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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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22.07.2009
 

Ruhe an der Front
Einrichtung im Falschen

Auf diesen Tenor sind viele, allzu viele journalistische Beiträge gestimmt.
Daß die Politiker Ruhe als Bürgerpflicht betrachten, ist verständlich, aber warum lieben auch Journalisten die Ruhe so sehr, daß sie es für besser halten, sich im anerkannt Falschen einzurichten, als noch einmal ans Ändern zu gehen? Nicht daß man selbst in Ruhe gelassen werden möchte, es sind vielmehr die Schüler, auf die man dieses Bedürfnis projiziert. Ich finde das zynisch. Es erinnert mich an Rudolf Hoberg, der seit Jahren predigt: Laßt die Schüler doch erst einmal zehn Jahre lang in Ruhe das Falsche lernen, bevor ihr schon wieder ändert!



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Kommentare zu »Ruhe an der Front«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.10.2023 um 16.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1196#51987

Kurz gesagt: Was bei jeder staatlichen Maßnahme und erst recht bei einer so umfassenden und kostspieligen wie der Rechtschreibreform selbstverständlich sein sollte, das vermißt man hier: eine Evaluation der Ergebnisse. Das Ziel war, den Schulkindern das Schreiben zu erleichtern und die Fehler zu reduzieren. Ist es erreicht worden? Selbst ein "Wir wissen es nicht (weil zu viele andere Faktoren dazwischenkamen)" wäre eine Antwort. Aber gar nichts?
Ein wenig bin ich versucht, den Querdenker-Irrsinn zu übernehmen und von einem "Staatsverbrechen" zu sprechen...
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.10.2023 um 06.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1196#51981

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1196#14829

Vgl. die große Beschwichtigung, auch von Ratsmitglied Peter Feller:
https://www.ilz.ch/sites/default/files/inline-files/i-mail_2006_3.pdf

"Fehler wird es weniger geben." Und – gibt es denn weniger Fehler? Betretenes Schweigen...
 
 

Kommentar von WL, verfaßt am 27.09.2009 um 15.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1196#15021

Ruhe an der Front? Oder die Ruhe nach dem Sturm über den Ruinen? Am Beispiel der Süddeutschen Zeitung:

Hier


Süddeutsche Rechtschreibreform?
von RPostwendend | Hamminkeln | 100 mal gelesen
Über die Kultur der Anspruchslosigkeit und Gleichgültigkeit. Ein Beispiel aus dem Internetauftritt der „Süddeutschen Zeitung“.
„Er weiß nix, kann aber alles erklären.“ Dieses Urteil meines geschätzten (wenn auch linksrheinischen) Mitniederrheiners Hanns Dieter Hüsch über den „Niederrheiner an sich“ ist mir in den letzten Jahren des öfteren in den Sinn gekommen, wenn ich die meist unvollständigen, fehlerhaften und schlecht recherchierten Versuche von Zeitungen und Internetseiten mitbekam, Inhalte und Regeln der neuen Rechtschreibung darzulegen. Was sich über diese Wege an Grob-, Halb- und Ungefährwissen ausgebreitet und teilweise verselbständigt hat (z. B. allein bezüglich der neuen Apostrophregelung), wäre Stoff genug für einen abendfüllenden Vortrag.

Auch und oft gerade dort, wo man eigentlich annehmen könnte, wenigstens da sei noch entsprechendes Fachwissen und –interesse über, um und an die/der Rechtschreibreform oder Rechtschreibung überhaupt vorhanden, nämlich bei denen, die professionell mit dem Schreiben zu tun haben, wird nicht nur Unwissen und Verwirrung dokumentiert, sondern dieses oft auch noch an die Öffentlichkeit weitergegeben. Nein, das Bedürfnis, etwas zu erklären, was man selbst (noch) nicht richtig verstanden hat, hat unser Niederrheiner gewiß nicht für sich allein gepachtet, wie sich immer wieder zeigt.

Die Urlust am Chaos

Ein Paradebeispiel dafür habe ich im Internetportal „sueddeutsche.de“ der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) entdeckt. Wer sich schon einmal etwas über den „Kuss-statt-Kuß-“ und „Tollpatsch-statt-Tolpatsch-Teller(innen)rand“ der Rechtschreibreform hinaus mit deren weiteren Inhalten beschäftigt hat, der weiß besonders um die Problematik der Getrennt-/Zusammenschreibung. Denn gerade in diesem Bereich hat die Reform zu einem unübersehbaren Chaos beigetragen. Zum Beispiel zu dem neuen Modetrend, sogar altbewährte wehrlose deutsche Verben so gnadenlos auseinanderzureißen (vorbei laufen, hinzu kommen, hervor kramen, zurück holen, hinaus lehnen, weg werfen ...), daß man den alten Konrad noch einmal „auf wecken“ und für Ordnung sorgen lassen möchte. Ist das schon ein auf eine erwartete nächste Reformstufe bezogener „vorauseilender Gehorsam“? Oder äußert sich da eine „Urlust“, auch einmal bei einem Chaos mitmischen zu dürfen? Bei vielen Zeitungen scheint mir das Motto zu sein: „Hauptsache, wir haben etwas zu dem Thema gebracht; ob nun richtig oder falsch, wen interessiert das schon?“

Nix g’wiß beim Quiz?

Nun ist ja die SZ, die „Süddeutsche“, nicht gerade eine kleine Provinzzeitung, sondern sie gehört schon zu den vielzitierten und größten überregionalen Tageszeitungen unseres Landes. Sehr mutig von ihr, sich nun gerade diesen o. g. heiklen Bereich der Getrennt-/Zusammenschreibung als zentrales Thema für ein Rechtschreibquiz auszusuchen. In diesem Quiz werden die folgenden 15 Schreibweisen vorgegeben:

Gewerbe treibend
kaputtsparen
tierliebend
allgemeinverständlich
braungebrannt
frei laufende Hühner
wohlriechend
übel riechend
Furcht einflößend
furchterregend
genausovielmal
das 4-Fache
Blut bildend
langanhaltend
musikliebend

Der Quizteilnehmer soll nun bei jeder Schreibweise entscheiden, ob diese a) falsch ist, b) die einzig richtige oder c) eine von mehreren richtigen Möglichkeiten. Wer sich die Chance nicht entgehen lassen möchte, sich selbst zu beweisen, daß er in diesem Test besser ist als die Autoren des Tests, der sollte ihn unbedingt einmal ausprobieren, bevor er im „Wörterbuch seines Vertrauens“ blättert bzw. hier weiterliest. Er kann dies vor allem völlig risikolos tun; denn gerade ein schlechtes Abschneiden bei diesem Test kann sehr wohl einen guten Informationsstand belegen. Bitte beachten: Bei jeder eventuellen Wiederholung des Tests im Internet wird die Reihenfolge der Begriffe verändert – die Antwortwertung bleibt aber dieselbe. Hier geht’s zum besagten Rechtschreib-Quiz. Viel Erfolg!

So wäre es richtig gewesen

Nach derzeit geltender Schulrechtschreibung gilt nur eine der obigen 15 Schreibweisen als falsch, nämlich Gewerbe treibend. Darin sind sich sogar alte und neue Rechtschreibung einig, denn das wäre derselbe Unsinn wie Haar sträubend oder Keim tötend. Das bescheinigt auch die SZ-Testauswertung, allerdings tut sie das fälschlicherweise auch mit drei weiteren Schreibweisen: mit Blut bildend, langanhaltend und musikliebend. Hier gelten ebenso blutbildend, lang anhaltend und Musik liebend, was die Testautoren eigentlich wissen müßten.

Richtig liegt die SZ auch in der Bewertung, kaputtsparen und tierliebend sei nur so richtig. Außerdem bestätigt sie auch, daß es zu den geltenden Schreibweisen allgemeinverständlich, braungebrannt und frei laufende Hühner – seit der Reform – jeweils eine weitere Möglichkeit gibt (allgemein verständlich, braun gebrannt und freilaufende Hühner).

Sie liegt damit mit ihrer Auswertung in genau 6 der 15 Fälle richtig. In den restlichen 9 Fällen hingegen irrt sie. Drei davon habe ich oben schon erwähnt. Hier nun die weiteren Irrtümer: genausovielmal und das 4-Fache sind nicht nur so richtig, sondern auch so: genauso viel Mal und das 4fache (auch: das Vierfache). Daß im Falle der Furcht in der Kombination mit einflößend nur die Getrenntschreibung Furcht einflößend und in der Kombination mit erregend nur die Zusammenschreibung furchterregend gelten soll, ist natürlich blanker Unsinn. Und wieso man wohlriechend nur so (zusammen) und übel riechend nur so (getrennt) schreiben darf (die neue Rechtschreibung gestattet in beiden Fällen beides gleichermaßen), bleibt ein Geheimnis. Wie so vieles.

Sechs Richtige!

6 Richtige? Im Lotto wäre das beachtenswert, aber in einem Test von 15 Fragen? Wenn man dafür die üblichen Schulnoten heranziehen wollte (was ja beim Thema „Schulrechtschreibung“ naheläge), wäre das für die verantwortliche Redaktion von „sueddeutsche.de“ eben nur eine richtige 6.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.09.2009 um 10.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1196#15019

Auf die Bedenken von Frau Mank antwortet ein Verteidiger der Reform:

»Bei meiner Arbeit als Lehrer für Deutsch als Fremdsprache habe ich (fast) nur gute Erfahrungen mit der (wirklich nicht mehr) neuen Rechtschreibung gemacht. Selbstverständlich kenne ich die Diskussion von Anfang an, und sie hat mich schon früh angeödet – insbesondere darum, weil die von den Gegnern zitierten Beispiele selten aus dem alltäglichen Sprachgebrauch stammten.
Mein zeitlicher Aufwand, die wirklich wichtigen Regeln der Rechtschreibung zu erklären, ist wesentlich geringer als bei der alten Rechtschreibung. Die Regeln sind wesentlich leichter vermittel- und verstehbar. Von meinen Lernenden schreibt kaum einer falsch. Wenn, dann sind es meistens Fehler, die auf Ungereimtheiten der alten Rechtschreibung zurückzuführen sind, die leider nicht beseitigt wurden – die Reform hätte wesentlich mutiger sein können.
Nach meiner Einschätzung hat eine Rechtschreibeschwäche bei Schülern sehr viel mit Lese(in)kompetenz und Lese(un)lust zu tun.« (Rainald Laurer im XING-Forum, 24.9.09)

(Welche wichtigen Regeln sollen es denn sein, die nun leichter lernbar sind? Welche Regeln spielen bei der Rechtschreibung überhaupt eine Rolle? Und das originale Regelwerk kann es ja wohl nicht sein, was Laurer vermittelt. Wie kann es denn bei dem geringen Umfang des Eingriffs zu „wesentlichen“ Vereinfachungen gekommen sein? Wirklich durchschlagend ist doch nur "Heyse", und da gibt es mehr Fehler als früher. Und wie hat Laurer die beiden Revisionen verarbeitet – oder haben sie die „wichtigen“ Regeln gar nicht betroffen? Die Reformkritiker stützen sich auf umfangreiche Fehlersammlungen aus dem Alltag. Der letzte Satz ist natürlich richtig, er zeigt aber indirekt die Unwichtigkeit von "Regeln".)
 
 

Kommentar von Edelgard Mank, verfaßt am 26.09.2009 um 22.29 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1196#15016

http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1196#14823
Zum Beitrag von Korrekturleserin, 22.07.2009:
Wie Korrektoren-/Lektoren-Bewußtsein beurteilt wird, findet man u.a. auf Xing, wo ich mich in der Gruppe "Profi-Deutsch" zu Wort gemeldet hatte (siehe hier).

Meine Beiträge sind öffentlich, die meiner Kommentare meistens nicht.
Ich hatte nach Erfahrungen mit Fehlern seit Einführung der neuen Rechtschreibung gefragt. Mehrheitlich habe ich ein Problembewußtsein vermißt. Meine Xing-Antwort folgt in Kürze.
Meine Kompetenz wurde in Zweifel gezogen von Gruppenmoderatorin Barbara Piontek (Fehler, die ich wohl mache - das ist öffentlich zu lesen). So gesehen, kann es dem Berufsstand mitunter ans Eingemachte gehen:
Wer mir schreibt, kann die Sammlung von Antworten erhalten.
Beste Grüße
Edelgard Mank
 
 

Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 02.09.2009 um 10.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1196#14918

Dummerweise kann man dies aus dem Waschzettel nicht erschließen, nur aus dem Namen des Autors.
 
 

Kommentar von Buchhinweis, verfaßt am 02.09.2009 um 09.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1196#14917

Eine Buchneuerscheinung in klassischer Rechtschreibung ist diese hier:

http://www.stiftung-sponsoring.de/top/publikationen.html
 
 

Kommentar von Bernfried Janas, verfaßt am 01.09.2009 um 11.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1196#14916

Das Thema Orthographie gilt nun wohl allgemein und definitiv als abgehakt, auch und leider bei allen, die irgendetwas bewegen könnten. Der vermeintliche, verbreitete Überdruß hemmt jeden Mißmut, der im Alltag aus minderwertiger Lektüre erwächst – soweit er das denn tut –, sich öffentlich kundzutun. Es nun laufen zu lassen, wie es eben läuft, das erscheint wohl als das kleinere Übel, Rückkehr zum status quo ante als das größere und als nicht erreichbar oder irgendwie negativ, d.h. man erkennt gar keine andere Lösungsmöglichkeit.
Dabei wird natürlich übersehen, daß auf diesem besonderen Felde Besserung nicht von selber eintritt, sondern daß der Bruch bleibt, keinerlei Vorteil gewonnen ist, daß Konsens und Kontinuität dahin sind. Nur durch völlige Rückkehr könnte die Verirrung mit der Zeit zur Episode verblassen, aber ihr Ausmaß wird gar nicht annähernd erspürt. Angeblich lieben ja die Deutschen ihre Sprache. Sie tun nur nichts dafür.
 
 

Kommentar von Wolfgang Scheuermann, verfaßt am 06.08.2009 um 10.24 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1196#14889

Lieber Herr Ludwig,

vielen Dank für Ihren Hinweis! Sie haben damit natürlich völlig recht, aber ich wollte "Verschriftung" (das in meinen Ohren sehr technisch klingt) vermeiden und habe dann nicht richtig nachgedacht.
(Für den Autor der Glosse ist wahrscheinlich ohnehin Hopfen und Malz verloren, aber wie der zweite Kommentar erweist: nach Möglichkeit sollte man sich schon äußern.)
 
 

Kommentar von Charlotte, verfaßt am 05.08.2009 um 21.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1196#14888

Der Artikel ist noch im Netz erreichbar. Und es ist noch ein zweiter schöner Kommentar dazu geschrieben worden.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 05.08.2009 um 19.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1196#14887

Lieber Herr Dr. Scheuermann, gut, daß Sie den so offenbar wissenlosen und gewissenlosen Meinungsmachern widersprechen. Ich würde hierzu vorschlagen, die Bezeichnung "Schriftsprache" nicht für "Verschriftung" zu verwenden, sondern immer nur als Stilbezeichnung; und Sie schreiben ja auch ganz richtig von der "Reform der Schreibweisen". Stile ändern sich; daß aber bei unserm Problem der Rechtschreibreform die Verschriftung ohne Grund und dazu noch ohne Sachverstand geändert wurde, — das mit "Sprache verändert sich" zu rechtfertigen, klingt für einfache Gemüter zwar überzeugend, ist aber eben hier nicht richtig. Wenn auch selbst die Schreibung sich im Laufe der Zeit aus guten Gründen ändern kann (bei uns z. B. bei Verlust von Substantivcharakter), — hier fehlen, wie Sie bei Herrn Schulte gut aufzeigen, die guten Gründe. (Sein Artikel ist übrigens gerade eben, in den letzten Minuten, nicht mehr zugänglich geworden [Ihr Leserbrief ist noch da; aber selbst die "Suche" nach Schultes "Was muß, das muss" führt da zu nichts mehr], so daß ich nicht mehr aufzeigen kann, wo er mit "Schriftsprache" [die sich ja auch verändere, was der RSR ihre Berechtigung gäbe] argumentiert.)
Auf jeden Fall halte ich es für gut, wenn wir alle in unserem Zusammenhang die falsche Verwendung des Ausdrucks "Schriftsprache" angreifen, wenn er zur Verteidigung von etwas verwendet wird, wo er einfach nicht der richtige Terminus ist. — Mit besten Grüßen Ihr Horst Ludwig
 
 

Kommentar von W. Scheuermann, verfaßt am 05.08.2009 um 13.50 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1196#14885

Mich hat der von Charlotte angegebene Link zu folgendem Kommentar dortselbst verleitet:

Was wirklich gräßlich ist

Herr Schulte hat wohl noch nie über die Frage des Eszetts in der deutschen Schriftsprache wirklich nachgedacht.
Denn dazu hätten die Fragen gehört, ob eine Reform der Schreibweisen bei s-Doppelungen sinnvoll (oder gar notwendig) gewesen ist, und ob das Ergebnis der Reformbemühungen gegenüber den bisherigen Schreibweisen einen Vorteil darstellt. Beide Fragen lassen sich klar beantworten: Es bestand keinerlei Notwendigkeit zu einer Änderung, und das Ergebnis stellt gegenüber dem Status quo ante eine eindeutige Verschlechterung dar. Hätte er das überlegt, hätte er seine Glosse nicht schreiben können, die ein peinliches, ja gräßliches Katzbuckeln gegenüber einem fehlgeleiteten Verordnungsgeber ausdrückt. Gibt es hierzu doch sogar ein Bundesverfassungsgerichtsurteil, das zur Rechtschreibreform ausführte, soweit dieser Regelung Verbindlichkeit zukomme, bliebe diese auf den Bereich der Schule begrenzt. Außerhalb derselben stünde es jedermann frei, „wie bisher“ zu schreiben.

Und wie macht man von Freiheit besser Gebrauch: indem man unbewußt schlechter (das will ich Herrn Schulte unterstellen, daß er sich der vielen Schwächen der Neuregelung nicht bewußt ist) oder bewußt besser schreibt? Zugegeben – eine ironische Fragestellung (aber öfters hilft das ja bei der Wahrheitsfindung). Noch einmal zurück zu den beiden Fragen: Warum gab es keine Reformnotwendigkeit? Weil (fast) niemand ein Problem mit der herkömmlichen Regelung hatte: In Geschäftsbriefen und in den Zeitungen gab es keine Fehler, in Büchern erst recht nicht, und nur Schüler, die dabei waren, das Schreiben zu erlernen, hatten gelegentlich Schwierigkeiten durch die Verwechslung von „daß“ und „das“ (aber die haben sie jetzt, mit „dass“ und „das“, eher noch mehr).Aus der Praxis ließ sich also keine Reformnotwendigkeit ableiten – aber vielleicht aus einem theoretischen Grund? Wie sah die Theorie denn aus?
Das Eszett tauchte zu Beginn des Spätmittelalters in Europa auf und wurde im Deutschen zunächst uneinheitlich gebraucht. Das war auch noch zu Schillers Zeiten so. Der moderne Gebrauch (vor der Reform!) geht auf den 1806 in Dresden gestorbenen Sprachforscher Johann Christoph Adelung zurück. Danach ist im Ergebnis ein Eszett immer dann zu schreiben, wenn ein sonst dort stehendes ss nicht aufgetrennt werden kann, es steht - mit anderen Worten - für zwei untrennbar miteinander verbackene s. (Floß, flie-ßen, Troß, aber has-sen). (Daraus ergibt sich auch zwanglos, daß man heute ß durch ss ersetzt, wenn man z.B. an einer Schreibmaschine schreibt, die kein ß hat - oder bei Großbuchstaben.) Der größte Vorteil des so genutzten Eszett ist, daß es Wortfugen eindeutig erkennbar macht (Gußeisen, Flußsenke, Meßergebnis). Aufgrund seiner offenkundigen Vorteile hat sich dieser Gebrauch des Eszett relativ rasch im deutschen Sprachraum durchgesetzt. Es gab also auch aus theoretischen Gründen keinen Anlaß, hier zu reformieren.
Zur zweiten Frage: Hat die Neuregelung Vorteile? Leider nur einen einzigen, und der ist klitzeklein: Ausländer könnten aus der Schreibweise eines ihnen unbekannten Wortes auf die richtige Vokallänge zurückschließen. (Aber, was nützt das wirklich, wenn sie das Wort ohnehin gar nicht kennen?) Ansonsten hat die Neuregelung nur Nachteile: Sie ist schwerer zu lesen (Schussserie, Messergebnis), fehlerträchtig (Verständniss, „Gruss und Kuss“, Fusssball), weniger ästhetisch (Flusssenke, Missstand, Genussschein) oder umständlich (Fluss-Senke, Miss-Stand, Genuss-Schein) – Mängel, die die herkömmliche Lösung allesamt nicht aufweist.
Es ist also schlicht und einfach die bessere Lösung, „wie bisher“ zu schreiben. Und das gilt auch für Schüler – natürlich nur außerhalb der Schulen, denn dort wird ihnen die schlechtere Lösung abverlangt (übrigens eine Erfindung aus dem Jahr 1829, die in absehbarer Zeit wieder ins Reich des Vergessens abtauchen sollte)
 
 

Kommentar von Tobias Bluhme, verfaßt am 02.08.2009 um 09.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1196#14874

Nochmal zur GZS ein kleines Beispiel:

Für mich war es ein sehr Umsetzungs orientiertes Seminar.

Der Anbieter des Seminars hat die Äußerung so in seine Werbung übernommen.
 
 

Kommentar von Kurt Albert, verfaßt am 23.07.2009 um 19.26 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1196#14836

Ruhe an der Front

Kleine Umfrage in Wiesbadener Buchhandlungen (einer großen, Typ des modernen Buchkaufhauses, sehr frequentiert und auch recht gut sortiert, und eine traditionellen, ambitioniert in Belletristik und "Sachbuch"; 22. und 23. Juli):

Es herrscht in der Tat Ruhe an der Front. Ansturm auf den neuen "Duden"? Nein, überhaupt nicht, er verkauft sich wie sonst, "normal".
Manche Kunden wundern sich, daß da nichts erklärt wird – und manche kaufen dann lieber ein "richtiges" Wörterbuch wie den "Wahrig" ("Deutsches Wörterbuch"); manche wundern sich, daß jetzt – 2009 – nur einige neue Wörter aufgenommen wurden. Die – preisgünstige – Kombination mit der Korrektur-Software zieht.
Der "Wahrig" ("Die deutsche Rechtschreibung") ist weniger bekannt, geht aber auch.
 
 

Kommentar von Thomas Paulwitz, verfaßt am 23.07.2009 um 09.01 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1196#14835

Herr Riemer, der 1996er-Duden kostete seinerzeit 38 DM. Der Preis für das Rechtschreibwörterbuch hat sich also bis heute nicht sehr verändert. Wenn wir die Inflation berücksichtigen, dürfte der Duden sogar billiger geworden sein.
 
 

Kommentar von Christian Dörner, verfaßt am 22.07.2009 um 17.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1196#14830

Herr Wrase hat vollkommen recht: Daß die Regelung 2006 obligatorische Schreibungen wie dass es dir ähnlichsieht, dass du dich nicht schlaumachst, sondern stattdessen verrücktspielst (Google Chrome, der gerade beim Tippen alle meine Wörter auf korrekte Neuschreibung hin untersucht, unterringelt im übrigen alle drei Zusammenschreibungen), dürfte den wenigsten bewußt sein. Auch Deutschlehrer wissen davon meist nichts.

Aber auch neue Getrenntschreibungen bietet die Revision von 2006. Bekanntlich hatte Prof. Ickler schon vor zwölf Jahren darauf hingewiesen, daß die Schilder Rastplatz bitte sauberhalten! an den Autobahnparkplätzen ausgetauscht werden müßten, was bis heute kaum geschehen ist. Das bekannte Ausfahrt freihalten! ließ die Regelung von 1996 allerdings unangetastet. Seit 2006 soll plötzlich nur noch Ausfahrt frei halten! zulässig sein, aber in Baumärkten werden nach wie vor nur Schilder mit der bewährten Zusammenschreibung angeboten. Ich habe zwar tatsächlich Ausfahrt frei halten auf Schildern an Gartenzäunen lesen können, jedoch ließen Zustand und Typographie der Schilder darauf schließen, daß diese dort schon seit den 60er und 70er Jahren hängen und die Getrenntschreibung keinesfalls auf die Revision 2006 zurückgeht, wie man auch noch ganz alte Schilder an Rastplätzen findet, nach denen man diese sauber halten soll. Auch darauf hatte Prof. Ickler schon 1997 hingewiesen. Die Festlegungen der Dudenredaktion auf dem Gebiet der Getrennt- und Zusammenschreibung scheinen damals im Alltagsleben keine so große Rolle gespielt zu haben (und auch in den 80er und frühen 90er Jahren war das noch so), wie das die Reformer gern dargestellt haben, um die Unlernbarkeit der bewährten Orthographie zu demonstrieren.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.07.2009 um 17.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1196#14829

Eine schöne Bestätigung unserer Diagnose liefert Martin Ebel im Tages-Anzeiger; siehe auch hier.

Der Beitrag zeichnet sich nicht gerade durch glänzende Intelligenz aus. Aber wer hätte es erwartet? Vgl. hier (M. Ebel: "Fehler wird es weniger geben"; 2006); siehe auch schon hier (Th. Ickler: "Die gesprochene Sprache geht ihre eigenen Wege"; 1998).

Es kommt mir so vor, als würde auch in der Schweiz das letzte Aufgebot an die "Rechtschreib-Front" geworfen (um mal die Diktion dieser Leute zu übernehmen), damit bloß nicht die Kompromißschreibung noch einmal ins Rutschen gerät. Das wird aber nichts nutzen, das Thema liegt auch im Rechtschreibrat auf dem Tisch.

Nachtrag:
"Die Rechtschreibung wird am 1. August endgültig amtlich - ihre Gegner wollen es nicht begreifen." (Martin Ebel)
Nun. die Rechtschreibreform ist schon mehrmals "endgültig amtlich" geworden, und die Gegner haben es jedesmal begriffen – das ist ja nicht so schwer.
 
 

Kommentar von Rob, verfaßt am 22.07.2009 um 17.21 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1196#14828

"DUDEN"-25.Auflage 2009

ver|rückt|spie|len (ugs.); das Thermometer spielt verrückt (zeigt kaum glaubliche Temperaturen an)

Hat sich nichts geändert...!
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 22.07.2009 um 15.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1196#14827

Der Link von "Blümelein nicht" (1196#14824) ist wirklich lustig, denn unterschrieben mit
"Der neue Duden ist da. Er ist seit dem 21. Juli erhältlich und kostet rund 25 Euro"
zeigt WELT ONLINE tatsächlich ein Foto, auf dem zwei Mädchen ganz eifrig vertieft in den 13 Jahre alten Duden, 21. Auflage von 1996 zu sehen sind, der damals noch für (ungefähr 20?) D-Mark zu haben war.
 
 

Kommentar von Charlotte, verfaßt am 22.07.2009 um 13.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1196#14825

Auch hier gibt es größtmöglichen Stuß zu lesen ...

"Was muss, das muss" (www.shz.de)
 
 

Kommentar von Blümelein nicht, verfaßt am 22.07.2009 um 13.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1196#14824

Real existierende Journaille:

"Die wichtigsten neuen Wörter im aktuellen Duden" (www.welt.de)

Ein Artikel über den neuen Duden, klingt wie von der Duden-Redaktion höchtpersönlich - oder schlicht wie "Copy & Paste".
 
 

Kommentar von Korrekturleserin, verfaßt am 22.07.2009 um 12.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1196#14823

Warum die Journalisten, die Lektoren stillhalten? Ihr Sprachempfinden muß abgestumpft sein – anscheinend tut ihnen die Verbiegung ihrer Sprache einfach nicht mehr weh genug. (Für die Schüler fiele eine weitere Änderung kaum ins Gewicht, würde ich meinen. Eine wirkliche Verbindlichkeit haben sie ja nicht kennengelernt.)
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 22.07.2009 um 11.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1196#14821

Dazu ein Beispiel.

Im Duden (ich habe den neuesten noch nicht, aber da wird sich nichts geändert haben) steht verrücktspielen. Nur die Zusammenschreibung ist vorgesehen, und das entspricht auch genau der aktuellen Regelung, hier § 34 (2.2). Daß eine Mannschaft verrückt (Handball) spielt (verrückt + spielen), ist schließlich etwas anderes als die idiomatisierte Gesamtbedeutung (das Thermometer spielt verrückt = funktioniert nicht). Denn das Thermometer spielt nicht, es zeigt nur eine Temperatur an.

Wer schreibt nun zusammen? Kein normaler Mensch. Ein sehr kleiner Bruchteil von Zusammenschreibungen wird von Google gefunden, beigesteuert von spezialisierten und sehr unterwürfigen Redakteuren oder Lektoren, die die aktuelle Regelung kennen und meinen, sie anwenden zu müssen, um ihre Publikation vor dem Vorwurf der Fehlerhaftigkeit zu schützen.

Es heißt ja immer wieder, die Getrennt- und Zusammenschreibung sei mittlerweile befriedigend repariert worden. Das Beispiel zeigt, daß die Rechtschreibreform nach wie vor weit von einer zukunftsfesten Formulierung der GZS entfernt ist. Weil das Thermometer verrückt spielte ... – solange so etwas als falsch gilt, kann man die Neuregelung nicht ernst nehmen. Denn es wird nie eine Mehrheit von Anwendern geben, die sich die Getrenntschreibung verbieten läßt.
 
 

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