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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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20.09.2013
 

bis
Beobachtungen zu einem grammatischen „Grenzgänger“

In den meisten Wörterbüchern und Grammatiken gilt bis als Präposition. Sie soll den Akkusativ regieren, in einigen Fällen sei aber, so wird vermerkt, kein Kasus erkennbar. So etwa Dudengrammatik 2005:619 u.ö.

Kurios ist der Eintrag im DUW (2001):

„DUW: bis I. 1. (zeitlich) gibt die Beendigung eines Zeitabschnitts an: b. heute, Freitag, Oktober; b. nächstes Jahr; (schweiz.:) b. anhin ist nichts geschehen; b. wann brauchst du das Buch?; b. dahin, b. dann ist alles erledigt; sie ist b. 17 Uhr [bestimmt] hier (wird bis 17 Uhr sicherlich eingetroffen sein); von 8 b. 11 Uhr; Ferien b. [einschließlich]/(bayr.:) b. mit 22. August; b. auf weiteres, b. zum Jahresende; b. in den Tag [hinein] schlafen; du kannst b. zum nächsten Wochenende, b. nächstes Wochenende bleiben; b. nachher, b. später (ugs.; Abschiedsformeln).“

Aus keinem einzigen Beispiel geht eindeutig die behauptete Akkusativrektion hervor.
Eisenberg behauptet ebenfalls: „Einige Präpositionen können (...) andere PrGr (Sie läuft bis nach Ulm) nehmen.“ (Grundriß der deutschen Grammatik II, Stuttgart 1999:189)
Es ist offensichtlich unwesentlich, daß das Adverbial, dem bis vorangeht, seinerseits mit einer Präposition beginnt; vgl. Sie läuft bis dorthin. (Derselbe Fehler bei Hentschel/Weydt 1994:196: bis regiere weitere Präpositionen: bis zum Ende. Ferner Wolfgang Boettcher: Grammatik verstehen. Band 1: Wort. Tübingen 2009:146; ebenso Wilhelm Grießhaber: „Eine Sonderrolle kommt (...) der Präposition bis zu, die keine Kasuszuweisung aufweist, dafür aber als Subkategorisierung eine weitere PP als Argument verlangt.“ (Ludger Hoffmann (Hg.): Handbuch der deutschen Wortarten. Berlin 2007:642)

Unter Eisenbergs „Aufgaben“ (Nr. 59) heißt es: „Stellen Sie die Präpositionen zusammen, die andere Präpositionen regieren.“
Lösungshinweis:
„Beispiele: seit über drei Wochen; bis nach Augsburg; Schäden an über zehn Prozent des Waldes; ein Preis von über 100 Mark; infolge von Witterungseinflüssen; gegenüber von mir; von unter der Brücke.
Das hier vorliegende Rektionsverhalten ist u. W. im Einzelnen noch nicht untersucht.“ (467f.)
(Dabei fehlt sogar noch die Häufung von bis zu zehn Prozent usw.: Die belgische Interbrew beziffert das Gesamtvolumen der Übernahme auf bis zu über eine halbe Milliarde €. (Nürnberger Nachrichten 19.9.03))

In keinem Fall wird die Präposition von der vorangehenden regiert. Bei seit, an, infolge, gegenüber und von ist immerhin sicher, daß sie einen bestimmten Kasus regieren können, nur bei bis nicht, denn die Akkusative, die man hier gelegentlich findet, gehören jeweils zum Adverbial und sind von bis unabhängig: bis wann? - bis nächsten Sonntag (= bis + nächsten Sonntag). Dieser adverbiale Akkusativ steht auch nach Präpositionen, die eindeutig den Dativ regieren: seit letzten Freitag usw. (gegenüber regiertem seit letztem Freitag, seit dem letzten Freitag).
Ein Grenzfall ist bis zwölften Januar, wozu Wahrig: Fehlerfreies und gutes Deutsch. 2003:462 bemerkt: „Der Akkusativ wird nur bei bestimmten Zeitangaben deutlich, wenn sie ein adjektivisches Attribut aufweisen: ... bis nächsten Montag, bis zwölften Januar. Auch hier ist aber wahrscheinlich der Akkusativ nicht regiert, auch wenn es zwölften Januar allein nicht gibt, sondern nur den zwölften Januar.
In einem anderen Zusammenhang bringt Sütterlin das Beispiel: bis südlicher Münsterplatz, wo überraschenderweise der Nominativ steht, offenbar als reine Nennung ohne grammatische Integration. Nichtintegriert wirken auch die artikellosen Fügungen: Ich wohne Ringstr. 46, er fährt (bis) Hauptbahnhof. Einer Anregung Sekiguchis folgend könnte man so interpungieren, um die Nichtintegriertheit sichtbar zu machen: Ich wohne: Ringstr. 46, er fährt (bis): Hauptbahnhof, südlicher Münsterplatz.
Die Partikel bis hat noch andere Gebrauchsweisen, die man aber intuitiv nicht von der präpositionsähnlichen trennen möchte:
Die schlampigen bis komischen Aspekte der Agentenaffäre scheinen jedoch weder Washington noch Moskau zu amüsieren. (welt.de 30.6.10) Ähnlich: sechs bis sieben Personen.
Als Konjunktion: bis ich wiederkomme (veraltet: bis daß ich wiederkomme).
Es scheint kein weiteres Wort mit diesen Eigenschaften zu geben, so daß es schwer fällt, bis einer bestimmten Kategorie zuzuordnen.



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Kommentare zu »bis«
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Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 21.09.2013 um 03.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1579#24075

"Es scheint kein weiteres Wort mit diesen Eigenschaften zu geben, so daß es schwer fällt, bis einer bestimmten Kategorie zuzuordnen."
"ab" hat ähnliche Züge: ab nächsten Sonntag (und ich glaube auch "ab nächstem Sonntag" gehört zu haben), ab dem zwölften Schüler / ab Lüneburg, dem letzten Zusteigebahnhof.
Albrecht Holschuh und ich haben "bis" mal in einer amerikanischen Deutschlehrerzeitschrift diskutiert:
www.fachportal-paedagogik.de
«Autoren: Ludwig, Horst; Holschuh, Albrecht
Titel: Briefwechsel ueber die Partikel bis.
Quelle: In: Die Unterrichtspraxis - teaching German, 23 (1990) 2, S. 148-155
Der Briefwechsel geht von der Behauptung aus, bis sei, entgegen der einhelligen Auffassung verfuegbarer Grammatiken, nicht unter anderem eine Praeposition mit dem Akkusativ, und untersucht die adverbialen und praepositionalen Aspekte dieser Partikel, einschliesslich der Thesen, bis sei immer oder ueberhaupt keine Praeposition oder fungiere als Praeposition mit dem Dativ oder kaususfrei. Ungeachtet gewisser Divergenzen sind die Verfasser darin einig, dass die Lehrbuecher der Korrektur beduerfen. Der Text reflektiert den Forschungsprozess.»

Zu "Als Konjunktion: bis ich wiederkomme (veraltet: bis daß ich wiederkomme)": Im veralteten Beispiel ist das Objekt von "bis" eben ein Nebensatz. Eine der Schwierigkeiten bei Präpositionen geht von der falschen Annahme aus, daß, weil sie (die man als guter Schüler dann "teilhaftig mächtig voll" herunterrattert) bestimmte "Fälle regieren", nur Substantive und Pronomen ihr Objekt sein könnten. Aber auch Adverbien (Menschen von heute, die Aufgabe zu morgen) und längere Adverbiale (das ist der Beton für unters Fenster [wie's der Polier sagt, was als Beispiel auch in irgendeinem Duden stand]) und Nebensätze (bis daß der Tod euch scheide) können Objekt einer Präposition sein, und die haben ja naturgemäß keine Fälle. Unterordnende Konjunktionen und Präpositionen unterscheiden sich oft nur dadurch, daß erstere einen Satz als Objekt haben (während er arbeitet / doch vor es Nacht wird [in Frau Peachums Ballade von der sexuellen Hörigkeit, und "vor" statt "bevor" auch einmal eine deutsche Gymnasiallehrerin aus dem Fränkischen in einem Brief an mich]) und letztere nur einen Ausdruck mit einem Wort, das Fälle hat (während des Tages / vor dem Unterricht). Bei engl. "before" und "after" haben wir dasselbe Phänomen.

Ich bin der Meinung, "bis" als Präposition ist eine Präposition mit dem Dativ, wie auch "ab"; die möglichen Appositionen zeigen das. Aber dagegen sprechen die, die da einen Allerweltsdativ annehmen, den ich nun wieder nicht ganz verstehe. Bei den "schlampigen bis komischen Aspekte[n]" und den "sechs bis sieben Personen" jedoch würde ich "bis" eine koordinierende Konjunktion nennen, und ich würde nicht sagen können, daß hier "bis" ja ein ganz anderes Wort sei. Aber sind dann "und" und "oder" und "aber" als "koordinierende Konjunktion" alles umfassend bezeichnet? Bringen die wie "bis" auch mehr ein, als daß da ein paar Sachen nebeneinander stehen? Was für Wort ist "als" in dem Satz eben? Es ist doch auch "vor" etwas "positioniert"! So fällt halt auch mir schwer, "*bis* einer bestimmten Kategorie zuzuordnen."
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.09.2013 um 04.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1579#24077

Danke, Herr Ludwig! Natürlich geht die Zuweisung der Wörter zu dem knappen Dutzend überlieferter Wortarten nicht auf. Ich glaube auch nicht, daß Wortarten so wichtig sind, man braucht sie eigentlich nur zur Grobgliederung einer Grammatik. Das zeigt ja auch das "Handbuch der deutschen Wortarten" von Ludger Hoffmann, auf das ich schon oft hingewiesen habe.

Darin findet man ein Kapitel von Frederike Eggs (die auch eine Dissertation darüber geschrieben hat) zu den "Adjunktoren" – einer Kategorie, die nur als und wie umfaßt. Es ist zu erwägen, ob man bis auch hier unterbringt: präpositionsähnlich, aber nicht kasusregierend.

ab regiert den Dativ, das gefällt allerdings einigen Stillehren nicht.

Der Dativ bei Appositionen beweist nichts, wie Sie ja auch selbst schon andeuten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.04.2014 um 17.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1579#25665

Auch in "Hammer's German Grammar" (2011) wird bis zu den Präpositionen mit Akkusativ gerechnet, aber dann heißt es:

„In practice, bis is rarely used as a preposition in its own right. It is never followed by an article (or any determiner), and it is used on its own only with names, adverbs or a few time words.“ (407)

Es wird kein einziges Beispiel mit Akkusativ gegeben, in Wendungen wie bis nächste Woche liegt der adverbiale Akkusativ vor, kein regierter.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 25.04.2014 um 20.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1579#25688

Ich höre hier in der Kurpfalz öfters einmal die Abschiedsformel Bis die Tage!, was etwa soviel heißt wie ein unverbindliches Bis zum nächsten Mal! Aber so ein einzelner Ausnahmefall bestätigt natürlich eher die Regel "never followed by an article".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.06.2014 um 15.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1579#26012

„Die folgenden Präpositionen weisen ihrer Nominalgruppe den Akkusativ zu:
bis – Die Disco bleibt bis nächsten Freitag geschlossen.“ (usw.) (Schülerduden Grammatik 2010:251)

Ja, und nächsten Freitag macht sie wieder auf! Immer derselbe Fehler.

Überhaupt die Präpositionen!

Die Schülerduden-Grammatik besteht nach alter Sitte darauf, die Präpositionen in lokale, temporale, modale und kausale sowie eine Restgruppe einzuteilen. Als Übungsaufgabe sollen die Schüler sagen, zu welcher Gruppe „nach“ in folgendem Satz gehört:

Biegen Sie etwa 100 Meter nach der Tankstelle links ab. (249)

- und die Antwort im Lösungsschlüssel ist erwartungsgemäß „lokal“. Das ist natürlich nicht richtig, das wäre ja „hinter“. Die Auskunft ist vielmehr auf die Fahrt bezogen und damit temporal: Nachdem Sie die Tankstelle passiert haben und noch 100 m weiter gefahren sind, biegen Sie links ab.

Bei „Im Auftrag der Umweltschutzbehörde...“ soll es sich um ein kausales „in“ handeln. Das bestreite ich, die Kausalität ist aus anderen Elementen herauszulesen. Vgl. „im Namen des Vaters und des Sohnes...“; der Name ist doch hier nicht die Ursache!
Warum überhaupt dieses zwanghafte Zuweisen zu den dürftigen vier Gruppen?
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 20.02.2015 um 22.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1579#28145

als – Präposition mit Genitiv?

Sie berufen sich auf die Menschenrechte als oberster Rechtsnorm ...
(SZ, 20.2.15, S. 2)
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 21.02.2015 um 00.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1579#28147

Wohl eher Dativ
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 21.02.2015 um 00.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1579#28148

Vielleicht, man kann artikellosen Genitiv und Dativ von Feminina nicht unterscheiden. Aber ob es nun ein falscher Genitiv oder ein falscher Dativ ist, ist ja auch egal.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.02.2015 um 04.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1579#28150

Das würde ich nicht sagen. Es gibt einen hyperkorrekten Genitiv (nach dank, trotz zum Beispiel), der aber nur eine geringe Reichweite und wenig Zukunft hat, und es gibt den sehr produktiven verallgemeinerten Dativ als Appositionskasus und in gewissen Prädikativkonstruktionen.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 21.02.2015 um 22.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1579#28160

Es geht eben wieder um die alte Frage, was noch oder schon falsch ist bzw. als solches gilt usw. Im Grammatik-Duden (Bd. 4, 1984, Randziffern 1180-1181) steht z. B.:
Nicht selten wird die Apposition ... fälschlich in den Dativ gesetzt, obwohl das Bezugswort in einem anderen Kasus steht.
Als standardsprachlich werden da nur bestimmte Abweichungen in den Nominativ angesehen.

Im Diskussionsforum haben wir ja ein ganzes Thema mit Beispielen für nicht kongruierenden Kasus, aber die können mich alle nicht so recht überzeugen. Das ist für mich kein Standard, sondern immer noch abweichendes, fehlerhaftes Deutsch. Nach meinem Sprachgefühl muß die Apposition bzw. die Gleichsetzung mit als im Kasus gleich sein (außer dem Nominativ in Fällen, wie sie der bewährte Duden anführt). Genitiv oder Dativ statt Nominativ oder Akkusativ hört sich für mich sehr schief an.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.08.2015 um 17.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1579#29610

Auf den Haupteintrag bezieht sich übrigens jetzt Peter Gallmann:
https://books.google.de

Auch er vermutet, daß nicht jeder Akkusativ, der im Skopus einer Präposition steht, auch tatsächlich von dieser regiert wird.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.06.2017 um 07.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1579#35289

bis regiert, wie gesagt, keinen Kasus, und in der Verbindung mit zu tritt oft das gleiche ein, so daß die ganze Verbindung wie eine einzige Partikel konstruiert wird:

Außerdem kann sie bis zu eine Milliarde Pollen in die Luft entlassen. (spiegel.de 7.6.17 über Artemisia)
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 05.10.2020 um 23.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1579#44436

Es geht ja hier auch allgemein um Präpositionen.

Im Durchschnitt liegt die Temperatur bei über 30 Grad..
(Das Erste, heute ca. 20.35 Uhr, Doku "Unbekanntes Madagaskar")

Wieso "bei über"?
Reicht es nicht zu sagen, daß die Temperatur über 30 Grad liegt?
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 05.05.2022 um 12.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1579#49053

Millionen Deutsche leiden unter entzündetem Zahnfleisch.
(Freie Presse, 5.5.22, Seite A6)

Wirklich "unter"?
Das kommt wohl daher, daß Menschen unter der Herrschaft eines Tyrannen leiden können. Aber man leidet doch eher an einer Krankheit, oder?
(So, wie man m. E. auch nicht an der Herrschaft eines Tyrannen leidet.)
 
 

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