Zum vorherigen / nächsten Tagebucheintrag
Zu den Kommentaren zu diesem Tagebucheintrag | einen Kommentar dazu schreiben
07.10.2006
Dunkles Kapitel
Unbrauchbare Reclam-Ausgaben
Hunderte von gelben Reclam-Bändchen sind umgestellt – um der Schüler willen.
Natürlich ist das alles längst wieder überholt; der Verlag weiß auch genau, daß er eine Fehlentscheidung getroffen hat. Stefan Stirnemann hat schon an einem Band von Manfred Fuhrmann gezeigt, was dabei herauskommt. Hier noch ein Beispiel:
Effi Briest, Reclam 2002, „auf der Grundlage der neuen amtlichen Rechtschreibregeln“.
Entgangen ist den Bearbeitern Greuel, und tut mir leid schreiben sie in ungewolltem Vorgriff auf die Revision von 2004/2006. Fontane schrieb Kniee, und die Ausgabe druckt es ebenso, aber die neuen Regeln lassen es nicht mehr zu. Sonst viel du hast ganz Recht (was bei Fontane besonders häufig vorkommt), heute Abend, so genannte Kaschuben, rau usw.
Solche Ausgaben kann man nicht mehr zitieren.
Diesen Beitrag drucken.
Kommentare zu »Dunkles Kapitel« |
Kommentar schreiben | älteste Kommentare zuoberst anzeigen | nach oben |
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.03.2015 um 14.56 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=654#28299
|
Habe mal nachgesehen, was die Leser von Borcherts "Draußen vor der Tür" halten. Das war Nachkriegslektüre schlechthin; ich habe es auch gelesen, wenn auch nicht in der Schule, wo wir uns auf Erzählungen des Frühverstorbenen beschränkten.
Die heutigen Besprechungen bei Amazon sind fast durchweg begeistert, hier ein Beispiel:
Wenn ich könnte, würde ich dem Werk von Wolfgang Borchert nicht nur 5 sondern gleich 10 Sterne geben. Wir haben "Draußen vor der Tür" damals im Deutschunterricht der 10. Klasse an der Realschule gelesen. Zuerst war ich vom Titel des Buches wenig begeistert und konnte auch dem ansonsten langweiligen und strengen Unterricht meiner unsympathischen Deutschlehrerin nicht viel abgewinnen.
Die Geschichte des Kriegsheimkehrers Beckmann hat mich jedoch vom ersten Moment an gefesselt und tief berührt. Ich habe mich in diesem Buch vollständig verloren und in all der Literatur, die ich bis jetzt in meinem jungen Leben verschlungen habe, nie eine Figur gefunden, die mich und meine Empfindungen so gut beschreibt wie die des Soldaten Beckmann. Autor Wolfgang Borchert beschreibt das "deutsche Trauma" wie kein Anderer und lässt auch Angehörige der Generation Klingelton das Leid der Menschen nach dem Krieg, und somit auch das Leiden der eigenen Großeltern, schmerzhaft nachempfinden.
"Draußen vor der Tür" ist eines der wenigen Bücher, das ich mehr als einmal gelesen habe. Ich werde es wahrscheinlich noch als alte Oma im Schaukelstuhl meinen Enkeln vorlesen, die es hoffentlich genauso sehr lieben werden wie ich... (leicht korrigiert)
Heutigen "Kanon"-Konstrukteuren würde das Werk vielleicht nicht an erster Stelle einfallen. Aber vor soviel tiefempfundener Begeisterung kann man nur die Waffen strecken. Zumal es viele sind, die es mitten ins Herz getroffen hat. (Mir war damals das "Gesamtwerk" auch lieb und teuer.)
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.02.2015 um 07.00 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=654#28091
|
Auch wenn Amazon-Rezensionen von Schülern nicht repräsentativ sind – denn welcher Schüler schreibt schon Rezensionen –, fällt doch auf, daß Schulklassiker wie der "Werther" oder "Effi Briest" von den jungen Leuten sehr positiv bewertet werden. Das widerspricht der Grundannahme aller neueren Didaktik, daß Schüler sich für so etwas nicht interessieren und mit allen möglichen Tricks motiviert werden müssen.
Es wäre einen Versuch wert, die Unterschätzung der Schüler auch in einer anderen Hinsicht auf die Probe zu stellen: Kapitulieren sie wirklich vor einigen unbekannten oder veralteten Ausdrücken? Und vor originaler Orthographie?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.02.2015 um 07.42 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=654#28065
|
Zur neuen Fontaneausgabe schreibt die FAZ:
Wenn Klassiker wie Fontane neu ediert werden, geht es um die Revision des Textes und das Erstellen eines Kommentars. Moderne Werkausgaben nähern sich gern wieder dem Wortlaut und der Zeichensetzung der Handschrift oder der Erstausgabe an, betonen also die Fremdheit des Textes, indem sie diverse Rechtschreibreformen rückgängig machen. So verfährt auch die „Große Brandenburger Ausgabe“, die 1994 im Aufbau-Verlag von dem Fontane-Forscher Gotthard Erler begründet wurde. (7.2.15)
Die Ausgaben entfernen sich also immer weiter von den Bearbeitungen bzw. umgekehrt. Eine interessante Entwicklung, die man den Kultusministern gelegentlich zur Kenntnis bringen sollte.
Zur Rezension schreibt ein Leser:
Ich muß gestehen, daß mich kaum einer der "klassischen" Schrifsteller mehr langweilt als Fontane: Die Geschichten über preußische Landjunker, vom ollen Zieten und anderen alten Knackern, die Beschreibung ihrer Wohnsitze in den "Wanderungen..", die Ehrpusseligkeit des Baron von Instetten oder des Schach von Wuthenow sind doch heute nur noch öde. Das Thema von Effi Briest ist in "Anna Karenina" oder "Madame Bovary" weit besser angegangen worden. Die Werke von Heine, Jean Paul, Clemens v. Brentano, Bettina von Arnim, Storm, Hebbel, Büchner, Keller, später dann Frank Wedekind oder Gerhart Hauptmann sagen mir heute mehr als Fontane. Vielleicht hat er einach Pech gehabt mit Zeit und Ort seines Lebens und Wirkens. Vermutlich ist als Quelle literarischer Stoffe weniges unergiebiger und aus heutiger Perspektive abstoßender als die preußische Militaristengesellschaft.
Man könnte nun meinen, "Effi Briest" würde als Pflichtlektüre unsere Gymnasiasten anöden. Dem stehen aber die ganz überwiegend sehr positiven Bewertungen bei Amazon gegenüber, die zweifellos größtenteils auf Schullektüre beruhen, denn ohne diesen sanften Zwang würden unsere erwachsenen Zeitgenossen sicher etwas ganz anderes lesen.
Es ist auch eine Frage des Alters. Als ich noch sehr jung war, habe ich Jean Paul und sogar Wilhelm Raabe gern gelesen, aber dazu fehlt mir heute die Geduld. Insofern kann ich manches Urteil verstehen, auch wenn es zunächst banausenhaft anmutet.
Mir fällt gerade noch ein, daß zu unserem enormen Lektürepensum, das ich schon ein paarmal erwähnt habe, auch Kasacks "Stadt hinter dem Strom" gehörte; das hat mir allerdings gar nicht gefallen. Man muß aber bedenken, daß das um 1961 war und der Krieg und das Dritte Reich noch nicht lange zurücklagen. Die Deutschen mußten auch erst wieder lernen, was eigentlich bedeutende Literatur ist. Böll war schon in der Mittelstufe dran und ist ja dann lange Zeit der Liebling der Deutschlehrer geblieben. Noch als ich in den achtziger Jahren im Auswahlgremium für DAAD-Lektoren saß, gaben viele Kandidaten auf die Frage nach ihrer Kenntnis deutscher Schriftsteller an: Böll, und das war's.
|
Kommentar von David Weiers, verfaßt am 10.10.2006 um 13.52 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=654#5822
|
Bzgl. der Inkonsequenzen bei Reclam:
Ich denke, man kann ausschließen, daß sich Reclam an den Texten der jeweiligen Erstausgaben orientiert. Bei Fontane kommt da nämlich selbstredend "heute Abend", "er hat Recht" usw. vor. - Wie sollte es auch nicht, denn die Bücher sind schließlich von den späten 1870er Jahren an bis 1898 erschienen. - Es läßt sich aber anhand der Texte der Erstausgaben die Tendenz hin zu den Schreibungen "er hat recht", "heute abend" usw. deutlich feststellen: Hat Grete Minde noch durchgängig "Recht haben", so findet sich das im Stechlin so gut wie überhaupt nicht mehr. Ähnliches gilt für "heute Abend". Interessant ist weiterhin, daß sich Schreibungen wie z.B. "Brennnessel", also mit Dreifachkonsonant, auch finden lassen; ebenso einige andere, wie sie seit der Reform ja für Schüler wieder gültig sein sollen. Wirft ein ganz trübes Licht auf die vermeintliche Modernität der Reformschreibweisen.
Man müßte das mal en detail an den Texten untersuchen, aber das ist nun einmal sehr zeitaufwendig. Es lieferte einmal mehr den Beweis dafür, daß es mit der Modernität und der so oft betonten Progressivität der Reform wirklich nicht weit her ist.
Und ganz schön wäre es (ich finde hier mal wieder kein Ende mit meinen Ergüssen), wenn der ein oder andere Reformer dann käme und sagte: "Aha! Die großen Meister haben auch so geschrieben! Wir sind also im Recht!" Das macht man dann schön publik und die Reformer als solche haben sich mal wieder selbst die Hosen ausgezogen. Scheint denen ja zu gefallen, sie tun es ja dann doch des öfteren. Diese Ferkel...
|
Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 09.10.2006 um 15.06 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=654#5815
|
Die politisch Verantwortlichen und die Wörterbuchverlage haben zwar immer wieder zu suggerieren versucht, es gebe eine gesetzlich vorgeschriebene Rechtschreibung. Das Wort "amtlich" konnte gar nicht oft genug auf Buchdeckeln prangen. Als die Springer-Presse vorübergehend zur klassischen Orthographie zurückkehrte, gab es von Ministerialbeamten bis zu Zeitungsleuten (Bsp. FOCUS) genug groteske Äußerungen in dieser Richtung. Ich glaube, für die unterwürfige Presse ist dies einfach die bequemste Ausrede, um nicht ihres erbärmlichen Versagens gewahr zu werden. Denn für so dumm möchte ich Journalisten und Herausgeber einfach nicht halten. Die Neuschreiber sind in dieser Lesart die Braven, Gesetzestreuen, die anderen sind uneinsichtige Verweigerer und Outlaws.
|
Kommentar von S.L., verfaßt am 09.10.2006 um 14.50 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=654#5814
|
Ich glaube, daß viele Redakteure und Verleger annehmen, daß die neue Rechtschreibung gesetzlich verpflichtend sei.
Ich habe vor einigen Monaten ein Buch aus der Reihe "Meisterwerke der Science Fiction" von Heyne gelesen. In dieser Reihe sind übrigens passenderweise auch "Fahrenheit 451" und "1984" erschienen.
Mein Protest gegen den im Buch "Der letzte Tag der Schöpfung" verwendeten Neuschrieb beantwortete eine Heyne-Mitarbeiterin mit der Behauptung, daß der Verlag gesetzlich zur neuen Rechtschreibung verpflichtet sei. Ob sie das selbst wirklich glaubt, weiß ich leider nicht.
|
Kommentar von K.Bochem, verfaßt am 08.10.2006 um 00.48 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=654#5807
|
... kulturelle Barbarei ...
Danke für die deutlichen Worte!
Wer oder was zwingt eigentlich freie Verleger,
ausgerechnet für Schüler und Studenten
literarische Texte zu entstellen, zu verhunzen?
Es war - und ist doch sicher immer noch - selbstverständliches Ziel rechtschaffener und vorausdenkender "Bildungsvermittler", die Jugend an die Quellen unserer Kultur zu führen - mit allem Drum und Dran, wie man hier so treffend sagen kann. Natürlich gründlich kommentiert - aber das leisten unsere Schulen und Universitäten problemlos, auch wenn man ihnen ins Handwerk zu pfuschen sucht. Ich plädierte unter gar keinen Umständen, auch nicht etwa als Kompromiß oder aus purer Verzweiflung, für Drucke nach der Reformschreibung!
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.10.2006 um 19.33 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=654#5806
|
Solche Berichte wie von AH brauchen wir noch mehr! Die trostlose und pädagogisch unverantwortliche Lage der Schullektüre muß den Kultusministern dargelegt werden.
Daß bei Reclam eine automatische Konvertierung erfolgt, halte ich angesichts der Fehlerarten für ausgeschlossen. Ich habe ja bei "Effi Briest" nur eine winzigen Ausschnitt angeführt. Es wimmelt von "Freitag Abend", "von seiten" usw., also lauter Inkonsequenzen, die keinem Programm entgangen wären. Die Briefanreden sind übrigens alle groß geschrieben, was doch 2002 noch gar nicht abzusehen war. Außerdem gibt es Druckfehler wie "gsehen" oder "wird ich mich schon hüten".
Effi will vor ihrem Tode Innstetten wissen lassen, er habe "in allem recht gehandelt". Die Bearbeiter machen daraus "in allem Recht gehandelt".
Das grüne Heft mit den Erläuterungen habe ich noch nicht in der Hand gehabt.
|
Kommentar von AH, verfaßt am 07.10.2006 um 18.26 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=654#5805
|
Zu: "Dunkles Kapitel": Reclam, und andere
Bei der Lektüreauswahl (Gymnasium Nordrhein-Westfalen) im Anschluß an die leider nur in Neuschrieb verfügbaren Jugendbücher wähle ich soweit möglich (sozusagen als Teil meiner Überlebensstrategie in Sachen Rechtschreibreform) Textausgaben in klassischer Rechtschreibung, z.B. diogenes (Dürrenmatt), suhrkamp (Andersch, Brecht, Frisch), die wenigstens den Originaltext unbehelligt lassen.
In Nordrhein-Westfalen ist Lessings "Emilia Galotti" Pflichtlektüre fürs Zentralabitur 2007 und 2008. Die im Vorjahr benutzte, gut kommentierte suhrkamp-Ausgabe war bei Schuljahresbeginn nicht lieferbar (miserable Verlagspolitik - sie konnten es doch wissen!). Stattdessen wurde die minimal kommentierte Reclam-Ausgabe angeschafft. Früher war Reclam -
in der gelben Reihe und den grünen Erläuterungen - auch wissenschaftlicher Standard bei Schullektüren. Ich sage dies in voller Verantwortung, da ich vor Jahren Autoren dieses Verlags ungenannt als Studentische Hilfskraft zugearbeitet habe bei der Erstellung von insgesamt vier Reclam-Bändchen, gerade auch auf dem Gebiet der sogenannten "Textnormalisierung".
Heute legt dieser irregeleitete Verlag groteske Mischfassungen von Neuschrieb und übertrieben historischer Schreibung vor. Einerseits maßt sich dort jeder Herausgeber an, die Entwicklung des Lautstandes zu kennen. Daher erscheint "modernisiert" stets ss-Umwandlung (dass), da sich hier angeblich nichts verändert hat. Andererseits werden historische Großschreibungen und historische Zeichensetzungen beibehalten, weil Lessing ausgerechnet die so gewollt haben könnte (folglich: "behutsam modernisiert, ... Interpunktion folgt der Druckvorlage", d. h. der Ausgabe von Karl Lachmann 1886, deren historische Schreibung offenbar in Wirklichkeit abgekupfert wird). Das erbringt für die gerade gelieferte, also aktuelle "Emilia Galotti" ("durchges. Ausg. 2001 auf der Grundlage der neuen amtlichen Rechtschreibung"): "Sie ist die Furchtsamste und Entschlossenste unsers Geschlechts. ... auf alles gefasst." (S. 72). "Du musst mit ihr herein; um uns sogleich den Wagen herauszuschicken." (S. 73). All dies hat auch die suhrkamp-Ausgabe, die auf der Erstausgabe von 1772 beruhen soll. Nur behält sie bei: "daß" und "heraus zu schicken". Im wesentlichen ändert Reclam also die ss-Schreibung, einige GZS-Schreibungen, etc. Jeder so, wie es ihm gutdünkt. Eine gewisse Zurückhaltung sei Reclam attestiert. Dennoch frage ich mich, warum der Verlag halbherzig auf den Neuschrieb-Zug aufgesprungen ist. Wenn man schon einer historisch-kritischen Ausgabe folgt, wozu in Ermangelung eigener Forschungsergebnisse meist gar keine Alternative besteht, sollte man dies ganz tun und nicht in Teilbereichen inkonsequent Konzessionen an dubiose KMK-Erlasse oder, schlimmer, Duden-Empfehlungen machen nach der Devise: "Dass muss sein!" Um es klar zu sagen: Entweder historische Rechtschreibung oder modernisierte, dann aber nach allen scheußlichen Regeln 2006!
(Nebenbei: Das richtige "herauszuschicken" moniert mein Textverarbeitungsprogramm, das falsche "heraus zu schicken" findet es in Ordnung; vom Computer ist grundsätzlich nichts zu hoffen!)
Die Erfahrungen mit den Reclam-Ausgaben von Goethes "Werther" oder Fontanes "Irrungen, Wirrungen" (ebenfalls Pflichtlektüre) sind nicht besser.
Suhrkamp bringt es gar fertig,Texte (z.B. Peter Weiss: Die Ermittlung) nach dem Willen der Rechteinhaber unangetastet zu lassen, den Kommentar aber nach neuer Rechtschreibung zu drucken, Zitate darin aber wieder nach dem Original. Die Lektoren dieses Verlags, falls es deren noch gibt, besitzen offenbar die Fähigkeit, zwischen mehreren Rechtschreibungen hin und her zu "switchen". Schlimmer ist, daß sich dieses Hin und Her inzwischen auch in Schulbüchern, z. B. dem "Deutschbuch" von Cornelsen, von Klasse 5 an, zuweilen auf ein und derselben Seite findet; meistens, aber nicht immer, mit dem denunziatorischen R-Kästchen. Wer soll da durch Lesen richtige Schriftbilder aufnehmen? Lesen empfiehlt aber gleichzeitig Cornelsen in einem Werbe-Blättchen "Deutsch extra" als altbekannte Remedur-Methode zur Behebung der neuen Rechtschreibprobleme. Ein unhaltbarer Zustand, der sich noch ewig hinziehen kann. Es sei denn, man beseitigt alles, was nicht alle 2 Jahre mit entsprechender Verzögerung und kostenträchtig an die neueste Version angepaßt werden kann, aus dem Schulrepertoire. Dies betrifft vor allem moderne Autoren, die sich auf die klassische Rechtschreibung festgelegt haben (fast alle von Rang und Namen). Für deren Ausgrenzung aus dem Schulkanon deutet sich bereits eine gewisse Tendenz an, besonders bei Lyrikern, die bisher in Schulbüchern mit nur einzelnen Gedichten vertreten waren; im Zweifelsfall bringt man eben ein "altmodisches" geschütztes Gedicht weniger (das ist die Schere im Kopf, welche die Schulbuchverleger natürlich vehement leugnen werden). Irgendwann wird dann auch Schlinks "Vorleser" (diogenes, seit 1995 unverändert) in der Schule nicht mehr vorlesen dürfen! Da man aber nicht die gesamte Literatur, auch nicht per Computer, für die Schule umwandeln kann, muß sich ein dauerhafter, auf Jahrzehnte fortwirkender Gegensatz von Rechtschreibung in der Schule und dem Rest der Welt ergeben - eine glatte Kindesmißhandlung und eine kulturelle Barbarei durch die Entwertung der Bibliotheken dieser Welt - mein Hauptvorwurf in der Rechtschreibfrage, der in der Argumentation keineswegs genügend herausgestellt wird.
|
Kommentar von Karsten Bolz, verfaßt am 07.10.2006 um 15.59 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=654#5804
|
Daß es bei den Reclam-Reformumschreibern ein sprachliches Restgewissen gibt, was die Verunstaltung von tut mir leid verhinderte, wage ich zu bezweifeln. Da ein solches Umwerkeln in der Regel durch hirnlose Automaten geschieht, glaube ich eher an einen profanen Programmierfehler.
|
Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 07.10.2006 um 11.51 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=654#5797
|
Offensichtlich hat Erlkönig jemandem bei Reclam ein Leids getan. Damit können sich nun Polizei und Staatsanwalt befassen.
|
Kommentar von Sigmar Salzburg, verfaßt am 07.10.2006 um 09.36 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=654#5794
|
Die Regelmäßigkeit, mit der bei Reclam das unsägliche „tut mir Leid“ verweigert wurde, scheint mir darauf hinzudeuten, daß hier vielleicht doch ein sprachliches Restgewissen wirksam war.
|
nach oben
Zurück zur vorherigen Seite | zur Tagebuchübersicht
|