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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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01.05.2006
 

Sich davonstehlen
„zuständigkeitshalber“

Zu einem Brief von Ministerialrat Krimm.
Wenn der bayerische Ministerpräsident eine Zuschrift "zuständigkeitshalber" ans Schulministerium weiterreicht, müßte die MPK die ganze Sache zuständigkeitshalber an die KMK geben, d. h. die Ministerpräsidenten hätten unmittelbar gar nichts mit der RSR zu tun. So ist es aber nicht. Es waren die Ministerpräsidenten, die die Reform in Auftrag gaben und in jeder Phase das letzte Wort hatten (neben der Bundesregierung, die sich ebenfalls schon lange davonzustehlen versucht).

Die Aufgabe, „die Einheitlichkeit der Rechtschreibung im deutschen Sprachraum zu bewahren und die Rechtschreibung auf der Grundlage des Regelwerks von 1996 in der Fassung von 2004 im unerlässlichen Umfang weiterzuentwickeln“ (Krimm) bedeutet in Wirklichkeit: die mißlungene Reform zu reparieren. Was ist von einer Politik zu halten, die so unehrlich formuliert wird?

Die Politiker argumentieren schon lange nicht mehr zur Sache, sondern verweisen nur noch auf die Beschlußlage. Stat pro ratione voluntas. So ist das, wenn man die Macht hat.



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Kommentare zu »Sich davonstehlen«
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 06.05.2006 um 13.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=499#4007

Auch für die gegenwärtige Rechtschreibung gilt der französiche Begriff "précarité", dt. Unsicherheit, engl. precariousness, das im Begriff ist, als neues Wort "Prekärität" ins Deutsche einzuwandern. (Bisher gibt es dt. nur prekär, fr. précaire, en. precarious.)
 
 

Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 06.05.2006 um 10.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=499#4006

Das "Schwindel erregendste" an der neuen Rechtschreibung ist, daß sie ständig oszilliert. So etwas reizt das orthographische Gleichgewichtsorgan bis zur Übelkeit.
 
 

Kommentar von Tobias Bluhme, verfaßt am 06.05.2006 um 09.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=499#4005

Spannend ist, daß die Kommunikation innerhalb der FernUni Hagen zumindest gemischt - häufig aber in klassischer Schreibung stattfindet (oder "statt findet"?).
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 06.05.2006 um 03.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=499#4004

"..., dass es für die Hochschule bei der Risikobewertung nicht wägbar ist, ob und gegebenen falls wie viel sie bei der Einführung von Studienbeiträgen tatsächlich erwirtschaften würde." — Mann, sehr gut, Herr Bluhme, daß Sie darauf hinweisen! "Ein Beispiel zum ab gewöhnen!" — und jedem zur Warnung, wo man wohl besser nicht studiert, auch wenn's noch so umsonst ist, weil's eben wirklich umsonst ist. (Der Willkommensgruß des Instituts für neuere deutsche und europäische Literatur da ist jedoch wenigstens lesbar. Auch wenn im Titel "Institut für Neuere deutsche und europäische Literatur" steht, so steht im Text selbst, also gleich eine Zeile weiter, doch "Institut für neuere deutsche und europäische Literatur".)
 
 

Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 05.05.2006 um 22.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=499#4003

Vor einiger Zeit hat die Fernuniversität einen Fragebogen zu irgendeiner Erhebung verschickt. Ich habe mitgeteilt, daß ich ihn schon wegen der Verwendung der reformierten Rechtschreibung nicht beantworten würde, worauf mir ein zuständiger Mitarbeiter ziemlich verschnupft und geradezu persönlich beleidigt geantwortet hat.
 
 

Kommentar von Tobias Bluhme, verfaßt am 05.05.2006 um 19.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=499#4002

Bis zur Unkenntlichkeit auseinander gerissen wurden mehrere zusammen gesetzte Wörter in einer Presse Mitteilung der Fern Universität Hagen. Ein Beispiel zum ab gewöhnen!

Und das im Land von Jürgen "wir kehren zur klassischen Rechtschreibung zurück" Rüttgers...
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 01.05.2006 um 22.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=499#3992

Die Südd. Zeitg. widmete dem bayerischen Kultusminister am 22./23.4.06 im Bayernteil eine halbe Seite: "Stoibers Oberlehrer ... Siegfried Schneider war Volksschullehrer und seit 2002 bildungspolitischer Sprecher der CSU-Fraktion. ... Das ist der Preis seines Amtes: er muß sich dem großen Meister unterordnen, selbst wenn dieser noch so falsche Sachen sagt. ... Er plant einen zweiten Weg zum Abitur. ..., den Ausbau eines beruflichen Gymnasiums, ..."
 
 

Kommentar von borella, verfaßt am 01.05.2006 um 21.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=499#3990

Wirkliches Argumentieren gibt es doch fast nirgends mehr, dazu müßte man ja von der Sache etwas verstehen.
Allein das Wort Reform suggeriert, daß alle, die dem neuen Programm nicht willig folgen wollen, sture fortschrittsverhindernde Bremser sein müssen.
Ein Grund dafür ist, daß heute viele Wörter nur als leere Worthülsen verwendet werden.
Das Wesen einer Reform ist doch, daß durch eine Analyse des unbefriedigenden Istzustandes, ein realistischer Weg zur Beseitigung der Schwächen ermittelt wird; und der kann dann auch argumentiert werden.
Unabhängig von solchem Ballst wird mittlerweile aber vieles, was eine Änderung zum Status quo darstellt, einfach Reform genannt.
Auch wenn nichts analysiert wurde, und ganz unabhängig wohin es führt.
Das schöne an der Rechtschreibreform ist doch, daß jeder, der (noch) halbwegs Deutsch kann, den "reformerischen" Unsinn selbst, also mit eigenen Bordmitteln, leidlich entlarven kann.
In anderen Bereichen sind die Zusammenhänge um nichts anders, nur die Bordmittel reichen meist zur Entlarvung nicht aus.
 
 

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