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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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17.02.2011
 

Verschmelzung
Zu einer alten Streitfrage der Stilistik

Herr Riemer wirft im Diskussionsforum eine alte Frage wieder auf. Dazu kurz:

Die Koordination von verschmolzenen und unverschmolzenen Formen bei Abhängigkeit von derselben Präposition gilt vielen Stillehren als anstößig. Blatz I:615 nennt sie lediglich „ungenau“ (Ich erkannte ihn gleich am Gange und der Haltung (statt an der). Vgl. Dudengrammatik 2005:624. Debrunner fand im Kultus und der religiösen Rede falsch.
Sie ist gleichwohl sehr häufig:
Interesse am Schicksal und der Meinung der einzelnen (Peter C. Ludz: Mechanismen:200)
Zur Entwicklung des Dudens und seinem Verhältnis zu den amtlichen Regelwerken der deutschen Orthographie (Buchtitel von Gunnar Böhme. Frankfurt 2001)
im Süden und den östlichen Mittelgebirgen (Wetterbericht)
Etwas anders:
Herr Merlin im Gehrock und spitzer Magiermütze. (Kurt Tucholsky: Ges. Werke I:328)

Ich selbst finde die Verbindung nicht fehlerhaft, aber ich weiß, daß manche Zeitgenossen es anders sehen.



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Kommentare zu »Verschmelzung«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.08.2016 um 06.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1418#33162

Die nicht mehr auflösbaren Verschmelzungen (im allgemeinen, zum Teufel, am besten) könnten nicht nur dazu berechtigen, hier eine eigene Wortart bzw. "flektierte Präpositionen" anzusetzen, sondern stellen auch den Schüler vor ein Problem, wenn er die vielgelobte "Orientierung an formalen Kriterien" (Rechtschreibrat) für die GKS nutzen möchte. Wie soll er die Artikelhaltigkeit erkennen?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.04.2016 um 22.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1418#32144

Eben! Das sind die nicht mehr auflösbaren Verschmelzungen. Das Problem sind die Feminina.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 01.04.2016 um 19.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1418#32143

Beim Teutates!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.04.2016 um 18.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1418#32142

Die funktionale Erklärung der Verschmelzung steht vor der Schwierigkeit, daß der feminine Artikel überhaupt nur nach zu verschmolzen wird: zur Ruhe. Die andere vokalisch auslautende Präposition, bei, scheidet aus: *beir Ehre. Es hängt also von lautlichen Zufällen ab.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 01.07.2014 um 12.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1418#26201

Das "lutherische -e" steht auch in der Zürcher Bibel und in der Zürcher Evangelien-Synopse (Lukas 1, 39).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.07.2014 um 04.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1418#26193

Schreiben würde ich es nicht, aber wir sagen auch im Plural untern Bäumen usw.
Der Imperativ der starken Verben lautet mittelhochdeutsch nim und lâ dîn klaffen sîn! (Erec). Was die Bibel betrifft, so hat Wikipedia einen Eintrag über das "lutherische e" und verweist auch auf einen Aufsatz meiner lieben Kollegin Mechthild Habermann.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 30.06.2014 um 17.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1418#26192

"Das wäre aber etwas Neues, denn keine dieser üblichen Verschmelzungen wird mit einer Pluralendung gebildet." - Vielen Dank, - und richtig, das hatte ich nie bedacht. Aber das volle "den" habe ich "bei'n Ludwigs" weder selbst je gesprochen noch, meine ich, von andern gehört, auch hochdeutsch nicht. Was immer hier vorbildlich ist, - jetzt weiß ich, warum ich meinen damaligen Verschriftungsfall nie vergessen habe, und von jetzt ab werde ich mich weiterhin daran erinnern, aber mit noch etwas Richtigem dazu.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 30.06.2014 um 16.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1418#26191

Systemgemäß - na ja, wie man's nimmt, aber ich würde sagen, nicht hochdeutsch. Das n in übern, vorn usw. steht fürn Akkusativ, aber nach bei steht immer Dativ, das n in bein kann also nur das n des Pluraldativs sein. Das wäre aber etwas Neues, denn keine dieser üblichen Verschmelzungen wird mit einer Pluralendung gebildet.

Mundartlich gibt es aber auch Dativ-n:
Bein Kanner senn Haus stieht e Vugelbeerbaam, ...
(erzgeb. Kanner = Kantor)
Dieses n sieht man dann allerdings auch meist mit Apostroph, was mir aber nicht so gefällt.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 29.06.2014 um 15.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1418#26188

Doch, ich meine, hier ist was weggefallen. Such es und du wirst es finden. Meist such ich es aber nicht, weil's ja nichts ausmacht. Aber ich nehme mir die Auswahl, ob ich "laß" schreibe oder "lass'". In der Bibel steht das e sogar noch bei Verben mit Vokalwechsel von e zu i(e), wo wir alle es wirklich schon lange nicht mehr haben: Siehe, ich bin eine Magd des Herrn!
Zu den Verschmelzungen: Ich hab irgendwo auch mal tapfer systemgemäß, aber nicht gerade sicher "bein" geschrieben (bein Ludwigs) - und das nie vergessen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.06.2014 um 06.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1418#26184

Solche Verschmelzungen werden immer in einem Wort geschrieben. Einer der schlimmsten Fehler wäre es, "für's" mit Apostroph zu schreiben.
(Schmachthagen HA 23.6.14)
Das kann kein so schlimmer Fehler sein, denn in Wirklichkeit enthält das amtliche Regelwerk keine genauen Bestimmungen darüber. "fürs" steht im Wörterverzeichnis, "gegens, zwischens" nicht. Man schreibt "übern Berg, hinters Licht, übers Jahr, vors Haus, übern Fluß, gegen’s Licht".
Duden: „Bei den allgemein üblichen Verschmelzungen von Präposition (Verhältniswort) und Artikel setzt man in der Regel keinen Apostroph.
ans, aufs, durchs, fürs, hinters, ins, übers, unters, vors
am, beim, hinterm, überm, unterm, vorm
hintern, übern, untern, vorn; zur“
(„allgemein üblich“ und „in der Regel“ – zwei interpretierbare Bestimmungen)
"vorn Bug" wäre also korrekt, aber es ist nicht über jeden Zweifel erhaben.
-
Der Apostroph kann dort gesetzt werden, wo jemand ein Gewerbe eröffnen und dazu ein Schild mit Genitiv anbringen will (aber nur dann):
Bellini's Bar; Gerti's Grillstation; Willi's Weinkontor

(http://www.spiegel.de/kultur/zwiebelfisch/zwiebelfisch-abc-der-gebrauch-des-apostrophs-im-ueberblick-a-283781.html)
Das hat Sick sich aus den Fingern gesogen oder aus einer leichtverständlichen Aufbereitung; er schaut niemals ins amtliche Regelwerk, das er wahrscheinlich gar nicht besitzt.
Kein Apostroph steht nach Sick:
Für das weggefallene Endungs-e beim Imperativ der zweiten Person Singular:
Lass es bleiben!

Hier ist nichts weggefallen.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 31.08.2013 um 00.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1418#23960

Er arbeitet im Garten heißt einfach, er macht Gartenarbeit, ein konkreter Garten, auf den man sich beziehen könnte, ist eigentlich gar nicht vorhanden.

Fritz ist jetzt im Haus heißt einfach, er ist zu Hause, von einem konkreten Haus, auf das man sich beziehen könnte, ist eigentlich gar nicht die Rede.

Sie ging zum Zahnarzt, bedeutet nur, sie unterzog sich einer Zahnbehandlung, es gibt eigentlich keinen bestimmten Arzt.

Bei diesen Beispielen würde ich den Grammatiken recht geben.
Aber im Alltag wird eben oft über das "eigentlich" hinweggesehen.
Die anderen Zitate sind m.E. nicht ganz so eindeutig:

Die Szene passte nicht ins Bild heißt auch nicht mehr als daß sie nicht paßte. Wenn schon noch das Wort Bild folgt, will man auch wissen, welches.

"zur Überzeugung gelangten" – das geht allein gar nicht, hier ist eine Ergänzung (welche Überzeugung?) sogar zwingend.

"keinen Grund zur Annahme" – ebenso, man kann den Satz gar nicht sagen, ohne konkret die genaue Annahme zu nennen.

Da in den letzten zwei Beispielen die nähere Erläuterung zwingend ist oder da sie im drittletzten zumindest erwartet wird, stört die Verschmelzung nicht so, wie in den ersten drei Fällen.
 
 

Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 30.08.2013 um 21.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1418#23959

Hier zeigt sich, finde ich, daß der Artikel ursprünglich ein Demonstrativum ist.
Sie ging zu dem Zahnarzt, den man ihr empfohlen hatte (und zu keinem anderen). Oder in der Verneinung
Sie ging nicht zu dem Zahnarzt, den man ihr empfohlen hatte.
Gewissermaßen eine betonte Stellung, in der es auf eine Alternative ankommt, die Antwort auf die Frage "Zu welchem Zahnarzt ging sie?" Dagegen in unbetonter Stellung
Sie ging zum Zahnarzt, (und zwar zu dem,) den man ihr empfohlen hatte. Hier geht es um den Zahnarztbesuch als solchem. Noch deutlicher im anderen Beispiel
Er arbeitet in dem Garten, der seinem Vater gehört (und nicht in seinem eigenen).
Dagegen
Er arbeitet im Garten, der von der warmen Nachmittagssonne beschienen wird.
Hier gibt es nur diesen einen Garten; eine Formulierung mit "in dem" erschiene mir hier gänzlich unangemessen. Das formalistische Vorgehen der Grammatiker beraubt hier (wie anderswo) die Sprache ihrer Differenzierungs- und Ausdrucksmöglichkeiten.
Ist es nicht im Italienischen ähnlich: nel giardino ~ in il giardino ~ in questo giardino?
Ein anders gelagerter, fast entgegengesetzter Fall: Bei Kafka gibt es eine Szene (ich krieg's grade nicht wörtlich hin) mit einem Korridor, auf den zahlreiche Bürotüren münden, vor jeder steht ein Postsack, hin und wieder öffnet sich eine Tür, ein Beamter tritt heraus und zieht den Postsack "ins Zimmer" (oder auch "in's Zimmer"). Eine Formulierung "in das Zimmer" klingt danach, als gebe es nur ein Zimmer (mit vielen Türen vielleicht, oder ein anderes, vorher beschriebenes). Die Wendung "ins Zimmer" bezeichnet dagegen "das jeweilige Zimmer des Beamten".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.08.2013 um 05.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1418#23958

Wird die Präpositionalphrase durch einen Attributsatz oder einen anderen Ausdruck näher erläutert, so daß der Artikel mehr oder weniger korrelative Funktion hat, dann gilt die Verschmelzung vielen präskriptiven Grammatiken als nicht korrekt. Nach Wahrig (Fehlerfrei 479) soll falsch sein: Er arbeitet im Garten, der seinem Vater gehört, nach Duden Fritz ist jetzt im Haus, das er sich letztes Jahr gebaut hat (Dudengrammatik 1998:324). „Die Verschmelzungsform kann nicht verwendet werden, wenn es sich um eine definite und spezifische Nominalgruppe handelt: Sie ging zu dem/*zum Zahnarzt, den man ihr empfohlen hatte.“ (Ludger Hoffmann: Handbuch der deutschen Wortarten. Berlin 2007:313) Ebenso Helbig/Buscha 1984:389. Solche Konstruktionen sind jedoch durchaus üblich:
Die Szene passte nicht ins Bild, das man sich von Michael Schumacher malt. (Welt 3.9.02)
Es waren Franzosen, die als erste zur Überzeugung gelangten, notfalls müßten sozialer Fortschritt, Freiheit und Zivilisation auch mit Gewalt durchgesetzt werden. (Jb. 17 der Bayer. Akademie der Schönen Künste, 2003:139)
Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass die organische Kapitalzusammensetzung ständig steigt. (FAZ 4.7.13)
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 20.02.2011 um 18.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1418#18132

Lieber Prof. Ickler,

Ihr Formulierungvorschlag ist allerdings zweideutig, da sich die Diskussion darüber sowohl auf den Umgang mit ihrem Land - so würde ich den Satz auf Anhieb verstehen - als auch - wie es gemeint ist - auf ihr Land beziehen kann.

In solchen Fällen hilft häufig nur die Wortwiederholung.

Das Originalzitat ist nach meinem Empfinden außerdem grammatisch falsch. Richtig müßte es heißen:

Die chinesische Führung wird akzeptieren müssen, dass sie den Umgang mit ihrem und die Diskussion über ihr Land nicht reglementieren kann.

Da das aber steif, pedantisch und unrhythmisch klingt, scheint mir nur die (doppelte) Wortwiederholung weiterzuhelfen: mit ihrem Land - über ihr Land.

Das erste Beispiel ist wiederum anders gelagert. Das Problem scheint mir nicht im Kasuswechsel (das Wort Gewalt wird ja gar nicht flektiert) zu liegen, sodern darin, daß die Gewalt mal ohne, mal (unnötigerweise) mit Artikel erscheint. Eine Wortwiederholung wäre hier nicht empfehlenswert, da die Gewalt schon zweimal auftritt (ebenso wie die Sehnsucht).

Die Lösung besteht einfach darin, den unnötigen und irreführenden Artikel wegzulassen:

Die Akzeptanz von, ja die Sehnsucht nach Gewalt gebiert Sehnsucht nach Gegengewalt.

Vielleicht war der Autor von der Vorstellung geleitet, daß der Genitiv "hochdeutscher" und "eleganter" klingt als die Konstruktion mit von. Bei einem Substantiv ohne Artikel ist die Konstruktion mit von aber die einzig mögliche und somit richtige.

 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.02.2011 um 05.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1418#18122

Ellipsen, die über einen Kasuswechsel hinwegreichen, sind besonders schwer zu verstehen:

Die Akzeptanz der, ja die Sehnsucht nach Gewalt gebiert Sehnsucht nach Gegengewalt. (SZ Magazin 8.10.10)

Die chinesische Führung wird akzeptieren müssen, dass sie den Umgang mit und die Diskussion über ihr Land nicht reglementieren kann. (SZ 9.10.10)

(Besser: den Umgang mit ihrem Land und die Diskussion darüber) usw.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 18.02.2011 um 16.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1418#18093

"Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl"
 
 

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