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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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04.07.2005
 

„Adjektivisch gebraucht“

Vor Monaten hatte ich mich erkundigt, was „adjektivisch gebraucht“ eigentlich bedeuten soll.
Der Generalsekretär der KMK, Prof. Dr. Erich Thies, teilte am 10.1.2005 brieflich mit, daß es zu den Aufgaben des neuen „Rates für deutsche Rechtschreibung“ gehören werde, den Sinn des Begriffs „adjektivisch“ in der neuformulierten Regel und im Wörterverzeichnis zu klären.

Da die Arbeitsgruppe den Begriff übernommen, aber nicht erklärt hat, regte ich während der 5. Sitzung an, den Begriff „adjektivisch gebraucht“ endlich zu definieren. Nach längerer wirrer Diskussion rückt ein österreichisches Mitglied mit der Deutung heraus: es sei gemeint „eine Eigenschaft bezeichnend“. Niemand widersprach, es wurde aber auch keine Bestätigung laut.
Das wäre freilich eine sehr überraschende Deutung. Ich hatte immer gedacht, es bezöge sich auf die Wortart im grammatischen Sinne (wie alle anderen wortartbezogenen Aussagen im Regelwerk) und nicht auf die Semantik. Vgl. auch den Begriff „substantivisch gebraucht“ im amtlichen Regelwerk. „adjektivisch gebraucht“ kommt im Originalregelwerk nur einmal vor, im revidierten zweimal, im revidierten amtlichen Wörterverzeichnis vom November 2004 wird „adjektivisch“ in diesem Sinne über 90mal vermerkt, um die wiederhergestellte Zusammenschreibung zu begründen! Es ist also eine sehr wichtige Neuerung, die unbedingt geklärt werden muß.
Wahrscheinlich hat sich niemand darüber Gedanken gemacht. Eine so folgenreiche Unklarheit wird sich noch rächen.



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Kommentare zu »„Adjektivisch gebraucht“«
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Kommentar von Bernhard Schühly, verfaßt am 05.07.2005 um 23.53 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=175#657

Ich glaube, man muß diese Deutung noch etwas differenzieren. Eigenschaften bezeichnen kann man nicht nur mit Adjektiven. Hier ist wohl gemeint, daß bewußt eine andere Wortart genauso verwandt wird bzw. werden soll, wie ein Adjektiv oder an dessen Stelle tritt.

Daß man damit dann doch nicht alles machen kann, wie gewohnt (z. B. Steigerung) soll die Endung "-istisch" wohl entschuldigen. Aber über allen Erklärungs- und Definitionsversuchen für diese neue Vokabel sollte man nicht ihren Ursprung aus den Augen verlieren: Ein kläglicher Versuch, eine voreilig und unbedacht vorgenommene Veränderung mit von den Eseln selber gebauten, wackelnden Eselsbrücken doch noch plausibel und damit schmackhaft zu machen.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 15.07.2005 um 16.17 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=175#697

Ich sehe den Hauptfehler der Regel weniger in der fehlenden Definition von „adjektivisch gebraucht“ als darin, daß das Pferd von hinten aufgezäumt wird, indem von „Verbindungen zwischen Einzelwort und adjektivisch gebrauchtem Partizip“ die Rede ist (§ 36 E2(2) der Amtlichen Regeln von 2004). Es kommt aber nicht auf den Gebrauch des partizipialen Bestandteils sondern auf den Gebrauch der gesamten Verbindung an.

Das hat mein Duden (1961) besser gesehen, wenn er sagt: „Zusammen schreibt man, wenn die Verbindung in eigenschaftswörtlicher Bedeutung gebraucht wird.“ Dort heißt es ferner: „Getrennt schreibt man, wenn die Vorstellung der Tätigkeit vorherrscht.“ Dabei geht der Duden richtigerweise auch auf die unterschiedliche Betonung ein.

Auch hier wird die „eigenschaftswörtliche Bedeutung“ allenfalls andeutungsweise und implizit als Gegensatz zur Vorstellung der Tätigkeit definiert. Zumindest wird aber klar, daß es sich nicht um bloße Schreibvarianten handelt, sondern daß auch Bedeutungsunterschiede damit ausgedrückt werden können, zumindest aber die „Vorstellung“ des Schreibenden.

Streng genommen ist dagegen die Formulierung in den Amtlichen Regeln geradezu krasser Unsinn. Aus ihr würde folgen, daß in „der Rat suchende Bürger“ das Wort „suchend“ als Adjektiv gebraucht wird und somit daß Adjektive neuerdings verbale Ergänzungen, in diesem Fall ein direktes Objekt, zu sich nehmen können.

Das Fehlerhafte liegt allerdings in der Begründung, nicht im Ergebnis. Gegen die Wahlmöglichkeit zwischen „Rat suchenden“ und „ratsuchenden“ Bürgern habe ich nichts einzuwenden. Dies Wahlmöglichkeit besteht aber nicht deshalb, weil „suchend“ hier „adjektivisch gebraucht“ wird, sondern ganz im Gegenteil darin, daß „Rat suchend“ eine verbale Fügung ist, während „ratsuchend“ nur als Adjektiv aufgefaßt werden kann, jedenfalls solange es kein Verb „ratsuchen“ gibt (was an sich nicht ausgeschlossen ist, aber die Wörterbücher verzeichnen m.W. kein solches Verb).

Gänzlich unhaltbar wird es aber mit der Substantivierung „der Rat Suchende“, die für mein Sprachempfinden geradezu schockierend wirkt. Ein Substantiv kann doch kein direktes Objekt regieren! Hier kommen sich GZS und GKS gewissermaßen in die Quere. Keineswegs würde mich dagegen die Schreibung „der Rat suchende“ schockieren, weil sie als Ellipse verstanden werden kann: der Rat suchende (Bürger). Leider hat schon der alte Duden solche Schreibweisen allenfalls unter ganz engen Voraussetzungen zugelassen.

 
 

Kommentar von Netzleser, verfaßt am 16.07.2005 um 07.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=175#701

Die "verbale Fügung" 'Rat suchend' ist grammatisch eine Partizipialgruppe, ein erweitertes Partizip, weil hier von dem Partizip andere Wörter oder Wortgruppen abhängen.
 
 

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