27.03.2005


Theodor Ickler

Silbentrennung

Was ist bei der Revision der reformierten Silbentrennung zu beachten?

Die Silbentrennung hat sich infolge der Rechtschreibreform vom wahrhaft "marginalen" Bereich zum zentralen Problem für die Lexikographen entwickelt. Darauf weist auch der stellvertretende Dudenchef in einem Aufsatz hin (Sprachwissenschaft 2/2000).

Die Konkurrenten auf dem Wörterbuchmarkt wetteiferten jahrelang darin, die meisten Trennstellen gemäß den neuen Regeln zu verzeichnen: a-brupt, as-tigmatisch, Fide-ikommiss, Hämog-lobin, O-blate, Pog-rom, Zirkumsk-ript. Die Dudenredaktion stützt sich auf eine unveröffentlichte, 60 Seiten umfassende Liste von Trennstellen, die mit der inzwischen aufgelösten Kommission abgesprochen war. Damit ist das Problem aber nicht gelöst. Noch das neueste Duden-Fremdwörterbuch (2005) zeigt dieselbe Inkonsequenz wie die ersten reformierten Wörterbücher: Man findet zwar Tausende von waghalsigen, lediglich dem Buchstaben der Reform gerecht werdenden Trennungen wie Dias-pora, Pant-ragismus, raf-raichieren, Ref-reshing, Renek-lode, rest-rukturieren, Su-burb, Subsk-ript, Tee-nager. In vielen, stets unvorhersehbaren Fällen wird jedoch auf eine "theoretisch mögliche" Trennung verzichtet: An-idrose (aber a-nonym), Ant-arktis (aber An-tagonist), Kranio-stenose (aber Kranios-tat) usw. Während An-o-xie nur einen einzigen überflüssigen Trennstrich hinzubekommen hat, wird A-n-o-re-xie mit deren zwei ausgestattet. Es heißt dip-loid, trip-loid, aber nur okto-ploid usw.

Die Lösung kann nicht darin bestehen, die Wörterbücher zu immer "konsequenterer" Anwendung der neuen Regeln zu drängen. Vielmehr tut eine Rückbesinnung auf den eigentlichen Zweck des Trennens not. Dieser Zweck besteht ja nicht darin, keine Fehler mehr zu machen, weil beinahe alles per definitionem "korrekt" ist; er besteht vielmehr darin, die Zeilen in gefälliger Weise zu füllen und gleichzeitig das Lesen nicht zu erschweren. Im Deutschen hat sich dazu das auch von der Reform nicht angefochtene Prinzip herausgebildet, zusammengesetzte und präfigierte Wörter zunächst in ihre Konstituenten zu zerlegen und dann nach Sprechsilben zu trennen. (Das amtliche Regelwerk ist bekanntlich fehlerhaft strukturiert, da es die Reihenfolge dieser beiden Grundregeln vertauscht: § 111 gehört vor § 107.)

Ein altes Problem ergibt sich daraus, daß erstens einheimische Zusammensetzungen bis zur Undurchschaubarkeit verschmolzen sein können, zweitens bei Fremdwörtern für den weniger gebildeten Sprachteilhaber die Durchsichtigkeit ohnehin nur in Grenzen gegeben ist. Die Reform "löst" das Problem, indem sie für alle Zweifelsfälle silbische Trennung zuläßt, morphologische Trennung aber nicht untersagt. In dieser auf den ersten Blick salomonischen Lösung steckt der Keim des Zerfalls.

Betrachten wir die Folgen zunächst für die nativen Wörter. Wir sprechen meistens (aber nicht immer und mit regionalen Unterschieden) herum, einander, vollenden usw. gebunden. Wer den Aufbau dieser Zusammensetzungen nicht mehr durchschaut, darf nach Sprechsilben trennen. Die Dudenredaktion gibt vor, die Zusammensetzungen nicht zu durchschauen, und trennt in ihrem eigenen Schreibbrauch grundsätzlich nur noch he-rum, nebenei-nander usw. (Bei Schülern fördert die neue Trennweise die schon länger bekannte hyperkorrekte Syllabierung her-rum usw.) Ich halte das nicht für wünschenswert und glaube auch nicht, daß gebundene Aussprache notwendigerweise auf morphologische Undurchschaubarkeit schließen läßt. Vielerorts spricht man auch Verein usw. gebunden und ist sich dennoch über die Präfigierung völlig im klaren.

Wichtiger ist die Fremdwortfrage. Bei einigen gut integrierten Fremdwörtern war die silbische Trennung bereits vor der Reform angebahnt: Epi-so-de, Ka-tode. Grundsätzlich galt aber: wer solche Wörter gebraucht, sollte auch wissen, wie sie aufgebaut sind. Notfalls muß er nachschlagen oder auf das unverstandene Wort verzichten – was seinem Stil ohnehin guttäte. (Konrad Duden selbst war dieser Ansicht.) Die Neuregelung möchte den Schülern und Wenigschreibern entgegenkommen, keiner soll sich mit falschen Trennungen blamieren können. Das Gegenteil wird erreicht: Die beiden Trennweisen werden ja niemals als gleichwertig gelten, sondern es wird immer die bessere Trennweise der Kundigen einer behelfsmäßigen zweitklassigen Trennung durch den Unwissenden gegenüberstehen. Das hat übrigens schon Bernd-Axel Widmann von der Schulbehörde Hamburg in einer Stellungnahme zum Reformentwurf vorausgesehen. Er schrieb am 14.10.1994 an die KMK: "Es könnte sein, daß zukünftig in zwei Klassen von Schreibern unterschieden wird: in eine Elite, die allgemeingebildet ist und größere Chancen z. B. bei Einstellungen hat, und in eine große ungebildetere Gruppe, die vereinfacht schreibt und geringere Aufstiegschancen besitzt."

Das Problem ist für Selbstschreibende nicht ganz so brennend, denn wer nicht weiß, wie z. B. Kontrition zusammengesetzt ist, wird es wahrscheinlich ohnehin nicht gebrauchen. Die vom Duden (2004) vorgeschlagene Trennung Kont-rition braucht er daher nicht in Anspruch zu nehmen. Wer das Wort andererseits kennt und benutzt, dürfte auch wissen, wie es sich zusammensetzt. Die Rechtschreibreform hat implizit den Schreiber von Fremdtexten im Auge, der also nach Diktat einen Text schreibt, den er nicht versteht. Gerade ein solcher Schreiber oder vielmehr eine Schreiberin, denn es ist typischerweise die Sekretärin, kann mit der Billigschreibung nichts anfangen. Die Professorin kann und wird nicht zulassen, daß ihr Text durch A-nurie, Ap-lanat, Apop-tose, Apos-t-roph, Herost-rat, Legas-thenie, Manusk-ript, Metas-tase, Me-töke, Monoph-thong usw. verunziert wird.

Außerdem unterläuft die exzessive Silbentrennung den Bildungsanspruch der Schule. Man sieht dies zum Beispiel an folgendem Eintrag im neuen Fremdwörterduden: A-nekdote "noch nicht Herausgegebenes" – wo die beigegebene Erklärung der unsinnigen Trennung geradezu ins Gesicht schlägt. Besonders die Präfixe und Präfixoide aus den alten Sprachen sind heute das Material einer ungemein fruchtbaren Lehnwortbildung. Es ist widersinnig, ständig neue Wörter mit inter-, anti-, para-, bio-, öko- usw. zu bilden und gleichzeitig so zu tun, als erkenne man diese Bestandteile nicht wieder: Inte-resse, Mikros-kop, Prog-nose usw.

Die Trennbarkeit von st ist vielleicht der einzige Teil der Rechtschreibreform, gegen den aus sprachwissenschaftlicher Sicht nichts einzuwenden ist; nötig war sie allerdings nicht, denn die bekannte Ausnahmeregel war im Handumdrehen erlernbar.

Dagegen ist die Nichttrennbarkeit von ck aus mehreren Gründen verfehlt: sie verstößt klar gegen die richtige Einstufung des ck als Ligatur anstelle von kk nach § 3 der Neuregelung, und sie verstößt eben deshalb auch gegen die Grundregel der Syllabierung. Außerdem führt sie in Verbindung mit der Abtrennbarkeit einzelner Buchstaben zu unakzeptablen Gebilden wie Dusche-cke usw. Worum es sich wirklich handelt, hat Wilmanns schon vor langer Zeit klargestellt:

"Das Zeichen (ck) war von den altdeutschen Schreibern mit guter Überlegung gewählt, c bedeutete ihnen im Gegensatz zu k den leichteren, nicht aspirierten Laut; darum steht in der Verdopplung k an zweiter Stelle, wo ein Vokal folgt, c an erster, wo der folgende Konsonant den Laut weniger stark erscheinen läßt." (Wilhelm Wilmanns: Die Orthographie in den Schulen Deutschlands. Berlin 1887 S. 136f.) Es sei daher zu trennen "nicht ha-cken, sondern hak-ken; denn es ist kein Grund vorhanden, warum man die Ligatur ck nicht ihrer Bedeutung gemäß auflösen und durch kk ersetzen sollte." (S. 246)


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