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03.01.2007
Germanisten
Neuer Versuch, das Unbegreifliche zu erklären
Um zu verstehen, warum die meisten deutschen Germanisten und Sprachwissenschaftler die Rechtschreibreform so klaglos hingenommen haben, muß man einen Blick auf ihre geistigen Voraussetzungen werfen.
Sehr viele, die sich der „Theoretischen Linguistik“ zurechnen, arbeiten grundsätzlich nur mit selbstgemachten Beispielsätzen. Chomsky hat ihnen eingeredet, die eigene Kompetenz sei die wahre Datenquelle. Sie argumentieren nur intra muros und kennen keine Fachliteratur außerhalb der generativen Tradition.
„Um 500 v. Chr. begegnet in den Quellen ein altindischer Grammatiker namens Panini, der sich um die Analyse des Sanskrit verdient machte, wenn auch noch einigermaßen unsystematisch und ohne erkennbaren Einfluss auf die Entwicklung außerhalb Indiens.“ (Oliver Jungen/Horst Lohnstein: Einführung in die Grammatiktheorie. München 2006:34; natürlich in reformierter Rechtschreibung)
Panini „begegnet in den Quellen“. Wo denn sonst? In Wirklichkeit ist Paninis Grammatik in Indien ein allgegenwärtiges Werk, die Grundlage der höheren Bildung. Es gibt leichter verständliche Aufbereitungen, Kommentare und Subkommentare, einige davon gehören zum Scharfsinnigsten, was die indische Kultur hervorgebracht hat (Patanjali, Bhartrhari). Ganze Philosophien setzen die Kenntnis Paninis voraus.
Das „Unsystematische“ der Ashtadhyayi erscheint nur dem westlich geprägten Betrachter so. Unsere Argumentationsweisen sind an griechischen Vorbildern geschult, die sich an Beweisgängen wie bei Euklid orientieren. Paninis Grammatik mit ihrem extremen Streben nach Verknappung soll nach einer ansprechenden Vermutung die gleichzeitige Präsenz des Regelapparates im Kopf des Sprechers repräsentieren. Sie wird auswendig gelernt, bevor man den Sinn der viertausend Lehrsätze erklärt bekommt. Den Text allein kann auch der Klügste nicht verstehen, man braucht einen Lehrer bzw. entsprechende Hilfsliteratur. Es ist lächerlich, gegen dieses ganz andersartige Werk mit dem Vorwurf des „Unsystematischen“ zu kommen.
Unsere neuere Sprachwissenschaft begann übrigens erst um 1800, als nicht nur die Sanskritsprache, sondern auch Paninis Grammatik im Westen bekannt wurde. Dort lernte man, wie Wörter ordentlich zerlegt werden, man fand eine Ablauttheorie und anderes, ohne dessen Kenntnis die Sprachwissenschaft nicht möglich gewesen wäre. Die Inder hatten schon vor Panini eine ausgefeilte Phonetik, und sie waren das einzige Volk, das das semitische Alphabet nach phonetischen Gesichtspunkten so „systematisch“ wie nur möglich anordnete, während wir bis zum heutigen Tage die absurde babylonische Verwirrung memorieren.
In dem Buch von Jungen/Lohnstein ist, wie in so manchem anderen, die neueste Version der Chomsky-Linguistik („Optimalitätstheorie“ nennt sie sich einnehmenderweise) der Gipfelpunkt von mehreren Jahrtausenden der Geistesgeschichte. Selbstgerechtigkeit und Unwissenheit sind ja stets verbunden.
(Wen es interessiert: In meinem Buch „Die Disziplinierung der Sprache“ habe ich unter dem Titel der kontrastiven Fachtextlinguistik ein kurzes und harmloses Stückchen aus Paninis Werk vorgestellt und die Andersartigkeit zu erklären versucht. Das Werk selbst findet man an verschiedenen Stellen im Internet, in Nagarischrift und Transkriptionen. Ich erwähne das nur für diejenigen, die sich von der totalen Unverständlichkeit überzeugen wollen …)
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.11.2016 um 17.10 Uhr
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Ein Germanistikprofessor ohne Kenntnis einer bestimmten Fremdsprache, sagen wir des Chinesischen, kann keine kontrastive Studie zum Deutschen und Chinesischen betreuen. Sollte man meinen. In Wirklichkeit gibt es zahllose Fälle dieser Art; nicht einmal ein Sinologe, notfalls von einer anderen Universität, wird zu Rate gezogen.
Es ist ehrenwert, wenn eine junge Chinesin eine solche Arbeit auf deutsch verfaßt (sie darf sich auch helfen lassen); und wenn sie die vom Germanisten approbierte Arbeit anschließend ins Internet stellt – wer will es ihr verdenken? Aber dann wimmelt sie von sprachlichen und sachlichen Fehlern, und man muß annehmen, daß der Herr Professor sie nicht gelesen hat – gar nicht gelesen haben kann, sonst wären ihm wenigstens die sprachlichen Schnitzer sofort aufgefallen.
Wieviel Geringschätzung für die Leistung des Nachwuchses spricht daraus! Es ist als Verletzung der Dienstpflicht eigentlich ebenso schlimm wie ein Plagiat, aber niemand wird es je anprangern, schon weil man dann auch die vertrauensvoll vernachlässigten Junglinguisten bloßstellen müßte.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.08.2014 um 19.17 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=761#26544
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Fast alle Germanisten haben die Rechtschreibreform abgelehnt, fast alle Germanisten haben die Umstellung ihrer Fachzeitschriften auf Reformschreibung hingenommen. Besonders Eifrige haben sich an den Hochschulen zu Bütteln der Kultusminister gemacht und frühzeitig keine andere als die jeweils neueste reformierte Schreibung in Seminararbeiten mehr zugelassen. Das wollen wir ihnen nicht vergessen.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.05.2011 um 15.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=761#18765
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Ingwer Paul, Winfried Thielmann, Fritz Tangermann (Hg.): Standard: Bildung. Blinde Flecken der deutschen Bildungsdiskussion. Göttingen 2008 (V&R)
„Jeder Test ist eine Reduktion: Das Wenige, das er erhebt und feststellt, soll als Indikator dienen für dasjenige, um das es eigentlich geht. Das, um das es eigentlich gehen soll, die Bildung ...“ (Vorwort )
Was für ein wunderbares Deutsch!
Alle Beiträge, auch von Konrad Ehlich, in Reformschreibung, dazu durchgehend selbstständig. Aber auch im wesentlichen, letzteres. Ehlich schreibt die größte SprecherInnengruppe der EU.
Der ganze Band schwebt in wolkiger Höhe über den Niederungen des wirklichen Deutschunterrichts, greift diese und jede intellektuelle Mode auf. Natürlich kann man den „konstruktivistischen“ Ansatz der Deutschdidaktik kritisieren, aber aus der Existenz von Spiegelneuronen lassen sich keine Unterrichtsmodelle ableiten. Den faulen Zauber mit den Spiegelneuronen habe ich von Anfang an sehr kritisch gesehen, inzwischen mehren sich die skeptischen Arbeiten.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.11.2010 um 09.41 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=761#17031
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Germanisten veröffentlichen Bücher in solcher Schreibweise:
Sprachkritik ist ein nie enden wollendes, kontroverses Thema. Nicht zuletzt deswegen, weil es uns dort betrifft, wo es um unsere mühsam errungene, in wechselseitigen Verständnisprozessen zu sichernde Identität geht. Daher ist es zuweilen gut, einen Schritt (oder mehrere) zurück zu treten, um aus der Distanz verschüttete Erfahrungen sichtbar zu machen und wieder einholen zu können.
Die hier angebotene Ausstellung zur Sprachkritik in der Zeit der Aufklärung setzt in dem Jahrhundert an, für das sich die Universität Göttingen, selbst ein Kind dieser Zeit, besonders kompetent fühlt. Im Kontrast von damals und heute kann mehr Tiefenschärfe entstehen, wenn man der Gefahr entgeht, einfach das eine auf das andere zu übertragen oder nach dem Muster des anderen zu beschreiben.
Eine zentrale Voraussetzung für Sprachkritik, die heute selbstverständlich und notwendig erscheint, existierte im 18. Jahrhundert noch nicht, stand vielmehr erst als Wunschbild am Horizont: eine Standardisierung des Deutschen, auf die man sich mit guten Argumenten und hoher Zuverlässigkeit berufen konnte. Tatsächlich dann eine deutsche Standardsprache auf dem Hintergrund vielfältiger sprachhistorischer Differenzierungsprozesse, unterschiedlicher Spracherfahrungen und heterogener Normerwartungen erarbeitet zu haben, ist sicher eine der ganz großen kulturellen Leistungen des Jahrhunderts, aber auch Konsequenz des vielfältigen Programms der Aufklärung.
Als konkreten Ausgangspunkt wählten wir die Göttinger Ausprägung eines Typs von patriotischen Vereinigungen, die, ausgehend von Leipzig, aber auch schon vorbereitet an verschiedenen Stellen im 17. Jahrhundert, zu wichtigen Trägern einer zwar öffentlich geführten, aber praktisch orientierten Sprachdiskussion wurden: die Deutschen Gesellschaften. Auch wenn später, vor Ort oder anderswo, über diese Gesellschaften wenig Schmeichelhaftes gesagt werden konnte, so bleibt doch die Tatsache bestehen, dass sie den gerade erst angelaufenen Prozeß der Standardisierung des Deutschen maßgeblich beeinflussten, und daß die in ihnen vereinigten Mitglieder und Förderer der deutschen Sprache ihn systematisch voran brachten.
Dieter Cherubim, Ariane Walsdorf: Sprachkritik als Aufklärung
Die Deutsche Gesellschaft in Göttingen im 18. Jahrhundert
Herausgegeben von Elmar Mittler. Göttingen 2004 (Göttinger Bibliotheksschriften 27)
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.12.2009 um 16.06 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=761#15418
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Der Germanist und Deutschdidaktiker Thorsten Roelcke hat bei C. H. Beck eine kleine "Geschichte der deutschen Sprache" herausgebracht. In einem Abschnitt über die Rechtschreibreform unterlaufen zwar zahlreiche sachliche Fehler, aber der Tenor ist erfreulich kritisch. Schluß: "Es sind vor allem unsere Schülerinnen und Schüler, die die Rechtschreibreform ausbaden müssen, da sie sich ohne erkennbare Erleichterungen daran zu halten haben. Eine weitere Reform wird sicher folgen."
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.07.2009 um 12.40 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=761#14720
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Wie man an der Süddeutschen Zeitung sehen kann, wurde das Thema RSR systematisch unterdrückt. Ich besitze die Jahrgangs-CD-ROM von 1999, und hier sieht man sofort, daß nach dem 1. August praktisch nichts mehr gedruckt wurde, nicht nur keine Leserbriefe, sondern auch keine Artikel. In den folgenden Jahren war es dem Einsatz einzelner Mitarbeiter zu verdanken, wenn noch einmal etwas erschien (z. B. im Umkreis meiner Mitarbeit im Rechtschreibrat). Ansonsten herrscht künstliche Ruhe, und diese Kumpanei der Presse mit den Politikern ist wirklich bedenklich. Auch die Sache mit der Büchervernichtung hätte man doch aufgreifen müssen, wo sonst jede bedrohte Hufeisennase ihren Fürsprecher findet.
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Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 02.07.2009 um 11.22 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=761#14719
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Um eine Lanze für Politiker zu brechen: Wenn ein Politiker nach der Wahl anders handelt und spricht, als er es zuvor versprochen hat, kann das auch daran liegen, daß er sich nach der Wahl in einer Position wiederfindet (z. B. in einer Koalition, die keiner wollte), in der er nicht das machen kann, was er will und versprochen hat. In solchem Falle ist er nicht unredlich.
Ich streite natürlich keineswegs ab, daß es unredliche Fälle gibt – natürlich gibt es die, und zwar zahlreich.
Die Presse hat bei der Rechtschreibreform kläglich versagt – aus Reformgegnersicht. Aus Reformersicht hat sie prima mitgespielt.
Die Presse trägt ein Selbstbild vor sich her, das vor Selbstgerechtigkeit trieft – die Besserwisserpolitikmagazine von ARD und ZDF sind ein Beispiel dafür. Das Eingeständnis, einen Fehler gemacht zu haben, verträgt sich nicht damit. Deshalb wird auf Biegen und Brechen am einmal gefaßten Entschluß festgehalten.
Nur das Volk darf die Presse kontrollieren; das Volk kann es aber nicht. Es erhält alle dafür notwendigen Informationen ausschließlich durch die Presse. Die Presse bringt nichts – wenn nicht versehentlich – an die Öffentlichkeit, das ihr zum Schaden gereichen, ja nicht einmal Kritik an ihr aufwerfen könnte.
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 02.07.2009 um 10.50 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=761#14718
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Um behaupten zu können, es herrsche Ruhe im Land, wurden ab einem bestimmten Zeitpunkt alle Leserbriefe zur Rechtschreibreform unterdrückt, als gebe es solche nicht mehr. Dieses Verhalten der Presse gefährdet die Demokratie und die freiheitlich-demokratische Grundordnung (FDG). Als Abhilfe fallen mir nur chinesische Wandzeitungen ein.
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Kommentar von Bernfried Janas, verfaßt am 02.07.2009 um 08.25 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=761#14717
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Kontrolle der Presse, werter Herr Ludwig, soll natürlich nicht Überwachung bedeuten, sondern war gemeint im verfassungsmäßigen Sinne der "checks and balances", in dem sich die drei "richtigen" Gewalten gegenseitig beobachten und ein Übergewicht an Macht verhindern sollen. "Kontrolleur" der Presse in diesem Sinne kann natürlich nur der mündige Souverän sein, der eben der Journaille wie auch den Politikern nicht alles unbesehen abkauft - hier ganz wörtlich. Er hat ja auch aufbegehrt, der Souverän, aber es hat nicht gelangt. Lehrer, hier habt ihr ein schönes Exempel für die politische Bildung.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.07.2009 um 05.51 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=761#14715
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Das Unangenehme an der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung war ja gerade, daß sie sich die Denkweise der Politiker zu eigen machte und selbst grammatische Aspekte der Orthographie zur Verhandlungssache und damit zur Machtfrage erklärte. Der Valerio-Titel „Niemand hat das letzte Wort“ brachte das zum Ausdruck. Politiker finden immer eine Begründung, um zu rechtfertigen, daß ihr Geschwätz von gestern heute nicht mehr gilt. Aber unter Intellektuellen sollte es nicht so weit kommen, daß Kompromißlosigkeit von vornherein abgelehnt wird. In Fragen, die sich mit Fachkenntnis entscheiden lassen, sind Mehrheitsbeschlüsse unzulässig.
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 01.07.2009 um 22.25 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=761#14714
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Wörtlich genommen ist jeder Politiker unredlich, der nach der Wahl anders handelt als er vor der Wahl geredet hat. Das dürfte auf die meisten zutreffen.
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Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 01.07.2009 um 19.04 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=761#14713
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Zu #14711: Kürzlich gebrauchte jemand in einem dieser Foren hier im Zusammenhang mit der Einstellung der Politik und der Politiker zur Rechtschreibreform "redlich" oder "unredlich". Ich finde nicht wieder, wo das war; aber mir blieb das im Gedächtnis, weil mir gleich auffiel, daß ich mir dieses Wort lange nicht mehr begegnet war (und mir wie aus alten Zeiten, noch aus dem 19. Jahrhundert, klang).
Zu #14709: Obama sprach kürzlich auf einem Presse-Festakt (oder war's ein Radio- oder TV-Festakt) hierzu und tat, was er konnte: Er erinnerte die Journalisten da an ihre eigentliche moralische Aufgabe. Ich wäre übrigens gegen das "sondern die kontrolliert gehört"; das wäre noch schlimmer als das, was wir schon haben! (Ich bin dafür, daß die Schüler in unseren Schulen lernen, genau hinzusehen, genau zuzuhören und genau zu lesen. Und in dem Beruf arbeite ich, so gut ich kann.) Richtig ist aber, und es kann in Leserbriefen nicht oft genug wiederholt werden(!), daß die Presse "eklatant versagt [hat], als sie durch augenscheinlich selbstverordnetes Schweigen zum Mittäter bei der Schädigung eines Kulturguts geworden ist, und zwar gerade eines solchen, das ihr noch ein Qualitätsmerkmal hätte sichern können." Zu: "Irgendwie haben sie immerhin was gemerkt..." Naja, Festaktssprache. Hoffen wir jedoch mit Obama und amerikanischem Optimismus (denn sonst könnten wir ja gleich ganz aufgeben), daß wenigstens einiges davon hängenbleibt und damit — irgendwie — etwas Gutes zum Großen und Ganzen in unserer öffentlichen Sache beiträgt.
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 01.07.2009 um 14.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=761#14711
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In der Politik gelten auch für Wissen und Wahrheit Fraktionszwang und Parteidisziplin; wer sich nicht daran hält, verliert bei der nächsten Kandidatenaufstellung seinen Parlamentssitz und beendet seine politische Karriere, dafür gibt es genügend Beispiele. In der Politik sind auch für Wissen und Wahrheit Mehrheiten notwendig; wenn Unwissen und Unwahrheit die stärkeren Lobbyisten haben, sind Wissen und Wahrheit nicht mehrheitsfähig. Für die Rechtsschreibung trifft das genau zu.
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Kommentar von Bernfried Janas, verfaßt am 01.07.2009 um 11.21 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=761#14709
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Eine Gewalt, die sich besonders wenig Wissen aufdrängen läßt, sondern immer schon genug besitzt, ist die "Vierte Gewalt". Hubert Burda will da gestern in der FAZ dieser Gewalt den Titel "Mediative" verleihen, wohl um ihr – in den Wortgewittern des Internet, die alle Bastionen zu erodieren drohen – einen unanfechtbaren Platz zu sichern. Gut denn, aber eine Gewalt ist in einem Staat westlich-aufklärerischer Prägung eine Entität, der nicht mit Vertrauen zu begegnen ist, sondern die kontrolliert gehört. Zumal und besonders weil ebendiese die anderen drei zu kontrollieren für sich erheischt. Kontrollieren kann die "Mediative" letztlich nur eine skeptische Öffentlichkeit, die deren Produkte kauft oder eben nicht, denn daran hängt ja ihre Existenz. Sie hat eklatant versagt, als sie durch augenscheinlich selbstverordnetes Schweigen zum Mittäter bei der Schädigung eines Kulturguts geworden ist, und zwar gerade eines solchen, das ihr noch ein Qualitätsmerkmal hätte sichern können. Das ist nun dahin, aber wenn's das nur wäre! Sie hat sich bloßgestellt als ganz normale Gewalt, nicht besser als jede andere. Im Grunde eigentlich gut so.
Und heute in der FAZ über einen Festakt in der Journalistenschule München:
"Übe Nachsicht in keiner Richtung!
Wenn Enten wirklich zum Gänsemarsch neigen, ist Qualitätsjournalismus gefragt"
Irgendwie haben sie immerhin was gemerkt...
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.06.2009 um 17.35 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=761#14708
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„Wir müssen der Politik unser Wissen aufdrängen. Jeder, der schweigt, ist Mittäter.“ (Paul Kirchhof im SZ-Magazin 26.6.09)
Gut gesagt.
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Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 04.01.2007 um 18.03 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=761#7160
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Die äußeren Desiderate an Wissenschaften
Den Naturwissenschaften wurden und werden von außen immer wieder Perspektiven von außen "eröffnet" oder auferlegt (religiöse, politische, sexual- und political-correctness-mäßige, ökologische, feministische, venturistische, merkantilistische etc.). Mehrere von ihnen erfuhr schon Galilieo Galilei.
In den Humanwissenschaften (Geisteswissenschaften) im allgemeinen und in der Sprachwissenschaft insbesondere liegen die Dinge eher umgekehrt, weil hier von außen weniger beschränkende Desiderate kommen als vielmehr solche, die die Linguistik ausufern lassen, so daß endlich ihr Gegenstand ähnlich dem wird, den die Semiotik – zu meinem tiefen Bedauern – an ihrem Ende hatte: Alles ist Zeichen! Man verfolge, was heute unter dem Namen Linguistik gehandelt wird. Vieles (wenigstens teils) wirklich Wertvolles steht unter "Linguistik", aber im völlig falschen Regal.
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Kommentar von Hans-Jürgen Martin, verfaßt am 04.01.2007 um 09.58 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=761#7159
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Ich bezweifle, daß das Gesagte ausreicht zur Erklärung des Versagens der Germanisten. Es geht doch allgemein um das Selbst- bzw. Wissenschaftsverständnis und die Bereitschaft auch der Germanistik, sich von außen an sie herangetragenen Interessen und Ideologien dienstbar zu machen. Mich würde mich interessieren, ob es Literatur zur Wissenschaftsethik gibt, die – neben der Medizin (Menschenversuche), Physik etc. – auch die Rolle der Linguistik und Germanistik beleuchtet – etwa in den österreichisch-italienischen und deutsch-slawischen Konflikten des letzten Jahrhundert, als sie durch politisch motivierte und deshalb oft falsche Etymologien von Ortsnamen Territorialansprüche zu begründen suchte.
Warum tun sich Linguisten bzw. Germanisten so schwer damit, einfach nur zu beschreiben, was ist, und nicht vorzuschreiben, was ihrer oder anderer Meinung nach sein sollte bzw. politisch gewollt ist? Vielleicht liegt es ja daran, daß Sprache nicht nur bekanntermaßen dynamisch, sondern in einer heterogenen Gesellschaft auch recht heterogen (Sprachregister) und zudem "manipulativ" ist (s. Pragmatik) – also nicht nur "sich entwickelt", sondern von einflußreichen Mitgliedern einer Sprachgemeinschaft (Politikern und anderen Prominenten, Werbe-"Fachleuten") bewußt durch neue Begriffs- und Wortprägungen verändert wird. Da ist die Versuchung groß, die eigene Kompetenz als Maßstab zu nehmen und selbst in die Sprache einzugreifen und bestimmen, was richtig oder falsch, was ein Adverb oder Substativ und klein oder groß zu schreiben sei etc.: Wer wäre dazu mehr berufen als ein "Experte" der sich mit Sprache auskennt: eben ein Germanist ....
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Kommentar von Ralf Bader, verfaßt am 04.01.2007 um 00.33 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=761#7155
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Herr Ickler schreibt: "Chomsky hat ihnen eingeredet...". Das heißt aber auch: Sie haben sich einreden lassen. Ich kenne die Situation in der deutschen theoretischen Linguistik nicht. Aber Chomsky selbst äußert sich bekanntlich auch sehr ausgiebig zu politischen Fragen, und eines seiner Motive dabei ist die Ansicht, als Sprachwissenschaftler müsse er sich auch darum kümmern, wie die Sprache verwendet wird, insbesondere im politischen Bereich, von dem alle betroffen sind. Würde er hierzulande leben, so wäre es gut vorstellbar, daß er auch zu den Rhetorikschwaden um die Rechtschreibreform einiges zu sagen gehabt hätte.
Was Chomsky und Panini anbetrifft, findet man im Internet in der Tat so einiges, z.B. dies:
»... Chomsky said he was happy to receive the honour in the land where his subject had its origin. "The first generative grammar in the modern sense was Panini's grammar," he said.«
Auch in der Informatik ist Panini nicht ganz unbekannt.
Das läßt an der Qualifikation von Autoren, die Panini keinen "erkennbaren Einfluss auf die Entwicklung außerhalb Indiens" und fehlende Systematizität attestieren, doch gewisse Zweifel aufkommen. Offenbar kennen diese Leute nicht einmal ihren Chomsky.
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