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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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15.12.2006
 

Dem Volke dienen
Oder vielmehr „der Öffentlichkeit“, wie das heute heißt

Post von der FAZ:

FAZ-Vertrieb im Dezember 2006:

"Sehr geehrter Herr Dr. Ickler,
wir bedauern sehr, daß Sie eine der meistgelesenen Zeitungen Deutschlands nicht länger im Abonnement beziehen möchten.
Auch wenn Ihre Entscheidung in letzter Konsequenz nicht positiv für uns ausfällt – vielen Dank, daß Sie sich die Mühe gemacht haben, uns den Grund Ihrer Kündigung mitzuteilen.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung sieht sich der Öffentlichkeit verpflichtet. Dazu gehört, daß wir für die Einheitlichkeit der Rechtschreibung alles tun, was in unserer Macht steht. Gerade junge Menschen brauchen eine klare und einheitliche Rechtschreibung.
Der Rat für Rechtschreibung hat viele Fehlentscheidungen der Reformer korrigiert und in vielen Fällen die bewährte Schreibweise wieder zugelassen. Daher ist aus unserer Sicht nun der Zeitpunkt gekommen, die Rechtschreibung in der Zeitung der Rechtschreibung in den Schulen anzugleichen."

SZ-Vertrieb im Dezember 2006:

"Sehr geehrter Herr Ickler,
wir freuen uns über Ihre Entscheidung, sich mit der Süddeutschen Zeitung über das Tagesgeschehen zu informieren. Herzlich willkommen im Kreis der SZ-Abonnenten."

(Ganz neu bin ich in diesem Kreis nicht, weil ich die SZ schon einmal 20 Jahre lang abonniert hatte.)



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Kommentare zu »Dem Volke dienen«
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Kommentar von b. eversberg, verfaßt am 15.12.2006 um 13.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#6996

Erstens widersprechen sie sich selbst, indem sie die Einheitlichkeit mit willkürlichen Ausnahmen wieder beschädigen, zweitens begehen sie dieselbe Dummheit wie Springer, indem sie die alte Lebensweisheit "non scholae sed vitae" umkehren.
"Nur bei Grün – Beispiel für Kinder!" steht an manchen Fußgängerampeln. "Dass muss sein – Beispiel für Kinder" gehört unter den Titel der FAZ.
 
 

Kommentar von Kelkin, verfaßt am 15.12.2006 um 13.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#6997

Pardon,
aber Sie treiben den Teufel mit dem Beelzebub aus. Einst amüsierte ich mich in den Rechtschreibforen der Tagesschau und des Spiegel (bis zu deren gewaltsamer Schließung) damit, durch Neuschrieb entstandene Stilblüten zu publizieren. Die SZ lag als Materiallieferant da immer einsam an der Spitze. Die FAZ hatte wenigstens genug Rückgrat, um bis jetzt durchzuhalten. Außerdem: Wenn Sie schon ein neues Kapitel aufschlagen – fällt Ihnen da der Wechsel vom rechten zum linken Blatt nicht schwer?

Rückgrat wäre übrigens auch etwas für Herrn Augst. Als Kind dachte ich immer, das käme von 'Rad', und da die Rechtschreibung für Kinder ist, fordere ich eine entsprechende Änderung des Wörterbucheintrags ein. Dasselbe gilt fürs Spazierengehen, das mir weit vor meiner ersten Lateinstunde schon deshalb plausibel erschien, weil man dabei Spatzen begegnete.

Fällt Ihnen übrigens auf, daß die Medien u.a. die Getrenntschreibung für Verben auch im Falle von Substantivierungen aufrecht erhalten? Ein anderer Korrespondent hat hier das Beispiel von der Bundeskanzlerin gebracht, die gerne "Zeit zum Blumen kaufen" hätte. Es ist die Zeit des wahnsinnig werdens...
 
 

Kommentar von Knäckebrot, verfaßt am 15.12.2006 um 15.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#6998

Als kleines Kind sprach ich von den Augenbraunen und von hartknäckig.

Wann kommen die entsprechenden Volksetymologien?
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 15.12.2006 um 15.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#6999

Indem sie im Spätsommer 2004 die Ankündigung ihres Chefredakteurs, dem Beispiel Springers zu folgen, wieder zurücknahm, hat sich die SZ um die Rechtschreibreform unsterblich verdient gemacht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.12.2006 um 17.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#7000

Die "Augenbraunen" sind ja bei unseren Klassikern reichlich belegt, die braucht man also nicht mehr zu erfinden.

Was die beiden Zeitungen betrifft, so ist die eine kein Teufel, die andere kein Beelzebub, und ich kann auch die eine so wenig rechts finden wie die andere links. Sie sind beide ziemlich gut und ziemlich buntscheckig. Illusionen mache ich mir natürlich nicht, aber die FAZ hat mich nun mal enttäuscht, und zwar gewissermaßen ganz persönlich, so daß ich es mit meiner Selbstachtung nicht vereinbaren könnte, das Blatt noch länger zu lesen. Bei der SZ ist das nicht der Fall. Es ist aber, wie angedeutet, mehreres zusammengekommen, was ich hier nicht näher ausführen will, weil es wirklich nicht zum Thema gehört. Und was das Beispiel Springers betrifft, lieber Herr Markner, so ist die Süddeutsche ihm ja letzten Endes doch gefolgt, hat sich bloß zwischendurch einen peinlichen Springersprung erspart.
 
 

Kommentar von Ursula Morin, verfaßt am 15.12.2006 um 23.07 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#7002

Heute prangt auf der Titelseite der FAZ im Artikel über eine Entscheidung des obersten Gerichts in Israel der Satz: "Es kann nicht im Voraus gesagt werden, ...." – nun, da weiß man, was ab 1.1.2007 zu erwarten ist. Wie gut, daß ich schon gekündigt habe!
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 16.12.2006 um 13.47 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#7003

Früh übt sich

Die FAZ ist offenbar bemüht, den Vollzug ihres Einknickens nicht allzu plötzlich zu gestalten. Behufs dessen hat sie wahrscheinlich Redaktionsvolontäre des letzten Absolventenjahrgangs der allgemein bildenden / allgemeinbildenden oder auch der Eliteuniverstiäten und so angeheuert (...gehäuert – man weiß es nicht mehr so genau nach der durch alle Etagen schlagenden Volksetymologie von Augst). "Diese Zeitung" bewegt sich also gewissermaßen organisch auf das (nicht: darauf) zu, was sie in Zukunft sich, ihren Schreibern und ihren Lesern zumutet (oder nach Augst: zu Mutet?).
 
 

Kommentar von Ursula Morin, verfaßt am 16.12.2006 um 15.57 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#7004

Auch ich habe auf meine Kündigung hin den albernen Formbrief erhalten, den auch Prof. Ickler erwähnt. Ich habe darauf persönlich geantwortet, weil ich mich als langjähriger FAZ-Leser dadurch einigermaßen beleidigt fühlte:


Frankfurter Allgemeine Zeitung
z.Hd. Herrn Hoffmann /Abonnementverkauf
Hellerhofstr. 2 – 4
60267 Frankfurt/Main

Sehr geehrter Herr Hoffmann,
ich sehe zwar, daß es sich bei Ihrer Bestätigung meiner Abonnementkündigung um einen Formbrief handelt, möchte aber dennoch persönlich antworten, um Ihnen einen guten Rat hinsichtlich des Inhalts dieses Briefes zu geben.

Es wäre besser, Sie würden nicht die „Einheitlichkeit“ der Rechtschreibung als Umstellungsgrund anführen. Diese Einheitlichkeit ist seit der Reform dahin, wie jeder sehen kann, der heutzutage überhaupt Deutsch liest. Die FAZ war da bisher eine rühmliche Ausnahme, weil sie die einzige Orthographie praktiziert hat, die einheitlich war, da sie der bewährten Rechtschreibung entsprochen hat.

Die Heucheleien in diesem Zusammenhang sind für einen „klugen Kopf“, der ja angeblich hinter Ihrer Zeitung stecken soll, einfach unerträglich. Wenn Sie sich auch nur ein wenig damit befaßt haben, wie junge Leute heutzutage schreiben, dann wissen Sie, daß die FAZ da auch nichts mehr ausrichten kann. Eher wäre es ein Vorteil gewesen, wenn die Schüler wenigstens in einer Zeitung etwas anderes als eine „Hausorthographie“ – denn darauf läuft es ja hinaus – hätten finden können. Wie Sie Einheitlichkeit durch Angleichung an eine nicht-einheitliche Schreibung fördern wollen, ist mir ein Rätsel. Wie Sie wissen, stimmen die neuen Wörterbücher nicht überein und weichen außerdem von den sog. „Handreichungen“ für die Lehrer ab. Das Ergebnis wird nun sein, daß die Schüler noch eine abweichende Schreibung kennenlernen, falls sie überhaupt die FAZ lesen, was ich bezweifle.

Die „Einheitlichkeit“ kann also nicht der eigentliche Grund für die Umstellung sein, Sie sollten also in Ihren Antworten auf die sicherlich gerade zahlreich eintreffenden Abonnementkündigungen dieses Wort tunlichst vermeiden, es ist intellektuell unehrlich.

Für mich würde die Umstellung eine erhebliche Irritation beim Lesen bedeuten. Ich bin Übersetzerin und Korrekturleserin, und daher berufsbedingt sehr empfindlich, was das Schriftbild betrifft. Schreibungen wie „Schlussstrich“ oder „heute Abend“ lösen bei mir nervöse Reflexe aus und stören mein Lesevergnügen. Nun werden Sie denken, daß man eine Zeitung wohl kaum zum Vergnügen liest, so ist es aber in meinem Fall. Nachrichten kann ich nämlich auch per Radio/TV empfangen. Weshalb sollte ich es mir also antun, mich beim Lesen ständig ärgern zu müssen?

Schade, ich konnte die FAZ auch gut als Argument bei meinen Kunden verwenden, die inzwischen auch froh wären, wenn sie ihre Dokumentation nicht umgestellt hätten. Die anfängliche Begeisterung für die ach so moderne neue Rechtschreibung hat sich bei ihnen zumeist in reinen Frust gewandelt. Die meisten erklären mir allerdings, daß es ihnen völlig egal ist, wie ich meine Übersetzungen schreibe („da blickt ja sowieso keiner mehr durch“ erklärte mir ein Kunde neulich).

Auch die neuesten Wörterbücher stimmen nicht überein, die FAZ wird also auch ihre eigene Orthographie erfinden müssen. Da ich keine Zeit habe, ständig Vergleiche anzustellen, schreibe ich weiterhin so, wie ich es selbst stilistisch und grammatisch/semantisch für richtig halte, was auf die „bewährte Rechtschreibung“ hinausläuft, die Ihre Zeitschrift auch hätte beibehalten sollen. Es ist mir unerklärlich, weshalb die FAZ nun auch zu den in den Schulen praktizierten Grammatikfehlern beitragen möchte, siehe oben – „heute Abend“ ist grammatisch ganz einfach falsch. Leider hat man es dem Rechtschreibrat verwehrt, hier Abhilfe zu schaffen. Die FAZ wird also zukünftig mit teilweise falscher Grammatik erscheinen. Den „klugen Köpfen“ wird das sicher nicht gefallen. Aber vielleicht werden ja die Schüler nun vermehrt die FAZ abonnieren ...

Bitte beachten, daß meine Kündigung auch die FAS betrifft. Ich würde mich freuen, auch dafür eine Bestätigung zu erhalten.

Herzliche Grüße

Ursula Morin
Skandok Industrietexte
Paulinenstr. 32
71093 Weil im Schönbuch
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 16.12.2006 um 17.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#7005

"Der Öffentlichkeit verpflichtet", klare Verhältnisse für die Jugend – kleiner hat es die FAZ zur Zeit nicht. Die Begründungen sind natürlich läppisch, trotzdem sind sie aufschlußreich, über die Vermutung hinaus, daß sich auf ein besonders hohes Roß setzen muß, wer moralisch soeben selbst kläglich versagt hat. Öffentlichkeit, verstanden als die der bürgerlichen Gesellschaft oder gar als das eigene Leserpublikum, kann als Adressat der Verpflichtungsbekundung nicht gemeint sein, deren Interessen werden ja gerade mißachtet. Sinn hat die Rede von Öffentlichkeit hier nur, wenn man sie mit "öffentliches Interesse" übersetzt und dieses als Staatsinteresse begreift. Dazu paßt auch die Aussage über die Bedürfnisse junger Menschen in puncto Rechtschreibung. Auf den vermeintlich orthographisch orientierungslosen jugendlichen FAZ-Leser kann sie kaum gemünzt sein. Er ist intelligent genug, sich selbst ein Bild davon zu machen, was klare und einheitliche Orthographie ist, und außerdem so vielen anderen Anfechtungen (z.B. durch das elterliche Bücherregal) ausgesetzt, daß es bei ihm auf die Fürsorglichkeit seiner Tageszeitung auch nicht mehr ankommt.
Es geht offensichtlich nicht um eine klare und einheitliche Rechtschreibung, sondern um deren staatlich gesetzte Norm, die sich nur behaupten kann, wenn sie zumindest den Anschein der Klarheit und Einheitlichkeit erweckt – also darum, Herr Eversberg hat das schon sehr schön gefaßt, pädagogisch ein "Beispiel für Kinder" zu geben.

Bleibt die Frage, warum die FAZ ihren enttäuschten Lesern Erklärungen anbietet, die ihren Konsistenzpunkt in einem Appell an Untertaneninstinkte haben. Ob die Herausgeber damit ein tatsächliches Motiv offengelegt haben, ist nicht entscheidbar. Gewiß ist jedoch, daß sie solche Erklärungen für die am wenigsten schädlichen hielten. Gewiß ist zugleich, daß der kurzfristige Schaden für das Blatt beträchtlich ist und dies absehbar war. Ginge es in erster Linie um Rechtschreibung, wäre allein schon die Wahl des Zeitpunktes irrational gewesen, selbst dann, wenn man das Einschwenken auf die Staatsorthographie als unausweichlich ansieht. Einen Sinn hat die Entscheidung der FAZ eigentlich nur dann, wenn sie das Ergebnis einer Auseinandersetzung um die Neupositionierung des Blattes insgesamt und auf lange Sicht war und die Rechtschreibung lediglich den Anlaß für diese Auseinandersetzung bot. Dann fallen auch die Abonnenten nicht mehr ins Gewicht, die man verliert, ebensowenig wie der Ruf. Schließlich sollen neue Ufer erreicht und neue Leserkreise erschlossen werden. Nicht nur Schirrmacher ist ein Repräsentant des Mainstream-Journalismus, sondern auch Nonnenmacher. Insofern konnte der Ausgang der Partie nicht wirklich überraschen.
 
 

Kommentar von Ursula Morin, verfaßt am 16.12.2006 um 23.37 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#7007

Man sollte sich dann aber auch für eine andere Schriftart auf dem Titel entscheiden. Die jetzige ist den Kindern ja nicht zuzumuten ...
 
 

Kommentar von Michael Senn, verfaßt am 17.12.2006 um 09.43 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#7008

Die Argumentation der FAZ, die Umstellung mit einer erwünschten Einheitlichkeit zu begründen, ist etwas dürftig und für den Leser nicht akzeptabel. Im Grunde hatten wir uns doch seit Jahren daran gewöhnt, mit mindestens 4 verschiedenen Rechtschreibungen im deutschsprachigen Raum zu leben, was überhaupt kein größeres Problem darstellt - und in Ländern wie Norwegen und Griechenland übrigens schon seit langem der Fall ist. Die Einheitlichkeit ist eben von den Politikern mutwillig zerstört worden (die sollten es eigentlich ausbaden müssen). Und die FAZ wird mit ihrer Anpassung zum Jahresende eine Zeitung unter vielen anderen: Wenn man bereit ist, den Neuschrieb bereits am frühen Morgen über sich ergehen zu lassen, kann man schließlich auch die "Welt" oder die "Süddeutsche" abonnieren, und wenn nicht: Es gibt auch noch Radio/TV oder gar ausländische Zeitungen wie "Le Figaro" oder "Newsweek", die neben den internationalen Themen manchmal auch ganz gute Artikel über Deutschland bringen. Und die Argumentation, die FAZ müsse die Rechtschreibung an diejenige der Schulen anpassen (welch verkehrte Welt!), erinnert mich doch allzusehr an diejenige des FOCUS-Chefredakteurs Markwort vor zwei Jahren!
 
 

Kommentar von Borghild Niemann, verfaßt am 17.12.2006 um 12.53 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#7009

Norwegen taugt als Vergleich zu unserer Rechtschreibsituation überhaupt nicht. Die Norweger waren mehrere Jahrhunderte unter dänischer Herrschaft und hatten nach Gewinnung ihrer Selbständigkeit keine eigene Schreibung. Die Literatur- und Amtssprache war dänisch. Die größten Geister, z.B. Holberg und Ibsen, haben quasi dänisch geschrieben, mit norwegischen Einsprengseln.
Zur Rückgewinnung ihrer eigenständigen kulturellen Identität haben die Norweger große Anstrengungen unternommen, eine eigene Schreibung zu entwickeln. Das führte zu zahlreichen Rechtschreibreformen, zwei Hauptvarianten, unendlich vielen Nebenvarianten und gelegentlich zu zwerchfellerschütternden Schreibungen. Es gibt in Norwegen nur wenige Icklers, die den Überblick haben. Wenn erst einmal das Abi durchgestanden ist, scheren sich die meisten nicht mehr um die Schreibung. Im Abitur muß man zwei norwegische Aufsätze, jeweils in den beiden Hauptvarianten, schreiben. Wegen der Ranschburgschen Ähnlichkeitshemmung bereitet der Aufsatz in der jeweils anderen Hauptvariante vielen Schülern große Schwierigkeiten. Die bekannte Sängerin Wenche Myrhe ist seinerzeit im ersten Versuch durchs Abi gerauscht, weil sie den Aufsatz in der zweiten Variante nicht richtig schreiben konnte. Das war damals eine große Meldung in der Presse.

Bis vor wenigen Jahren habe ich mich über den norwegischen sprachlichen Wirrwarr gewundert und amüsiert, zumal man sich als Ausländer gut verständigen kann. Das Lachen ist mir seit einigen Jahren im Halse steckengeblieben. Die Regelungswut in Norwegen hat einen seriösen Grund: Ein zahlenmäßig kleines Volk wollte seine kulturelle Identität zurückgewinnen.

Und was ist bei uns der Grund des Wirrwarrs?
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 17.12.2006 um 14.21 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#7011

sammnorsk zum Beispiel

Die von oben verordnete Konvergenz der beiden Varietäten des Norwegischen zum sog. "sammnorsk" und ihr Scheitern sind ein weiterer Beweis dafür, daß sich Sprach(gemeinschaft)en dem Einfluß von außen geharnischt bzw. durch Beständigkeit widersetzen.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 17.12.2006 um 15.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#7012

Zu Neunorwegisch und Neugriechisch: Das sind gerade sehr gute Beispiele dafür, daß sich auf Dauer eben nicht die künstlich erfundene Sprache (Nynorsk und Katharewusa), sondern die Volkssprache (Bokmal und Demotike) bei der Mehrheit durchsetzt.

Zur kulturellen Identität: Die hatten wir in der Schriftsprache bis 1996, dann wurde sie von den Kultusministern durch die Entwertung der gesamten vorhandenen Literatur zerstört. Der angebliche sogenannte "Rechtschreibfrieden" und die zahlreichen "Verlags-Hausorthographien" entsprechen ihr nicht. Kulturelle Identität kann nicht vom Staat verordnet werden, sondern muß sich auf lange Tradition stützen.

Zur Staatsräson: Ihr wirklich ernstzunehmender Gegner ist die Lächerlichkeit. Die Reformer versuchen immer noch, die Sprachbewahrer persönlich lächerlich zu machen. Die Reformgegner können nur etwas erreichen, wenn sie weiter die Lächerlichkeiten der Reform-Inhalte aufzeigen. Vernunftgründe prallen weiterhin ab. Wenn man Leute ohne schulpflichtige Kinder mit dem Stichwort Rechtschreibreform anspricht, erntet man sofort allgemeines Gelächter.
 
 

Kommentar von Richard Dronskowski, verfaßt am 17.12.2006 um 16.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#7013

Auch ich habe mein Abonnement der FAZ gekündigt, und zwar am 5. Dezember mit einem Brief an die Herausgeber:


"Betr: Kultusminister-SS-Deutsch, Kündigung des Abonnements Nr. ########

Sehr geehrte Herausgeber,

hiermit kündige ich mein Abonnement der Frankfurter Allgemeinen Kinderzeitung, hoppla, Zeitung zum Ende dieses Quartals. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, daß es mit der Demokratie in unserer DDR, hoppla, in Deutschland nicht mehr zum besten bestellt ist, jetzt wäre er erbracht. Eine mächtige Clique nimmt sich die Sprache zum Opfer, und auch die FAZ knickt letztendlich ein, trotz kritischer Berichterstattung über manche Jahre. Joachim Fest: ich nicht - FAZ: wir schon!

Sie mögen tatsächlich die Kinder ins Visier nehmen wollen, aber die haben Sie schon längst verloren. Die jungen Erwachsenen hingegen beziehen ihre „News“ vornehmlich von web.de und ignorieren die Zeitungen; sie sollten die jungen Leute besser kennen, von mir könnten Sie direkt etwas lernen. Auch ich werde nun - nolens volens - die kostenlosen elektronischen Medien nutzen, dazu aber die Internetausgaben mittels eines elektronischen Normalfilters von den „Missständen“ desinfizieren.

Winston S. Churchill hat einmal folgendes gesagt: „Never give in, never give in, never, never, never, never, in nothing, great or small, large or petty, never give in except to convictions of honor and good sense.“ Nicht „sometimes” oder „eventually“, sondern „never”, nicht wahr? Die Glaubwürdigkeit der FAZ ist hin.

Für die Zukunft wünsche ich Ihnen viele, viele Kinder als Abonnenten.

Mit freundlichem Gruß"


Zu meiner Überraschung antwortete mir Herr D'Inka mit einem persönlichen Brief am 11. Dezember:


"Sehr geehrter Herr Prof. Dronskowski,

Sie mögen sich über Kinder und junge Menschen lustig machen, wir können es nicht - und wir wollen es auch nicht. Ich weiß nicht, auf welcher Empirie Ihre Erfahrungen beruhen, meine fußen auf fast zwanzig Jahren Teilnahme am Projekt "Jugend schreibt / Zeitung in der Schule", allein in diesem Jahr mit reichlich fünfzig Frankfurter Schulklassen. Ihre metaphorische Anspielung auf die DDR finde ich, bei allem Respekt, maßlos.

Mit freundlichen Grüßen"


Selten habe ich mich so mißverstanden gefühlt, sehe ich doch an meinen eigenen Kindern, wer die Opfer des Orthographieexperiments sind. Ich werde wohl meine gesamte Bibliothek verbrennen müssen, um meine Kinder nicht zu gefährden. Was meine zehnjährige Empirie als Hochschullehrer anbelangt: manche der Studenten erkundigen sich mittlerweile gern nach ihrem "Ergebniss". Alles bestens, gelle?
 
 

Kommentar von Christoph Kukulies, verfaßt am 17.12.2006 um 18.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#7014

Prof. Ickler hat es vor einigen Wochen schon vorausgesehen und das ist wahrscheinlich auch der Türöffner gewesen. Dann wär's mit D'Inkas Schülerzeitungsprojekt vorbeigewesen (siehe hier).
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 17.12.2006 um 19.04 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#7015

Titelschreibung in der Anrede

So ganz nebenbei. Früher wurde gelehrt, und ich lehre es heute noch, daß man den jeweiligen Titel in der brieflichen Anrede ausschreibt, weil die Abkürzung schlicht despektierlich ist. Hat sich / wurde da etwas grundsätzlich geändert oder wurde nur das savoir vivre etwas laxer?
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 17.12.2006 um 19.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#7017

Den Doktor schreibt man nicht aus, den Professor hingegen schon. Aber so meinten Sie es wohl auch.

Herr D'Inka scheint dieser Tage allein mit der nicht sehr ehrenvollen Aufgabe beschäftigt, solche Antworten zu schreiben. Man beginnt zu begreifen, warum er überhaupt zum Herausgeber gemacht worden ist – in wohlbedachter Voraussicht!
 
 

Kommentar von Hans-Jürgen Martin, verfaßt am 17.12.2006 um 19.30 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#7018

Ich habe die F.A.S. bereits am 29.06.2006 gekündigt, nachdem Umstellungspläne bekannt geworden waren. Am 03.07.2006 erhielt ich folgende eMail:

»vielen Dank für Ihre Nachricht.
Wir haben Ihr Abonnement vorsichtshalber zum 31.12.2006 eingestellt, jedoch bitten wir Sie, Ihre Kündigung nochmals zu überdenken, da in unserem Verlag noch keine entgültige Entscheidung bezüglich der Umstellung auf die neue Rechtschreibung getroffen wurde.
Dies wird dann veröffentlicht, jedoch informieren wir Sie gerne nochmal direkt, wenn eine Entscheidung vorliegt.«

Das genannte Datum (31.12.2006) legt die Vermutung nahe, daß selbst das Datum der Umstellung (01.02.2007) damals schon ins Auge gefaßt war.
Auch ich habe der F.A.Z. in diesem Monat einen Leserbrief geschrieben, und auch ich habe ein (natürlich u. a. aus Textbausteinen bestehendes) Schreiben von Herrn D'Inka bekommen. Zur vorgeblichen Verantwortung der F.A.Z. gegenüber der "Öffentlichkeit" habe ich ihm geantwortet:

»Sie tragen eine "Verantwortung der Öffentlichkeit gegenüber", und zu dieser Öffentlichkeit zählen auch die Schüler!? Lassen Sie mich raten, was Sie mit "Öffentlichkeit" meinen: nicht die Mehrheit des deutschen Wahl- und Schreibvolkes – dessen eindeutige Meinung zur RSR haben Allensbach & Co ja immer wieder erfragt und dokumentiert – sondern eine Minderheit der Einflußreichen und Mächtigen: Ihrer peer group. Die Erziehungsberechtigten der Kinder, die Sie zu schützen vorgeben, nehmen Sie ebensowenig ernst wie die Kultusminister, Bürokraten und Gerichte. [...]«

Zum Abonnement einer anderen falsch schreibenden Zeitung kann ich mich nicht durchringen.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 17.12.2006 um 23.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#7022

Re #7013: Was Herr D'Inka hier übersieht, ist, daß Schüler in der Schule eben das tun, wofür sie ihre Note brauchen; und das finden sie sehr schnell und durchaus intelligent heraus. Eine größere Übersicht haben sie noch nicht; deshalb sind sie ja auch noch Schüler. Und so sprechen sie halt auch in der Englischklasse mit zufälligem gleichaltrigem Besuch aus dem englischsprechenden Ausland über die Themen, die der Lehrer vorschlägt, nämlich, ob die Jugendlichen da im fremden Land auch Hamburger essen, ob sie Brüder und Schwestern haben und wie alt diese sind und ob sie auch ihren Fußball spielen oder andren, — und das alles, wo sie stattdessen in der Zeit ganz anderes, z. B. ihre gleichaltrigen Bekannten anderen Geschlechts und anderes, sehnsüchtig und anderweitig ganz natürlich im Kopf haben. Doch selbstverständlich nehmen sie auch am verordneten Klassengespräch teil. Und als Erzieher kenne ich meine Rolle und verordne sogar Gleiches, — weil auf lange Sicht genug Verwertbares davon abfällt, — aber nicht eben unbedingt das, was da eingeübt wird.

Jedenfalls bin ich sicher, daß die Schüler auch in den "reichlich fünfzig Frankfurter Schulklassen" in den Pausen einander nicht danach fragen, welche Zeitung sie zu Hause lesen oder ob sie Brüder und Schwestern haben und wie alt diese sind und welchen Fußball sie spielen. Und was und wie schreiben denn diese Jugend-schreibt-Jugendlichen, wenn sie nicht mehr in der Schule sind? So wie viele Journalisten — auch bei der FAZ — heute schon schreiben?

All dies schreibe ich, ohne mich "über Kinder und junge Menschen lustig machen" zu wollen, sondern in großer Sorge um sie, — zu welcher mir das D'Inka-Schreiben ebenfalls weiterhin und großen Anlaß gibt.

Re #7015: Lax hin und lax her; — kürzlich habe ich mal für jemanden in einer Übersetzung so geschrieben: "Sehr geehrte Herren Prof. Dr. X und Dr. Y!", einfach damit die Anredezeile nicht zu lang geriet. Schlimm ist bei Herrn D'Inka leider nicht, wie er's sagt, sondern, was er sagt und welche eigene Erfahrung er dazu vorschiebt.
 
 

Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 18.12.2006 um 08.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#7024

Ein weiteres Indiz für Herrn Martins Vermutung (#7018), daß der FAZ-Umstellungstermin bereits im Sommer feststand, sehe ich darin, daß Herr Kister von der SZ schon in seiner Kündigungsbestätigung an mich im Sommer davon wußte, daß die FAZ umstellen würde, indem er schrieb, in seiner Zeitung seien die von FAZ und Spiegel noch vorzunehmenden Änderungen bereits vorgenommen. Somit fand die "Abstimmung" bereits im Sommer statt. Mit der Verschiebung auf den Jahresanfang erreichte man erstens die Entkopplung der Preiserhöhung von der Umstellung (bei gleichzeitiger Bekanntgabe hätte man sicher mehr Abo-Kündigungen eingefangen), zweitens wurde Negativwirkung des öffentlichen Eindrucks einer Gleichschaltung vermindert.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.12.2006 um 10.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#7026

Nanu? Heute schon wieder ein scharf ablehnender, mit Kündigungsdrohung verknüpfter und daher zur Nachahmung einladender Leserbrief in der FAZ – was soll das bedeuten? Für ein Trostpflästerchen ist es schon fast zuviel, denn sowohl Friedrich Denk als auch Rüdiger Ahrens haben ja sehr gute Gründe, über die man nicht leicht hinweggehen kann. Ist es stille Obstruktion? (So ziemlich alle Mitarbeiter dürften ja gegen die Umstellung sein.) Die Zeitung gerät immer deutlicher in die Position: Wir wissen, daß wir Mist bauen, aber wir bauen ihn trotzdem …
 
 

Kommentar von S.L., verfaßt am 18.12.2006 um 11.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#7027

Oder: Wir wissen, daß wir Mist bauen, und deshalb bauen wir ihn.
 
 

Kommentar von Michael Schuchardt, verfaßt am 18.12.2006 um 11.27 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#7029

Die FAZ-Herausgeber besitzen hier auch gar keinen Geschäftssinn. Ich behaupte, daß die heutigen FAZ-Abonnenten – auch solche, die die Reformschreibung gutheißen – ihre Abonnements nicht kündigen würden, wenn die Zeitung noch jahrelang an der bewährten Schreibung festhielte. Umgekehrt dagegen muß den Verantwortlichen doch klar sein, nicht zuletzt wegen der vielen zustimmenden Äußerungen nach der Abkehr von der Reform in 2000, daß ein erheblicher Aderlaß droht.

Während der DUDEN und andere Verlage durch die Reform finanziell profitiert haben, kann die FAZ bei der Umstellung nur verlieren.
 
 

Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 18.12.2006 um 18.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#7032

Th. Ickler: »… was soll das bedeuten?«

Nun, vielleicht gibt es ja bei der FAZ intern eine Quotenregelung in etwa der Art, daß – sagen wir – je eintausend zu einem Thema eingegangener Leserbriefe, in denen (in etwa) die gleiche Ansicht vertreten wird, einer davon veröffentlicht wird. Aber das ist reine Spekulation.
 
 

Kommentar von Dr. Arno Pielenz, verfaßt am 18.12.2006 um 19.29 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#7033

Nur damit die FAZ-Redakteure nicht wie seinerzeit aus gleichem Anlaß Herr Bissinger von der WOCHE behaupten können, er habe wegen der Einführung der Kinderrechtschreibung nur drei oder vier Abonnemtenskündigungen von irgendwelchen Sprachprofessoren erhalten: Auch ich habe die Abonnements von FAZ und FAS wegen des "gräulichen Missstandes" (FAZ – erinnern Sie sich?) gekündigt und den gleichen Normbrief erhalten wie Prof. Ickler und all die anderen.
 
 

Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 18.12.2006 um 20.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#7034

Worauf spielen Sie mit dem „FAZ – erinnern Sie sich?“ an? Ich habe dazu erst mal keinen passenden Artikel gefunden, aber immerhin einen FAZ-Leserbrief von Ihnen, in dem es unter anderem „gräulich“ zugeht (siehe hier).
 
 

Kommentar von WL, verfaßt am 18.12.2006 um 21.48 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#7035

Noch’n Leserbrief

Sehr geehrter Herr D’Inka,

vielen Dank, daß Sie sich die Mühe gemacht haben, mir auf meine E-Mail zu antworten.

Sie wissen selbst, daß Sie damit die Entscheidung der FAZ, sich nunmehr auch der neuen Rechtschreibung anzuschließen, in keiner Weise einleuchtend rechtfertigen. Alle Gründe, die die FAZ zur Rückkehr zur unreformierten Rechtschreibung bewogen haben, bestehen unverändert weiter. Weder ist den Jugendlichen oder der Öffentlichkeit, geschweige einer „Einheitlichkeit“ mit Ihrer Maßnahme in irgend einer Weise gedient, noch hat sich die Reformorthographie durch die halbherzigen Zugeständnisse des Rechtschreibrates in einer hinnehmbaren Weise verbessert. Damals sagte einer Ihrer Chefredakteure auf die Frage, wann denn die FAZ ihren Widerstand aufgeben würde, ganz entschieden: NIE. Solche Äußerungen mit kurzen Halbwertszeiten sind wir ja von Politikern gewohnt, aber im Zusammenhang mit der Rechtschreibreform hat der Berufsstand der Journalisten leider offenbart, daß er es mit Verläßlichkeit und Treue zu den bekundeten Überzeugungen auch nicht ernster nimmt, als diejenigen, die er für derlei Untugenden zu kritisieren hat, was ja auch je nach politischer Perspektive geschieht. Das ist für mich persönlich mit einer der schlimmsten Schäden, die sich bei dieser jahrelangen Diskussion gezeigt haben, schlimmer noch als die Verschlechterung der Orthographie, und dies gilt natürlich auch für die Kollegen der anderen „führenden“ Zeitungen Deutschlands. Alle haben wider bessere Einsicht sich auf dieses völlig verfehlte und sinnlose Experiment eingelassen, haben sich vor den Karren der Politiker spannen lassen, in einer Angelegenheit, die sie selbst und ihr Handwerk, ihre ureigenste Kompetenz zentral nicht nur tangiert, sondern nachhaltig beschädigt. Das hätte niemals passieren dürfen, Sie hätten hier beweisen können, daß Sie Ihre Aufgabe, die Politik an Übergriffen zu hindern, wirklich ernstnehmen – und gerade bei diesem Thema hätten Sie die höchste Kompetenz ins Feld führen können, so wie Ihre Kollegen Schriftsteller, die bedauerlicherweise Ihre Macht nicht haben.

Ich bin davon überzeugt, daß Sie dies alles wissen und genauso sehen, und daß es für das Einknicken der FAZ Gründe gibt, die mit der Sache selbst gar nichts zu tun haben. Das macht nichts besser, sondern eher noch schlimmer.
Der deutsche Journalismus – und zwar die sogenannte „Elite“ (FAZ, Spiegel, SZ, Welt usw) – hat gezeigt, daß er ziemlich leicht zu korrumpieren ist. Das ist eine vernichtende Erfahrung.

Mit freundlichen Grüßen
Walter Lachenmann
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 18.12.2006 um 22.08 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#7037

Des Volkes untertänigste Diener

Die allseitigsten Diener liefert nach wie vor Haribo mit seinen unübertroffenen Gummibärchen. Diese redigieren jetzt die größeren tolerierten Gazetten in kindgerechter Schreibe mit kindgerechten Inhalten. Alles vorher behördlich abgestimmt beim Bio-Öko, Multi-Kulti, Hippi-Hoppi, Wappi-Schwappi und wie sie alle heißen, die Geistesgötter der neuen Journaille.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 18.12.2006 um 22.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#7038

Die "Öffentlichkeit" ist nicht das Volk, das haben wir vor kurzem (neu: vor Kurzem, wo immer dieser Ort liegen mag) aus einigen Verlautbarungen von höchster Stelle lernen müssen, in denen das "Öffentliche Interesse" ausdrücklich als das Interesse des Staates und der Regierung bezeichnet wird. Das "Öffentliche Interesse" ist von Amts wegen nicht das Interesse des Volkes, und die "Öffentlichkeit" sind höchstens die repräsentativen in Form von Parteilisten zu wählenden angeblichen "Volksvertreter", die sie zu sein vorgeben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.12.2006 um 08.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#7087

Im heutigen Leserbrief von Dr. Hartmut Bock, Kelkheim, wird die FAZ-Entscheidung zwar auch bedauert, aber der Kompromiß samt hausorthographischen Besonderheiten wird begrüßt, ebenso die Entscheidung für Wahrig. Der Verfasser übernimmt die Formulierung vom „Schreiben im öffentlichen Raum“, womit er der Propaganda erliegt, die zwar das „private Schreiben“ freigibt, aber das „öffentliche“ gleichsam unter Sonderrecht stellt. Wir sind weit davon entfernt, das Recht auf die bessere Einsicht auch gegen staatliche Vorgaben als Selbstverständlichkeit zu empfinden.

Ich glaube übrigens, daß trotz FAZ, SZ und SPIEGEL nicht der Wahrig das Rennen machen wird. Der Nimbus des Dudens ist immer noch mächtig.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.12.2006 um 08.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#7088

Die gesamte Redaktion der FAZ ist gegen die Entscheidung der Herausgeber, davon bin ich weiterhin und mehr denn je überzeugt. Übrigens reicht die Zeitung uns zum bösen Ende immerhin noch ein Bonbon: Im Jahresrückblick in Zitaten liest man in der FAS vom 24.12.:

"Die Sprache kann sich nur regenerieren, wenn die Politiker von ihr ablassen. (Die Forschungsgruppe Deutsche Sprache zu den sprachlichen Verunsicherungen nach der Rechtschreibreform.)"

Leider kann man das Zitat, aus dem Zusammenhang gerissen, auch so lesen, als solle der Staat sich nun auch von der Reparatur des Schadens zurückziehen …
 
 

Kommentar von Wolf, verfaßt am 28.12.2006 um 02.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#7090

Die Entscheidung Professor Icklers, von der FAZ zur SZ zu wandern, läßt sich als persönlich motivierte nicht kritisieren; als öffentlich dargestellte läßt sie jedoch an jene Wähler denken, die aus Protest von der CDU zur SPD wechseln, um nach 4 Jahren aus Protest den Rückweg anzutreten. Daß man hier den Hauch dieser Logik verspürt, bestätigt auch die von Kelkin (#6997) geäußerte Verwunderung über den "Wechsel vom rechten zum linken Blatt". Um Kelkin vollends zu verblüffen, hier der Hinweis auf die Zeitschrift konkret. Damit verlassen wir zwar die Staatsweide, auf der die Schwarzbunten friedlich nebeneinander grasen, bleiben aber im Rahmen solider Orthographie und gepflegter graphischer Gestaltung. (Und tatsächlich bietet auch das Radio konkrete Alternativen; erwähnen möchte ich das Feature im DLF, immer dienstags 19:15 Uhr.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.12.2006 um 06.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#7091

Meine persönliche Entscheidung ist natürlich gar keiner öffentlichen Diskussion wert, das mag jeder halten, wie er will. Ich möchte nur noch einmal wiederholen, daß ich beide Zeitungen gut kenne, da ich sie viele Jahre lang nebeneinander abonniert hatte und dazu noch ein Lokalblatt, aber das ist natürlich ein teurer Spaß und auch mit ziemlich viel Zeitverlust verbunden. (Was einem eine Zeitung wert ist, zeigt sich übrigens am deutlichsten gerade am Zeitaufwand, den man ihr widmet. Wenn man in drei bis fünf Minuten "durch" ist, sollte man die Kündigung erwägen …) Der Unterschied zwischen FAZ und SZ ist nicht sehr groß, der Austausch von Journalisten – wie bekannt – ist problemlos möglich. Der Wirtschaftsteil der SZ ist ähnlich orientiert wie bei der FAZ, die Theologie spielt natürlich keine so große Rolle wie bei letzterer (drei ganze Seiten über je einen deutschen Bischof zu Weihnachten, mehrere Seiten Gottesbeweise von Robert Spaemann usw.). Ich laufe also, kurz gesagt, nicht aus purem Trotz zum Gegner über, sondern nehme nur eine immer gegebene Option wahr.
 
 

Kommentar von Friedrich Denk, verfaßt am 28.12.2006 um 09.29 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#7092

Ich habe bisher die FAZ regelmäßig am Kiosk gekauft, konnte sie also wegen ihrer Entscheidung nicht abbestellen. Dafür habe ich vor zwei Wochen die Neue Zürcher abonniert, die – im Gegensatz zur FAZ – sehr viele Neuschreibungen nicht übernimmt und bei der S-Schreibung die Schweizer Variante verwendet, an die wir uns seit Jahren gewöhnt hatten. Was sie über Deutschland berichtet, reicht mir, was sie über die Weltpolitik bringt, ist das beste, was man in einer deutschsprachigen Zeitung lesen kann, auch ihr Feuilleton ist hervorragend.
Wenn ich eine Münchner Zeitung abonnieren würde, würde ich aus Dankbarkeit für ihren jahrelangen Kampf gegen die Rechtschreibreform den Münchner Merkur abonnieren.

Friedrich Denk
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.12.2006 um 10.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#7093

In der heutigen FAZ findet man einen kurzen Leserbrief, der zwar die Entscheidung der Herausgeber begrüßt, aber auf eine solche Art, daß man an eine satirische Absicht glauben möchte. Welcher normale Mensch würde seine Erleichterung darüber äußern, daß ihm das Wort "Erstkläßler" künftig keine Augenschmerzen mehr bereiten werde? Andererseits könnte es sich bei dem Verfasser, einem Rolf Müller aus Bensheim, um den Pressesprecher der dortigen SPD handeln, so daß man mit allem rechnen muß. Jedenfalls wirkt die Veröffentlichung wie eine weitere Ohrfeige für die Herausgeber, sozusagen im Borat-Stil. Danke, Leserbriefredaktion!
 
 

Kommentar von Sigmar Salzburg, verfaßt am 30.12.2006 um 10.20 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#7108

Auch ich habe die FAZ im hiesigen Laden täglich einzeln gekauft. Nach der Umstellung 1999 wurde sie überhaupt nicht mehr geführt. Als sie zur Normalschreibung zurückgekehrt war, habe ich dafür gesorgt, daß sie wieder ins Angebot kam. Ob sie da jetzt wohl noch lange bleibt?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.12.2011 um 21.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#19717

Der beiläufig erwähnte Gottesbeweis von Robert Spaemann sollte hier vielleicht auch einmal diskutiert werden, denn er geht uns an: es ist der Beweis aus der deutschen Grammatik. Weil es das zweite Futur gibt, muß es auch Gott geben.

Wenn ich gläubig wäre, würde ich das wohl blasphemisch finden, zumindest als frivoles Wortspiel bezeichnen
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 14.12.2011 um 00.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#19718

Was ist denn dieser "Beweis"?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.12.2011 um 09.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#19719

Es gibt ein Buch darüber ("Der letzte Gottesbeweis"), aber auch Kurzfassungen in Zeitungen, z. B. hier: www.welt.de.
 
 

Kommentar von welt.de, verfaßt am 14.12.2011 um 09.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#19720

Wenn es Wirklichkeit gibt, dann ist das Futurum exactum unausweichlich, und mit ihm das Postulat des wirklichen Gottes.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 14.12.2011 um 16.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#19722

Wenn es Wirklichkeit gibt, ...
Wirklichkeit ist das, was es gibt. Wenn es etwas gibt, dann ist Wirklichkeit.

Der Kerngedanke von R. Spaemann scheint mir zu sein:
Von welcher Art ist diese Wirklichkeit des Vergangenen, das ewige Wahrsein jeder Wahrheit? Die einzige Antwort kann lauten: Wir müssen ein Bewußtsein denken, in dem alles, was geschieht, aufgehoben ist, ein absolutes Bewußtsein.

Es ergibt keinen Sinn, wenn man Gott und die Welt gleichsetzt. Der Gottesbegriff ergibt nur einen Sinn, wenn Gott die Ursache der Welt ist. Der Schluß von der Wirklichkeit, den ewigen Wahrheiten, der vollendeten Zukunft auf die Ursache all dessen, bzw. ob es überhaupt eine Ursache außerhalb dessen geben muß, bleibt offen.
 
 

Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 14.12.2011 um 17.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#19723

Wenn das langatmige, schwülstig-frömmelnde Gefasel (ich muß es mal ganz persönlich so bezeichnen) in der "Welt" die Kurzfassung dieses sogenannten Gottesbeweises ist, will ich die Langfassung gar nicht sehen. Letztlich scheint mir dieser so "bewiesene" Gott auf den altbekannten Hegelschen Weltgeist hinauszulaufen, nur daß er hier auf die Rolle eines Buchhalters des Gewesenen reduziert wird. Oder vielleicht spielt auch das Motiv des alten Ahnenkultes eine Rolle, daß die Ahnen solange nicht wirklich tot und vergangen sind, wie wir uns an sie erinnern. Für ein leichtes Rauschen im feuilletonistischen Blätterwald ist dieser hundertfünfunddreißigste Versuch eines Gottesbeweises gut genug, mehr Substanz als die anderen hat er nicht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.12.2011 um 16.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#19729

Die erste Hälfte des Spaemannschen Beweises (vor dem willkürllichen Sprung ins Metaphysische) ist gewissermaßen der ehrwürdige Platonismus, der auch in der oft ausgesprochenen Überzeugung Gottlob Freges zu finden ist, z. B. hier:

„Man muss, wie es scheint, daran erinnern, dass ein Satz ebensowenig aufhört, wahr zu sein, wenn ich nicht mehr an ihn denke, wie die Sonne vernichtet wird, wenn ich die Augen schliesse.“
(Grundlagen der Arithmetik)

Überflüssig zu betonen, daß ich das für eine schwere Verirrung halte.
 
 

Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 16.12.2011 um 22.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#19737

Vielleicht ist das Zitat nur ungünstig ausgesucht, aber so wie es da steht, hat Frege durchaus recht, ausgenommen natürlich ichbezogene Sätze wie "Ich wünsche mir ein Fahrrad zu Weihnachten" oder "Ich habe jetzt Lust auf ein saftiges Steak". Solche Sätze verlieren natürlich an Wahrheitswert, wenn ich gerade nichts derartiges denke. Ansonsten hängt die Wahrheit eines Satzes ja nur ab von der Korrespondenz zwischen seinem Sinngehalt und dem, was der Fall ist. Er wird nicht dadurch wahr, daß ich ihn denke. Die Frage ist allenfalls, inwieweit ein nicht formulierter Satz existiert. In gewisser Weise eine müßige Frage, denn um ihn zu betrachten oder zu überprüfen, muß ich ihn ja formulieren. Aber in der Mathematikphilosophie wird durchaus debattiert, ob mathematische Sätze entdeckt oder erfunden werden. Zu dem Themenkomplex gibt es einen interessanten Briefwechsel zwischen Frege und David Hilbert, aber das würde hier wohl zu weit ab führen.
Ein Fehler Spaemanns besteht aber darin, Dinge und Wissen über Dinge zu vermengen. Ein weiteres Problem ist gerade der Bezug auf Grammatik. Damit sind wir schon wieder bei den Themen Übersetzung und Beschränktheiten (um nicht zu sagen Gefahren) einer Universalsprache. Was wird aus dem argumentum e futuro exacto in Sprachen, die diese Zeitstufen gar nicht kennen? Wie erklärt man Spaemanns Thesen auf z.B. Russisch oder Chinesisch? Die Möglichkeit, zu sagen "Ja protschitaju gasetu" (was nicht dasselbe ist wie "Ich werde die Zeitung gelesen haben") als Gottesbeweis?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.12.2011 um 05.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=750#19738

Der Platonismus in der Mathematik ist überflüssig, aber Sie haben recht, das würde hier zu weit führen. Ich halte das Sprechen von "Sätzen", die so oder so ausgedrückt werden können (Freges "Gedanken", sonst auch "Propositionen"), für eine Fehldeutung der Sprache. Was tut der Wind, wenn er gerade nicht weht? Anpassung an die Umwelt bleibt nützlich, auch wenn sie nicht stattfindet. Usw., man kann endlos mit der Sprache spielen.
 
 

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