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21.03.2011
Der hohe Ton
Zur Kritik der sprachlichen Vornehmtuerei
Denn das Gedicht ist Gesprochenheit, Gesprochenheit zum Du, wo immer ihm der Partner wese.
Solche Sätze galten einmal als tief und haben auch heute noch ihre Verehrer.
Ich übersetze mal: "Gedichte sind an unbekannte Leser gerichtet." Oder: "Wer ein Gedicht schreibt, weiß nicht, wer es lesen wird."
Das Verb wesen gibt es im Deutschen schon lange nicht mehr; es hat daher keine Bedeutung; man kann es nicht einfach verwenden, als hätte es eine. (Nur das Partizip gewesen dient noch der Auffüllung des Formeninventars von sein.) Der Duden verzeichnet es als "veraltet" und schreibt ihm die Bedeutung zu "als lebende Kraft vorhanden sein". Diese Erklärung ist so veraltet wie das Verb. "lebende Kraft" war einmal ein Ausdruck für das, was wir heute Energie nennen, hatte aber auch noch andere, heute nicht mehr nachvollziehbare Nebenbedeutungen. Wahrig schreibt zu wesen: "tätig sein". Dann müßte man sagen können: Ich wese an der Universität. Das geht offenbar nicht. – Außerdem liegt ein Kategorienfehler vor, denn ein Gedicht kann zwar gesprochen werden, aber es kann keine Gesprochenheit sein.
Zu erklären bleibt, wie Menschen dazu kommen, solchen Unsinn hinzunehmen und sogar noch für tiefsinnig zu halten. Weniger krasse Beispiele sind noch interessanter.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.04.2020 um 17.07 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#43431
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Zu Sokal gibt es eine Rezension von Dawkins, der an verschiedenen Stellen auf das Thema zurückkommt:
Or you could inject the vocabulary of francophoney metatwaddle — as Andrew Bulhak was later to do when he wrote his hilarious ‘Postmodernism Generator’, which I quoted in A Devil’s Chaplain:
If one examines capitalist theory, one is faced with a choice: either reject neotextual materialism or conclude that society has objective value. If dialectic desituationism holds, we have to choose between Habermasian discourse and the subtextual paradigm of context. It could be said that the subject is contextualised into a textual nationalism that includes truth as a reality. In a sense, the
premise of the subtextual paradigm of context states that reality comes from the collective unconscious.
This randomly generated garbage makes about as much sense as many a journal devoted to the
metatwaddle of ‘literary theory’, and Bulhak’s program is capable of generating a literally indefinite quantity of it.
Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Postmodernism_Generator
mit weiteren Hinweisen.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.03.2020 um 08.13 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#43102
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Beim Coronavirus "handelt es sich um ein dynamisches Szenario" (Kultusministerin Eisenmann)
= Corona ist ansteckend.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.03.2020 um 07.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#43101
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Ist der "liminale Schwellenzustand" wirklich eine zitierenswerte Erfindung?
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.07.2019 um 11.37 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#41833
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Zum zweihundertsten Geburtstag ehrt die FAZ (Jochen Hieber) Gottfried Keller mit einem recht netten Aufsatz. Leider glaubt er mit einem Zitat von Walter Benjamin („an Hellsicht unübertroffen“) schließen zu müssen, das unverkürzt so lautet:
Er glaubte seine Zeit zu geben und in ihr gab er Antike. Es geht aber mit den Erfahrungen der Menschheit – und die Antike ist eine Menschheitserfahrung – nicht anders wie mit denen des einzelnen. Ihr Formgesetz ist ein Gesetz der Schrumpfung, ihr Lakonismus nicht der des Scharfsinns sondern der eingezogenen Trockenheit alter Früchte, alter Menschengesichter. Das weissagende orphische Haupt ist zum hohlen Puppenkopfe geschrumpft, aus dem das Brummen der gefangenen Fliege tönt – wie man in einer Kellerschen Novelle ihn findet. Von dieser echten und verhutzelten Antike sind Kellers Schriften randvoll.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.03.2019 um 10.43 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#40972
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Searle formuliert das Ausdrückbarkeitspostulat so:
For any meaning X and any speaker S whenever S means (intends to convey, wishes to communicate in an utterance, etc.) X then it is possible that there is some expression E such that E is an exact expression of or formulation of X (John Searle: Speech acts. Cambridge 1969: 20).
Hier wird die Bedeutung als Gegenstand X hypostasiert, der unabhängig von dem Ausdruck existiert, dessen Bedeutung er ist. Außerdem kommen die nicht formalisierbaren folkpsychologischen Ausdrücke intend und wish vor. In Wirklichkeit geht es nur um Übersetzbarkeit oder Paraphrasierbarkeit als Kern der Äquivalenz, und das wäre unverfänglicher, ohne den pseudomathematischen Schein auszudrücken, und dann auch besser zu diskutieren. Das eigentliche Problem beginnt ja erst, wenn man mitbedenkt, daß Mitteilungen Teil einer Lebensform von Sprecher und Hörer sind.
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 17.11.2018 um 15.48 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#40098
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Ob sich eine Sache "in", "durch" oder "in Bezug auf" etwas zu einer anderen Sache verhält, wo ist der strukturelle Unterschied?
Ob sich eine Sache zu einer anderen Sache "verhält" oder ob sie eine andere Sache "in sich enthält", wo ist der strukturelle Unterschied?
Die angeblichen Strukturunterschiede der "Argumentationsmuster" (1) bis (3) lassen sich einfach durch geeignete Wortwahl und Ausdrucksweise eliminieren.
Zusätzlich werden (1) bis (3) dadurch vernebelt, daß Entsprechungen unterschiedliche Namen bekommen (die Entsprechungen schreibe ich jeweils untereinander):
(1) A B A′ B′ X Y
(2) A B C D m m
(3) A x B y C C
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.11.2018 um 07.21 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#40096
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Der hermetische Diskurs ist von Argumentationsmustern geprägt, deren Struktur Thomas Leinkauf untersucht hat. Leinkauf hat vier Argumentationstypen ermittelt, die nach seinem Befund „deutlich die rationale Struktur einer analogischen Konstruktion aufweisen“. Für diese Typen schlägt er folgende Verallgemeinerungen vor:
(1) „A verhält sich zu B in X, wie A’ sich zu B’ in Y verhält.“ Das heißt, es wird eine vollständige Parallelität oder Entsprechung zwischen zwei in sich abgeschlossenen Gebilden behauptet. Solche Gebilde sind die intelligible und die sinnlich wahrnehmbare Welt; das Geistige ist das Muster des Sinnlichen. Daraus ergibt sich die Möglichkeit entsprechender Rückschlüsse hinsichtlich der Beschaffenheit der Elemente der beiden Gebilde.
(2) „A verhält sich durch m zu B wie C durch m zu D.“ Somit wird, wenn C die unbekannte Größe ist (beispielsweise Gott als das schlechthin Gute), A zum aufschließenden Indikator für das, was zumindest eine Bestimmung an C ist. Beispielsweise verhält sich der Bauer durch sein Säen und Anpflanzen zum Getreide oder zu einem Weinstock so wie Gott durch die Art seines Hervorbringens zu dem, was er im Himmel und auf der Erde erzeugt.
(3) „A enthält in Bezug auf C x so in sich, wie B in Bezug auf C y in sich enthält.“ Beispielsweise enthält die Heilpflanze A eine Kraft x, die ihrem funktionalen Status nach in Entsprechung zu der Funktion steht, die das verletzte Organ y des Menschen B oder die Ursache der Verletzung in der Relation zum menschlichen Organismus (C) einnimmt. Darauf wird die therapeutische Wirkung der Pflanze zurückgeführt.
(4) „A impliziert B und B ist nichts anderes als die Realisierung dieser Implikation, so dass die Differenz von A und B als das Auseinandertreten einer Einheit in ihre Momente A und A’ gedacht werden kann, ohne dass die zugrunde liegende Einheit aufgehoben wird.“ Somit ist jedes Seiende eine mehr oder weniger adäquate Entfaltung seiner eigenen samenhaften Einheit. (https://de.wikipedia.org/wiki/Hermetik)
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Es dürfte kaum Texte geben, deren Struktur sich nicht auf derart allgemeine und vage definierte Schemata zurückführen und damit als „rational“ erweisen ließe. Man fühlt sich an Levi-Strauss erinnert. (Vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#21513)
Das kommt der gegenwärtigen Mode entgegen, zwischen Wissenschaft und Mythenerfindung keinen grundsätzlichen Gegensatz zu sehen ("anything goes").
Ich könnte an einem zweitägigen Seminar teilnehmen:
„Erweckung der Kundalini-Kraft“ (430 €). Da wird einiges geboten:
Die im Seminar vermittelten Techniken werden die sieben Ringe der Kraft genannt. Sie beruhen auf den Lehren des Hermes Trismegistos – des Urvaters der Alchemie. Drei alte Einweihungssysteme bilden die Basis der hermetischen Methode zur Erweckung der Kundalini-Kraft. Diese Methode ist für unsere heutige Zeit besonders geeignet, weil sie sehr schnell wirkt. Vor mehreren Jahren erzählte mir ein Seminarteilnehmer in der Pause, dass bestimmte, in meinen Seminaren vermittelten Techniken, in zehn Minuten Wirkungen auslösten, wofür er in seiner langjährigen Zen-Ausbildung etwa zwei Jahre gebraucht hatte.
Bezeichnend ist der anekdotische Hinweis (der wie üblich den Wirksamkeitsnachweis ersetzt), die ganze Pracht sei in zehn Minuten zu vermitteln; das erinnert an „Platon für Manager“, man hat es heute eben eilig.
Wie gesagt: Man ist heute spirituell.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.11.2018 um 04.20 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#40051
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Those who practice self-ratifying discourse are attracted to what they regard as interdisciplinarity, conceived not as the actual practice of a second discipline but as the duty-free importing of terms and concepts from some source of broad wisdom about history or epistemology or the structure of the mind. This is of course not interdisciplinarity at all but antidisciplinarity, a holiday from the methodological constraints that prevail in any given field. (Frederick Crews: Follies of the wise 306)
Crews beobachtet auch, daß bei der „Dekonstruktion“ als tiefere Bedeutung eines Textes wunderbarerweise immer die Ansichten des poststrukturalistischen Entlarvers zum Vorschein kommen.
Die Kritik am "Poststrukturalismus" und überhaupt an der strukturalistischen Mode findet hauptsächlich im angelsächsischen Bereich statt, deutsche Autoren sind mir gar nicht bekannt.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.04.2018 um 08.04 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#38469
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Über die "weltbekannte Intellektuelle" Julia Kristeva (vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#23125) wird zur Zeit wegen ihrer verheimlichten Spitzeltätigkeit diskutiert. Das könnte ihr mehr schaden als die Entlarvung ihres postmodernen Geschwätzes (Sokal-Hoax). Die Fans schließen wiederum die Reihen, aber das klappte damals besser als heute.
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Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 05.12.2017 um 09.22 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#37188
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Ein Polizeipsychologe hat heute im ZDF-Morgenmagazin erklärt, Kriminelle wie der DHL-Erpresser hielten sich für schlauer als die Polizei, würden „am Ende des Tages“ aber meist gefaßt. Die beliebte Formulierung verleiht der Alltagssprache metaphorischen Glanz.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.12.2017 um 16.41 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#37162
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"Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden." Hans Jonas 1903-1993
Das stand auf einer Briefmarke (2,20 €). Ohne den salbungsvollen Ton: "Hinterlassen Sie die Erde bitte so, wie Sie sie vorgefunden haben."
Schon recht, aber muß man es auf Briefmarken verewigen?
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.12.2017 um 15.52 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#37160
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Dem Prinzip der Beschleunigung wohnt indes ein Kardinalproblem inne. (SZ 13.3.09)
= „Mit der größeren Geschwindigkeit ist es nicht so einfach.“ (Es geht um Verkehrsplanung: http://www.sueddeutsche.de/kultur/staedteplanung-ode-an-die-effizienz-1.405433-2)
Ich habe noch nie indes geschrieben, geschweige denn gesagt.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.11.2017 um 08.42 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#37083
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Oft zitiert, selten beherzigt:
„Die simple Schreibart ist schon deshalb zu empfehlen, weil kein rechtschaffener Mann an seinen Ausdrücken künstelt und klügelt.“ (Georg Christoph Lichtenberg G 126)
Hier klingt auch die moralische Seite der Sprachkritik an – für die bedeutenden Stilkritiker wie Engel, Kraus, Orwell eine Selbstverständlichkeit, im Gegensatz zur kabarettistischen.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.11.2017 um 07.56 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#37033
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Zum Haupteintrag und zu wesen.
„der nhd. gebrauch in der angegebenen bedeutung ist sekundär; er tritt schubweise und mehr oder weniger zeitgebunden in mystischreligiösen schriften oder (jünger) in mystizistischer stilhaltung auf.“ (Deutsches Wörterbuch)
Die heutige Verwendung setzt also nicht einfach den bisherigen Gebrauch fort, sondern greift auf den mittelhochdeutschen zurück. Die Wirkung ist vergleichbar mit der Entlehnung aus einer Fremdsprache; ohne Erklärung bleibt eine Ungewißheit.
Man könnte auf alle Ausdrücke, die im Duden als "gehoben" gekennzeichnet sind, verzichten. Warum in aller Welt sollte man sich gehoben ausdrücken, wo es schon schwer genug ist, überhaupt etwas Vernünftiges zu sagen?
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.11.2017 um 06.32 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#36876
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Mutwillige Abweichungen von der Grammatik (Schule neu denken) und Kategorienfehler (Christus ist als solcher die Wahrheit) scheinen harmlose Spielereien zu sein. Man kann sie aber auch als erste Stufe der Gehirnwäsche ansehen. Der Leser wird verunsichert; er verliert, wenn er sich darauf einläßt, den Boden unter den Füßen und wird dann auch vieles andere für möglich halten. Grammatik hat etwas Moralisches.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.08.2017 um 04.42 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#35920
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Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#21513
Es gibt zu dieser Mythenformel Ausführungen, die offenbar ernst gemeint sind, obwohl sie wie der Sokal-Hoax anmuten:
The Sphynx’s new riddle: How to relate the canonical formula of myth to quantum interaction
https://www.diva-portal.org/smash/get/diva2:887707/FULLTEXT01.pdf
Auch:
https://culturalanthropologyandethnosemiotics.files.wordpress.com/2017/06/thuillard_le_quellec_canonical_formula.pdf
Der entscheidende Schritt, den Lévi-Strauss wieder und wieder tut, darin dem Zwangsneurotiker Saussure gleich, ist der vorangehende: Es liegen ja nur die vielfältigen Erzählungen der Völker vor, und es ist der Strukturalist, der seine schematischen Begriffspaare darüberstülpt; überall entdeckt er seine binären Oppositionen: das Rohe und das Gekochte, Natur vs. Kultur usw. Das kann man dann auch "formalisieren". Roman Jakobson war der wichtigste Vermittler zwischen Saussure und Lévi-Strauss.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.06.2017 um 06.22 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#35394
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Als Ernst Bloch den Friedenspreis bekam, schrieb der SPIEGEL, daß Bloch, Marcuse, Adorno und Fromm von jüdischen Endzeitvorstellungen geprägt seien. Man könnte, um nur die wichtigsten zu nennen, noch Buber und Benjamin hinzufügen. Diese Ableger jüdischer Theologie brachten einen charakteristischen Ton in die Diskussionen der ersten Nachkriegsjahrzehnte. Der Stil dieser Autoren ist weniger begründend als verkündend, Weisheitslehre statt Wissenschaft. Mit Widerspruch wird nicht gerechnet; man wüßte auch gar nicht, an welcher Stelle man die mächtig orchestrierten Sätze angreifen könnte. Aus heutiger Sicht wirkt das fremdartig, die Sprachmoden haben sich geändert.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.02.2017 um 17.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#34600
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Der "hohe Ton" ist wörtlich zu verstehen. Tatsächlich kann man den zitierten Satz Denn das Gedicht ist Gesprochenheit, Gesprochenheit zum Du, wo immer ihm der Partner wese nicht mit gewöhnlicher Sprechstimme sagen, etwa so wie: Die Spülmaschine muß repariert werden.
Die "Schallanalyse" (Sievers) hat ja schon vor langer Zeit herausgefunden, daß zu jedem Text ein bestimmtes "Register"´gehört. Das Verkünden ist etwas anderes als das Argumentieren. Passen Text und Register nicht zusammen, empfindet man das Mißverhältnis als körperliches Unbehagen.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.10.2016 um 08.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#33711
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Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#21958
Wunder in seinem radikal emphatischen Sinn nehme ich ungern in den Mund.
Das sagt der Erzähler in Lewitscharoffs neuem Roman, es könnte aber auch von Lewitscharoff selbst gesagt sein.
Was ist der emphatische Sinn von Wunder im Gegensatz zum gewöhnlichen? Und dann noch der radikal emphatische?
Das Buch ist nichtreformiert gedruckt, was ich fast bedauere, denn schlechte Bücher sind keine Empfehlung für gute Rechtschreibung.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.02.2016 um 05.06 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#31787
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Man findet sehr oft Sätze wie Er gilt als einer der berühmtesten/bekanntesten Künstler o. ä., wobei mir, wie schon bemerkt, etwas doppelt Gemoppeltes auffällt. Man muß doch wissen, ob einer, zu Recht oder zu Unrecht, berühmt oder bekannt ist. Kann jemand berühmt sein, ohne daß man es merkt? Oder als berühmt gelten, ohne es zu sein?
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.02.2016 um 06.32 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#31543
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In seinen Werken setzt sich Durs Grünbein mit den Gebieten der Naturwissenschaft (der Quantenphysik, der Neurologie) und der Philosophie auseinander.(...)
Grünbein gilt als einer der bedeutendsten deutschsprachigen Poeten der Gegenwart und wurde für sein Werk mehrfach ausgezeichnet. Dieses besteche, so Ulrich Greiner, insbesondere durch höchste Sprachfähigkeit und einen Reichtum an fachlicher Kenntnis, der Grünbein wohl zu dem „am meisten gebildeten Poeten unseres Sprachraums“ macht. (Wikipedia)
Das Originalzitat:
Neoromantische Nostalgie also liegt Durs Grünbein fern, dem wahrscheinlich sprachfähigsten, kenntnisreichsten und am meisten gebildeten Poeten unseres Sprachraums. (Ulrich Greiner ZEIT 3.4.14)
Wer selbst kein Sprachgefühl hat, bemerkt auch dessen Fehlen bei anderen nicht.
Ich setze mich ja auch gern mit der Quantenpysik auseinander, aber sie will nicht auf mich hören.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.12.2015 um 07.24 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#30962
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An der Peripherie unserer Psychen
(Zeile aus einem Gedicht von Durs Grünbein, abgedruckt in der FAZ)
Eine parodistische Absicht ist nicht zu erkennen.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.11.2015 um 05.06 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#30600
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Es scheint im Englischen keine halbwegs genaue Entsprechung zum deutschen Tiefsinn zu geben. Ich habe gelegentlich den Tiefsinn gelobt (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1499#20129), aber eigentlich bin ich dagegen. Die Wissenschaft schreibt keine tiefsinnigen Sätze, gebraucht keine "bedeutsamen" Wörter. Auch Kant ist nicht tief-, sondern scharfsinnig. "Bodenloser Tiefsinn" stammt wohl von Schopenhauer (der weder so tief- noch so scharfsinnig war, wie er selbst glaubte).
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.09.2015 um 08.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#30039
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Manfred Frank plädiert in der FAZ (23.9.15) für die Wiederbelebung der idealistischen (deutschen) Philosophie an den deutschen Universitäten, also Leibniz, Kant, Fichte, Hegel und sicher auch die nicht erwähnte Phänomenologie, gegen die Alleinherrschaft der analytischen Philosophie, die angelsächsisch heißt, obwohl sie aus Deutschland und Österreich stamme.
Die Argumentation bleibt ganz äußerlich, strategisch. Kein Wort darüber, was sie eigentlich zu bieten hat und warum sie von den Analytikern für Unsinn erklärt worden ist. In früheren Schriften freute sich Frank darüber, daß es der analytischen Philosophie nicht gelungen sei, das Bewußtsein bzw. Selbstbewußtsein zu eliminieren. Das ist aber eine sehr schwache Grundlage.
Und warum sollte es überhaupt eine akademische Philosophie geben, die nicht nur Philosophiegeschichte ist und ebenso gut von Literatur- und Sprachwissenschaft sowie Religionswissenschaft bearbeitet werden könnte? Etwas mehr Phantasie wäre wünschenswert.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.09.2015 um 04.52 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#29990
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Helmut Glück in Forschung & Lehre:
"In der 'Translationswissenschaft' wird die Genderisierung als vordringliche Aufgabe dargestellt, was nicht dazu beiträgt, diesen Zweig der angewandten Sprachwissenschaft für unentbehrlich zu halten."
Gut gesagt!
Die wirkliche Übersetzungsarbeit ist kein Zweig der angewandten Sprachwissenschaft, mußte auf deren Entstehung nicht warten und ist durch sie nicht gefördert worden.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.09.2015 um 04.49 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#29989
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Je mehr praktische Fächer akademisiert werden, desto mehr Themen für wissenschaftliche Qualifikationsschriften müssen ersonnen werden. Übersetzung, Krankenpflege, Kindererziehung usw. eignen sich nicht dafür, aber es wird trotzdem gemacht, und so füllen sich die Archive mit Schriften, die niemand liest, weil sie keinerlei Nutzen bringen.
Das ist allgemein bekannt, aber wie findet man wieder heraus? Leid tun einem die vielen Menschen, die eine solche praktische Kunst sehr gut beherrschen, u. a. wegen ihrer Persönlichkeit und Begabung, die aber beim Rattenrennen um die akademischen Titel nicht mithalten können und daher auf der Strecke bleiben. Die Leitung des Unternehmens gelangt in die Hände akademischer Schwätzer, die wirkliche Arbeit wird von untergeordneten, schlecht bezahlten Praktikern erledigt. Das ist auch volkswirtschaftlich Wahnsinn, aber nicht zu ändern, oder?
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.03.2014 um 12.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#25453
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In den Ozean der phänomenologisch-hermeneutischen Texte kann man hineingreifen, wo man will, man wird immer Sätze wie diesen herausfischen:
Verstehen ist immer etwas anderes als bloße Kontemplation; verstanden wird immer dasjenige, was das eigene Sein bereits ausmacht, und im Verstehen gilt es, dieses zur Geltung zu bringen. (Günter Figal in Internationale Zeitschrift für Philosophie 1992/1:30)
Der eigentliche Gegenstand der Überlegung wird nicht benannt, sondern nur in einem verallgemeinernden Relativsatz angedeutet. Der Leser fragt sich, was das sein mag, was das eigene Sein bereits ausmacht – und wie es überhaupt zu verstehen ist, daß etwas das Sein (!) „ausmacht“. Typisch phänomenologisch sind auch das wiederholte immer und das bereits – eine Paraphrase der Standardfloskel immer schon. Schließlich das Gelten: es gilt, etwas zur Geltung zu bringen. (Ähnlich noch viele Male in dem zitierten Aufsatz, aber auch in anderen desselben Heftes.) Was das bedeutet, ist unklar; es bleibt nur der Eindruck eines nicht weiter begründeten Appells.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.02.2014 um 05.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#25030
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Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#20881:
Das Leben denken - Die Kultur denken (Zwei Bände von Ralf Konersmann u. a., Freiburg 2007)
Heute morgen habe ich das Leben gedacht, morgen werde ich dann die Kultur denken, falls ich Zeit habe, und die Ergebnisse hier mitteilen.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.11.2013 um 10.16 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#24468
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Der Sprachverfall unserer Zeit spiegelt einen Prozeß der Entfremdung, der seine letzte Ursache darin hat, daß dem Menschen heute die Dimension des Unbedingten, des eigentlich Religiösen, weithin verlorengegangen ist. (Herbert Drube: Zum deutschen Wortschatz. München 1968:161)
Ich übersetze:
Die Menschen glauben nicht mehr an Gott. Darum verfällt die Sprache.
Erst in meiner Übersetzung kann die These überhaupt diskutiert werden.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.11.2013 um 06.47 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#24460
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Noch zu #21958:
Zwei Tage zuvor hatten Durs Grünbein, Martin Mosebach und Heinrich Detering die Herbsttagung der Deutschen Akademie mit einem emphatischen Gespräch über den unerschöpflichen Georg Büchner eröffnet. (NZZ 29.10.13)
Was ist ein emphatisches Gespräch? Wozu habe ich Griechisch gelernt, wenn ich es dann doch nicht verstehe? Das ärgert mich schon.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.11.2013 um 04.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#24338
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Es ist bedrückend zu sehen, wie viele intelligente Menschen sich mit Wortschwällen begnügen, sei es schreibend oder lesend. Willkürlich ausgewähltes Beispiel:
Es liegt über diesem ionischen Wesen eine sonnige Freiheit, sinnenfroh und farbentrunken. Ihm haben die Götter den leichten, durch ihre Begnadung erleuchteten Geist und unwiderstehliche Anmut verliehen, wie sie durch keine Mühe errungen wird, zugleich aber den ruhelosen Drang, die frei und unablässigen Kräfte auszuströmen in die lockende Welt. Für die politische Entwicklung bedeuteten diese Anlagen, von deren künstlerischer Entfaltung die Menschheit zehrt, Unfähigkeit zur energisch bewußten Staatsgestaltung, Abneigung gegen jede zusammenfassende Kraft, ein Abenteuerertum auf kurze Sicht, Drang in die Weite, auch unter Preisgabe des Volkstums, und die Gefahr des Zerfließens. (Helmut Berve: Gestaltende Kräfte der Antike. 2. Aufl. München 1966:45; aus der Antrittsvorlesung, Erstdruck 1931)
Nun gut, das war 1931. Aber rücken wir eine Generation näher an die Gegenwart heran:
Der Verschmelzungsprozeß von Eingeborenen, Puniern, Römern und Christen hatte im „Neuen Afrika“ auf der Grundlage wirtschaftlicher Prosperität in den Kreisen, die am Wohlstand teilnahmen, Lebensfreude und Zuversicht erzeugt. Man jagte, badete, spielte und lachte. Das helle Licht Afrikas, das heiße Temperament der Afrikaner, griechischer Erkenntnisdurst, römischer Machthunger und christliches Erlösungsbedürfnis verbanden sich zu einer neuen, spannungsvollen Lebenseinheit, die den aufstrebenden Elementen viele neue Möglichkeiten eröffneten. (Ernst Sandvoss: Aurelius Augustinus. Freiburg 1978:20)
Man kann sich einbilden, aus solchen Texten etwas zu lernen, aber bei genauerem Nachdenken ist es nichts damit. In sich selbst kreisende Folk psychology, die den Schein der Erklärung erzeugt.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.05.2013 um 07.16 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#23125
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Zur munteren Schar der Sokal-Opfer gehört auch Julia Kristeva, die heute in der FAZ ein Interview gibt. Darin sagt sie:
Der Fürsorgestaat europäischer Prägung ist trotz der Schläge, die er in den letzten Jahren hat hinnehmen müssen, immer noch sehr großzügig im Vergleich zu anderen Systemen. Der Staat in Europa mit seinen Subventionen und Beihilfen ist eine „Große Mutter“. Aber die Europäer haben vergessen, dass Solidarität nicht nur eine materielle, sondern auch eine spirituelle Seite hat. Kant spricht in seiner „Kritik der reinen Vernunft“ vom „corpus mysticum“, von der unverzichtbaren Vereinigung des Selbst und seiner Schatten mit der übrigen Welt.
Die Europäer haben diesen spirituellen Aspekt der Solidarität vernachlässigt, der dennoch zu den fundamentalen Schichten ihrer Kultur gehört. Diese Dimension, die aus unserem griechischen und jüdisch-christlichen Erbe stammt, ist nicht nur ignoriert, sondern auch fetischisiert und in die Archive verbannt worden.
Das „Selbst und seine Schatten“ – ist das noch Kant-Interpretation? Kant schrieb:
Die Idee einer moralischen Welt hat daher objektive Realität, nicht als wenn sie auf einen Gegenstand einer intelligiblen Anschauung ginge (dergleichen wir uns gar nicht denken können), sondern auf die Sinnenwelt, aber als einen Gegenstand der reinen Vernunft in ihrem praktischen Gebrauche, und ein corpus mysticum der vernünftigen Wesen in ihr, sofern deren freie Willkür unter moralischen Gesetzen sowohl mit sich selbst, als mit jeder anderen Freiheit durchgängige systematische Einheit an sich hat.
Den theologischen Schlenker hätte er sich sparen können, aber im Kontext ist der Sinn ziemlich klar.
Über Kristeva sagt die Zeitung:
„Ihre Arbeit bewegt sich im Spannungsfeld von Psychoanalyse, Poststrukturalismus und feministischer Theorie.“
Trifft genau zu. Drei Ideologien oder eher Sprachmoden, die jede für sich Gott und die Welt erklären; diese Mischung oder das „Spannungsfeld“ kann ich überhaupt nicht vertragen.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.04.2013 um 05.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#22934
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Hans Rainer Sepp/Ichiro Yamaguchi (Hg.): Leben als Phänomen. Würzburg 2006.
Der Band enthält mit einer kleinen Ausnahme nur Aufsätze in deutscher Sprache, handelt irgendwie von Dilthey, Husserl, Heidegger und anderen (also Lebensphilosophie und Phänomenologie), und ich verstehe keinen einzigen Satz. Das Ich als nicht-erscheinende Nähe und als Lebendigkeit des Lebens usw. Ich kann nicht erkennen, daß irgend etwas anderes als wieder ein weiterer Band mit Gerede daraus hervorgeht.
Seit 50 Jahren beunruhigt und beschäftigt mich die Frage, wie so etwas möglich ist. Es ist ja nicht schwerverständlich wie eine wissenschaftliche Abhandlung, die viel Sachkenntnis oder Mathematik voraussetzt. Die Phänomenologen berufen sich im Gegenteil auf Grundgegebenheiten, die jedermann zugänglich und selbstevident sind. Peter Hacker hat in einem anderen Zusammenhang mal gesagt: „Our suspicions should be aroused by the odd phrases used to invoke something with which we are all supposed to be utterly familiar.”
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.11.2012 um 16.37 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#21958
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Zu den Floskeln, die ich nicht ausstehen kann, gehört im emphatischen Sinn.
Universitär situierte Wissenschaft lässt sich geradezu als Sprachpolitik in emphatischem Sinne begreifen. (Gegenworte 7, 2001)
Unter den zahllosen Belegen bei Google gibt es auch folgende Anfrage:
"Hallo,
kürzlich bin ich bei Adornos Schriften auf die Folge "im emphatischen Sinn" gestoßen, kann aber in Wörterbüchern keine Erklärung finden. Ich habe hier zwei Beispielsätze aus seinen musikalischen Schriften:
Die Beziehung der Kammermusik zum deutschen Idealismus als die Aufrichtung eines Gehäuses, darin der menschlichen Bestimmung nachzukommen sei, zeigt im übrigen wohl sich auch daran, daß Kammermusik im emphatischen Sinn auf den deutsch-österreichischen Bereich beschränkt war.
Dies Moment der Unmenschlichkeit ist in einem äußerst emphatischen Sinn aufzufassen und wohl von seinem Verhältnis zum Tod nicht zu trennen, dem er sich wohl sein ganzes Leben hindurch so nahe fühlte."
Wohlgemerkt: Ich weiß, was emphatisch bedeutet, aber ich bin mir nicht sicher, was die gesamte Wendung in ihrem jeweiligen Zusammenhang bedeutet – und ob sie überhaupt etwas bedeutet oder nur zum feierlichen Rauschen gehört.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.11.2012 um 03.52 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#21955
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Ich kenne Linguisten, die vor Jahren sehr begeistert waren über einen gewissen Birger Sellin, der durch "gestützte Kommunikation" aus dem autistischen Insichsein an die Öffentlichkeit getreten (worden) war und riesigen Erfolg hatte. Inzwischen ist es ganz still geworden, und die zusammenfassenden Darstellungen (s. unter facilitated communication bzw. gestützte Kommunikation, dort besonders Arbeiten von Wegner u. a.) sind überaus kritisch. Der ernsthaften Erforschung und Therapie des Autismus hat man seinerzeit keinen guten Dienst erwiesen.
Auf höherem Niveau irrt man, wenn man die Konfusion um die sogenannte "Theory of Mind" mitmacht, statt sich empirisch-verhaltenspsychologisch mit dem Gegenstand zu beschäftigen.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.10.2012 um 12.24 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#21781
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Die Bombe denken (Frankfurter Rundschau 20.12.08)
Klingt komisch. Gestern habe ich die Bombe gedacht. Geht nicht.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.09.2012 um 17.06 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#21513
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Der Erzstrukturalist Claude Lévi-Strauss hat einmal davor gewarnt, zu viele Erfahrungstatsachen in die Theorie einfließen zu lassen. Er selbst war an Tatsachen nicht so sehr interessiert wie an der Stimmigkeit seiner Theorie, deshalb gelang es ihm, alle Mythen der Welt auf folgende Formel zu reduzieren:
Fx (a) : Fy (b) :: Fx (b) : Fa–1 (y)
Man hat das mit Recht als Pseudomathematik verspottet, aber der Strukturalismus fasziniert noch immer viele Intellektuelle und hindert die Sprachwissenschaft daran, ihrem Gegenstand näherzukommen.
Der verstorbene Richard Webster hat recht schön gezeigt, welchem Reinheitswahn diese Entsinnlichung der Wissenschaften vom Menschen entspringt., auch die unvermutete Beziehung zur Phänomenologie. Bei Husserl ist man ja geradezu erschlagen von den Beteuerungen der "Reinheit". (Ich weiß, daß Strukturalismus und Phänomenologie bei Roman Jakobson verbunden sind, auch Holenstein hat es ausdrücklich hervorgehoben.)
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Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 04.07.2012 um 18.08 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#21005
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2011 – welch ein Jahr! Märkte, Märkte, Märkte, Inflation, Dax, Dow, Nikkei, Eurobonds, Rettungsschirm, EFSF, ESM – da packte einen schon mal die Lebensangst. Dabei ließ es sich noch nie so gut leben wie heute! Erinnern wir uns: das einzige, was man früher einmal leben konnte, war das Leben – man lebte es, und das wars. Kein Mensch wär auf die Idee gekommen, irgendwas anderes zu leben.
Heute kann jeder leben, was er will! Manche leben ihren Traum, andere leben ihren Glauben, wieder andere leben ihren Job, ihren Style, ihren Sport. Bei Opel ist man sich einig: wir leben Autos! Und es gibt haufenweise Männer, die leben ihr Ding.
Was liegt zu Weihnachten als näher, als den Baum zu leben? Leben wir die Gans, leben wir das Rotkraut und dazu den passenden Burgunder!
(Aus meinem letzten Rundbrief zum Jahreswechsel)
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Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 04.07.2012 um 14.38 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#21002
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Siehe auch nachstehendes Beispiel, das ich kürzlich hier plaziert hatte und das dann (warum eigentlich?) ins Diskussionsforum (#9166) verschoben wurde:
Wir leben Autos.
Daß Opel damit eigentlich Wir leben für Autos meint, kann man hier nachlesen: http://www.opel.de/opel-erleben/ueber-opel.html.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.07.2012 um 13.10 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#21001
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Wir leben Eis! (Eisdiele in Erlangen)
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.06.2012 um 16.33 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#20923
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Wir leben Lernen! (Realschulinternat Schloss Varenholz)
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.06.2012 um 15.27 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#20892
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Bei Abstrakta (auch verkappten) ist es natürlich etwas anderes.
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Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 16.06.2012 um 15.10 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#20891
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"Penser la guerre", "Den Krieg denken", lautet der Titel von Arons Clausewitz-Buch. Allerdings hat der Krieg den Ruch des "Undenkbaren":
Das Unmögliche wollen,
das Undenkbare denken
und das Unsägliche sagen,
haben stets gleiche Früchte getragen:
Du mußt, wenn die Träume sich scheiden,
zuletzt das Unleidliche leiden.
(Grillparzer)
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.06.2012 um 08.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#20883
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Solche Titel sind tatsächlich inzwischen sehr beliebt geworden. Ich möchte natürlich nicht den Eindruck erwecken, engherzig über schulgrammatische Korrektheit zu wachen. Wenn Trakl schreibt "träum ich nach ihren helleren Geschicken", ist das ja sehr schön, auch wenn man normalerweise nicht nach etwas träumt.
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Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 14.06.2012 um 22.24 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#20882
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Mich erinnert etw. denken an das neuerdings inflationär gebrauchte etw. leben. Das Große Wörterbuch der deutschen Sprache von Duden führt seit der 2. Auflage (1993) den Beleg: »Die Zukunft denken – das ist ein strategisches Kunststück unternehmerischer Verantwortung« (Gertrud Höhler: Spielregeln für Sieger, Econ-Verlag, Düsseldorf 1991, S. 212).
über etw. denken (= nachdenken) taucht übrigens im Brockhaus-Wahrig (1981) auf und wird dort dem Schweizer Sprachgebrauch zugeordnet.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.06.2012 um 16.11 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#20881
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Die Gewöhnung an den Unsinn beginnt mit der Hinnahme grammatischer Verstöße. Vielleicht habe ich diese Beispiele schon mal erwähnt: Was bedeutet ein Buchtitel wie Sprache denken (von Jürgen Trabant)? Im normalen Deutsch kann man das nicht sagen. Die Abweichung soll irgendwie gehoben, edler als üblich wirken. In demselben Buch steht ein Aufsatz mit dem Titel Humboldt neu denken. Man kann niemanden auffordern: "Denken Sie bitte Sprache! Und nun denken Sie Humboldt!" Gemeint ist offenbar so etwas wie: Noch einmal neu darüber nachdenken, was Sprache ist, was Humboldt gesagt hat oder uns heute zu sagen hätte usw.
Ein Arbeitsheft für Schüler (Hirschgraben Verlag 1975) heißt Denken über die Sprache. Auch das geht nicht. Warum steht nicht Nachdenken, wie es üblich ist?
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Kommentar von Roger Herter, verfaßt am 27.04.2012 um 17.46 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#20565
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Des Menschen Kopf mißt größer als diese Weltenkugel. ... Deshalb weisen wir ... über uns hinaus ... und irren engherzig in weiträumigen Kopfsystemen; denn immer ... fordert [der Mensch] sich, weil überfordert, Größeres ab; immer muß er über sich greifen und die bessere Welt ... vorweg seiner Gegenwart suchen.
Allen, deren Kopf auch größer mißt, nur Gutes – jetzt und vorweg der Gegenwart!
(Zitat: Günter Grass "Im Wettlauf mit den Utopien", Die Zeit 16.6.1978)
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.04.2012 um 13.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#20564
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Zum Sokal-Hoax habe ich noch dies gefunden:
www.elsewhere.org/pomo
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Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 22.03.2011 um 01.41 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#18336
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Insoweit die Entwesung dessen, was er einmal war, zur Wesensbestimmung des Abfalls gehört, hat wesen in "Der Abfall west vor sich hin" nicht einmal eine neue Bedeutung – obwohl es offensichtlich nicht so gemeint ist. Vielmehr muß wohl, wer die Rede von einem vor sich hin wesenden Abfall für sinnvoll hält, in verwesen lediglich eine Art umgangssprachlich redundanten Ausdruck erblicken, dem es durch größere Prägnanz abzuhelfen gilt. Das bestätigt, wie schlecht es um das Wesen bestellt ist.
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Kommentar von Sigmar Salzburg, verfaßt am 21.03.2011 um 18.45 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#18335
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Erhalten ist „wesen“ auch im Niederdeutschen. Auf dem Bau packte ein Arbeiter seine mit Eischeiben belegten Frühstücksbrote aus: „Dat schall doch wol nich ’n Moanbreef vun mine Fru wesen?“
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 21.03.2011 um 17.34 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#18334
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Das Verb wesen gibt es im Deutschen durchaus noch. Allerdings wird es heutzutage im Sinne von verwesen verstanden: "Der Abfall west vor sich hin."
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.03.2011 um 14.53 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#18333
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Mir war natürlich klar, daß ich es nicht hätte übersetzen können, wenn es nicht doch etwas bedeutete. Nun, sagen wir: Ich habe den Gesamtsinn erraten, es muß aber nicht richtig sein.
Worauf es mir ankommt: Der Verstand wird eingelullt und setzt schließlich ganz aus, wenn so weihevoll geredet wird. Man schluckt erstaunlich viel, wenn es "lieblich klingt". Der Widerwille dagegen hat mich schon während meiner Schulzeit gepackt und dann während meines Studiums nicht mehr losgelassen, wie meine Freunde von damals bezeugen können. Seither versuche ich herauszufinden, wie es möglich ist. "Sokal's hoax" war mir natürlich ein Labsal. In der Rolle des Banausen fühle ich mich am wohlsten.
Das Zitat war übrigens von Martin Buber, das tut aber nicht viel zur Sache.
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 21.03.2011 um 13.51 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#18332
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Ich mußte beim Lesen des Tagebucheintrags daran denken, daß wohl so mancher sein Unwesen treibt, aber niemand sein Wesen. Da hat mich Herr Bärlein jetzt gleich eines Besseren belehrt. Mancher alte Ausdruck ist eben schon lange verwest.
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Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 21.03.2011 um 13.36 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1431#18331
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Der zitierte Satz ist getretener Quark, keine Frage. Aber wäre wesen bedeutungslos, ließe er sich gar nicht auf eine weniger hochtönende Form herunterstimmen. Lächerlich wirkt wesen hier nicht deshalb, weil das Wort außer Gebrauch gekommen ist, sondern weil der Verfasser eine ohne Not aufgeklaubte Bedeutung auf seinen Satz lädt, um ihn gewichtiger erscheinen zu lassen. Eine Form von sein (im Sinne von dasein) hätte es nicht nur ebensogut, sondern besser getan. Diese Feststellung ist jedoch nur möglich, weil wesen nicht nur eben doch etwas, sondern auch etwas anderes als dasein bedeutet, wie sich aus der Negation ergibt: Wer abwesend ist, ist nicht einfach nicht da, sondern er "west" weiter, und mitunter so stark, daß er geradesogut anwesend sein könnte. Beim Leser eines Gedichtes hingegen ist es völlig egal, ob und wo er sein Wesen treibt, solange er nur überhaupt da ist.
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