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18.05.2006
Böse Buben
Ein Akademiepräsident zieht die frechen Mitglieder am Ohr
Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung
„Niemand hat das letzte Wort: Sprache – Schrift – Orthographie“. Herausgegeben von Peter Eisenberg. Göttingen: Wallstein 2006 (Valerio Heft 3)
Wie der Herausgeber Peter Eisenberg im Vorwort mitteilt, schreibt jeder Beiträger so, wie er will. „Korrekturen wurden nicht vorgenommen.“ (Gemeint ist: Änderungen, denn Korrekturen setzen ja eine Norm voraus; nach welcher Norm könnten wohl Beiträge zu einem solchen Sammelband „korrigiert“ werden?)
Reformiert (z. T. nur Heyse) schreiben: Joachim Helfer/Gustav Seibt, Hartmut von Hentig, Harald Weinrich, Clemens Knobloch.
Nichtreformiert: Michael Maar/Joachim Kalka, (Ernst Jandl und alle zitierten Schriftsteller), Christian Meier, Klaus Reichert, Manfred Bierwisch, Christian Stetter, Hans Martin Gauger, Gustav Korlén, Horst Haider Munske, Peter Eisenberg.
Gustav Seibt schreibt zwar reformiert (wie die SZ, für die er arbeitet, trennt sogar „Kons-trukt“!), bekennt sich aber „als leidenschaftlicher Feind dieser sinnlosen Reform“.
Bemerkenswert ist auch, daß die Akademiemitglieder Reichert, Eisenberg, Gauger und Meier nicht die von ihnen vorschlagene und hier wieder einmal gepriesene Kompromißschreibung verwenden, auf deren praktische Vorführung man seit Jahren wartet und weiter warten muß.
Inhaltlich ist der Beitrag des Präsidenten interessant. Reichert verspricht eine „Chronik“ zum Thema „Rechtschreibreform und Akademie“. Dabei verschweigt er, was die Akademie unternommen und einmütig beschlossen hatte, bevor sie unter dem Einfluß ihres neuen Mitglieds Eisenberg auf Kompromißkurs ging. In meinem „Sackgassen“-Buch kann man es nachlesen. Reichert schreibt: „Wir gingen bei unserer Kompromißsuche davon aus, daß eine völlige Zurücknahme der Reform politisch nicht machbar wäre – sind politische Entscheidungen erst einmal gefallen, wie unsinnig sie auch sind, ist ihre pragmatische Umsetzung nicht aufzuhalten (...)“ Das ist an sich schon eine erstaunliche These. Was er nicht sagt und vielleicht wirklich nicht weiß, ist, daß Eisenberg die DASD damit für seine seit Jahren verfolgten Ziele benutzte. Nun verleugnete die Akademie ihre Reformgegnerschaft und verkündete Jahre vor dem Verbindlichwerden, „angesichts der Machtverhältnisse“ sei eine Rücknahme nicht mehr möglich. Reichert arbeitet sehr gut die engen Kontakte mit den Kultusministern heraus und bildet sich wohl wirklich ein, Schavan und Reiche hätten erst durch die Gespräche mit der Akademie verstanden, „worum es bei der Kontroverse eigentlich ging“. Besonders gut war und ist die Zusammenarbeit mit Zehetmair, den Reichert heftig lobt.
Ein dramatischer Höhepunkt ist die Abrechnung mit den eigenen Mitgliedern. Als die Akademie im Sommer 2004 gerade im schönsten Zuge war, ihren Kompromiß aufs neue vorzustellen, traf sie der Dolchstoß: „Hinter unserem Rücken hatte sich aber eine Gruppe von Leuten zusammengetan, die die nicht mehr zu kippende Reform dennoch zu kippen planten und in einer Nacht-und-Nebel-Aktion Mitglieder der Akademie mit der Suggestivfrage angerufen hatten, ob sie nicht auch dafür wären, zur alten Rechtschreibung zurückzukehren. Eine Reihe unserer Autoren bejahte die Frage, ohne die Zusammenhänge zu durchschauen. So wurden wir mitten in der Pressekonferenz mit einer Liste zahlreicher Mitglieder überrascht, die gegen die Vorschläge ihrer eigenen Akademie, denen sie doch zugestimmt hatten, votierten. ,In wessen Namen argumentieren Sie hier eigentlich?‘, wurden wir gefragt, ‚wenn nicht einmal Ihre eigene Akademie hinter Ihnen steht.‘ (In späteren Gesprächen mit diesen Mitgliedern stellte sich heraus, daß sie nicht wußten, auf welches Spiel sie sich eingelassen hatten.) Ich erwähne das so ausführlich, um zu zeigen, welchem Zwei-Fronten-Krieg die Akademie ausgesetzt war: Da waren die Reformer, mit Rückendeckung durch die Ministerien, die keinen Deut von ihren unsinnigen Entscheidungen abzuweichen bereit waren, und da waren die Rückkehrer, die die alte Rechtschreibung fetischisierten und vor keinem Mittel der Agitation zurückscheuten und dabei auch Schriftsteller und Journalisten auf ihre Seite brachten, die mangels Kenntnissen nicht wissen konnten, wie kompliziert die Sache der deutschen Rechtschreibung in Wirklichkeit war.“
Wenn die Abweichler um Wulf Kirsten (die damals wie Schuljungen zur Rede gestellt worden sein sollen) dies lesen, müßten sie eigentlich entweder austreten oder die Abwahl des Präsidenten verlangen.
Übrigens hatte Reichert zuvor berichtet, daß alle Akademiemitglieder die Reform ablehnten. So unerwartet und unerhört kann also die Rückkehrforderung nicht gewesen sein.
Entgegen der Wahrheit behauptet Reichert auch, die Arbeit des Rechtschreibrates sei „im Rahmen des Mandats“ abgeschlossen. Ein solches begrenztes Mandat hat es nie gegeben, nur den Wunsch der KMK, es mit einer halben Revision bewenden zu lassen. Das hat sogar Zehetmair zugegeben.
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 18.05.2006 um 17.27 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=507#4084
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Akademiepräsident Reichert: "die Rückkehrer, die die alte Rechtschreibung fetischisierten". Fetisch: mit magischer Kraft erfüllter Gegenstand, Götzenbild, aus Port. "feitigo" Zaubermittel, Nachgemachtes, künstlich Zurechtgemachtes, von lat. "facticius" nachgemacht künstlich. Das trifft doch genau auf die Anhänger der neuen Rechtschreibung zu. Als die eigentlichen Übeltäter werden immer die Überbringer schlechter Nachrichten, hier der vielen Fehler und Nachteile der Reform, angesehen.
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Kommentar von R. M., verfaßt am 18.05.2006 um 18.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=507#4086
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Die Verschwörer um Wulf Kirsten haben natürlich nicht bloß eine telephonische Frage beantwortet, sondern eine Resolution unterschrieben, deren Wortlaut und Anlaß ihnen durchaus bekannt war.
Übrigens gehören Bierwisch, Knobloch, Munske und Stetter der Akademie nicht an, und Seibt ist meines Wissens nicht mehr fest bei der SZ.
Wer will eigentlich eine Zeitschrift lesen, deren Herausgeber stolz darauf hinweisen, Beiträge unredigiert in Satz zu geben?
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 18.05.2006 um 18.20 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=507#4087
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Das Erschütterndste ist für mich die Sprache des Präsidenten ausgerechnet der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Da wimmelt es doch von politiko-journalistischen Floskeln und Modeausdrücken: "Wir gingen ... davon aus", "politisch nicht machbar", "pragmatische Umsetzung", "Nacht-und-Nebel-Aktion", "kippen" der Reform, "dafür wären", "Zwei-Fronten-Krieg" usw.
Sollte man von einem solchen Akademiepräsidenten nicht eine gepflegtere Sprache erwarten?
Gleichzeitig wirft er den eigenen Akademiemitgliedern vor, die "Zusammenhänge nicht zu durchschauen" oder "mangelnde Kenntnisse" zu haben. Wie kommen denn solche Leute überhaupt in die Akademie?
Ist da nicht ein gründliches Aufräumen in der Akademie ganz dringend vonnöten?
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Kommentar von R. M., verfaßt am 18.05.2006 um 21.35 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=507#4094
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Zur Erinnerung hier noch einmal die Erklärung:
Zwangslage für literarische Verlage
37 Akademiemitglieder zur Rechtschreibreform
Wulf Kirsten, 99423 Weimar, den 30. August 2004
Pressemitteilung
Anläßlich der Pressekonferenz der Orthographie-Kommission der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung am Montag, 30.8., in der Berliner Akademie der Künste weisen die 37 unterzeichnenden Mitglieder der Berliner Akademie und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung darauf hin,
1. daß die Rechtschreibreform im Verlagswesen nicht nur die Schulbuchkonzerne betrifft, die wegen häufiger Lehrplanänderungen die Schulbücher ohnehin immer wieder neu drucken müssen und können, sondern auch die Literaturverlage. Diese geraten bei einer endgültigen Durchsetzung der „Neuregelung“ in die Zwangslage, Neuauflagen ihrer Bücher entweder in der bisherigen, dann von Amts wegen fehlerhaften Schreibung nachzudrucken oder mit hohen Kosten neu zu setzen;
2. daß die Rechtschreibreform seit 1996 zur Aussonderung zahlloser Kinder- und Jugendbücher aus Bibliotheken geführt hat und am Ende der Übergangsfrist zu einer schlagartigen Wertminderung aller privaten wie öffentlichen Buchbestände führen wird, die als orthographisch „fehlerhaft“ und für Schüler nicht empfehlenswert gelten werden;
3. daß der vernünftigste Weg aus der verfahrenen Situation, in die die zwischenstaatliche Rechtschreibkommission der Kultusminister die Sprachgemeinschaft gebracht hat, eine völlige Rücknahme der überflüssigen, inhaltlich verfehlten und sehr viel Geld und Arbeitskraft kostenden Rechtschreibreform ist. Eine Rücknahme der Reform, die viel leichter wäre als ihre trotz aller Maßnahmen noch immer nicht gelungene Einführung, entspräche dem erkennbaren Willen der großen Mehrheit der Bürger in Deutschland, Österreich und der Schweiz und wäre deshalb ein wichtiger Beitrag zur demokratischen Kultur.
Wulf Kirsten, Michael Krüger, Reiner Kunze, Guntram Vesper (Erstunterzeichner); Hans Bender, Elisabeth Borchers, Vicco von Bülow, Karl Dedecius, Tankred Dorst, Ralph Dutli, Prof. Joachim Fest, Christoph Geiser, Georges-Arthur Goldschmidt, Günter Grass, Prof. Walter Grasskamp, Prof. Peter Gülke, Erich Hackl, Michael Hamburger, Peter Hamm, Ludwig Harig, Thomas Hürlimann, Elfriede Jelinek, Prof. Joachim Kaiser, Prof. Friedhelm Kemp, Thomas Kling, Günter Kunert, Siegfried Lenz, Prof. Hans Maier, Prof. Odo Marquard, Christoph Meckel, Oskar Pastior, Arnold Stadler, Martin Walser, Michael Walter, Prof. Harald Weinrich, Hans Wollschläger, Prof. Bernhard Zeller
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Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 18.05.2006 um 22.33 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=507#4095
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In ihrer Presseerklärung vom 23. März 2006 (vgl. links unter "Nachrichten" den Eintrag vom 24. März) spricht die DASD von einer erfolgreich abgeschlossenen ersten Phase der Arbeit des Rates und fordert dessen bessere finanzielle Ausstattung und institutionelle Absicherung, damit er seine, wie aus der Erklärung weiter hervorgeht, offensichtlich doch noch nicht ganz zufriedenstellende Tätigkeit fortsetzen könne. Ist es möglich, daß diese Presseerklärung hinter dem Rücken des Präsidenten der Akademie lanciert wurde und er bis heute keine Kenntnis von ihr hat?
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.05.2006 um 05.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=507#4100
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Nein, das ist nicht der Fall. Reichert fordert am Ende seines Beitrages dasselbe, fast wörtlich ebenso wie sein Einflüsterer Eisenberg, dessen Strategie er sich zu eigen macht: erst mal hinnehmen, dann sehen, was sich korrigieren läßt. Dieser Strategie, von Eisenberg seit über zehn Jahren sehr konsequent verfolgt, kommen diejenigen, die den Eingriff gar nicht erst hinnehmen wollen, natürlich in die Quere, und zwar so sehr, daß eine Einigung nicht möglich ist. Daher der Riß in den immer noch greifbaren Verlautbarungen der DASD. Präsident Meier war seinerzeit vorübergehend in Versuchung, sich auf Eisenbergs Weg einzulassen ("Angesichts der Machtverhältnisse ..."; dazu sein Verteidigungstext in der Süddeutschen Zeitung; alles zusammen in meiner "Sackgasse"), hat sich aber längst eines Besseren besonnen und auch zum vorliegenden Heft einen scharfen und deutlichen Beitrag geliefert. Es dürfte ihm nicht leicht gefallen sein, zusammen mit Knobloch zwischen zwei Buchdeckeln aufzutreten, dessen Beitrag das Niveau doch ziemlich herunterzieht, auch wenn er sich nun vor justitiablen Äußerungen in acht nimmt. Meiers Position ist so eindeutig wie nur möglich, und ich bin sicher, daß nahezu 100 % der Akademiemitglieder ihm in offener Abstimmung folgen würden; als mögliche Verweigerer fallen mir nur Hentig, Eisenberg und (vielleicht!) Reichert ein.
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Kommentar von Matthias Künzer, verfaßt am 19.05.2006 um 08.46 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=507#4101
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Bestürzend, daß sich diejenigen, die zwar "eislaufen", aber "heute Abend" und "seit Langem" schreiben wollen, sich deswegen in einem Zweifrontenkrieg wähnen. Und die Einführung des Quarks an den Schulen im August, das ist dann die Ardennenoffensive, oder wie?
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Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 19.05.2006 um 08.57 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=507#4104
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"Mangels Kenntnissen"
Eine Akademie, die sich auf so etwas wie die Reform oder den jüngst gefundenen Kompromiß einläßt, kann wohl kaum noch tiefer in die Bedeutungslosigkeit sinken. Sie sollte "Sprache" aus ihrer Bezeichnung streichen.
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Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 19.05.2006 um 12.17 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=507#4111
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Einer setzt sich zwischen alle Stühle und deutet das schmerzhafte Ergebnis des Manövers dann als Zweifrontenkrieg. Die Szene gehört in die Materialsammlung für die noch ausstehende bühnengerechte Bearbeitung des Stoffes "Rechtschreibreform".
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Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 19.05.2006 um 15.08 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=507#4112
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Th. Ickler: »Meiers Position ist so eindeutig wie nur möglich, und ich bin sicher, daß nahezu 100 % der Akademiemitglieder ihm in offener Abstimmung folgen würden; als mögliche Verweigerer fallen mir nur Hentig, Eisenberg und (vielleicht!) Reichert ein.«
Warum findet eine solche Abstimmung nicht statt? Wäre das ein solcher Affront gegen den Präsidenten, daß er dann, selbst wenn die Mitglieder lediglich eine Kursänderung in Sachen Rechtschreibreform verlangten, von dem Amt zurücktreten müßte? Und wenn dem so wäre: Was wäre schlecht oder ungünstig daran? Wären dann die „Meuterer“ quasi in der Pflicht, einen Nachfolger vorzuschlagen, hätten aber niemanden dafür? Oder scheut man sich, namhafte Mitglieder (wie eben Hentig und Eisenberg) so deutlich vor den Kopf zu stoßen?
Ich verstehe die Lage bei der DASD nicht. Wie ernst nehmen die Mitglieder ihre Mitgliedschaft? Worum geht es bei bzw. in der DASD eigentlich? Was weiß man dort insbesondere über Grundlagen und Prinzipien der Kommunikation allgemein, was speziell über die Funktion der Orthographie für die schriftsprachliche Kommunikation?
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Kommentar von R. M., verfaßt am 27.05.2006 um 17.11 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=507#4196
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»Es wurde bekannt, daß der Rat aus 36 Personen bestehen solle, Mitgliedern der mißlungenen Reform, Interessenvertretern [. . .].« (Klaus Reichert)
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.02.2009 um 13.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=507#13947
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Im Interview mit der Deutschen Welle sagt Reichert heute:
»Die Politik soll um Gottes Willen die Finger von der Sprache lassen. Sie hat es ja auf katastrophale Weise getan im Zusammenhang mit dieser sogenannten "Rechtschreibreform", die eine einzige Zerstörung der Ordnung der Rechtschreibung war, die wir einmal hatten. Kein Land der Welt würde sich trauen, per Regierung einzugreifen in die gewachsene Sprache. Schlimm ist auch, dass man die Absicht hatte, mit dieser Rechtschreibreform das Deutsche so zu versimpeln, dass es anscheinend nicht schwierig ist. Aber das ist der falsche Ansatz; man muss viel verlangen von den Kindern, wenn sie in den Kindergarten und in die Schule kommen, und die werden da schon mitkommen, wenn sie richtig angeleitet, gefordert und gefördert werden. Man darf die Latte nicht auf den Boden legen, man muss sie hoch hängen.«
Es würde aber auch kein Akademiepräsident der Welt sich trauen, ehrenwerte Mitglieder so abzukanzeln, wie es oben unter "Böse Buben" dokumentiert ist.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.01.2011 um 15.48 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=507#17822
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Hat schon jemand einen Blick in das neue Kafka-Buch von George-Arthur Goldschmidt geworfen ("Meistens wohnt der, den man sucht nebenan")? Leider gibt es bei Fischer keine Leseprobe. Ich traue dem Verlag zu, auch einen so entschiedenen Reformgegner, da es sich um eine Übersetzung handelt, vergewaltigt zu haben.
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Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 15.01.2011 um 19.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=507#17825
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Da Goldschmidt das Buch auf französisch geschrieben hat und der Verlag es von Brigitte Grosse übersetzen ließ, dürfen wir tatsächlich von einer Vergewaltigung ausgehen. Nächste Woche weiß ich aber mehr.
Hat Goldschmidt seine Autobiographie "Über die Flüsse", die er ja selbst übersetzt hat, eigentlich in Reformschrieb drucken lassen? Ich wundere mich nämlich über die Gattungsangabe "Autobiografie" auf dem Umschlag. Ich muß freilich gestehen, nicht gerade viel von Goldschmidt gelesen zu haben.
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Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 15.01.2011 um 20.44 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=507#17827
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Zu "Autobiografie" in #17825: Mit "f" bei Max Frischs *Biografie: Ein Spiel* schon 1967!
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.01.2020 um 06.45 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=507#42801
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Im Rückblick erkennt man deutlicher, daß die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung unter Christian Meier tatsächlich die von den Reformbetreibern gefürchtete Gegenmacht war (weshalb ja Meier auch mit mir zusammen in Karlsruhe war – als einzige Kritiker). Unter Klaus Reichert (= Eisenberg) wurde sie um 180 Grad gedreht, wollte an den einstimmig angenommenen Gegenentwurf (von mir) nicht mehr erinnert werden, wandte sich in frechster Weise gegen die eigenen Mitglieder und vertrat fortan die Interessen der Schulbuchverlage (und Peter Eisenbergs).
Möglich wurde dies alles, weil die große Mehrheit der Mitglieder sich für Sprache nicht interessiert und die jährlichen Tagungen bestenfalls als nette Gelegenheit zum Wiedersehen wahrnimmt. Es ist wirklich ein sehr lockerer Verein mit dem Hauptzweck der Preisverleihung. Die Mattigkeit (die vielgenannte "Verschnarchtheit") geht auch aus der Website hervor.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.02.2020 um 07.35 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=507#42912
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Der verstorbene Dichter und Zeichner Christoph Meckel war einer der "bösen Buben", die Akademiepräsident Reichert glaubte am Ohr ziehen zu dürfen.
Ich erinnere mich, vor vielen Jahren mit Meckel am Frühstückstisch gesessen zu haben. Unter vier Augen verriet er mir, was er von der Akademie hielt; es war nicht schmeichelhaft. Das war noch vor der Rechtschreibreform.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.06.2021 um 06.36 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=507#46223
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Ich bin auf einen kleinen Text gestoßen, von dem ich leider nicht mehr weiß, ob er irgendwo veröffentlicht worden ist. Solche Zusammenfassungen sind aber oft nützlich, darum setze ich ihn hierher:
„Wichtig vor allem zu lernen ist Einverständnis.“
Wie man eine Rechtschreibreform durchsetzt
Gewalt bricht den Widerstand der Beherrrschten, Macht holt sie ins Boot. Man kann hundert Millionen Menschen nicht zu einer neuen Rechtschreibung zwingen, man kann sie aber mit List und Tücke zum Mitmachen bewegen.
Nach Erfahrungen mit mehreren gescheiterten Reformplänen stand fest, wie vorzugehen war: Man mußte die Schüler als Geiseln nehmen, um dann mit dem unwiderstehlichen Argument „Unsere Kinder schreiben schon reformiert“ den Dingen ihren Lauf zu lassen. Dazu genügte es, eine Handvoll Ministerialräte in den Kultusministerien zu gewinnen.
Die flankierende Propaganda arbeitete mit dem bewährten Mittel: Falsche Behauptungen aufstellen und unermüdlich wiederholen, bis sie geglaubt werden.
„Die bisherigen Rechtschreibregeln werden von 212 Duden-Regeln auf 112 verringert, die Komma-Regeln von 52 auf 9.“ (Hess. Kultusministerium VI A - 601/83 - 246 und unzählige andere Quellen bis in die Gegenwart)
Die Duden-Richtlinien wenden sich an ein anderes Publikum und gehören einer anderen Textsorte an als der Erlaß der Kultusminister. Die Neuregelung ist umfangreicher als die 171 (nicht 212) auf die Rechtschreibung bezogenen Duden-Richtlinien, und die neue Kommaregelung umfaßt wie die alte zehn DIN A4-Seiten. Nur die neue Numerierung der Paragaphen täuscht eine verminderte Regelzahl vor. Dazu schrieb die Dudenredaktion in einer internen Anweisung: „Die inhaltlich falsche, aber politisch wirksame Formel ,aus 212 mach 112‘ muß auch im Duden ihren angemessenen Ausdruck finden.“ Man durchschaute also die Täuschung von Anfang an und bekannte sich zur Mitwirkung.
Die Reformbetreiber behaupteten außerdem, die Reform habe „nachweislich deutliche Erleichterungen gebracht“. Ein solcher Nachweis ist nie erbracht worden. Das „Mogeldiktat“, mit dem die Reformer 1997 die Vorzüge der Neuregelung beweisen wollten, wird schon seit 20 Jahren nicht mehr erwähnt. Allzu bekannt ist dagegen eine stete Abnahme der Rechtschreibleistungen deutscher Schüler. Daß die Reform (durch ihren Inhalt und durch die angerichtete Verwirrung) ihren Anteil dazu beigetragen hat, haben Untersuchungen von Uwe Grund wahrscheinlich gemacht.
Da die Zunahme der Fehler in Schülertexten, aber auch in Zeitungen und Druckwerken aller Art nicht zu bestreiten ist, verfielen die Reformbetreiber darauf, den Reformkritikern die Schuld zuzuschieben: Durch die von ihnen erzwungenen Revisionen sei die heutige Verunsicherung entstanden. Aber der Unglücksbote ist nicht am Unglück schuld, und es genügt hier der Hinweis, daß die Reformer zugleich mit der Reform einen Sammelband mit dem erstaunlichen Titel „Zur Neuregelung der deutschen Orthographie. Begründung und Kritik (!)“ herausbrachten. Darin artikulierten sie ihre Unzufriedenheit mit dem eigenen Werk und versäumten auch nicht, in Briefen die Verantwortung für verschiedene Mängel den Kollegen zuzuweisen, mit denen sie Kompromisse hätten schließen müssen. Daß die Reformgegner noch vieles andere fanden, was objektiv falsch war, bestätigten die Zwischenstaatliche Kommission und dann der Rat für deutsche Rechtschreibung durch zahllose Rückbaumaßnahmen.
Diese Korrekturen oder Reparaturen wurden niemals als solche benannt. Stattdessen sprechen die Reformer von„Präzisierungen“, „Anpassungen“, „Arrondierungen“ oder dem „Glätten evidenter Unebenheiten“. Diese Unwahrhaftigkeit wird nun schon über zwei Jahrzehnte strikt durchgehalten.
Viele einflußreiche Menschen glaubten, die Reformschreibung sei für jeden Bürger verbindlich. Der ADAC begründete die eigentlich ungewollte Umstellung seiner Mitgliederzeitschrift „Motorwelt“ damit, daß laut Bundesverfassungsgericht „die neue Rechtschreibung ab dem 01.08.1998 in Kraft zu treten hat. Ab dem 31.07.2005 ist die neue Rechtschreibung Pflicht und die bisherige Schreibweise nicht mehr zulässig.“ Das stellt den Inhalt des Urteils auf den Kopf. Bei einer Auflage von 13 Millionen haben solche Fehlinformationen ihre Wirkung. Einen ähnlichen Putativgehorsam zeigten das Deutsche Ärzteblatt, Bild der Wissenschaft, DIE WELT, Geo und viele andere. Die Reformbetreiber ließen es gern geschehen. Noch bemerkenswerter als der Rechtsirrtum ist die stillschweigende Voraussetzung, daß der Staat überhaupt befugt sein könnte, in die Sprache der ganzen Gesellschaft einzugreifen, und dies wiederum steht tatsächlich im Karlsruher Rechtschreiburteil.
Die FAZ war besser informiert und widersetzte sich jahrelang, bis sie nach entsprechender Bearbeitung durch den Vorsitzenden des Rechtschreibrates doch noch nachgab, dabei aber auf eine paradoxe Lösung verfiel: Angeblich um der Schüler willen folgt sie einer reformierten Hausorthographie, die gerade in solchen Fällen wie „rauh“ (statt reformiert „rau“) den Prunkstücken der Neuregelung widerspricht. Damit ist weder den Schülern noch den Lesern gedient, aber man bezeugt grundsätzliche Unterwerfungsbereitschaft. Mehr brauchten die Kultusminister nicht für ihren Triumph – sie zählen ohnehin nur die „ss“.
Um die Folgsamkeit der Akademiker machten sich die Reformer mit Recht keine Sorgen. Als im Frühjahr 1998 rund 1000 Hochschullehrer der philologischen Fächer um ihre Unterschrift unter eine reformkritische Petition gebeten wurden, kamen zwar in wenigen Tagen 800 Bestätigungen zusammen – ein traumhafter Rücklauf. Davon wurden 580 dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt, das ihnen allerdings keine Beachtung schenkte (das Urteil stand vor der Anhörung fest). Aber die protestierenden Bekenner schwenkten mit ganz seltenen Ausnahmen sehr bald auf die Reform um. (Laut Allensbach ist heute immerhin jeder vierte von ihnen der Ansicht, an den Hochschulen solle die Verweigerung des Genderns nicht zulässig sein!) Auf der Website der Humboldt-Universität liest man: „Die Humboldt-Universität zu Berlin ist als Einrichtung öffentlichen Rechts dazu verpflichtet, die amtliche Regelung der deutschen Rechtschreibung anzuwenden.“ Der Reformbetreiber Peter Eisenberg stimmt zu: Reformverweigerer begingen „Dienstpflichtverletzungen, die disziplinarische Maßnahmen nach sich ziehen können.“Auf diese Pflicht will er sogar die DFG, die ARD usw. festlegen. Von der höchstrichterlichen Beschränkung auf die Schule ist nichts mehr übrig.
Die Hochschullehrer gaben den Druck an ihre Studenten weiter: „Es gelten die amtlichen Schreibungen“ oder „Es gilt die neue Rechtschreibung“, heißt es in ihren Hinweisen für die Gestaltung von schriftlichen Arbeiten. Selbst wenn Studenten bei der als „alt“ diffamierten Rechtschreibung bleiben wollten – womit bei ihrer Vorliebe für alles „Neue“ selten zu rechnen ist –, sind sie sich ihrer schwachen Position bewußt und fügen sich, kennen ja inzwischen aus ihrer Schulzeit auch nichts anderes mehr. Man benutzt ohnehin das Korrekturprogramm oder übernimmt Bausteine aus der reformfreudigen Wikipedia.
Auf die „Radfahrer“-Mentalität war auch anderswo Verlaß: Als einige Zeitungen sich entschlossen, zur üblichen Schreibweise zurückzukehren, hackte niemand gehässiger auf sie ein als die Journalistenkollegen, die es nicht geschafft hatten. Daß die Zeitungen dann auch alle Leserbriefe und sogar bezahlte Familienanzeigen auf Reformschreibung umstellten, entsprach der Strategie der Reformer, die „alte“ Schreibweise völlig dem Vergessen anheimzugeben.
Minister Hans Zehetmair, hauptverantwortlich für die Reform, hat gelegentlich Zerknirschung zur Schau gestellt, aber dann wieder alles verdorben durch Bemerkungen wie diese: „Es mag Verbesserungswürdiges geben, aber die Leute setzen sich wieder mit ihrer Sprache auseinander. Sprache ist wieder zum Thema geworden. Warum ist dies so erfreulich?“ (FAZ 1.8.2003) Es gibt erfreulichere Anlässe, sich mit der Sprache zu beschäftigen, als dieses Beispiel staatlicher Machtausübung. Übrigens sagte derselbe Zehetmair als Vorsitzender des Rechtschreibrats: „Es brüsten sich zu viele Hochschullehrer auch damit, daß sie sich nicht umstellen, sie bleiben bei dem, was sie hatten, und das führt natürlich dazu, daß da manche Beliebigkeiten einkehren.“ (Pressekonferenz am 22.6.2007)
Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung hatte sich zunächst gewehrt und auf der Passauer Frühjahrstagung 1997 einstimmig ein Gegenprogramm zur Rechtschreibreform verabschiedet, bevor sie sich von ihrem neuen Mitglied Eisenberg im Januar 1999 zum Mitmachen überreden ließ. „Angesichts der Machtverhältnisse“, so die denkwürdige Formulierung – ein seltsamer Maßstab für eine Sprach- und Literaturakademie.
Wie es zu gehen pflegt, beugte sich ihr Präsident Klaus Reichert nicht nur nach oben, sondern trat nach unten. Als einige Mitglieder um den Lyriker Wulf Kirsten gegen den Kotau zu protestieren wagten, zog er sie wie Schuljungen am Ohr. Später stellte er das so dar: „Hinter unserem Rücken hatte sich aber eine Gruppe von Leuten zusammengetan, die die nicht mehr zu kippende Reform dennoch zu kippen planten und in einer Nacht-und-Nebel-Aktion Mitglieder der Akademie mit der Suggestivfrage angerufen hatten, ob sie nicht auch dafür wären, zur alten Rechtschreibung zurückzukehren. (...) Ich erwähne das so ausführlich, um zu zeigen, welchem Zwei-Fronten-Krieg die Akademie ausgesetzt war: Da waren die Reformer, mit Rückendeckung durch die Ministerien, die keinen Deut von ihren unsinnigen Entscheidungen abzuweichen bereit waren, und da waren die Rückkehrer, die die alte Rechtschreibung fetischisierten und vor keinem Mittel der Agitation zurückscheuten und dabei auch Schriftsteller und Journalisten auf ihre Seite brachten, die mangels Kenntnissen nicht wissen konnten, wie kompliziert die Sache der deutschen Rechtschreibung in Wirklichkeit war.“
Die Zurechtgewiesenen, denen Reichert einen solchen Grad von Ignoranz unterstellte, waren keine ganz Namenlosen: Wulf Kirsten, Michael Krüger, Reiner Kunze, Guntram Vesper (Erstunterzeichner), außerdem Hans Bender, Elisabeth Borchers, Vicco von Bülow, Karl Dedecius, Tankred Dorst, Ralph Dutli, Joachim Fest, Christoph Geiser, Georges-Arthur Goldschmidt, Günter Grass, Walter Grasskamp, Peter Gülke, Erich Hackl, Michael Hamburger, Peter Hamm, Ludwig Harig, Thomas Hürlimann, Elfriede Jelinek, Joachim Kaiser, Prof. Friedhelm Kemp, Thomas Kling, Günter Kunert, Siegfried Lenz, Hans Maier, Odo Marquard, Christoph Meckel, Oskar Pastior, Arnold Stadler, Martin Walser, Michael Walter, Harald Weinrich, Hans Wollschläger, Bernhard Zeller. – Die Akademie nahm später ihre beiden Sitze im Rat für deutsche Rechtschreibung ein und wirkte an der Rettung der Reform mit – bis auf Uwe Pörksen, der unter Protest zurücktrat. Die Mitglieder, die man vertrat, wurden nie wieder gefragt.
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