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28.07.2009
Idiomatik
Inkonsequenz im Regelwerk
Nach den neuesten Regeln ist zu schreiben: weil sie ihm ähnlich sieht, aber weil es ihm ähnlichsieht; den Redner sprechen lassen, aber Blumen sprechenlassen.
Im nominalen Bereich soll dagegen die Idiomatisierung gar nicht zählen, hier wird rein formal entschieden: alles beim Alten lassen, zum Besten geben, im Allgemeinen. Vgl. die nichtamtlichen "Erläuterungen" unter dem Stichwort "Redewendungen".
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Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 11.10.2011 um 10.08 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1200#19336
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Hatten wir schon den Fall (damit) gut fahren besprochen? Jan Fleischhauer schreibt in seinem Blog "Der schwarze Kanal" auf SPIEGEL Online: ... diejenigen, die immer schon vom Geld anderer Leute lebten und damit gutgefahren sind ...
www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,790858,00.html
Ich tendiere zu der Einschätzung, daß er damit dem Regelwerk gerecht wird, obwohl laut Google die Zusammenschreibung (damit) gutfahren verschwindend selten vorkommt. Denn es handelt sich um eine "neue, idiomatisierte Gesamtbedeutung" im Sinne von Paragraph 34 (2.2).
In der Schreibwirklichkeit gibt es natürlich noch andere, insgesamt wichtigere Kriterien der Getrennt-/Zusammenschreibung, darunter
Betonung: liegt nicht eindeutig auf gut
Steigerbarkeit: damit besser fahren
Erweiterbarkeit: damit sehr gut fahren
Variabilität: damit ganz ordentlich fahren
Umstellungsprobe: gut damit fahren
Aber das interessiert das Regelwerk nicht. Sobald die Sache mit der neuen, idiomatisierten Gesambedeutung von Adjektiv + Verb zutrifft, soll Zusammenschreibung eintreten. Somit wäre der Fall damit gut fahren ein starkes Argument gegen die autoritäre Formulierung von Paragraph 34 (2.2).
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Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 11.10.2011 um 10.33 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1200#19337
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PS: In Paragraph 34 geht es zunächst um die Kombination "Verbpartikel" + Verb. Mitten in diesen Abschnitt (1) sind Erläuterungen eingeschoben, wobei sich E1 mit drei Absätzen der Frage widmet, woran man den Unterschied zwischen einer "Verbpartikel" und einem selbständigen Adverb erkennen kann: Betonung, Umstellungsprobe, Unterbrechbarkeit werden angeführt. Bei der Kombination Adjektiv + Verb fehlen solche differenzierenden Hinweise vollständig. Dieser Teil (2.2) des Paragraphen ist und bleibt stark reparaturbedürftig.
Dabei wäre eine Reparatur überaus einfach. Statt Es wird zusammengeschrieben müßte dastehen: Es kann zusammengeschrieben werden oder Es wird oft zusammengeschrieben.
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 14.10.2011 um 23.22 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1200#19362
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Lieber Herr Wrase,
ich teile natürlich Ihre Auffassung, daß der § 34 (2.2) stark reparaturbedürftig ist (wenn er überhaupt reparaturfähig ist).
Ich bezweifle allerdings, daß eine Reparatur "überaus einfach" wäre.
So wird gut fahren, wie Sie selbst feststellen, ja eben nicht "oft zusammengeschrieben".
Die spezifische Unklarheit von (2.2) besteht doch darin, daß der Begriff "neue, idiomatisierte Gesamtbedeutung" undefiniert und völlig unklar ist. Daran ändert sich nichts, wenn ich die Regel liberal ("kann", "wird oft") und nicht "autoritär" ("wird") formuliere.
Ich meine, der gesamte § 34 ist stark reparaturbedürftig. Auf einen schwerwiegenden Fehler haben Sie ja schon hingewiesen: die Tatsache, daß sich die Kriterien für Verbzusätze in E1 nur auf die sog. "Verbpartikel" beziehen und nicht auf alle Verbzusätze. Anderenfalls wäre die Schreibung gutfahren ja ausgeschlossen.
Da waren die Regeln von 2004 schon besser. Denn dort bezog sich wenigstens das Betonungskriterium auf alle Verbzusätze.
Der grundlegende Fehler von § 34 besteht aber (neben vielen anderen Einzelheiten) darin, daß der Begriff "Verbzusatz" im Ergebnis synonym mit dem Begriff "trennbare Zusammensetzung" gebraucht wird. Dann ist aber unklar, warum der Begriff "Verbzusatz" 2004 überhaupt in die Regeln eingeführt wurde, welchen Mehrwert er bringt.
Der Icklersche Ansatz besteht dagegen (wenn ich ihn richtig verstehe) darin, die Verbzusätze allein auf der Grundlage der bekannten Kriterien und ohne Bezug auf die GZS zu definieren und dann erst die Frage zu behandeln, wann die Verbzusätze mit Verben zusammengeschrieben werden und wann nicht. Eine überzeugende Antwort auf diese Frage ist nach meinem Eindruck allerdings noch nicht gefunden.
Ich frage mich, ob die Einführung des Begriffs "Verbzusatz" in die amtlichen Regeln ein "Erfolg" der Kritik Prof. Icklers an den betreffenden Reformregeln war. Wenn ja, dann war es leider ein Pyrrhus-Sieg.
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Kommentar von olger ofer, verfaßt am 15.10.2011 um 01.38 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1200#19363
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Was versteht man unter einer idiomatisierten Gesamtbedeutung, im Unterschied zu einer nicht idiomatisierten Gesamtbedeutung, woran erkennt man sie? Verstehen das die Schüler, für die so eine Regel eigentlich gemacht ist?
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.10.2011 um 06.31 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1200#19364
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Die Wiedereinführung des unentbehrlichen Begriffs "Verbzusatz" ist insofern kein "Erfolg", als die Reformer nichts damit anzufangen wissen. Das ganze Unternehmen ist eben verfehlt. Ich habe es immer wieder kritisiert, auch in der revidierten Fassung. Vielleicht sollte ich unter der Menge meiner Kommentare einfach auf mein Sondervotum verweisen:
www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=315
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Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 15.10.2011 um 08.48 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1200#19365
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Richtig, ich habe teilweise vereinfacht und zugespitzt. Mit einer "überaus einfachen Repatatur" meinte ich eine leicht veränderte Formulierung, die den betreffenden Regelabschnitt besser mit der Schreibwirklichkeit in Einklang bringt. Die grundsätzliche Kritik muß nach wie vor lauten, daß die GZS aufgrund ihrer Komplexität einer umfassenden Regelung nach der Art der Reform nicht zugänglich ist.
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Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 15.10.2011 um 15.17 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1200#19369
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Ist nicht eine „neue, idiomatisierte Gesamtbedeutung“ u. a. eine doppelte Tautologie? Vermutlich ist idiomatische Bedeutung gemeint?
Idiomatisieren ist in meinem Verständnis ein Prozeß, während idiomatisch eine Eigenschaft ist.
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Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 15.10.2011 um 21.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1200#19371
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Mit »idiomatisiert« soll hier nach meinem Verständnis das Ergebnis des Prozesses der Idiomatisierung bezeichnet werden. Von »Gesamtbedeutung« wird gesprochen, weil die Bedeutung der Summe aus zwei Elementen gemeint ist; das soll wohl betont werden:
»Es wird zusammengeschrieben, wenn der adjektivische Bestandteil zusammen mit dem verbalen Bestandteil eine neue, idiomatisierte Gesamtbedeutung bildet, die nicht auf der Basis der Bedeutungen der einzelnen Teile bestimmt werden kann […]« [§ 34 (2.2)]
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 16.10.2011 um 01.08 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1200#19373
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Worin besteht denn der "Prozeß der Idiomatisierung"? Wann kann man diesen Prozeß als abgeschlossen ansehen? Wann hat er also ein "Ergebnis"?
Hat sich die "Gesamtbedeutung" im Verlauf dieses Prozesses geändert? War sie zu Beginn des "Prozesses" anders als am Ende?
§ 34 (2.2) enthält das Beispiel "festnageln". Hat sich die "neue, idiomatisierte Gesamtbedeutung" aus den wörtern "fest" und "nageln" allmählich entwickelt, so daß schließlich beide Wörter zusammengeschrieben wurden? Ergibt sie sich nicht eher aus einer sehr durchsichtigen metaphorischen Verwendung des Resultativverbs "festnageln"?
Pikanterweise kennt der reformierte Duden seit 2006 ohnehin nur die Zusammenschreibung "festnageln" (wegen der inoffiziellen Zusatzregel).
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Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 16.10.2011 um 08.17 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1200#19374
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Nein, ich glaube nicht, daß es einen solchen Prozeß gibt, jedenfalls nicht in der Mehrzahl der Fälle. Ich vermute aber, daß die Autoren einen solchen Prozeß unterstellt und deshalb »idiomatisiert« geschrieben haben statt »idiomatisch«. Diese Vermutung kann natürlich falsch sein; vielleicht sollte hier einfach nur ein bißchen auf den Putz gehauen werden.
Der grundlegende Denkfehler der Reformer scheint mir darin zu bestehen, daß sie immer wieder auf den unbedarften Schreiber abheben, der anhand mechanischer Denkoperationen zum richtigen Ergebnis gelangt. In Wirklichkeit aber braucht der Schreiber die Bedeutung eines Ausdrucks nicht erst kompliziert zu ermitteln, sondern sie ist ihm, grob gesagt, entweder bekannt oder nicht bekannt.
Selbst wenn man annimmt, daß die Bestimmung der »Bedeutungen der einzelnen Teile« nur als Hilfsmittel gedacht ist, daß sich der Schreiber also für einen Moment dumm stellen (dummstellen?) soll, ist das Ergebnis dieser Operation unbefriedigend. Laut Duden kann man schreiben: einen Gefangenen frei lassen. Warum? Wenn ich naiv von den – mir hier spontan einfallenden – Bedeutungen von frei und lassen ausgehe, komme ich zu dem falschen Ergebnis, daß der Gefangene in Freiheit belassen wird. Umgekehrt soll bei jemanden freikaufen eine »idiomatisierte Gesamtbedeutung« vorliegen, die sich nicht aus den Bedeutungen von frei und kaufen ermitteln lasse. Das erscheint mir recht unrealistisch.
Hinzu kommt, daß die Gleichung »Nicht auflösbare Gesamtbedeutung = Zusammenschreibung« in anderen Regelungsbereichen wieder nicht gelten soll. Nach dieser Gleichung dürfte zum Beispiel nur stehenbleiben richtig sein, wenn nicht das Verharren in stehendem Zustand gemeint ist. Nach dem Regelwerk (§ 34 E7 und Wörterverzeichnis) soll hier aber auch Getrenntschreibung möglich sein. (Wobei ich mich frage, wieso hier eine »übertragene Bedeutung« vorliegen soll. Was wäre denn das konkrete Gegenstück zu Die Uhr ist stehengeblieben? Etwa Der Fußgänger ist stehen geblieben? Er bleibt doch gar nicht stehen, er stand ja noch nicht.)
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.10.2011 um 09.10 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1200#19375
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Duden will ja ebenso wie Brockhaus-Wahrig in dieser Bedeutung nur noch ähnlichsehen zulassen. In Wirklichkeit kommt das praktisch nicht vor, und Google unterringelt ähnlichsieht, wenn man danach suchen will, als falsche Schreibweise.
Der Rat kann sich ja demnächst mit solchen "Eisenbergschen" Folgen der Revision beschäftigen und sie zur Streichung vorschlagen. Allerdings sind es keine Varianten, sondern hier geht es an die Regeln selbst, nicht bloß ans Wörterverzeichnis. Der Neudruck aller Wörterbücher kann dann vielleicht im Frühjahr 2012 beginnen.
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Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 17.10.2011 um 00.06 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1200#19378
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Mir scheint die ganze Herangehensweise der Reform an diese Problematik ungeschickt.
Ich glaube nämlich auch nicht, daß sich die idiomatischen Bedeutungen, wo es sie gibt, schön langsam aus den direkten Bedeutungen entwickelt haben, jedenfalls nicht typisch. Deswegen sind es ja Idiome. „Den Kürzeren ziehen“ für unterlegen sein hat sich sicher nicht durch Bedeutungswechsel von Wörtern entwickelt, sondern wurde irgendwann einmal von einem kreativen Menschen erfunden, und es hat sich dann etabliert. Ggfs. ist es auch eine verkürzte Form einer ursprünglich längeren Wendung.
Genau so hat festnageln außer den gleich geschriebenen Bestandteilen nichts mit fest nageln zu tun. Und gerade festnageln kann sowohl wörtlich als auch idiomatisch verwendet werden.
Der ganze Versuch, eine regelhafte Herleitung zu finden, scheitert doch an der Vielzahl der Möglichkeiten.
Nachdem Sprache und daher auch Sprachschreibung keinen anderen Zweck hat, als Information möglichst klar und unmißverständlich zu transportieren, sollten die Wörterbücher einfach alles auflisten, was sich an sinnvollen Fällen entwickelt hat. Bei Schreibungen, die gleichzeitig Idiom sein können, auch unter Anführung der idiomatischen Bedeutung.
Heute bekommt man als Begründung für eine sinnfremd empfundene Schreibung den Verweis auf irgendeinen Paragraphen vorgesetzt. Die Frage, warum dieser Paragraph so sein soll, wie er geschrieben ist, bleibt dagegen unbeantwortet.
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Kommentar von Karsten Bolz, verfaßt am 17.10.2011 um 10.45 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1200#19380
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"Den Kürzeren ziehen" dürfte wohl weniger "erfunden" worden sein, sondern wird sich aus dem Ziehen von Strohhalmen – später oft durch Streichhölzer ersetzt – entwickelt haben. Im Englischen heißt es heute noch "to get / draw the short straw".
Nur mal so aus der Hüfte geschossen, und ohne, daß ich einen Beleg für diese Theorie hätte.
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Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 17.10.2011 um 15.52 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1200#19381
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S. g. Hr. Bolz,
Sie haben natürlich vollkommen recht, zu meiner mitternächtlichen Wortwahl gäbe es präzisere Alternativen. Vielen Dank für den Hinweis.
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Kommentar von Karsten Bolz, verfaßt am 17.10.2011 um 20.11 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1200#19382
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ThI: "Duden will ja ebenso wie Brockhaus-Wahrig in dieser Bedeutung nur noch ähnlichsehen zulassen."
Wenn ich den täglichen Schreibgebrauch so beobachte, ist offensichtlich alles erlaubt, was die Rechtschreibprüfung "ungeringelt" zuläßt. Da ähnlich und sehen als einzelne Wörter erlaubt sind und von keinem Rechtschreibprogramm als Zusammenschreibung erzwungen werden – offensichtlich anders als bei mithilfe oder zurzeit –, wird sich diese erzwungene Zusammenschreibung wohl kaum durchsetzen.
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 17.10.2011 um 21.16 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1200#19383
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Sich ähnlichsehen bedeutet ähnlich aussehen, und das intransitive Verb aussehen bedeutet etwas ganz anderes als das transitive sehen. Von daher hat die Zusammenschreibung schon ihre Berechtigung. Trotzdem ist auch Getrenntschreibung für mich in Ordnung, denn ähnlich ist ein recht langer Zusatz, besonders bezüglich der einsilbigen, konjugierten Form sieht.
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Kommentar von Karsten Bolz, verfaßt am 18.10.2011 um 14.18 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1200#19389
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Lieber Herr Riemer,
Sie haben natürlich recht. Ich hatte mich mißverständlich ausgedrückt. Ich hatte sagen wollen, daß sich die zwangsweite Zusammenschreibung in quasi allen Lebenslagen nicht durchsetzen läßt, Duden hin oder her.
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Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 19.10.2011 um 05.50 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1200#19390
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Nochmals, das Zitat aus #19375 lautet: "Duden will ja ebenso wie Brockhaus-Wahrig in dieser Bedeutung nur noch ähnlichsehen zulassen" (Anfettung von mir).
Damit war m. E. gemeint: Zusammenschreibung bei übertragener Bedeutung, und das ist laut Duden der Fall dass es ihm ähnlichsieht (für ihn typisch ist), nicht aber der Fall weil Zwillinge sich ähnlich sehen.
Herr Riemer argumentiert nun: "sich ähnlichsehen bedeutet ähnlich aussehen, und das intransitive Verb aussehen bedeutet etwas ganz anderes als das transitive sehen. Von daher hat die Zusammenschreibung schon ihre Berechtigung."
Das ist zwar nicht im Sinne des Duden, entspricht aber der Neuregelung! Demnach müßte in beiden Fällen reformiert Zusammenschreibung eintreten: weil Zwillinge sich ähnlichsehen ist übertragener Gebrauch im Vergleich zu ähnlich + sehen. Und dass es ihm ähnlichsieht ist sozusagen ein noch übertragenerer Gebrauch.
Nicht übertragen wäre: weil ich es ähnlich sehe wie du. Obwohl, sehen im Sinne von einschätzen ist ja auch übertragener Gebrauch, oder?
Diese Eisenbergsche Regel ist geeignet, den Schreiber in den Irrsinn zu treiben, selbst dann, wenn er sich nicht um die Üblichkeit der Schreibweisen schert.
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 19.10.2011 um 15.02 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1200#19393
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Sich ähnlichsehen/sich ähnlich sehen (Zwillinge) würde ich (wie der aktuelle Duden) nicht als übertragene Bedeutung von sehen betrachten. Intransitiv (aus)sehen ist einfach ein anderes Wort als transitiv sehen. (Auch aufhören hat m.E. keine übertragene Bedeutung von hören.)
Auch in daß es ihm ähnlichsieht/ähnlich sieht steckt das intransitive (aus)sehen, welches hier nun aber tatsächlich in übertragener Bedeutung des ursprünglichen (aus)sehen gebraucht ist.
Sie meinen, lieber Herr Wrase, ich vertrete damit die Neuregelung? Aber die herkömmlichen Regeln gestatten doch das Zusammenschreiben mit dem Verbzusatz nicht nur bei übertragener Bedeutung. Auch ganz allgemein zwecks Bedeutungsunterscheidung wird oft zusammen oder getrennt geschrieben.
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Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 19.10.2011 um 20.09 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1200#19399
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Nein, lieber Herr Riemer, ich hatte nur gesagt, daß Ihre Argumentation der Neuregelung entspricht, nicht daß Sie diese damit "vertreten".
Zusammenschreibung von Verbzusätzen gab es auch vor der Reform, aber entscheidend ist doch in diesem Fall, daß ähnlich vor sehen, egal in welcher Bedeutung, nicht den Charakter eines Verbzusatzes hat, sondern eines Adverbs. Diese elementare Unterscheidung fehlt in der Neuregelung für den Fall Adjektiv + Verb.
Zwar gibt es eingangs des Abschnitts B Getrennt- und Zusammenschreibung "Vorbemerkungen", in denen dieser Unterschied erwähnt wird. Unter (2.2) fehlt diese Differenzierung jedoch. Die Beispiele heimlichtun und kürzertreten in (2.2) verleiten zumindest zu der Annahme, daß adverbiale Adjektive mit dem Verb zusammengeschrieben werden sollen, sobald das Kriterium der "idiomatisierten Gesamtbedeutung" erfüllt ist.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.03.2022 um 04.58 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1200#48635
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Bei „zum Besten geben“ (Reformschreibung) denke ich immer an Aschenputtel: „Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen.“ Ein Häufchen des Besten, und dazu geben wir es dann.
Mit dieser stupiden Festlegung haben die Reformer gleich zu Beginn einen Herzenswunsch der Volksschullehrer um die Mitte des 19. Jahrhunderts erfüllt. Wer es sinnvollerweise klein schreibt, macht einen Fehler. Ein Triumph der emanzipatorischen Pädagogik.
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