiber kündigte an, für Bayern würden die Vorschläge des Rats für deutsche Rechtschreibung Richtschnur sein. Stoiber: „Die deutsche Rechtschreibung braucht eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung. Ebenso muss nach jahrelangen Diskussionen jetzt Klarheit und Sicherheit geschaffen werden. Dafür wird die hohe Fachkompetenz und die Pluralität des Rats für deutsche Rechtschreibung einen entscheidenden Beitrag leisten.“
Kultusminister Siegfried Schneider trat ebenfalls nachhaltig dafür ein, dass die Vorschläge des Rates für deutsche Rechtschreibung berücksichtigt werden. Bereits in der vergangenen Woche hat Schneider die Präsidentin der Kultusministerkonferenz und brandenburgische Ministerin Johanna Wanka in einem Brief gebeten, den Vorsitzenden des Rates für deutsche Rechtschreibung Hans Zehetmair zur Sondersitzung der KMK am 14. Juli 2005 einzuladen und sich mit ihm zusammen über den Zeitplan für einen zügigen und von allen gesellschaftlichen Gruppen getragenen Rechtschreibkonsens abzustimmen. Schneider: „Nach Jahren der öffentlichen Auseinandersetzung muss nun ein Ergebnis auf den Tisch, das auf breite Akzeptanz stößt“, sagte Schneider. Klare, einsichtige und verlässliche Regelungen seien für die Schreibkultur im Lande von höchster Bedeutung. Schneider: „Das Wissen darüber, wie man richtig schreibt, macht ein Stück unserer kulturellen Identität aus. Die langen Auseinandersetzungen über die Reform haben zu Verunsicherungen geführt. Jetzt wollen die Menschen endlich Verlässlichkeit bei der Rechtschreibung.“ Nur eine Reform, die alle gesellschaftlichen Gruppen mittragen könnten, sei eine gute Reform. Schneider: „Was wir in den Schulen lehren, muss auch Akzeptanz auf breiter Basis finden und dem entsprechen, was in Büchern und Zeitungen steht. Es wäre ganz und gar verantwortungslos, unsere Schülerinnen und Schüler in eine Welt zu entlassen, die anders schreibt, als sie es gelernt haben“, sagte Schneider. Er sei überzeugt davon, dass die plurale Zusammensetzung des Rats für deutsche Rechtschreibung zu Ergebnissen führen kann, die von allen Seiten anerkannt werden. (28.6.2005)
Bemerkenswert wiederum die Figur, die wir schon kennen: Die Welt muß sich an die Schule anpassen.
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Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 05.06.2016 um 11.06 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=774#32763
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"Er sei überzeugt davon, dass die plurale Zusammensetzung des Rats für deutsche Rechtschreibung zu Ergebnissen führen kann, die von allen Seiten anerkannt werden. (28.6.2005)" - Was hat der Schneider da denn wörtlich gesagt? Genaue Kenntnis des Materials und vernünftige Diskussion *können* natürlich "zu Ergebnissen führen [...], die von allen Seiten anerkannt werden", der Überzeugung bin ich auch. Aber einmal sind in dieser Sache nicht genaue Kenntnis des Materials und vernünftige Diskussion auf "allen Seiten" gegeben, und was "können" hier bedeuten soll, ist auch nicht klar, weil es bewußt politisches Gerede ist.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.08.2016 um 17.04 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=774#33073
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Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=774#32761
Kultusminister Siegfried Schneider trat ebenfalls nachhaltig dafür ein, dass die Vorschläge des Rates für deutsche Rechtschreibung berücksichtigt werden.
Diese Verwechslung von nachhaltig und nachdrücklich findet man oft. Bei einem überflüssigen Wort kommt es eben nicht so drauf an.
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