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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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06.12.2005
 

Reclam 2005
Die armen Schüler könnten sich die Augen verderben

Deshalb scheint man bei Reclam entschlossen zu sein, alle Klassiker auf Reformorthographie umzustellen. Ich habe mich die letzten Jahre nicht mehr darum gekümmert, aber nun fällt mir der "Don Karlos" in die Hände.

rauer Henkersknecht, rauern Himmelstrich, der Chevalier hat Recht, der König hat ganz Recht, ganz Recht usw.
Aber nicht immer klappt es: das ist mein eigen (mehrmals), Bewußtsein, das nimmt mich Wunder, eine Zeitlang (nur so), gefangennahm, Sie machen mir ganz bange (das müßte jetzt ganz Bange heißen!), soviel ist offenbar, einigemal
Ein possierliches Mißverständnis der schludrigen Bearbeiter haben wir in umso viel besser (2. Akt, 5. Auftritt). Diese Stelle beweist, daß der Verlag schnell und billig arbeitende Hilfskräfte beschäftigt, die ohne jedes Textverständnis rein mechanisch umstellen, was ihnen eben so auffällt. Man sollte alle Lehrer und alle Schulen davor warnen, weiterhin Reclamhefte zu verwenden. Wie wäre es mit einer schönen Stellensammlung und einem entsprechenden Zeitungsaufsatz? Es ist unfaßbar, wie hier einer der ältesten und angesehensten Verlage vor die Hunde geht. Nachtrag: Die Reclamhefte tragen jetzt schon auf dem Einband den Hinweis "In neuer Rechtschreibung", leider ohne Datierung der gemeinten Version, denn die neue Rechtschreibung gibt es ja nicht mehr. Erwischt hat es auch die berühmte Nummer 1 der Universal-Bibliothek, also Faust I. In Wirklichkeit herrscht Mischorthographie, teilweise sogar historische Schreibung. Gleich in der "Zueignung" z. B. "Versuch ich wohl euch diesmal fest zu halten?" - Was ist das? Wahrig glaubt heute noch, daß "festhalten" getrennt geschrieben wird, außer wenn es "Notizen machen" bedeutet. Duden ist anderer Meinung. Goethe schrieb nach damaligem Brauch getrennt, aber Reclam hat wahrscheinlich die mißverstandene Neuregelung angewendet. "Richtig" ist das mehrmals vorkommende "rau", falsch aber, ebenfalls mehrmals, "behend". Mit dem ss klappt es auch nicht recht: Im Lied vom Floh heißt es "gefaßt".



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Kommentare zu »Reclam 2005«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.06.2014 um 05.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=314#25971

Der frühere Leiter des Reclam-Verlags, Dietrich Bode, der vorige Woche gestorben ist, war ein Gegner der Rechtschreibreform. Wie weit er noch auf die Verlagsstrategie Einfluß genommen hat, weiß ich nicht.
 
 

Kommentar von Gabriele Ahrens, verfaßt am 07.12.2005 um 08.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=314#1908

Vor ein paar Wochen haben wir das Reclamheft "Emilia Galotti" kaufen müssen, natürlich in "reformierter" Rechtschreibung. In einer der zahlreichen Anmerkungen, die sich fast ausnahmslos mit nicht mehr geläufigen, erklärungsbedürftigen Ausdrücken beschäftigen, wird tatsächlich darauf hingewiesen, daß das Wort "rau" früher "rauh" geschrieben wurde. Als sei das hundert Jahre her, wie "Thür" und "Thor".
 
 

Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 06.12.2005 um 16.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=314#1899

Reclam ist ein besonders gnadenloser Fall. Vor einem Jahr kaufte ich Thukydides' "Geschichte des Peloponnesischen Krieges". Wurde auf Neuschrieb umgestellt.
 
 

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