Zum vorherigen / nächsten Tagebucheintrag
Zu den Kommentaren zu diesem Tagebucheintrag | einen Kommentar dazu schreiben
27.12.2010
Raunächte und Duckmäuser
Wer was oft vergißt
SZ-Streiflicht vom 27.12.10:
"Früher nannte man diese Zeit Raunächte. Der Mann in Salzuflen ist ja auch recht rau in den Glühweinstand eingebrochen.
In beiden Fällen schreibt man rau ohne h. Das wird oft vergessen, und deshalb könnte man sich auch mal mit solchen sprachlichen Details beschäftigen, wenn man nichts zu tun hat zwischen den Jahren."
Früher nannte man diese Nächte Rauhnächte und Rauchnächte, aber nicht Raunächte. Und rauh schreibt man auch heute noch mit h, nur die Schüler müssen es ohne h schreiben, und manche Zeitungen glauben es so schreiben zu müssen, aber sie müssen gar nicht. Ja, und mit solchen sprachlichen Details sollte man sich auch mal beschäftigen, wenn man nichts zu tun hat zwischen den Jahren.
Diesen Beitrag drucken.
Kommentare zu »Raunächte und Duckmäuser« |
Kommentar schreiben | neueste Kommentare zuoberst anzeigen | nach oben |
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.12.2011 um 10.06 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1388#19777
|
Die Süddeutsche Zeitung, ein Jahr später:
Am 24.12.11 gibt Birgit Weidinger zu Raunächte die übliche Herleitung aus mhd. ruch = haarig (wie in Rauchwaren = Pelzwerk) und merkt am Ende an: „Eines noch: Nach der neuesten Dudenregel hat die Raunacht nur in der zweiten Silbe ein h.“
Sie hätte schreiben müssen: Die Rechtschreibreform hat das h in rauh entgegen der Etymologie (auf die sie sonst so viel Wert legt) getilgt.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.12.2012 um 05.33 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1388#22211
|
Aus gegebenem Anlaß, am 29. Dezember: Die besseren Zeitungen schreiben anscheinend ganz überwiegend Rauhnächte, der Bayerische Rundfunk natürlich nicht. Bei Wiki ist auch der Haupteintrag unverändert klassisch.
Wolfgang Krischke schreibt in seiner deutschen Sprachgeschichte (bei C.H. Beck) im allgemeinen reformiert, aber rauh, vielleicht weil er freier Mitarbeiter der FAZ ist. Hier kann man es sehen:
www.chbeck.de/fachbuch/zusatzinfos/leseprobe_was-heisst-hier-deutsch.pdf
|
Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 29.12.2012 um 10.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1388#22214
|
Muttersprachinstinkt ergibt zunächst Raun-acht, Rauf-rost oder auch raub-einig, dann stutzt man und erinnert sich an die Vereinfachungen durch die Reform.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.12.2012 um 09.36 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1388#22226
|
Wenn Krischke hingegen rau und höckricht schreibt, gibt er nur wieder, wie Gottsched sich 1750 tatsächlich in berühmt-berüchtigten Versen über Landschaft und Sprache der Oberpfalz geäußert hat. Die Ausgaben glätten das meist.
|
Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 26.03.2014 um 10.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1388#25479
|
Auch bei der FAZ (das ist die mit dem kleinen geballten Fäustchen in der Tasche) klappt es nicht. Die Überschrift "In der rauhen Wirklichkeit" gaukelt etwas vor, das der letzte Satz des Artikels nicht hält:
Deswegen droht der Welt nicht unbedingt ein neuer kalter Krieg. Aber die kühnen Prognosen vom Ende der Geschichte und von neuen Partnerschaften, die Nobilitierung von Konzepten und Institutionen sind keine Blaupausen der internationalen Wirklichkeit. Die ist ebenso komplex wie widersprüchlich. Und ziemlich rau.
Das ist tatsächlich "ebenso komplex wie widersprüchlich". Wie kann man so etwas übersehen, bevor man es in die rauhe Wirklichkeit hinausschickt? Es ist eben nur ein sehr kleines geballtes Fäustchen, das zeigen soll, daß man zwar angepaßt ist, aber dann doch nicht so ganz. Lächerlich!
Zum kompletten Artikel geht es hier: http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/mythen-der-russland-politik-in-der-rauhen-wirklichkeit-12863190.html
|
Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 26.03.2014 um 10.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1388#25480
|
In meiner Ausgabe der FAZ (die ich nicht abonniert habe, aber im Moment als Werbung erhalte) steht es richtig gedruckt:"und ziemlich rauh:" Anscheinend weicht die Online-Version ab. Das ist aber kein ausreichender Anlaß, ein Neu-Abonnement ins Auge zu fassen, angesichts des kriegstreiberischen Unfugs, den das Blatt verbreitet.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 31.12.2014 um 15.26 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1388#27667
|
Bei meinem Silvester-Vormittagsspaziergang habe ich immer ein bißchen mehr Zeit, bin dadurch doch auch zufällig mal durch die Esoterik-Abteilung im Buchladen geschlendert. Dabei blieb mein Blick an einigen Buchtiteln hängen:
Vom Zauber der Rauhnächte (Griebert-Schröder, Muri)
Die Rauhnächte als Quelle der Ruhe und Kraft (gleiche Autoren)
Das Wunder der Rauhnächte (Kirschgruber)
Rauhnächte (Courtenay)
Rauhnächte (Stallkamp, Hartung)
Das Geheimnis der Rauhnächte (Ruland)
Das Mysterium der Raunächte[!] (de Haen)
6 zu 1! Alle Bücher ansonsten in deformierter Rechtschreibung, obwohl seit der Reform laut Duden nur Raunächte (empfohlen) und Rauchnächte zulässig sind. Die meisten weisen darauf hin, daß manchmal auch Raunacht geschrieben würde.
Das Adjektiv rauh schreiben aber alle ohne h: rau, außer in den ersten beiden Büchern, da geht es recht durcheinander, mal mit, mal ohne h.
Die Herkunft von Rauhnacht sei (nach Griebert-Schröder, Muri)unklar, es könne von rauh (später in diesem Buch immer rau geschrieben) oder auch von ruch (haarig) kommen. Fragt sich, was sich die Autoren dann über die Herkunft von rauh denken.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.11.2015 um 09.02 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1388#30508
|
Zuerst wird beim Roh- oder Raubrand (veraltet: Rauhbrand) der gesamte Alkohol aus der Maische gewonnen. ((Wikipedia "Brennen")
Eigentlich unverschämt, eine Schreibweise, die vor der Durchsetzung Augstscher Einfälle unbestritten war und auch heute noch in der besseren Literatur benutzt wird, als "veraltet" zu bezeicnen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.12.2015 um 07.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1388#30877
|
„Eine weitere, jedoch wohl weniger bekannte Bezeichnung für die zwölf Nächte zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag ist übrigens Raunächte, auch Rauchnächte genannt.“ (http://gfds.de/herkunft-und-bedeutung-von-zwischen-den-jahren/)
Das schreibt die Gesellschaft für deutsche Sprache, ohne rot zu werden.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.12.2015 um 06.17 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1388#30952
|
Der Wikipedia-Eintrag Rauhnächte ist ja erstaunlich aufmüpfig. Auf der Diskussionsseite wird die Schreibweise denn auch kritisiert, mit Hinweis auf Duden und ÖWB.
Wenn man der GfdS folgt, darf man zwar Rauchnächte und Raunächte schreiben, aber auf keinen Fall Rauhnächte, denn das war die bisher übliche Schreibweise.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.10.2020 um 19.38 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1388#44475
|
Noch einmal die Rauhnächte. Duden:
"Raunächte
Verwandte Form Rauchnächte
wohl zu rau in der Bedeutung „haarig“, in Anspielung auf mit Fell bekleidete Dämonen, die besonders in diesen Nächten ihr Unwesen treiben."
(Aber Duden hat gar keine Bedeutung „haarig“ unter rau. Das Ganze fällt unter Wörterbuchzynismus. Man kippt es den Ratsuchenden vor die Füße; sollen sie doch selbst sehen, was sie daraus machen. Das amtliche Wörterverzeichnis hat das Wort überhaupt nicht, was den Duden und die GfdS sofort hilflos macht, weil sie ja ohne Gängelband keinen Schritt zu gehen waren.)
|
Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 11.10.2020 um 21.03 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1388#44476
|
Der Eintrag stammt wohl noch aus Dudens »Das große Wörterbuch der deutschen Sprache«. Dort findet man unter dem Stichwort »rau« noch folgendes:
6. dicht behaart, struppig; pelzig (1):
In Dickichtsschauer drängt sich das raue Wild (Goethe, Harzreise im Winter).
Vermutlich hat man das in der Online-Ausgabe gestrichen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.01.2021 um 05.37 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1388#44957
|
Die Rauhnächte, die heute zu Ende gehen, werden in den Zeitungen viel kommentiert und durchweg mit h geschrieben. Der Online-Duden kennt diese Schreibweise überhaupt nicht mehr, nur Raunächte. Da sich das amtliche Wörterverzeichnis weiterhin ausschweigt und und auch der Rechtschreibrat sich nicht dazu geäußert hat, bleibt die Dudenform eine mittlerweile obsolet gewordene Extrapolation der Redaktion.
Man könnte solche grotesken Fälle sammeln und irgendwann an die KMK und die Landesregierung von Baden-Württemberg herantreten mit der Bitte, den Rechtschreibrat und am besten endlich auch das IdS aufzulösen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.12.2022 um 18.33 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1388#50158
|
Sogar aus der Dialektschreibung entfernt Wikipedia übereifrig das h, das die Rechtschreibreform in den „Raunächten“ (Nebenform „Rauchnächten[!]“) nicht mehr zulassen will: "Heid is d’Raunacht, wer hods aufbrocht?"
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.07.2023 um 04.13 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1388#51377
|
Unter „Mitternacht“ sind bei Wikipedia immer noch die „Rauhnächte“ verlinkt, aber man gelangt zu „Raunacht“ und dem Hinweis, die Schreibung mit h sei nicht mehr gültig. Die etymologischen Erklärungen weisen in jedem Fall auf „Rauch“ bzw. „rauh“, so daß die Abwegigkeit des Augstschen Einfalls für den Leser deutlich genug ist.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.12.2023 um 06.40 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1388#52408
|
Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1388#30952
Ich weiß nicht mehr, wie der damalige Wortlaut war, heute jedenfalls ist aus dem Wikipedia-Eintrag alles Aufmüpfige gestrichen, man stellt die Wortherkunft von „Raunacht“ dar, wobei stets das weggelassene h eine entscheidende Rolle spielt. Es wird auch in anderen Einträgen zur Religionswissenschaft und Volkskunde benötigt, z. B. beim Knecht Ruprecht. Alles scheißegal, wir machen mit!
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.01.2024 um 06.15 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1388#52545
|
Heute abend, "in der letzten Raunacht", gehen laut SZ die Sternsinger mit dem "Rauchfass" umher und "räuchern" segensreich die Wohnungen aus. Überall Rauch, nur in der Raunacht nicht, obwohl sie regional Rauchnacht heißt. Die folgsamen Schreiberlinge wissen das natürlich. Man schämt sich für sie.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 29.05.2024 um 19.17 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1388#53290
|
Joachim Schulte (Wittgenstein Eine Einführung, 1989 Ph. Reclam jun., Ausgabe 2001, S. 208) schreibt:
Ein sehr schönes Beispiel ist das folgende Zitat aus Grillparzers Tagebüchern, auf das Wittgenstein verweist: »Ich kann nicht beschreiben welch einen schauerlichen Eindruck das h in dem englischen ghost auf mich macht. Das Wort ausgesprochen, klingt eben nicht sehr feierlich, aber sehe ich es geschrieben vor mir, so verfehlt es seine Wirkung nie; ich glaube einen Geist vor mir zu sehen.«
Dazu als Fußnote aus Wittgensteins Bemerkungen über die Philosophie der Psychologie (BPP):
Vgl. BPP, II, § 572: »Verschiedene Menschen empfinden es sehr verschieden stark, wenn die Rechtschreibung eines Worts geändert wird. Und die Empfindung ist nicht nur Pietät für einen alten Gebrauch. Wem die Orthographie nur eine praktische Frage ist, dem geht ein Gefühl ab, ähnlich wie das, welches dem >Bedeutungsblinden< mangeln würde.«
Schulte schreibt weiter:
Wer kein Auge oder kein Ohr hat für solche Nuancen oder Doppeldeutigkeiten, den nennt Wittgenstein einen Bedeutungs- oder Aspektblinden. Was einem solchen Menschen mangelt, ist eine gewisse Sensibilität, eine Fähigkeit zu schmecken und zu differenzieren: [...]
|
nach oben
Zurück zur vorherigen Seite | zur Tagebuchübersicht
|