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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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14.07.2006
 

Warnung vor dem Duden
Nichtamtliche Regeln

Der Duden erfindet zusätzliche Regeln, die keine Grundlage im amtlichen Regelwerk haben.
Wie bisher hat der Duden die Regeln unter eigenen Kennziffern (1 bis 169) umformuliert, um sie dem Benutzer verständlich zu machen.

Unter K 56 wird zur GZS bei Adjektiv + Verb behauptet: "Ebenso gilt Getrenntschreibung bei intransitiven und reflexiven Verben." Daraus sollen sich "sich bloß strampeln" und "kalt werden" herleiten lassen.

Diese Regel kommt im amtlichen Regelwerk nicht vor, es kennt die Begriffe des transitiven und des reflexiven Verbs überhaupt nicht. Eingeweihte wissen natürlich, daß im Hintergrund eine "Handreichung" steht, die von der Wörterbuchgruppe im Rat nachträglich ausgeheckt, dem Rat aber nicht mehr vorgelegt und von ihm nicht gebilligt worden ist; sie hat keine amtlichen Charakter, sondern ist eine private Meinungsäußerung.

Damit wird der Duden geradezu gefährlich. Ein Lehrer, der K 56 beim Korrigieren anwendet, macht sich strafbar.



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Kommentare zu »Warnung vor dem Duden«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.07.2006 um 08.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=552#4860

Duden empfiehlt: das 4-Fache, der Istzustand, frei machen, freikratzen, kaputt machen, kaputtsparen, Ein-Euro-Job, Eineurostück, Eufonie, Phonetik, die Rote Karte, das ewige Licht, Furcht einflößend, furchterregend, ebenso viel Mal, genausovielmal, Highlife, High Heels, Strom sparend, energiesparend, immerwährend, lang anhaltend.
Empfohlen wird Sie sah sich Hilfe suchend um – ohne jedes Gespür für die stilistische Härte und die Verschiebung des Sinnes.
Duden glaubt, daß die Internationale Einheit (I.E.) jetzt auch klein geschrieben werden könne, empfiehlt es aber nicht. Angeblich ist auch kleinlichdenkend neu eingeführt, wird aber ebenfalls nicht empfohlen. Im Kasten zu hoch wird hochanständig unter den "adjektivisch gebrauchten Partizipien" abgehandelt. Die Schreibweise von Zusammensetzungen mit intensivierendem hoch ist völlig willkürlich geregelt (hochkompliziert usw.). Eurythmie ist überhaupt kein sinnvoller Gegenstand von "Empfehlungen", da es sich um anthroposophische Sondersprache handelt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.07.2006 um 16.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=552#4853

Natürlich ist der "Halleffekt" auch ein akustischer Nachhall, aber ob es das ist, was der Wörterbuchbenutzer sucht? Der Duden kennt seit je nichts anderes, also auch nicht den viel interessanteren "Hall-Effekt".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.07.2006 um 11.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=552#4849

Bei amazon äußert sich ein erster Rezensent zum neuen Duden: "Auffälligste Neuerung ist der Druck in vier Farben, was die Übersichtlichkeit deutlich verbessert und das spröde Thema Rechtschreibung um einen optischen Leckerbissen anreichert." Man sieht hier schon, wie es auf Laien wirkt: Statt die Buntheit als das Debakel zu begreifen, das sie ist, labt man sich daran. Eine mit bunten Bildern aufgewachsene Generation will überall Farbe sehen. Mit der grausamen Wirklichkeit wird wohl erst der gewissenhafte Lehrer konfrontiert, der mit diesem schönen bunten Duden eine Schülerarbeit gerichtsfest zu korrigieren hat. Wenn er klug ist, wird er auf das Korrigieren ganz verzichten. Es ist ja nicht zu erwarten, daß ihm die Schulaufsicht dazwischenfunkt, die selber jenen Konflikt scheut, der den ganzen Humbug aufdecken könnte.

Übrigens beziehen sich die meisten Wahrig-Rezensionen ebenso wie die Dudenankündigung bei amazon auf die frühere Ausgabe. Das ist natürlich ziemlich irreführend. Man muß schon genauer hinsehen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.07.2006 um 11.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=552#4847

Derselbe Unsinn wie bei halb- herrscht unter den Verben mit wieder-. Hier werden, in gleichfalls irreführendem Schwarzdruck, als sei das im Duden schon immer so gewesen, die unterschiedlich betonten Ausdrücke wiedereröffnen (das Geschäft wird wiedereröffnet) und wieder eröffnen (wieder wurde ein Geschäft eröffnet) als bloße Schreibvarianten nebeneinandergestellt. Ein Kasten legt den Irrtum bloß, und dabei unterläuft noch der Fehler, wiedereinführen als vermeintliche Neuschreibung rot auszuzeichnen, während es im laufenden Verzeichnis schwarz angeführt ist.

Während die ersten reformierten Wörterbücher bei den Verben mit wieder- in Rotdruck schwelgten, wurde in den folgenden Bearbeitungen das Rot immer spärlicher, und im neuesten Duden ist es fast ganz verschwunden – bis auf drei Fälle, in denen es aber zu Unrecht gesetzt ist: wieder aufnehmen und wieder einfallen mit gesondert betontem Adverb wieder wurden auch nach dem alten Duden ausdrücklich getrennt geschrieben (Duden 1991: sie hat den Korb wieder aufgenommen; bei wieder einfallen Verweis auf wieder II. "Getrenntschreibung"). Der dritte Fall, wieder tun, war im alten Duden durch eine Fußnote geregelt: "Auch Getrenntschreibung ist möglich." Neu ist nur, daß nun die Zusammenschreibung gar nicht mehr zulässig sein soll. Das ist aber eine Fehlinterpretation der neuen Regeln, denn sie ignoriert die Unterscheidung: du sollst es nicht wiedertun/du sollst es nicht wieder tun.

Die Einträge haben nun verschiedene Formen angenommen, obwohl es immer um dasselbe geht.
1. Typ: wieder aufrichten, wiederaufrichten.
2. Typ: wiederauftauchen; aber das U-Boot ist wieder aufgetaucht.

In beiden Fällen ist die Betonung auf wieder nicht zwingend, der Hauptakzent liegt auf der Verbpartikel.

In der vorigen Auflage (2004) hatte der Duden zum Beispiel wiedergutmachen noch eher nach Typ 1 gestaltet: (rot) wieder gutmachen, auch wiedergutmachen. Die Neubearbeitung bietet es in Form von Typ 2 und ohne Rotdruck. Die Reihenfolge suggerierte 2004, daß Getrenntschreibung vorzuziehen sei, während in der Neuausgabe für das Partikelverb nur Zusammenschreibung in Frage zu kommen scheint. Wahrig bietet ohne Wenn und Aber ausschließlich Zusammenschreibung mit Betonung auf gut. Gerade von dieser Betonung und Schreibweise hatte aber die Bertelsmann-Rechtschreibung vor einigen Jahren gar nichts mehr wissen wollen. So ändert sich mit der staatlichen Rechtschreibverordnung das Bild von der deutschen Sprache.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 15.07.2006 um 19.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=552#4840

Weiteres siehe Prof. Icklers Ausführungen zu "halbamtlich", "Halbleinen" und "halbbitter" in "Die sogenannte Rechtschreibreform" und "Kritischer Kommentar".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.07.2006 um 18.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=552#4839

Vollends absurd ist die Behandlung der Zusammensetzungen mit halb. Hier gibt der Duden zusammengeschriebenes halbautomatisch (und 17 weitere Beispiele) mit Betonung auf der ersten Silbe und die getrennt geschriebene Wortgruppe halb automatisch mit der Betonung auf dem zweiten Teil an. Folglich sind es gar keine orthographischen Varianten, sondern ganz verschiedene Ausdrücke, und die zusätzlich ausgesprochene Empfehlung, stets die Getrenntschreibung zu wählen, geht ins Leere. Der neue Wahrig stellt die Sache richtig dar, und auch im Duden von 2004 war sie noch "korrekt" mit jeweils gleicher Betonung der beiden Schreibweisen auf dem ersten Teil.

Der Wahnsinn hat aber nicht einmal Methode. Denn da ausdrücklich angegeben ist, daß auch halbleinen usw. doppelt vorkommen (ein halbleinenes Tuch, aber ein halb leinenes, halb wollenes Tuch), müßte die wunderliche Regel noch zahlreiche weitere Fälle betreffen.
 
 

Kommentar von borella ;-), verfaßt am 15.07.2006 um 13.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=552#4831

Natürlich stehen die alten Schreibweisen nicht mehr im neuen Duden. Daher ist jeder, der es wirklich genau wissen will, gezwungen, beide Ausgaben zu kaufen und den Vergleich nachzuschlagen!
So also will der Dudenverlag die unbrauchbaren alten Exemplare doch noch an den Mann bringen, um Geld daraus zu machen ...
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.07.2006 um 12.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=552#4824

Eine Frage, die nach dem Erscheinen des Duden noch wichtiger werden dürfte: Was ist bis wann zu tolerieren? Hier zunächst noch einmal die Antwort der KMK vom 13. Juli 2006:

"Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Ickler,
das Pressereferat hat Ihre Anfrage vom 28.06.2006 zuständigkeitshalber an die Schulabteilung weitergeleitet.
Der Beschluss von 2006 muss im Zusammenhang mit dem Beschluss von 2005 gesehen werden. Damals wurde für einige Teilbereiche die Übergangsfrist zum 31.07.2005 beendet, in anderen sollte im Hinblick auf noch ausstehende Empfehlungen des Rats für deutsche Rechtschreibung Toleranz gegenüber abweichenden Schreibweisen geübt werden. Der Beschluss von 2006 setzt die mittlerweile vorliegenden Empfehlungen des Rats um und legt fest, dass die im Beschluss von 2005 enthaltene Toleranz für abweichende Schreibweisen am 31.07.2007 endet. Im Übrigen verweise ich auf die Erlasse der Länder.
Mit freundlichen Grüßen,
i.A. XY"

Das ist natürlich keine wirkliche Antwort, man kann sie nicht einmal ohne weiteres verstehen. Der bayerische Runderlaß bietet auch keine Hilfe, weil er einfach den KMK-Beschluß vom 2. März wiederholt. Deshalb hier noch einmal ganz konkret:

Von 1996 bis 2004 galten ausschließlich Leid tun und Not tun als korrekt, 2004 wurde die Variante leidtun eingeführt, 2006 wurden Leid tun und Not tun endgültig gestrichen und durch leidtun und nottun ersetzt. Die groß und getrennt geschriebenen Formen sind also eindeutig durch den KMK-Beschluß von 2006 überholt, fallen aber bis zum 31.7.2007 unter die neue Übergangsfrist, sind also in der Schule nicht als Fehler zu werten. Die neuen Wörterbücher von Wahrig und Duden enthalten aber diese Formen gar nicht mehr, so daß Lehrer nach diesen Wörterbüchern nicht ordnungsgemäß korrigieren können. Ist diese Deutung der Lage richtig oder nicht? Das wollen und müssen wir von den Kultusministern erfahren, denn davon hängt es ab, ob wir uns die neuen Wörterbücher zulegen müssen oder nicht.
 
 

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