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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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27.03.2005
 

Silbentrennung
Was ist bei der Revision der reformierten Silbentrennung zu beachten?

Die Silbentrennung hat sich infolge der Rechtschreibreform vom wahrhaft "marginalen" Bereich zum zentralen Problem für die Lexikographen entwickelt. Darauf weist auch der stellvertretende Dudenchef in einem Aufsatz hin (Sprachwissenschaft 2/2000).

Die Konkurrenten auf dem Wörterbuchmarkt wetteiferten jahrelang darin, die meisten Trennstellen gemäß den neuen Regeln zu verzeichnen: a-brupt, as-tigmatisch, Fide-ikommiss, Hämog-lobin, O-blate, Pog-rom, Zirkumsk-ript. Die Dudenredaktion stützt sich auf eine unveröffentlichte, 60 Seiten umfassende Liste von Trennstellen, die mit der inzwischen aufgelösten Kommission abgesprochen war. Damit ist das Problem aber nicht gelöst. Noch das neueste Duden-Fremdwörterbuch (2005) zeigt dieselbe Inkonsequenz wie die ersten reformierten Wörterbücher: Man findet zwar Tausende von waghalsigen, lediglich dem Buchstaben der Reform gerecht werdenden Trennungen wie Dias-pora, Pant-ragismus, raf-raichieren, Ref-reshing, Renek-lode, rest-rukturieren, Su-burb, Subsk-ript, Tee-nager. In vielen, stets unvorhersehbaren Fällen wird jedoch auf eine "theoretisch mögliche" Trennung verzichtet: An-idrose (aber a-nonym), Ant-arktis (aber An-tagonist), Kranio-stenose (aber Kranios-tat) usw. Während An-o-xie nur einen einzigen überflüssigen Trennstrich hinzubekommen hat, wird A-n-o-re-xie mit deren zwei ausgestattet. Es heißt dip-loid, trip-loid, aber nur okto-ploid usw.

Die Lösung kann nicht darin bestehen, die Wörterbücher zu immer "konsequenterer" Anwendung der neuen Regeln zu drängen. Vielmehr tut eine Rückbesinnung auf den eigentlichen Zweck des Trennens not. Dieser Zweck besteht ja nicht darin, keine Fehler mehr zu machen, weil beinahe alles per definitionem "korrekt" ist; er besteht vielmehr darin, die Zeilen in gefälliger Weise zu füllen und gleichzeitig das Lesen nicht zu erschweren. Im Deutschen hat sich dazu das auch von der Reform nicht angefochtene Prinzip herausgebildet, zusammengesetzte und präfigierte Wörter zunächst in ihre Konstituenten zu zerlegen und dann nach Sprechsilben zu trennen. (Das amtliche Regelwerk ist bekanntlich fehlerhaft strukturiert, da es die Reihenfolge dieser beiden Grundregeln vertauscht: § 111 gehört vor § 107.)

Ein altes Problem ergibt sich daraus, daß erstens einheimische Zusammensetzungen bis zur Undurchschaubarkeit verschmolzen sein können, zweitens bei Fremdwörtern für den weniger gebildeten Sprachteilhaber die Durchsichtigkeit ohnehin nur in Grenzen gegeben ist. Die Reform "löst" das Problem, indem sie für alle Zweifelsfälle silbische Trennung zuläßt, morphologische Trennung aber nicht untersagt. In dieser auf den ersten Blick salomonischen Lösung steckt der Keim des Zerfalls.

Betrachten wir die Folgen zunächst für die nativen Wörter. Wir sprechen meistens (aber nicht immer und mit regionalen Unterschieden) herum, einander, vollenden usw. gebunden. Wer den Aufbau dieser Zusammensetzungen nicht mehr durchschaut, darf nach Sprechsilben trennen. Die Dudenredaktion gibt vor, die Zusammensetzungen nicht zu durchschauen, und trennt in ihrem eigenen Schreibbrauch grundsätzlich nur noch he-rum, nebenei-nander usw. (Bei Schülern fördert die neue Trennweise die schon länger bekannte hyperkorrekte Syllabierung her-rum usw.) Ich halte das nicht für wünschenswert und glaube auch nicht, daß gebundene Aussprache notwendigerweise auf morphologische Undurchschaubarkeit schließen läßt. Vielerorts spricht man auch Verein usw. gebunden und ist sich dennoch über die Präfigierung völlig im klaren.

Wichtiger ist die Fremdwortfrage. Bei einigen gut integrierten Fremdwörtern war die silbische Trennung bereits vor der Reform angebahnt: Epi-so-de, Ka-tode. Grundsätzlich galt aber: wer solche Wörter gebraucht, sollte auch wissen, wie sie aufgebaut sind. Notfalls muß er nachschlagen oder auf das unverstandene Wort verzichten – was seinem Stil ohnehin guttäte. (Konrad Duden selbst war dieser Ansicht.) Die Neuregelung möchte den Schülern und Wenigschreibern entgegenkommen, keiner soll sich mit falschen Trennungen blamieren können. Das Gegenteil wird erreicht: Die beiden Trennweisen werden ja niemals als gleichwertig gelten, sondern es wird immer die bessere Trennweise der Kundigen einer behelfsmäßigen zweitklassigen Trennung durch den Unwissenden gegenüberstehen. Das hat übrigens schon Bernd-Axel Widmann von der Schulbehörde Hamburg in einer Stellungnahme zum Reformentwurf vorausgesehen. Er schrieb am 14.10.1994 an die KMK: "Es könnte sein, daß zukünftig in zwei Klassen von Schreibern unterschieden wird: in eine Elite, die allgemeingebildet ist und größere Chancen z. B. bei Einstellungen hat, und in eine große ungebildetere Gruppe, die vereinfacht schreibt und geringere Aufstiegschancen besitzt."

Das Problem ist für Selbstschreibende nicht ganz so brennend, denn wer nicht weiß, wie z. B. Kontrition zusammengesetzt ist, wird es wahrscheinlich ohnehin nicht gebrauchen. Die vom Duden (2004) vorgeschlagene Trennung Kont-rition braucht er daher nicht in Anspruch zu nehmen. Wer das Wort andererseits kennt und benutzt, dürfte auch wissen, wie es sich zusammensetzt. Die Rechtschreibreform hat implizit den Schreiber von Fremdtexten im Auge, der also nach Diktat einen Text schreibt, den er nicht versteht. Gerade ein solcher Schreiber oder vielmehr eine Schreiberin, denn es ist typischerweise die Sekretärin, kann mit der Billigschreibung nichts anfangen. Die Professorin kann und wird nicht zulassen, daß ihr Text durch A-nurie, Ap-lanat, Apop-tose, Apos-t-roph, Herost-rat, Legas-thenie, Manusk-ript, Metas-tase, Me-töke, Monoph-thong usw. verunziert wird.

Außerdem unterläuft die exzessive Silbentrennung den Bildungsanspruch der Schule. Man sieht dies zum Beispiel an folgendem Eintrag im neuen Fremdwörterduden: A-nekdote "noch nicht Herausgegebenes" – wo die beigegebene Erklärung der unsinnigen Trennung geradezu ins Gesicht schlägt. Besonders die Präfixe und Präfixoide aus den alten Sprachen sind heute das Material einer ungemein fruchtbaren Lehnwortbildung. Es ist widersinnig, ständig neue Wörter mit inter-, anti-, para-, bio-, öko- usw. zu bilden und gleichzeitig so zu tun, als erkenne man diese Bestandteile nicht wieder: Inte-resse, Mikros-kop, Prog-nose usw.

Die Trennbarkeit von st ist vielleicht der einzige Teil der Rechtschreibreform, gegen den aus sprachwissenschaftlicher Sicht nichts einzuwenden ist; nötig war sie allerdings nicht, denn die bekannte Ausnahmeregel war im Handumdrehen erlernbar.

Dagegen ist die Nichttrennbarkeit von ck aus mehreren Gründen verfehlt: sie verstößt klar gegen die richtige Einstufung des ck als Ligatur anstelle von kk nach § 3 der Neuregelung, und sie verstößt eben deshalb auch gegen die Grundregel der Syllabierung. Außerdem führt sie in Verbindung mit der Abtrennbarkeit einzelner Buchstaben zu unakzeptablen Gebilden wie Dusche-cke usw. Worum es sich wirklich handelt, hat Wilmanns schon vor langer Zeit klargestellt:

"Das Zeichen (ck) war von den altdeutschen Schreibern mit guter Überlegung gewählt, c bedeutete ihnen im Gegensatz zu k den leichteren, nicht aspirierten Laut; darum steht in der Verdopplung k an zweiter Stelle, wo ein Vokal folgt, c an erster, wo der folgende Konsonant den Laut weniger stark erscheinen läßt." (Wilhelm Wilmanns: Die Orthographie in den Schulen Deutschlands. Berlin 1887 S. 136f.) Es sei daher zu trennen "nicht ha-cken, sondern hak-ken; denn es ist kein Grund vorhanden, warum man die Ligatur ck nicht ihrer Bedeutung gemäß auflösen und durch kk ersetzen sollte." (S. 246)



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Kommentare zu »Silbentrennung«
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 15.03.2024 um 01.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#52959

Im Amtsblatt Stadt Mannheim vom 14.3.24 lese ich auf Seite 3 die Worttrennung Katast-rophenschutz.
Dazu Duden online:

Von Duden empfohlene Trennung
Ka|ta|stro|phe
Alle Trennmöglichkeiten
Ka|ta|s|t|ro|phe

Es ist wirklich eine Katastrophe.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 14.06.2023 um 12.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#51242

Auf Seite 28 des MM ist mir heute die Trennung "Hekt-ar" aufgefallen, zumal ich kurz vorher auf der gleichen Seite wieder mal der Trennung "vo-raussichtlich" begegnet bin.

Man traut deutschen Lesern also das Wissen um die Bestandteile von Hektar durchaus zu bzw. nutzt die Gelegenheit, dieses zu vermitteln, während das schwierige Wort voraussichtlich für Deutschsprechende natürlich absolut undurchsichtig ist und auch eine entsprechende Belehrung für völlig zwecklos gehalten wird.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 21.09.2020 um 00.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#44356

Richtig, lieber Herr Metz, so ist es auch in der 23. und 24. Auflage. Ich habe die Markierung für "neue" Schreibweisen (rote Schrift) mit Empfehlungen (gelb hinterlegt) verwechselt. Statt "empfohlen" und "auch erlaubt" muß es also in meinem letzten Beitrag heißen, daß beide Trennvarianten ll- und l-l gleichberechtigt waren.
Damit waren die 22. bis 24. Auflage hier gleich. Es gab also insgesamt diese 3 Änderungen, wobei die dritte den Zustand vor der Reform wiederherstellte:

21.: voll-enden, vol-lends
22.,
23.,
24.: vol-l-enden, vol-l-ends
25.: voll-enden, voll-ends

(Hier sind natürlich nur die Trennmöglichkeiten beim ll berücksichtigt, um die andere(n) geht es nicht.)
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 20.09.2020 um 22.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#44355

22. Auflage:
- erlaubte Trennungen: voll|enden, vol|lenden; voll|ends, vol|ends
(die jeweils zweite Trennung rot markiert, was laut Benutzungshinweisen bedeutet: »neu hinzugekommene Trennfuge«)
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 19.09.2020 um 23.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#44354

"Aktuell kennt der Duden die Trennungen He-bamme, Klei-nod, Tee-nager und vol-lenden nicht."

Richtig, aber damit diese Reformposse auch wirklich nicht vergessen wird, hier noch einmal der ganze Werdegang im Duden:

21. Auflage (erster reformierter Duden):
- einzig erlaubte Trennungen: voll-enden, vol-lends
22. Auflage (hier weiß ich`s leider nicht)
23. und 24. Auflage:
- empfohlene Trennungen: vol-lenden, vol-lends
- auch erlaubt: voll-enden, voll-ends
25. Auflage:
- einzig erlaubte Trennungen: voll-enden, voll-ends
(d. h. wie vor der "Reform")
26. Auflage (aktuell letzte):
(Ich habe die weitere Beobachtung aufgegeben.)
 
 

Kommentar von Ivan Panchenko, verfaßt am 19.09.2020 um 20.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#44353

Aktuell kennt der Duden die Trennungen He-bamme, Klei-nod, Tee-nager und vol-lenden nicht. Hierfür ist anscheinend die Geläufigkeit einer Aussprache mit Knacklaut ausschlaggebend, die ja (selbst wenn auch – aber eben nicht nur! – gebundene Aussprache möglich ist) Erkennbarkeit der morphologischen Struktur nahelegt. Zwar ist Kleinod ursprünglich eine Suffixbildung, aber bei der Aussprache mit Knacklaut wird das Wort eben als Kompositum behandelt, entsprechend verzeichnet der Duden auch nicht die Trennung Reichskleino-dien, obwohl es nicht verboten ist, einzelne Vokalbuchstaben am Anfang von Suffixen zu trennen (vgl. va-ri-a-ble/va-ri-ab-le) – hier wird eben ein Kompositionsglied gesehen (volksetymologische Umdeutung). Bei herum ist eine Aussprache mit Knacklaut dagegen überhaupt nicht gebräuchlich, also wird he-rum akzeptiert. Seltsam finde ich die Trennung Alma-A|ta, zumal der Bindestrich Ata als Bestandteil verdeutlicht (und in Anbetracht der Großschreibung wird es wohl kaum ein Suffix sein!). Die Trennung Schul-theiß fehlt, obwohl die morphologische Trennstelle Schult-heiß meines Erachtens noch schwieriger zu erkennen ist als zum Beispiel hin-auf, schließlich wird Schuld im heutigen Deutsch mit d geschrieben und Schultheiß nicht mit h-Laut gesprochen.

Kurioserweise verzeichnet der Duden immer noch Trennungen wie ab-strakt und Ab-szess. Für den ursprünglichen Hintergrund siehe #26350, heute könnte man als Rechtfertigung vielleicht das hier anführen (aus A Latin Dictionary): „The use of abs was confined almost exclusively to the combination abs te during the whole ante-classic period, and with Cicero till about the year 700 A. U. C. (=B. C. 54). After that time Cicero evidently hesitates between abs te and a te, but during the last five or six years of his life a te became predominant in all his writings, even in his letters; consequently abs te appears but rarely in later authors, […].“ Statt also s als Teil der Präposition in abscedere und abstrahere zu sehen, könnten wir sagen, die Verben seien aus ab zusammengesetzt, wobei der zweite Bestandteil wegen des c bzw. t noch ein s erhält; es handelt sich einfach um eine alternative Analyse. In der Tat setzt der Ausspracheduden das Betonungszeichen bei abstrakt und abstrus VOR [st], bei Abszess und Abszisse jedoch nach [aps].

Ein kniffliger Fall ist Kyrieleis: laut Ickler und Duden Ky-ri-eleis, laut dem Wahrig Fremdwörterlexikon unter wissen.de dagegen Ky-rie-leis. Wenn ich das richtig verstehe, handelt es sich um eine Verschmelzung. Das erste e ist einerseits der letzte Buchstabe von Kyrie, andererseits der erste von -eleis. Dann würde ich sagen (vgl. Pho-to-gram-me-trie/Pho-to-gram-met-rie): Ky-ri-e-leis.

Wie geht man mit Bildungen wie Ostalgie und Hydrocopter um? Duden hat „Os|tal|gie“ (dagegen Ickler: „Ost|al|gie“), aber „Hy|d|ro|ko|p|ter“. Ich finde Ost-algie in Ordnung, dann haben wir einfach Ost- statt Nost-, doch Hydroko-pter ist grenzwertig, da einerseits der Bestandteil -pter zu erkennen gegeben wird und andererseits ko- wie in Helikopter gebraucht wird, das kommt ja durch Reanalyse zustande.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 03.12.2014 um 15.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#27488

Mit den Osmanen hat es nichts zu tun, aber die Frage ist wohl nicht abschließend geklärt:
http://books.google.de/books?id=uv-5cEvSQ24C&pg=PA64
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 03.12.2014 um 12.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#27486

Auf Serbisch und Kroatisch heißt Wien Bec (mit Häkchen auf dem c, also gesprochen [Betsch]. Viele "fremdartige" Wörter in den Balkansprachen sind türkischen Ursprungs aus der Osmanen-Herrschaft.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 02.12.2014 um 23.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#27480

Sollte Allgemeinbildung sein, daß man das gar nicht trennt. Schwieriger wäre z. B. Sópron (Öden- burg). Im übrigen gilt, solange die Ungarn Wien Bécs nennen (warum nur?), dürfen wir zu Pécs auch Fünfkirchen sagen.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 02.12.2014 um 23.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#27477

Wie trennt man eigentlich solche Wörter wie den Namen der ungarischen Stadt Györ (dt. Raab)? Die SZ (2.12.14, S. 29) schreibt:

"Wenn ich im Januar nach Gy-
ör zurückkomme ..."

Der Name ist auf ungarisch einsilbig und spricht sich [djö:r]. Ein normaler Schreiber kann nicht alle Sprachen können, manches ist auch schwer nachzuschlagen, aber Profis sollten es vielleicht doch wissen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.11.2014 um 06.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#27232

Lese gerade "phil-ippinisch", und so habe ich es auch in meinem eigenen Wörterbuch, aber es kommt mir doch recht puristisch vor. Wer denkt noch an den alten Pferdefreund, und bei "Filipino" ist ja diese Herkunft auch ganz aufgegeben. Manche Leute heißen mit Vor- oder Nachnamen "Phillipp" oder noch anders.
 
 

Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 17.07.2014 um 09.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#26352

Für ein Jubilieren der Altphilologen reicht die kleine Verbesserung beim Wort abs-trakt nicht. Aber ich glaube, Sie haben recht, daß die Frage der Trennung zur Zeit der Frakturschrift eben auch die Frage nach der Unterscheidung der beiden s-Formen betraf. "Abstrakt" wurde damals, ich habe das in einem alten Brockhaus nachgesehen, tatsächlich mit Lang-s geschrieben.

Einen anderen Fall habe ich damals gefunden, nämlich das Wort Bis-tum, der entgegen meiner Vermutung mit rundem s geschrieben wurde.


Mit diesen Einzelfällen war aber letztlich besser klarzukommen, als mit dem die Deform verursachten flächendeckenden Verunsicherung.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 16.07.2014 um 19.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#26350

I. Bekanntlich gibt es im alten Duden eine Sonderregel über die Abweichung von der strukturellen Trennung bei bestimmten Fremdwörtern. Im Duden von 1991 lautet sie:

„Einige Fremdwörter trennt man aber bereits nach Sprechsilben, da ihre Bildung nicht allgemein bekannt ist.

[i]Epi-sode (statt: Epis-ode)
Tran-sit (statt: Trans-it)
ab-strakt (statt: abs-trakt)“[/i]

In mancher Hinsicht ist diese Regel rätselhaft. Warum gerade diese Fälle? Gibt es einen tieferen Zusammenhang und, wenn ja, welchen? Gibt es nicht noch viel mehr Fremdwörter, deren „Bildung nicht allgemein bekannt ist“? Ist Trans-it wirklich so undurchschaubar? Außerdem ist Ab-strakt überhaupt nicht eine Trennung nach „Sprechsilben“.

Lassen sich diese nicht-strukturellen Trennungen auf analoge Fälle ausweiten? Anscheinend nicht so ohne weiteres, denn der alte Duden trennt einerseits ab-strus, Ab-szess und Pro-selyt, andererseits Pros-odie.

An sich konnte damals also selbst ein Altphilologe nur durch Nachschlagen im Duden feststellen, welche Fremdwörter nicht-strukturell getrennt wurden, ja so getrennt werden mußten. Eine Wahl war nicht vorgesehen.


II. Inzwischen glaube ich zumindest der Entstehung dieser Regel auf die Spur gekommen zu sein. Eines haben alle drei Beispiele gemeinsam: das s an der Bildungsfuge, das mal dem ersten Teil, mal dem zweiten Teil zugeordnet wird.

Offenbar geht diese Dudenregel auf die Zeit der Fraktur zurück, als zwischen Lang-s und Kurz-s unterschieden wurde. In den Regeln der 2. Orthographischen Konferenz gibt es einen Absatz über diese Unterscheidung bei Fremdwörtern. Danach wird entgegen der allgemeinen Regel vor Vokal statt dem Kurz-s ein Lang-s geschrieben (Episode, transitiv. Beim s vor t oder p besteht Wahlfreiheit.

Diese Regel ist auch im Verlauf der Konferenz erörtert worden. Jedenfalls weicht die Endfassung der Regel von der Fassung in der Vorlage zur Konferenz ab. Dort waren etwas andere Beispiele für die Schreibung mit Lang-s angegeben:
((Proselyt, Prosodie, transitiv, abstrakt, abstrus).

Die naheliegende Konsequenz für die Silbentrennung ist nicht ausdrücklich behandelt.


III. Die zu Anfang genannte Sonderregel des Duden, ist in der reformierten Rechtschreibung weggefallen, was aber in bestimmten Wörtern nicht berücksichtigt wurde. So werden nur Epi-sode, Tran-sit angegeben, obwohl dabei auch die strukturelle Trennung hätte berücksichtigt werden müssen, was allerdings in ab-s-trakt und in ab-s-trus erfolgt ist. Die Trennempfehlungen des Duden lauten allerdings abs-trakt und in abs-trus . Da müßten die Altphilologen doch eigentlich jubilieren!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.10.2013 um 12.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#24184

Der Begriff der Silbe ist einer der umstrittensten in der Sprachwissenschaft.

In einem psycholinguistischen Buch ist von ein- und mehrsilbigen Lautgebilden bei Vögeln die Rede. Ich frage mich, ob man das überhaupt sagen kann oder ob nicht "Silbe" nur auf die menschliche Rede anwendbar ist, wie "Phonem" usw.

Wie viele Silben hat eine "Strophe" der Amsel oder des Pirols? Das ist natürlich gar nicht feststellbar. Daraus würde ich gern schließen, daß auch die Zweisilbigkeit des Kuckucksrufs nur eine scheinbare ist. Manchen Tieren können wir eben leichter als anderen die Gliederung unserer eigenen Rede unterlegen.

Interessante Zwischenstufe: was Komponisten aus Vogelrufen gemacht haben. Auch sie unterlegen etwas, zunächst die Taktgliederung.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 14.12.2012 um 02.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#22113

Übrigens, ein Cat-hepsin ist im gleichen Artikel auch dabei. Wirklich schwer verdauliche Brocken.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 14.12.2012 um 00.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#22112

Die FAZ trennte am 12.12.12 zweimal Cathep-sin.
Ich kann zwar nicht Griechisch, aber daß da ein einzelnes Psi drinsteckt, springt einem ja förmlich ins Auge.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.12.2012 um 05.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#22049

Lieber Herr Riemer, Sie sagen es ja selbst: Das Wörterbuch bildet den Brauch ab, das war sozusagen mein ganzer Stolz. Was ich selbst davon halte, gehört anderswohin, und ich habe es ja auch nie verheimlicht. Die Zurückhaltung, die ich mir im Wörterbuch auferlegen mußte, ist mir nicht immer leicht gefallen.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 02.12.2012 um 01.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#22048

Lieber Prof. Ickler,
man hat ja nicht jedes Wort aus jedem Wörterbuch ständig im Kopf, aber nun, nachdem ich bei Ihnen einiges noch mal nachgelesen habe, wundert es mich doch, daß die Duden-Einträge Sech-stel, sech-ste, die Sie hier besonders kritisieren, auch in Ihrem eigenen Wörterbuch, selbst in der 4. Auflage, genauso getrennt werden und daß Sie darin auf die Sonderfälle (laut Duden) beschwip-ste, rei-ste u. a. gar nicht erst eingehen.
Wie Sie oft schreiben, können Sie eben nur berücksichtigen, was der Brauch ist. Na gut, aber hier schreiben Sie auch "Hier war eine Änderung angebracht" und "Das war schon lange nicht mehr zeitgemäß". Wollen Sie es dann nicht wenigstens in Ihrem eigenen Buch ändern?

Lieber Herr Achenbach,
es stimmt, ich habe wohl meine Ansicht im Laufe der Diskussion geringfügig geändert, aber meine letzten Argumente sollten darauf beruhen, wie ich es schon in #22018 zusammengefaßt hatte.
Über die Endungen, die nach wie vor kein Problem darstellen, brauchen wir ja auch gar nicht zu sprechen.
Sie haben schon recht, daß die Endungen -te, -tel, -tet, -test, -ten nach der reformierten Regel kein Problem darstellen. Sie übersehen nur, daß ich eben diese reformierte Regel nicht anerkenne und statt dessen sage, nach Vokal s-t, nach Konsonant -st. Eben dafür brauche ich die Ausnahme für konsonantische Endungen, aber auch keine Ausnahme von der Ausnahme. (Es versteht sich natürlich von selbst, daß ein einzelnes -t oder auch -st als Endung nicht abgetrennt wird, sondern nur Endungen mit Silbencharakter, d.h. wenigstens einem Vokal. Und wo man Endungen noch morphologisch unterteilen kann, meine ich eben die gesamte Endung.)

Im Gegensatz zu kraß, naß ist baß, besser, beste sehr unregelmäßig, da kann man wohl schlecht von einer absurden Stammsilbe sprechen, wie auch immer. Wenn man beßte schreiben würde, wäre das ein klarer Hinweis, daß das ß zum Stamm gerechnet wird. So aber bleibt es offen. Ich würde hier nicht streiten uns beides (be-s-te) zulassen.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 01.12.2012 um 23.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#22047

Lieber Herr Riemer,

in Ihrem letzten Beitrag stützen Sie sich nur noch auf Ihren zweiten, alternativen Regelvorschlag. Haben Sie Ihren ersten Regelvorschlag („gut und einfach“) fallenlassen? Dann kann ich meine Kritik daran als erledigt betrachten.

Allerdings erscheint mir Ihre zweite Regel wieder als unnötig allgemein. Mit einem Konsonanten beginnende Endungen wie -heit oder -keit stellen doch gar kein Problem dar. Sie werden nach alter wie neuer Schreibung nie auseinandergerissen. Problematisch waren nach alter Regel neben -ste allerdings die auf t beginnenden Endungen -te, -tel, -tum, wenn sie zufällig mit einem s zusammenstießen wie bei sechstel oder Wachstum. Diese Endungen stellen aber nach neuer Regel ebenfalls kein Problem dar. Als einziges Problem bleibt -ste.

Wozu dafür eine allgemeine, weitgehend überflüssige Regel erfinden? Oder wollen Sie an dem Trennverbot für st festhalten?

Was mich erstaunt ist, daß Sie an der Trennung be-ste nichts auszusetzen haben. Sie erkaufen sich die Erhaltung des -ste mit einer absurden Stammsilbe be. Da ziehe ich bes-te doch vor. Oder sollen wir uns auf bes-ste einigen? Das wäre an sich wohl besser, aber kaum durchzusetzen.

Übrigens ist -ste eigentlich keine Endung, sondern besteht aus zwei Endungen, der Superlativendung -st und der Adjektivendung -e: klein, klein-st, der klein-st-e. Ebenso wohl auch -te: sechs, zu sechs-t, der sechs-t-e.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 01.12.2012 um 12.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#22044

Das war nicht immer unzweifelhaft so, vgl. die Trennungen Ableit- ung und Meld- ung bei Krünitz (1783):
http://books.google.ch/books?id=5MkUAAAAQAAJ&pg=PA612
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.12.2012 um 05.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#22043

Die Grundregeln der Trennung sind: Zusammensetzungen und Präfixbildungen werden morphologisch getrennt, der Rest silbisch. In dieser Reihenfolge ist vorzugehen, daher sind die Regeln auch in meinem Rechtschreibwörterbuch so geordnet.

Der alte Duden schrieb vor: "st wird nicht getrennt. (...) Eine Ausnahme bildet die Wortfuge bei Zusammensetzungen."

Im Wörterverzeichnis wird dann aber Wachs-tum als Zusammensetzung behandelt, obwohl es ein Tum schon lange nicht mehr gibt. Bei Sechs-tel dagegen soll der zweite Teil nicht mehr als reduziertes Substantiv anerkannt werden. Das ist nicht überzeugend.

Im übrigen werden Silbengrenzen im allgemeinen dort gefühlt, wo der zweite Teil mit einem möglichen Wortanfang beginnt. Das ist bei -st- nicht der Fall (außer im Norddeutschen). Damit scheiden die nichtgetrennten Superlativsuffixe aus.

Hier war eine Änderung angebracht, aber das hätte man ohne kostspielige Reform allmählich einführen können, durch einfaches Zulassen der natürlicheren Trennung.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 01.12.2012 um 02.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#22042

Lieber Herr Achenbach,
ich finde beschwip-ste nicht gut, aber um das zu vermeiden, brauche ich keine Ausnahme von der Ausnahme. Meine einzige Ausnahmeregel lautet: Endungen, die mit Konsonant beginnen, werden bei der Trennung wie Zusammensetzungen behandelt. Damit ist klar: Sechs-tel, sechs-te, reis-te, beschwips-te, knips-te, klein-ste, größ-te, blau-ste, er-ste, mei-ste, be-ste usw.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 30.11.2012 um 23.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#22041

Lieber Herr Riemer,

finden Sie die „gewohnte herkömmliche Trennung“ immer gut? Offenkundig doch nicht, denn Sie halten die gewohnte herkömmliche Trennung sech-ste nicht für gut und wollen deshalb dafür zu Ihrem Regelvorschlag eine Ausnahme. Sie hatten dazu noch gefragt: „Gibt es außer diesen noch mehr?“ Meine Antwort darauf war der Hinweis auf beschwip-ste. Ich könnte noch geknip-ste hinzufügen. Finden Sie diese Trennungen etwa gut?

Früher gab es die heute unverständliche Ausnahmeregel zu Nichttrennung von st. Die Abschaffung dieser Regel durch die Reform war wohl die einzige Reformmaßnahme, die allgemeine Zustimmung fand.

Ihnen geht es doch darum, das unschöne Auseinanderreißen der Superlativendung -ste möglichst zu vermeiden. Da stimme ich Ihnen vollkommen zu. Das Besondere an dieser Endung ist aber nicht, daß sie mit einem Konsonanten beginnt, sondern daß sie mit zwei Konsonanten beginnt. Nur deshalb tritt das Problem auf, daß diese Endung nach den reformierten Regeln auseinandergerissen wird. Mir fällt keine andere Ableitungsendung ein, die mit zwei Konsonanten beginnt.

Für diesen ganz besonderen Fall würde doch eine einfache Ausnahme vollkommen ausreichen. Stattdessen schlagen Sie eine neue, etwas veränderte allgemeine Ausnahmeregel zu st vor. Der Nachteil ist, daß damit Trennungen betroffen sind, die mit der Superlativendung überhaupt nichts zu tun haben, wie eben sech-ste und beschwip-ste, die Ausnahmen zur Ausnahme erfordern. Das ist sozusagen völlig unnötiger „collateral damage“. Außerdem wären Trennungen wie be-ste , blaus-te entweder vorgeschrieben oder zugelassen, je nachdem, wie Sie Ihre erste Teilregel verstanden wissen wollen.

Mein Gegenvorschlag wäre folgende Ausnahmebestimmung: Die Superlativendung -ste bleibt, außer nach einfachem kurzen Vokal, ungetrennt. Danach wäre bes-te, blau-ste und klein-ste zu trennen, also die nach meinem Empfinden natürlichen Trennungen.

Übrigens zieht die Reformschreibung rau neben ihren sonstigen Nachteilen auch noch die häßliche und irreführende Trennung raus-te nach sich.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 30.11.2012 um 20.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#22039

Verstöße gegen die Gelbe-Flaggen-Regelung werden während des Grand Prix mit einer Durchfahrts-
trafe geahndet.
(FAZ, 30.11.12)

Die deformerte st-Trennregel: st darf immer getrennt werden.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 30.11.2012 um 00.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#22027

Lieber Herr Achenbach,
ob nun be-ste unschön ist – immerhin ist es die gewohnte herkömmliche Trennung, außerdem läßt sie die Superlativendung intakt. (Aber bei beste, meiste könnte man von mir aus beide Trennmöglichkeiten zulassen.)
Warum Sie Ger-ste und Bor-ste als uneinsichtige Zwangstrennungen bezeichnen, ist mir auch unklar, denn es sind ebenfalls die gewohnten herkömmlichen Trennungen, außerdem, wie ich schon am Beispiel Fen-ster zu verdeutlichen versuchte, ist st wohl in sehr vielen Fällen stärker verbunden als das s mit dem davorstehenden Konsonanten. Wo das aber wirklich genau der Fall ist, kann unmöglich jeder wissen, oft ist die Etymologie sogar unbekannt. Warum also nicht einheitlich den Konsonanten vor -st abtrennen? Ich sehe da auch in Ihren Ausführungen keinen Gegengrund.
Mein Regelvorschlag, wie unschön "außerlich" er auch sein mag, würde also in allen Fällen entweder zur herkömmlichen Schreibweise oder zu einer Verbesserung der auch in diesem Tagebucheintrag kritisierten Fälle führen.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 28.11.2012 um 23.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#22024

Lieber Herr Riemer,

womöglich liegt hier ein Mißverständnis vor. Meine Äußerung zu „freizügig“ und „engherzig“ bezog sich nur auf die unterschiedlichen Formulierungen Ihrer ersten beiden Teilregeln: einerseits „darf s-t getrennt werden“, andererseits „bleibt -st zusammen“. Der erste Ausdruck scheint andere Trennungen zuzulassen, der zweite nicht. Vermutlich haben Sie es aber so gar nicht gemeint. Das erinnert mich an die Zweideutigkeiten der Regelformulierungen des Duden, die Prof. Ickler in seinem Duden-Kommentar behandelt.

Was mich an Ihren Regelvorschlägen hauptsächlich stört, ist ihre unnötige Allgemeinheit. Das Problem liegt doch zunächst in der Steigerungsendung -ste. Die alte (Ausnahme-)Regel (Nichttrennung von st) führte rein zufällig dazu, daß diese Endung zusammenblieb. Nach Abschaffung dieser Regel führt die ebenfalls alte Regel, bei mehreren Konsonanten nur den letzten abzutrennen, nun zu unschönen Trennungen wie kleins-te.

Anstatt nur diesen Fall der Endung -ste zu behandeln, erfinden Sie unnötigerweise eine allgemeine Regel zur Trennung von st. Das führt zu unschönen Trennungen wie be-ste, zu uneinsichtigen Zwangstrennungen wie Ger-ste und Bor-ste und zu unsinnigen Trennungen wie beschwip-ste , sech-ste und sech-stel. Nur dadurch handeln Sie sich die Notwendigkeit einer Ausnahme im letzten Fall ein. Dabei sind die Trennungen Beschwips-te, sechs-te und sechs-tel doch an sich völlig unproblematisch, sobald das alte Trennungsverbot für st aufgehoben ist.

Die Endung st in der 2. Pers. Sing. hat hiermit doch nichts zu tun, denn sie führt niemals zu Trennungen. Was sp mit der Sache zu tun hat, ist mir unklar. Ebensowenig haben Trennungen wie Kis-te oder Ris-pe mit der Sache zu tun, denn es handelt sich nicht um Ableitungen aus Stamm und Endsilbe.

Das Hauptproblem sehe ich in der starren, rein äußerlichen (formalen) Regel zur Abtrennung des letzten Konsonanten. Dabei ist die Silbengrenze in diesen Fällen oft genug unklar: wid-rig oder wi-drig, meis-te oder mei-ste, Fens-ter oder Fen-ster, Karp-fen oder Kar-pfen?

Das haben wir im Diskussionsforum schon vor längerem erörtert.

(Siehe hier bzw. hier. – Red.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.11.2012 um 16.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#22020

Im alten Duden stand ausdrücklich beschwip-ste – sozusagen selbstbeschreibend ...
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 28.11.2012 um 11.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#22019

Ich würde ganz allgemein meinen, wo es erkennbar ist, nach „Sinneinheiten“ und nicht nach formalen „Regeln“ zu trennen. Das schließt natürlich ein, daß es vom Schreiber abhängig ist, was er als Sinneinheit betrachtet. Auch Trennungen wie acht-tel finde ich gut, es obliegt ja dem Schreiber, was er schreibt bzw. als lesefreundlich erachtet. Abzulehnen sind nur willkürlich verbotene Trennungen, wie sie durch die Reform teilweise verordnet wurden.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 28.11.2012 um 10.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#22018

Herr Achenbach nennt es "freizügig": Ich sehe eine gewisse Analogie zu sp und möchte st keine Sonderrolle zubilligen. Warum soll man nicht wie Knos-pe, Ris-pe auch Kas-ten, Lis-te trennen?
Andererseits "engherzig": Na gut, sp hat eben auch einige Unterschiede zu st. Konsonanten gibt es vor sp nicht, die Abtrennung des Konsonanten vor st steht also nicht im Widerspruch zu sp. Allerdings scheint mir die Trennung zwischen Konsonant und st in den meisten Fällen die natürlichere zu sein, siehe z. B. Fen-ster (lat. fenestra), auch in Fremdwörtern (Demon-stration). Das st, welches wie sp häufig am Wortanfang vorkommt, markiert eben fast immer einen neuen Wortbestandteil. Die alte Regel, st nie zu trennen, hatte nach Konsonanten vor allem ihren Sinn!

Eine rein äußerliche Regel war das wohl (wie auch mein Vorschlag), aber weshalb wäre das ein Fehler? Sehr einfach ist eine solche Regel allemal!

Es gibt einen weiteren Unterschied zu sp, nämlich daß st häufig als Beginn einer Endung auftaucht, nämlich an Verben (2. Person Sing.) und als Superlativendung an Adjektiven. Auch für diese Fälle war die alte Regel gut. Mein Vorschlag, st nach Vokalen zu trennen, paßt da nicht immer. Deshalb hatte ich als Alternative auch vorgeschlagen, mit Konsonanten beginnende Suffixe bei der Abtrennung immer wie Zusammensetzungen zu behandeln. Das bedeutete dann Sechs-tel, sechs-ter, ach-tel, klein-ste, frei-ste, blau-ste, mei-ste, er-ste, Ro-heit, beschwips-te ...
Also meistens die herkömmliche Variante, bis auf die von Prof Ickler kritisierten. (Wie trennt man eigentlich beschwipste herkömmlich?)

Wenn ich das zusammenfasse:
Im allgemeinen Trennung s-t nach Vokal, -st nach Konsonant, Ausnahme: konsonantische Endungen wie Zusammensetzungen.

Wäre das nicht eine immer noch sehr einfache, vernünftige Regel?
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 27.11.2012 um 23.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#22012

Lieber Herr Riemer,

mir scheint, daß Ihre „gute und einfache“ Regel nicht das leistet, was Sie damit erreichen wollen. Sie teilt auch den Fehler der Dudenregeln, rein äußerlich zu sein.

Außerdem: warum sind Sie einerseits freizügig („darf s-t getrennt werden“), andererseits engherzig („bleibt -st zusammen“)?

Nach Ihrer Regel könnte freis-te oder blaus-te und müßte beschwip-ste getrennt werden. Warum in aller Welt sollte man auch unbedingt Ger-ste, Bor-ste, ern-ste und auch er-ste trennen müssen, aber nicht Gers-te, Bors-te, erns-te oder ers-te trennen dürfen?

Wie ist es ferner mit achtel? Weder ach-tel noch acht-el befriedigen so recht, ebensowenig wie Ro-heit oder Roh-eit. Der einzige Ausweg wäre acht-tel und Roh-heit.

Eine gefällige und das Lesen erleichternde Worttrennung ist eine Frage des sprachlichen Feingefühls und nicht von starren und möglichst einfachen Regeln.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 27.11.2012 um 18.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#22008

Das ist fast genauso schlimm wie die Trennung höchs-te, nächs-te, kleins-te usw.

Als ich zum ersten Mal Anfang der Neunziger hörte, st darf künftig getrennt werden, dachte ich noch, das ist ja ganz vernünftig. Damals hatte ich natürlich nicht damit gerechnet, daß aus dieser Erlaubnis gleichsam die Verpflichtung werden würde, st, wenn Trennung erwünscht ist, an den unmöglichsten Wortstellen zu trennen.

Ich hielte folgende Regel für gut und einfach:
Wenn vor st ein Vokal steht, darf s-t getrennt werden: Kis-te, meis-te.
Steht davor ein Konsonant, bleibt -st zusammen: Fen-ster, er-ste.

Für sechs-te, Sechs-tel (Gibt es außer diesen noch mehr?) müßte man leider eine Ausnahme machen, das scheint mir aber ähnlich klar zu sein wie bei Zusammensetzungen: Reis-topf. Oder man vereinbart, daß Suffixe, die mit Konsonanten beginnen (-keit, -tum, -ste, ...), immer wie Zusammensetzungen behandelt werden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.11.2012 um 15.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#22006

Man sollte nicht vergessen, daß der alte Duden fünf-te, sech-ste, sieben-te, Fünf-tel, Sech-stel, Sieb-tel verlangte. Das war schon lange nicht mehr zeitgemäß.
 
 

Kommentar von Karsten Bolz, verfaßt am 03.07.2005 um 19.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#647

Heute im RTL Videotext gefunden: Trennung "mus-ste". Rechts am Rand wäre noch genug Platz gewesen. Hat sich da jemand erinnert: "Trenne nie st?"
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.07.2005 um 15.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#646

Pro-blem, Pro-gnose, Dia-gnose zu trennen hat eine gewisse Tiefe und Schönheit. Es sitzt gut, paßt wie angegossen. Eigentlich müßte jede Reformerin dafür Sinn haben, wenn sie chic gekleidet zur Verhandlung kommt, dort aber dann verkündet, es sei doch alles egal, Hauptsache, die Schüler können keine Fehler mehr machen. Oder ist gerade das der geheime Sinn? Abfall für alle - nur für einen selbst nicht?
 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 03.07.2005 um 14.48 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#645

„ ... jedenfalls ist mir bei Duden aufgefallen, daß miserable Zeilenfüllung mit willkürlichen Schlechtesttrennungen einhergeht.“ = Eine Folge nachlassender Sorgfalt beim Schreiben - dies wiederum ein unvermeidliches Ergebnis einer sich als Reform tarnenden, ersatzlosen Auflösung der bewährten Schreibtradition. Das mag bei einigen als Befreiung empfunden werden. Zeitgewinn, Flüchtigkeit. Aber: Doppelter Schaden am Sprachkörper. Primäre Beschädigung der Substanz nicht nur durch die deformierenden „Reformregeln“, sondern auch durch die jetzt vermehrt auftretende, überall zu spürende Nachlässigkeit im Umgang mit Schrift und Sprache.
Es kommt da einiges auf uns zu, wenn die neue Generation die Schule verläßt - falls nicht doch verantwortungsvolle Pressehäuser endlich die Notbremse ziehen.
 
 

Kommentar von Norbert Schäbler, verfaßt am 03.07.2005 um 12.56 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#644

"Bas-ta!"

Vorzugstrennungen bereiteten keinerlei Schwierigkeiten – „das weiß doch jedes Kind“ – behauptet Herr Achenbach. Doch, weit gefehlt!

Bewährte Wortzerlegungstechniken müssen gelernt und gelehrt werden, und bei der Lehre ist es enorm wichtig, eine breite Palette von Begründungen aufzuzeigen. Das heißt: Die Trennungslehre darf sich nicht ausschließlich auf das Anstreben einer reizvollen äußeren Gesamtsform (Arbeit im Blocksatz) beschränken; vielmehr gilt es die Folgewirkungen der einzelnen Zeilenumbrüche zu analysieren und den Sinn scheinbar überholter Normierungen zu klären.

Im übrigen behaupte ich, daß nicht der „Block-„ sondern der „Flattersatz“ für die Schule die angemessene und in der Praxis bewährte Umbruchtechnik ist.

Schule hat etwas mit der Tradierung von Bildungsinhalten zu tun. Sprachbildung – insbesondere die der deutschen Sprache – hat sich auch mit Fremdworteinflüssen zu beschäftigen, denn es ist unübersehbar, daß viele eingedeutschten Wörter sich aus Präfixen und Suffixen anderer Sprachräume zusammensetzen, daß also im Prinzip lediglich Wortbestandteile entlehnt werden (Bsp.: „inter-, re-, bio-, bi- ...“).

Wie leicht war es, den Schülern mit einer einzigen „Lehnsuffixsammelstunde“ den Sachverhalt klarzumachen, denn „Sammeln“ macht den Schülern Spaß.

Im Zuge der Rechtschreibreform wird man allerdings die früher recht erfolgreichen Sammelstunden nicht mit einer Erkenntnisgewinnung abschließen können. Die Schüler werden zwar die Vorsilben „inter-“ und „re-“ weiterhin benennen, doch werden sie sich (wie es auch die Lehrer tun) dem neuen Regelsystem unterwerfen. „Inte-resse“ wird nach R 132 künftig nach dem E getrennt, und „Rest-rik-ti-on“ trennt man nach den Regeln R 130 und R 132 so, wie dargestellt.

Basta!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.07.2005 um 12.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#643

Nur eine Fußnote: Auch beim Flattersatz wird getrennt, und bei Duden und Bertelsmann, wo man neuerdings fast alle Wörterbücher und Grammatiken in Flattersatz herausbringt, wird gerade besonders viel und beleidigend schlecht getrennt. Es macht den Eindruck, als wolle man uns vorführen, wie miserabel die neue Trennung ist; jedenfalls ist mir bei Duden aufgefallen, daß miserable Zeilenfüllung mit willkürlichen Schlechtesttrennungen einhergeht.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 03.07.2005 um 00.51 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#642

Diesen Aussagen von Herrn Markner kann ich voll und ganz zustimmen. Ich gehöre zwar zu dem nicht-nennenswerten Prozentsatz derer, die jeden einzelnen Trennvorschlag des jeweiligen Trennprogramms auf Angemessenheit überprüfen, allerdings kann ich mich nicht erinnern, deshalb in meinem ganzen Leben jemals im Wörterbuch nachgeschlagen zu haben.

Natürlich sind unter-nehmen oder Feuer-versicherungs-gesellschaft die Vorzugstrennungen. Das weiß doch jedes Kind! Im Spaltensatz lassen sich aber gelegentlich Trennungen wie un-ternehmen oder unterneh-men nun mal nicht vermeiden. Normalerweise werden aber Privat- oder Geschäftsbriefe nicht im Blocksatz geschrieben. Daher erübrigen sich dort derartige Trennungen.

Bei anaerob geht es weniger um die Trennung als um die Aussprache. Wenn man es an'a'erob ausspricht, dann ist die Trennung ana-erob zwar unschön und für den Leser irreführend und deshalb zu vermeiden, aber nicht unphonetisch.

Zu den Top Ten würde ich noch Trennungen wie aber-kennen und Urah-nung hinzufügen.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 02.07.2005 um 21.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#641

Ich bezweifle, daß ein nennenswerter Prozentsatz der mit der Textverarbeitung Schreibenden sich die Mühe macht, Trennungen einzeln zu überprüfen, noch dazu in einem Wörterbuch!

Die best practice war schon bisher allenfalls ansatzweise in den Wörterbüchern beschrieben. Die beste, am wenigsten störende Trennung des Wortes unternehmen beispielsweise ist die zwischen seinen Bestandteilen, also unter|nehmen. Man könnte von einer morphologischen Vorzugstrennung sprechen. Die beste, am wenigsten störende Trennung des Wortes Nation ist Na|tion. Hier handelt es sich um eine phonetische Vorzugstrennung. Die Trennstelle Nati|on wurde im Duden früher durch eine gestrichelte Linie als zu vermeidende gekennzeichnet. Im Falle von un|ternehmen hingegen wurde nicht so verfahren. Es gab und gibt schließlich keine Regel, die besagt, daß mehrsilbige Prä- oder Suffixe nicht zu trennen seien. Was typographisch wünschenswert ist, muß noch lange kein orthographisches Gesetz sein.

Eben gefunden: In die Top ten der dümmsten Trennungen dürfte es ana|erob (Duden 2004, S. 155) geschafft haben.

Und noch was: Laut unserem Freund Florian Agreiter mußte mußte bisher mu|ßte getrennt werden.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 02.07.2005 um 21.14 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#640

Ich stimme den Aussagen von Herrn Markner nicht ganz zu. Die eigentliche Domäne der Silbentrennung ist der Blocksatz beim Buchdruck und noch mehr der Spaltensatz beim Zeitungs- und Zeitschriftendruck. Nur hier sind schwierigere oder ausgefallene Trennungen überhaupt notwendig. Damit hatten aber nur die Drucker, Lektoren und Korrektoren zu tun – nicht aber der normale Sterbliche.

Jetzt nehmen zwar die Computer mit ihren Trennprogrammen dem Schreibenden viel Arbeit ab, zugleich ermöglichen sie ihm aber erstmals auch die Verwendung des Blocksatzes, sei es bei Aufsetzung der Vereinszeitschrift, sei es, um ein Bewerbungsschreiben besonders „schön und ordentlich“ erscheinen zu lassen. Dadurch kann heute auch der normale Schreiber viel mehr mit der Silbentrennung zu tun bekommen als früher.

Die Arbeitserleichterung der Trennprogramme besteht hauptsächlich darin, die Zeilen im Blocksatz ohne augenfällige Lücken annähernd auf gleiche Länge zu bringen. Die Programme ersparen dem Schreibenden damit ein mühevolles Ausprobieren. Was sie nicht können, ist zwischen intelligenten und dummen, weil irreführenden und lesehemmenden, Trennungen zu unterscheiden. Deshalb muß der Schreibende eben doch jeden Trennvorschlag des Programms überprüfen und bewerten. Wer seinem Bewerbungsschreiben durch Blocksatz ein besonders schönes Aussehen geben will, wird doch auch vermeiden wollen, daß der Personalchef bei jeder zweiten Worttrennung stutzt.

Als erwachsener Mensch möchte ich mir im übrigen weder vom Duden noch von den Rechtschreibreformern – und noch weniger vom Trennprogramm meines Computers - vorschreiben lassen, wie ich zu trennen habe, wenn das gegen mein Sprachgefühl verstößt. Daher trete ich für Wahlfreiheit zwischen struktureller und phonetischer Trennung ein. Deshalb muß von den Wörterbüchern verlangt werden, daß sie ihre Leser über die strukturellen Gegebenheiten aufklären und diese nicht verschleiern, wie sie es jetzt tun. Es dürfte auch nicht besonders schwierig sein, die Trennprogramme so einzurichten, daß sie dem Benutzer eine Option zwischen struktureller oder phonetischer Trennung bieten.
 
 

Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 29.06.2005 um 22.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#597

Herrn Markners Aussagen stimmen zwar; gleichwohl war es - zumindest in der Teilfunktion des Buchdruckerdudens - auch die Aufgabe des Wörterbuchs, für diesen Bereich eine "best practise" zu beschreiben.
 
 

Kommentar von Reinhard Markner, verfaßt am 29.06.2005 um 21.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#595

Herrn Achenbachs Erwägungen gehen leider (wie die Reform und natürlich auch schon der alte Duden) von der unrealistisch gewordenen Annahme aus, daß ein Schreiber selbst Trennstellen zu setzen habe. Das ist aber heute die Ausnahme, und zwar gleich doppelt. Zum einen werden nur noch wenige Texte mit der Hand geschrieben, zum anderen muß in Texten, wo das Programm die Trennungen setzt, nur gelegentlich vom Schreiber eine alternative Trennung festgelegt werden.

In der Hauptsache geht es also darum, den Programmierern klare Vorgaben zu geben, damit am Ende gut lesbare Texte herausspringen. Ob der Schreiber weiß, wie knusprig oder Helikopter morphologisch aufgebaut sind, ist ganz nebensächlich. Vielleicht geben ihm die Trennungen seines Programms ja einige etymologische Denkanstöße. In diesem Sinne sind natürlich auch die Ausnahmen des alten Dudens (Chi-rurg usw.) obsolet.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 29.06.2005 um 20.46 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=45#594

Einige Thesen zur Silbentrennung:

Im folgenden verwende ich die Begriffe „strukturelle Trennung“ und „phonetische Trennung“ in der Hoffnung, daß sie sich von selbst verstehen.

1. Es kommt weniger darauf an, was in den „Regeln“ steht, als darauf, wie die Wörterbücher damit umgehen.

Die Regeln des alten Duden und der „Amtlichen Regeln“ zur Trennung der Fremdwörter unterscheiden sich eigentlich wenig. Beide sind zweideutig in der Frage, wer darüber entscheidet, ob strukturell oder phonetisch getrennt wird. Die Praxis ist aber völlig entgegengesetzt: Früher bestimmte der Duden, ob strukturell oder phonetisch getrennt wurde; nach der RSR kann es jeder so machen, wie er will (wenn er kann).

Die frühere Situation war nicht sehr befriedigend. Es war nicht vorherzusehen, wann der Duden strukturelle und wann er phonetische Trennung vorschrieb. Streng genommen mußte daher selbst der Altphilologe im Duden die Trennung lateinisch/griechischer Fremdwörter nachschauen. Aus den angegebenen Trennstellen war auch nicht ersichtlich, ob es sich um strukturelle oder phonetische Trennung handelte. Die st-Regel wurde zudem konsequent auch bei Fremdwörtern angewandt.

Nach der RSR fühlten sich die Wörterbücher verpflichtet, alle nur denkbaren Trenn­stellen anzugeben. Zwar mußten die Reformer widerwillig, als „Zugeständnis an das elitäre Bildungsbürgertum“, auch die strukturelle Trennung zulassen, die Wörterbücher taten aber alles, um die strukturelle Trennung in einem Wust von mehr oder weniger plausiblen phonetischen (aber auch unphonetischen) Trennungen unkenntlich zu machen. Darin entsprachen sie zweifellos auch der Intention der Reformer, die am liebsten die strukturelle Trennung der Fremdwörter abgeschafft hätten. Nur der Rot- und Schwarzdruck erlaubt jetzt noch dem interessierten Leser Rückschlüsse auf die strukturellen Verhältnisse, wenn auch nur unzulänglich wegen der erwähnten Mängel der alten Dudenpraxis. Mit dem endgültigen Inkrafttreten der RSR würde wohl auch diese Möglichkeit entfallen.

Solange eine strukturelle Trennung überhaupt „zulässig“ ist, ist es aber an sich selbstverständliche Pflicht der Wörterbücher, die strukturellen Gegebenheiten kenntlich zu machen, und zwar deutlich unterscheidbar von den sonstigen, phonetischen Trennmöglichkeiten. Da sich letztere aber von selbst verstehen, ist ihre Kennzeichnung eigentlich überflüssig. Die Angabe aller „möglichen“ Trennstellen, die zudem von keinem Wörterbuch konsequent durchgehalten wird, erschwert nur die Lesbarkeit. Da es das erklärte Ziel des Duden ist, das Nachschlagen von Trennmöglichkeiten überflüssig zu machen, ist es an sich auch nutzlos. Früher (Duden 1961) wurden auch nicht alle Trennstellen angegeben, sondern nur die von der deutschen Phonetik abweichenden.

Die Hauptforderung an eine künftige Praxis der Wörterbücher muß daher sein, daß dort die Strukturfugen eindeutig als solche – unabhängig von anderen Trennstellen – kenntlich gemacht werden. Nur so kann der durchschnittliche Schreiber die Wahlmöglichkeit zwischen struktureller und phonetischer Silbentrennung überhaupt nutzen.

2. Hauptfehler der Reform war es, das Kriterium des Wissens oder Nichtwissens über strukturelle Gegebenheiten nicht überwunden zu haben

Die Krux der bisherigen Praxis bei der Silbentrennung der Fremdwörter war, daß die „korrekte“ strukturelle Trennung vieler lateinisch/griechischen Fremdwörter sprachliche Kenntnisse der alten Sprachen voraussetzt, über die der nicht humanistisch Gebildete oft nicht verfügt. Wer „falsch“ trennte, mußte befürchten, sich dem Vorwurf der „Unbil­dung“ auszusetzen. Das gab der Diskussion eine unnötige emotionale Schärfe. In den 60er und 70er Jahren kam die klassenkämpferische Ideologie hinzu, die in der Recht­schreibung nur ein Unterdrückungsinstrument der Herrschenden und in der Trennung der Fremdwörter erst recht nur eine Schikane des „Bildungsbürgertums“ erblickte. All dies wirkt heutzutage sehr anachronistisch, aber die Rechtschreibreformer haben sich ja nicht nur in diesem Bereich nie von alten Denkmustern lösen können.

Worum es geht, ist allein die Frage, wann strukturelle und wann phonetische Trennung am sinnvollsten ist. Darüber mag man sich streiten, es handelt sich aber nicht um eine Bildungsfrage. Wenn die Sprachgemeinschaft der strukturellen Trennung den Vorzug gibt oder sie zumindest zuläßt, dann müssen die Wörterbücher den Schreibenden eben die notwendigen Kenntnisse vermitteln und diese nicht verheimlichen (s.o.).

Im Deutschen wird grundsätzlich phonetisch getrennt. Wo im Deutschen strukturell getrennt wird, erfolgt dies, weil die deutsche Aussprache die Strukturgrenzen bei Vorsilben und Wortzusammensetzungen deutlich vernehmbar macht. Dies ist bei der gängigen Aussprache vieler Fremdwörter nicht der Fall. Man kann deshalb die strukturelle Trennung im Deutschen nicht ohne weiteres auf solche Fremdwörter übertragen. Als erwachsener Mensch nehme ich mir die Freiheit, Fremdwörter je nach Sprechsituation mehr oder weniger „korrekt“ auszusprechen. Warum sollte ich mir diese Freiheit nicht auch bei der Trennung von Fremdwörtern nehmen?

Das Wort „Koran“ wird im Deutschen nun einmal „Ko-ran“ ausgesprochen und getrennt, im Arabischen aber „Qor’an“ (mit deutlichem Knacklaut vor dem a) ausgesprochen. Dennoch sehe ich, wenn ich das Wort im Deutschen verwende, nicht den geringsten Grund, die „an sich korrekte“ Trennung „Kor-an“ zu verwenden, da ich das Wort ja auch nicht „korrekt“ ausspreche. Ebenso würde ich, der Aussprache folgend, lieber Inte-resse und Helikop-ter, auf einer anderen Sprachebene aber lieber Archäo-pterix trennen.

3. Zweiter Hauptfehler der Reform war es, deutsche Regeln der Silbentrennung unbesehen auf Fremdwörter zu übertragen

Hätte die Reform es dem Schreibenden überlassen, entweder eine strukturelle Trennung oder eine nach dessen Sprachgefühl angemessene phonetische Trennung zu wählen, wären die Ergebnisse nicht so absurd gewesen. Wer würde schon von sich aus Obst-ruktion trennen? Aber nein, befangen in ihrem Regelungswahn, glaubten die Reformer die Trennregeln, die im Deutschen wenigstens keinen allzugroßen Schaden anrichten, auf die je nach Herkunftssprache ganz anders gelagerten Fälle der Fremdwörter übertragen zu müssen.

Besonders verhängnisvoll wirkt sich bei Fremdwörtern die Regel 108 der Amtlichen Regeln (Abtrennung des letzten von mehreren Konsonanten) aus. Es ist gerade diese Regel, die zu den absurdesten und unnatürlichsten Trennungen führt, wie Obst-ruktion und malt-rätieren. Niemand mit einem Rest von Sprachgefühl würde von sich aus so trennen. Die Wörterbücher in ihrer Regelgläubigkeit fühlen sich aber verpflichtet, solche oder vergleichbare Trennmöglichkeiten anzuführen.

4. Regel 108 sollte auch im Deutschen abgeschafft werden

Die Regel 108 verhindert auch im Deutschen einige nach meinem Empfinden natürlichere Trennungen. Vor allem bei zwei oder mehr Konsonanten ist häufig unklar, wo eigentlich die Silbengrenze liegt; vielleicht gibt es in vielen Fällen überhaupt keine eindeutige natürliche Silbengrenze. Aber warum muß man das schematisch regeln? Die Trennung wid-rig leitet den Leser in die Irre, weil er glauben muß, daß eine geschlossene kurze Silbe vorliegt. In Wirklichkeit liegt phonetisch eine offene lange Silbe vor. Warum darf man dann nicht wi-drig trennen?

Die Abschaffung von Regel 108 würde eine ganze Reihe von Trennungen erlauben, die nach meinem Empfinden phonetisch zutreffender und natürlicher, jedenfalls aber nicht unphonetisch sind:

Wü-ste im Gegensatz zu Küs-te, hu-sten im Gegensatz zu hüs-teln, ra-ste (von rasen) im Gegensatz zu ras-ten (von Rast), wi-drig; em-pfinden, im-pfen, Kar-pfen; deu-tsche; klein-ste; ges-trig, knus-prig, kan-zler usw.

 
 

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