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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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25.05.2009
 

Selbstlähmung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung
„… angesichts der Machtverhältnisse …“

Und eine Erinnerung an bessere Zeiten ...

"Was die interne Debatte um eine gesellschaftliche Einflussnahme der Akademie angeht, äußerte sie aber Zweifel an der Möglichkeit gemeinsamer Artikulation: Nicht die gesamte Akademie sei zum Beispiel gegen die Rechtschreibreform." (Felicitas Hoppe anläßlich der Frühjahrstagung der DASD 2009. FR-Online 25.5.09)

Das war nicht immer so. Außerdem kann man Mehrheitsbeschlüsse herbeiführen. (Auch der Germanistenverband hat sich darauf hinausgeredet, nicht alle (!) Mitglieder seien gegen die Rechtschreibreform.) Übrigens: Wer ist denn innerhalb der DASD nicht gegen die Reform? Hentig und Eisenberg, aber sonst?

Zur Erinnerung etwas aus meiner alten Dokumentation (der ganze Text steht in meinem Buch "Rechtschreibreform in der Sackgasse"):

Als es mit der Rechtschreibreform nach vielen vergeblichen Anläufen ernst zu werden schien und die „Frankfurter Erklärung“ zur Buchmesse 1996 eine heftige öffentliche Diskussion ausgelöst hatte, vermißte man eine Stellungnahme der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung (DASD).
Schon zur Anhörung in Bad Godesberg am 4. Mai 1993 hatte die Akademie weder eine schriftliche Stellungnahme eingereicht, noch war sie - infolgedessen - zur Veranstaltung selbst eingeladen worden. Später hieß es, die Aufforderung zur Stellungnahme sei nicht erfolgt oder bei der Akademie verlorengegangen; eine Nachfrage scheint es auch nicht gegeben zu haben. Der Präsident der Akademie war damals Herbert Heckmann.
Anfang 1997 kam mir der Gedanke, die Akademie für einen Aktionsplan zu gewinnen. Nach früheren Erfahrungen und weit zurückreichenden Kontakten glaubte ich zunächst, in der äußeren Form einer Preisfrage den geeigneten Weg gefunden zu haben, und skizzierte einen Vorschlag, den ich am 15. Januar 1997 an den Generalsekretär, Herrn Dr. Gerhard Dette, schickte. Der neue Präsident der Akademie, Prof. Dr. Christian Meier, lud mich daraufhin ein, dem Präsidium anläßlich der Frühjahrstagung in Passau meine Vorstellungen zu erläutern. Inzwischen war ich jedoch von meinem ersten Einfall, der ja auf eine eigene, mir im Grunde überflüssig erscheinende Neuregelung hinausgelaufen wäre, wieder abgekommen und trug dem Präsidium am 1.5.1997 folgendes vor:


Wege aus der Rechtschreibkrise

1. Ich habe mich seit der 3. Orthographischen Konferenz vom November 1994 eingehender mit der geplanten Neuregelung befaßt und bin bald zu der Einsicht gekommen, daß sie die Erwartungen bei weitem nicht erfüllt. Aus den bruchstückhaften Informationen war damals noch nicht das ganze Ausmaß des Debakels erkennbar. Erst im Juli 1995 erschien das Regelwerk nebst Wörterverzeichnis, beides recht fehlerhaft. Seit jener Zeit bin ich auch mit kritischen Zusendungen beim Institut für deutsche Sprache (IDS) und beim bayerischen Kultusministerium, später auch bei der KMK vorstellig geworden. Die Vorlage von 1995 wurde bekanntlich noch einmal zurückgezogen. Im Juli 1996 erschien die Überarbeitung, gleichzeitig mit der Absichtserklärung der deutschsprachigen Staaten und mit dem Bertelsmannwörterbuch. Auch kündigten die Kultusminister einiger Länder an, sofort, d. h. mit Beginn des neuen Schuljahres, die Neuregelung in die Schulen einzuführen, obwohl der Stichtag des Inkrafttretens der 1.8.1998 ist. Viele Schüler schreiben also seither für zwei Jahre in einer amtlich nicht gültigen, fast nirgendwo sonst zu lesenden, von keiner Zeitung (mit unbedeutenden Ausnahmen) eingeführten Rechtschreibung. Einige Wochen später erschien auch der neue Duden. Zwischen den beiden Wörterbüchern gibt es nach einer öffiziösen Schätzung rund 1000 (Nachtrag Juni 1997: nach Mitteilung von Kommissionsmitgliedern 8000!) Abweichungen, was nur zum Teil auf Fehlern der Redaktionen beruht, zum Teil liegt es an der Unzulänglichkeit des Regelwerks, wie ich in meinen Schriften ausführlich nachgewiesen habe. Seither sind weitere Wörterbücher hinzugekommen, damit hat sich auch die Zahl der Abweichungen erhöht. Dieses Durcheinander hat bereits nachweisbar zu einer großen orthographischen Verwirrung geführt, sogar bei Lehrern.
Mit erheblicher Verspätung ist beim IDS eine Zwischenstaatliche Kommission eingerichtet worden, die eigentlich die Aufgabe haben sollte, die deutsche Rechtschreibung zu beobachten und fortzuentwickeln, nun aber daran arbeitet, die Abweichungen und Unklarheiten zu beseitigen, damit zum neuen Schuljahr einheitliche Wörterbücher vorliegen. Wie man hört, soll zu diesem Zweck eine Wortliste erarbeitet werden. Es gibt begründete Zweifel auch im Kreise der alten und neuen Kommissionsmitglieder, ob das gelingen kann. Das Regelwerk soll oder darf nicht geändert werden, wie der KMK-Vorsitzende gesagt hat. Auch ist schwer vorstellbar, wie die bisher rund 6 Millionen Wörterbuchkäufer zufriedengestellt werden können, von anderen Folgen der vorzeitigen Einführung ganz zu schweigen.

2. Ich möchte nun, um das Ausmaß der Katastrophe recht deutlich zu machen, die Neuregelung kurz vorstellen. Das geschieht am besten durch einen Blick auf ein Beispielblatt, das die gültige und die geplante Regelung einander gegenüberstellt. (Tischvorlage: „Die gültige und die geplante Rechtschreibung“)
Man sieht, daß das Werk irreparabel mißlungen ist. Ich möchte neben den einzelnen Verstößen gegen die Grammatik, der Beseitigung von Unterscheidungsmöglichkeiten und der Vernichtung ganzer Wortreihen noch auf den reaktionären Charakter der Reform hinweisen. Wie auch Horst H. Munske hervorgehoben hat, wirft die Reform uns bei der vermehrten Getrenntschreibung ins 17. Jahrhundert zurück, bei der vermehrten Großschreibung immerhin ins 19. Jahrhundert. Die ursprünglich geplante, von der Mehrzahl der Reformer immer noch favorisierte Kleinschreibung der Substantive war mittelalterlich und wurde ja gerade deshalb von Jacob Grimm so geschätzt.
Zuletzt haben die Kultusbehörden zwar nicht mehr mit der Qualität der Neuregelung geworben, wohl aber mit dem Argument, die Reform bringe wenigsten den Schülern Erleichterung, sie vermindere nämlich ihre Fehlerquoten. Dabei ist viel mit einem Probediktat geworben worden, das unter den Reformern als „Schaeder-Diktat“ bezeichnet wurde und eine phantastische Fehlerverminderung beweisen sollte, im Wortlaut aber weithin unbekannt war. Ich habe dieses Diktat vor einigen Wochen in der „Süddeutschen Zeitung“ veröffentlicht, woraufhin es sogleich als Mogeldiktat durchschaut und mitsamt dem Argument der Fehlerverminderung aus der Debatte gezogen wurde.

3. Folgerungen
- Die einheitliche Rechtschreibung des Deutschen ist zerstört.
- Das Dudenprivileg ist aufgehoben, seine Wiederherstellung undenkbar.
- Eine staatlich verordnete und von staatlich beauftragten Kommissionen erarbeitete Neuregelung scheint nicht möglich zu sein. Sie ist auch nicht nötig. In anderen Ländern wird die Einheit der Rechtschreibung durch angesehene Wörterbücher oder durch ebenso angesehene Akademien gewährleistet. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung könnte eine solche Autorität sein.
- Unter den gegebenen Umständen sollte eine „kleine Lösung“ der Rechtschreibkrise gesucht werden. Eine wirklich umfassende Neuregelung ist heute nicht durchsetzbar, weil sie nicht gewünscht wird und weil auch gar nicht abzusehen ist, daß irgendeine grundstürzende Reformidee konsensfähig wäre. Es gibt auch keinen dringenden Handlungsbedarf.
- Unter einer „kleinen Lösung“ verstehe ich eine konservative, d. h. eine verbesserte Darstellung der geltenden Dudenregeln mit Beseitigung einiger Haarspaltereien und überflüssiger Einzelbestimmungen. Dafür werde ich gleich noch ein paar Beispiele geben.
- Eine „kleine Lösung“ besteht in einer Wortliste und einem Regelwerk. Das Regelwerk enthält Verallgemeinerungen aus den Schreibungen der Wortliste. Es kann in beschränktem Maße wiederum die Schreibung einzelner Wörter (Varianten) beeinflussen und sie zu größerer Regelmäßigkeit bringen.
Das Regelwerk braucht aber zum Beispiel kein Kapitel über die „Laut-Buchstaben-Zuordnung“ zu enthalten. Das entsprechende Kapitel in der Reformregelung ist aus systematischen Gründen fehl am Platz. Außerdem sollte das Akademiewörterbuch sich auf orthographische Angaben beschränken, also keine Hinweise auf die Aussprache, die Bedeutung und die Grammatik enthalten. Man vergleiche das Duden-Aussprache-Wörterbuch. Ferner enthält die Wortliste nur einfache Wörter und darüber hinaus solche Ableitungen und Zusammensetzungen, die orthographisch relevant sind. Es kann beliebig mit Fremdwörtern und Fachwörtern angereichert werden.
- „Klein“ ist die Lösung auch im Hinblick auf die beschränkten Möglichkeiten der Akademie. Die Arbeiten könnten in etwa einem Jahr abgeschlossen sein.
Was spricht für eine konservative Lösung?
1. Die Vorarbeiten zur Reform haben gezeigt, daß es außerordentlich schwer ist, die gewachsene, keineswegs von einigen Bürokraten zu Beginn des Jahrhunderts ersonnene geltende Orthographie grundlegend zu verbessern. Dies hat besonders Horst H. Munske eindrucksvoll dargestellt. Damit sind selbstverständlich Verbesserungen in der Darbietung des geltenden Regelwerks nicht ausgeschlossen, ebensowenig gewisse Bereinigungen.
2. Die geltende Rechtschreibung liegt Millionen von Texten zugrunde. Sie hat sich also bewährt, und eine Neuregelung wäre notwendigerweise mit einer Abwertung des schon Gedruckten verbunden, das danach mit einer Patina des Veralteten überzogen wäre.
3. Die geltende Rechtschreibung wird weithin akzeptiert. Die üblichen Klagen über die Kompliziertheit der Rechtschreibung sind kein Gegenbeweis. Im Kernbereich ist die geltende Rechtschreibung nicht schwer zu beherrschen, in Randbereichen wird man immer nachschlagen müssen. Das gilt zugestandenermaßen auch für die Neuregelung.
4. Wenn man, aus welchen Gründen auch immer, keine überzeugende Neuregelung vorlegen kann, muß man bei der alten bleiben. Das ist ehrlicher und entspricht auch dem Wesen der Rechtschreibung, die auf Kontinuität angelegt ist.
5. Eine konservative Lösung macht keinen Neudruck der Rechtschreibliteratur und keine Entsorgung vorhandener Software usw. erforderlich. Die Kosten sind hier wirklich gleich Null, wie bei der bisherigen Praxis der Dudenrevisionen: Man warf den alten Duden weg, wenn er aus dem Leim ging, und kaufte sich ein stabiles neues Exemplar. Nicht aber war es notwendig, jeweils die neueste Auflage zu erwerben. So sollte es auch in Zukunft sein. Die Kosten, die jetzt entstehen – ob die Reform nun abgeblasen wird oder nicht – haben allein die Reformer und ihre politischen Helfershelfer zu verantworten, vor allem durch das trickreiche Vorwegnehmen des Stichdatums in den Schulen.
6. Durch die Minimierung des Aufwandes bei einer konservativen Lösung wird auch der Weg zu einer künftigen Reform, die den Namen verdient, nicht verbaut.
7. Den Schulbehörden kann geraten werden, alle bisher üblichen, in der 20. Auflage des Dudens kodifizierten Schreibweisen weiterhin als gültig anzuerkennen und die geringfügigen Neuregelungen des Akademiewörterbuchs als zusätzliche Optionen hinzuzunehmen.
Die KMK sollte vom Vorhaben der Akademie in Kenntnis gesetzt, aber nicht in die Vorarbeiten einbezogen werden. Erstens lassen die bisherigen Aktivitäten der KMK keinerlei Bereitschaft erkennen, von ihrer Position abzugehen und das vorliegende Reform-Regelwerk zur Disposition zu stellen. Sie dürfte vielmehr darauf aus sein, alternative Pläne nach Kräften zu hintertreiben. Die Dresdner Erklärung der KMK ist ausgesprochen aggressiv formuliert; sie trägt die Handschrift des IDS. Überdies arbeitet sie auch mit falschen Behauptungen. Kritiker sind nicht gehört worden, man überstellt sie vielmehr an die Mannheimer Kommission.

4. Was tun?
Ich habe zunächst vorgeschlagen, für die Neufassung der Regeln die geballte Intelligenz der Deutschen heranzuziehen, und zwar durch eine Preisaufgabe. Es wäre aber auch ein ganz anderer Weg denkbar. Ich selbst z. B. habe große Teile des Regelwerks bereits versuchsweise rekonstruiert, und ein solcher Entwurf könnte auf einer kleinen Konferenz von Fachleuten verschiedener Herkunft diskutiert werden. Ebenso könnte man mit Proben aus dem Wörterbuch verfahren. Man könnte aber auch einen Entwurf dieser Art herumschicken und schriftliche Stellungnahmen einholen, zum Beispiel aus dem Kreis der Akademie-Mitglieder, die sich dafür interessieren.
Ich befürworte in jedem Fall, daß eine einzelne Person das Gesamtwerk ausarbeitet. Nur so kommt man aus den Zwängen der Kompromisse heraus, unter denen der Internationale Arbeitskreis in sich selbst und im Zusammenspiel mit den Kultusbehörden eingestandenermaßen gelitten hat. Friedrich Roemheld rief schon 1969 aus: „Wann hätte je eine amtliche, halb- oder dreiviertelamtliche orthographische Konferenz etwas Vernünftiges zuwege gebracht!“ („Die Schrift ist nicht zum Schreiben da.“ 1969, S. 23) Das schließt natürlich Beratung und Hilfe nicht aus. Aber es muß wie seinerzeit bei Raumer, Wilmanns oder Duden ein verantwortlicher Kopf hinter der Sache erkennbar sein. Sonst verlieren sich die Verantwortlichkeiten, und die Sache selbst kommt verschwommen und verworren daher, wie es heute zu beobachten ist.
Die Schreibung der Wörter sollte an aktuellen Korpora überprüft werden, was mit Hilfe von CD-ROM ohne Mühe möglich ist. Es gibt nämlich einen Schreibgebrauch neben der Duden-Norm, und der Duden selbst ist auch immer wieder an diesen Gebrauch angepaßt worden.
Wenn das Wörterbuch vorliegt, sollte es als Angebot zur Verfügung gestellt werden. Die Kultusminister können es als Maßstab der Schulorthographie zugrundelegen. Die Verlage werden dann die eigentlichen Rechtschreibwörterbücher herausbringen. Sie können von der Akademie eine Art Prüfsiegel bekommen, wenn sie sich an das Akademiewörterbuch halten.

5. Aus der Werkstatt
Ich möchte nun skizzieren, wie die Arbeit aussehen könnte. Man hat dem Duden vorgeworfen, daß er sich im Laufe der Zeit immer mehr Einzelfallregeln ausgedacht und die Rechtschreibung durch Haarspaltereien unüberschaubar gemacht habe. Dieser Vorwurf ist teilweise berechtigt.
Beispiel 1: radfahren/Auto fahren
Nehmen wir zuerst die Getrennt- und Zusammenschreibung, die stellenweise mit Problemen der Groß- und Kleinschreibung einhergeht.
Ein Standardbeispiel ist die auch von Minister Zehetmair gern herangezogene unterschiedliche Behandlung von radfahren und Auto fahren. Wenn es eine Begründung dafür geben sollte, ist sie so fein gesponnen, daß sie niemanden überzeugt. Ich würde folgende Lösung vorschlagen:
1. Grundsatz: Die Zusammenschreibung von Substantiv + Verb ist zurückhaltend zu gebrauchen.
Die Verbindung Rad fahren ist ebenso wie ähnliche Verbindungen nach den Regeln der deutschen Grammatik jederzeit frei konstruierbar. Daher bedeutet die Zulassung von radfahren kein Verbot von Rad fahren. Eine solche Einschränkung des freien Ausdrucks ist gar nicht zulässig.
Beispiel 2: Der Bindestrich
In dem ominösen „Schaeder-Diktat“ wird die Schreibweise Joghurt-Becher als falsch gewertet. Das ist nicht gerechtfertigt, da es im Ermessen des Schreibenden liegt, wo er einen Bindestrich setzen will. R 33 setzt fest: „Zusammengesetzte Wörter werden gewöhnlich ohne Bindestrich geschrieben.“ Die genauere Analyse zeigt, daß der Bindestrich in größtem Umfang gesetzt wird, um Zusammensetzungen und Ableitungen aus semiotisch heterogenen Bestandteilen zu ermöglichen. Im vorliegenden Fall liegt eine leichte Heterogenität vor, weil Joghurt ein graphematisch deutlich markiertes Fremdwort ist.
Auch Mentrup (1968) ist unnötig streng. Man sollte den Bindestrich freigeben bei Seeelefant, seeerfahren usw.
Beispiel 3: so viel/soviel usw., stattdessen (§ 39 der Neuregelung)
Die Getrennt- und Zusammenschreibung von Konjunktionen, Adverbien und Korrelativa war bisher sehr verwirrend geregelt. Hier könnte man der Neuregelung folgen, die zwar mangels expliziter Beschreibung auch nicht klar ist, der Tendenz nach aber nur die Konjunktionen mit so und wie zur Zusammenschreibung zuläßt.
Stattdessen sollte zur Zusammenschreibung zugelassen werden, wie infolgedessen. Damit würde man einer natürlichen Neigung der Schreibenden folgen. (Das ist im Wörterverzeichnis geschehen, allerdings mit unklarer Abgrenzung.)


Soweit mein in freier Rede vorgetragener Vorschlag. Schriftlich legte ich zugleich den folgenden Entwurf vor:

Vorschlag eines Aktionsplans

Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung beschließt, unverzüglich mit der Erarbeitung eines orthographischen Wörterbuchs zu beginnen.
Es hat sich gezeigt, daß der umstrittene Entwurf einer Rechtschreibreform wegen offenkundiger Mängel von der Mehrheit der Bevölkerung nicht angenommen wird. Die Widersprüche zwischen den neuen Wörterbüchern und der bekannte Streit auf verschiedenen Ebenen (Volksbegehren, Gerichtsverfahren, Bundestagsinitiative) erzeugen eine ständig wachsende Unsicherheit, die dem Schulunterricht, dem Buch- und Verlagswesen und der auswärtigen Sprach- und Kulturarbeit Schaden zufügt.
Um nach der Aufhebung des Dudenprivilegs die Einheitlichkeit der deutschen Rechtschreibung wiederherzustellen und zu bewahren, wird die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung ein reines Rechtschreibwörterbuch (ohne Angaben zur Aussprache, Grammatik und Bedeutung) herausgeben, das den Verlagen, den Schulbehörden und allen anderen Betroffenen als Grundlage für die praktische Lexikographie, für den Schulunterricht, für das Buch- und Verlagswesen angeboten und empfohlen wird. Das Wörterbuch soll auf der bisher vom Duden (zuletzt in der 20. Auflage von 1991) festgehaltenen und in Millionen von Texten erfolgreich angewandten Schreibweise aufbauen und sich darauf beschränken, gewisse Ungereimtheiten, Haarspaltereien und schwer beherrschbare Einzelfestlegungen zu beseitigen, ohne die Unterscheidungsmöglichkeiten, auf die eine weit entwickelte Kultursprache Anspruch hat, zu beeinträchtigen. Die bis zum Sommer 1996 anerkannten Rechtschreibwörter­bücher und sonstigen Materialien werden dadurch ergänzt, bleiben aber weiterhin gültig, so daß keine Neuanschaffungen und kein Umlernen erforderlich sein werden.
Diese Zielvorgabe gewährleistet nach Ansicht der Akademie, daß das geplante Wörterbuch auf großes Entgegenkommen bei den Betroffenen stößt und zugleich einer künftigen wirklichen Rechtschreibreform nicht im Wege steht.
Das Wörterbuch soll im Sommer 1998 vorliegen.


Dieser Plan wurde vom Präsidium und der Mitgliederversammlung der Akademie auf der Passauer Frühjahrstagung am 1. bzw. 3. Mai 1997 beraten und in den Grundzügen gebilligt.
Anfang Juni 1997 gab die Akademie folgende Erklärung heraus:

Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung
Präsident: Christian Meier

Erklärung

Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung hat beschlossen, unverzüglich mit der Erarbeitung eines orthographischen Wörterbuchs zu beginnen.
Es hat sich gezeigt, daß der umstrittene Entwurf einer Rechtschreibreform wegen offenkundiger Mängel von der Mehrheit der Bevölkerung nicht angenommen wird. Die Widersprüche zwischen den neuen Wörterbüchern und der bekannte Streit auf verschiedenen Ebenen (Volksbegehren, Gerichtsverfahren, Bundestagsinitiative) erzeugen eine ständig wachsende Unsicherheit, die dem Schulunterricht, dem Buch- und Verlagswesen und der auswärtigen Sprach- und Kulturarbeit Schaden zufügt.
Um nach der Aufhebung des Dudenprivilegs die Einheitlichkeit der deutschen Rechtschreibung wiederherzustellen und zu bewahren, wird die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung ein reines Rechtschreibwörterbuch (ohne Angaben zur Aussprache, Grammatik und Bedeutung) herausgeben, das den Verlagen, den Schulbehörden und allen anderen Betroffenen als Grundlage für die praktische Lexikographie, für den Schulunterricht, für das Buch- und Verlagswesen angeboten und empfohlen wird. Das Wörterbuch soll auf der bisher vom Duden (zuletzt in der 20. Auflage von 1991) festgehaltenen und in Millionen von Texten erfolgreich angewandten Schreibweise aufbauen und sich darauf beschränken, gewisse Ungereimtheiten, Haarspaltereien und schwer beherrschbare Einzelfestlegungen zu beseitigen, ohne die Unterscheidungsmöglichkeiten, auf die eine weit entwickelte Kultursprache Anspruch hat, zu beeinträchtigen. Die bis zum Sommer 1996 anerkannten Rechtschreibwörterbücher und sonstigen Materialien werden dadurch ergänzt, bleiben aber weiterhin gültig, so daß keine Neuanschaffungen und kein Umlernen erforderlich sein werden.
Diese Zielvorgabe gewährleistet nach Ansicht der Akademie, daß das geplante Wörterbuch auf hohe Akzeptanz bei den Betroffenen stößt und zugleich einer künftigen wirklichen Rechtschreibreform nicht im Wege steht. Das Wörterbuch soll im Sommer 1998 vorliegen.
Die Akademie traut es der von der Kultusministerkonferenz eingesetzten Zwischenstaatlichen Rechtschreibkommission beim Institut für deutsche Sprache in Mannheim nicht zu, die eingetretene Unsicherheit zu beseitigen. Sie hat daher eine Kommission eingesetzt, die Vorschläge erarbeiten soll, wie eine einheitliche deutsche Rechtschreibung sowie deren sinnvolle Fortbildung künftig zu gewährleisten sind. Dieser Kommission gehören als Mitglieder an:
Eustaquio Barjau (Universität Madrid)
Günther Drosdowski (Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion, Mannheim und Leipzig)
Hans-Martin Gauger (Universität Freiburg)
Hartmut von Hentig (Universität Bielefeld)
Friedhelm Kemp (Freier Schriftsteller und Übersetzer, München)
Uwe Pörksen (Universität Freiburg)
Harald Weinrich (Collège de France, Paris)


Im Dezember 1997 unterbreitete die DASD den Kultusministern folgenden Vorschlag:

Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung

Vorschlag zum Verfahren in Sachen Rechtschreibung

zu Händen der Kultusministerkonferenz

Die „Rechtschreibreform“ scheint uns so, wie sie beschlossen worden ist, nicht mehr zu halten zu sein. Aus verschiedenen Gründen, vor allem aber
weil deutlich geworden ist, wie sehr sie nicht nur zu einer nicht unerheblichen Einschränkung der Möglichkeiten schriftlichen Ausdrucks führt, sondern zugleich voller Widersprüche, Ungereimtheiten und Absurditäten steckt,
weil angesichts nicht nachlassender Widerstände damit zu rechnen ist, daß sie sich in der Allgemeinheit nicht durchsetzt, so daß die Einheit der deutschen Rechtschreibung durch sie bedroht ist,
weil sie einen tiefen Eingriff in die Rechtschreibung darstellt, zu dem dem Staat die Legitimation fehlt.
Denn Rechtschreibung ist Sache der Sprachgemeinschaft im ganzen. Die Schrift ist ebenso wenig wie die Sprache selbst „Verfügungsgut des Staates“ (Mahrenholz).
Es muß also darüber nachgedacht werden, wie man weiter verfahren will. Wir finden, daß dies in voller Offenheit zu geschehen hat. Die vorliegende „Reform“ ist der erste tiefe Eingriff, der überhaupt in der deutschen Sprachgeschichte ins Werk gesetzt werden soll. Es gibt keine Erfahrungen mit der Problematik der Einführung einer solchen „Reform“; alle bisherigen Erfahrungen auf diesem Feld sind nur mit Reformplänen gemacht worden. Keiner war folglich hinreichend vorbereitet darauf. So ist es kein Wunder, daß sich die in den neuen Regeln und Schreibungen enthaltenen Ungereimtheiten erst herausstellten, als die neuen Regeln in den Wörterbüchern berücksichtigt, an den Schulen gelehrt und in der Öffentlichkeit studiert wurden. Wohl hatte die intensive Diskussion sehr bald manche Mängel der neuen Vorschriften zum Bewußtsein gebracht, aber erst mit der Zeit ist es ganz deutlich geworden, wie wenig die Schrift sich tieferen Eingriffen erschließt. Denn die vielen Ungereimtheiten und Widersprüche, die jetzt zutage kommen, können doch nicht beabsichtigt gewesen sein. Schließlich war die „Reform“, wie der Kommissionsvorsitzende versichert, „gründlich bis ins letzte Detail vorbereitet“. Erst aufgrund breitgespannter Diskussionen ergab sich auch, daß in vielen Regeln der überkommenen Schreibung mehr Weisheit steckte, als zunächst vermutet worden war. Vor allem aber sind Zweifel an der Zuständigkeit des Staates zu so tiefen Eingriffen, die heute in weitesten Kreisen gehegt und geteilt werden, erst allmählich herangewachsen, um sich dann auf bemerkenswerte Weise zu verbreiten und zu verfestigen.
Wenn man sich aber in derart unbekannten Zusammenhängen bewegt, sollte man sich gegenseitig zugestehen, daß es noch manches dazuzulernen gibt. Es ist keine Schande, zu neuen Einsichten zu gelangen.
Wir meinen, wir alle seien es unserer Sprache schuldig, angesichts dieser Lage ohne gegenseitige Vorwürfe und ohne gleichsam jeden Zentimeter Bodens zu verteidigen, über die Sache zu diskutieren. Absichtserklärungen dürfen nicht bindend sein, wenn sich die Absichten als undurchführbar erweisen. Schließlich kann Politik nicht mehr (sollte aber auch nicht weniger) sein als die „Kunst des Möglichen“.
Drei Möglichkeiten ergeben sich nach unserem Urteil:
a) Man versucht eine Revision der „Reform“.
b) Man kehrt zur alten Rechtschreibung zurück.
c) Man versucht, die Grundabsicht, die die Kultusminister mit dem Auftrag zu einer Reform der Rechtschreibung verbunden haben, durch eine von der alten Rechtschreibung ausgehende, kleinere, dafür in den gebotenen Grenzen sich haltende und im allgemeinen Einverständnis vorzunehmende Korrektur zu verwirklichen, nämlich unnötige Schwierigkeiten, Spitzfindigkeiten und Widersprüche der bisherigen Schreibung auszukämmen.
Ob (a) die Revision der „Reform“ gelingt, erscheint uns als sehr zweifelhaft. Und der von einigen Reformern angedeutete Ausweg, für eine mehr als ein halbes Jahrzehnt andauernde Übergangsphase alte und neue Schreibungen in großem Stil nebeneinander stehen zu lassen, scheint uns schon gar nicht gangbar zu sein. Jedenfalls meinen wir, daß eine Revision der „Reform“, falls sie gewünscht wird, von den Mitgliedern der Kommission ausgehen müßte. Wir sehen keine Möglichkeit, uns daran oder gar an der Herbeiführung eines Chaos zu beteiligen.
Eine umstandslose Rückkehr zur überkommenen Rechtschreibung sowie zu den bislang geltenden Verfahren der allmählichen Angleichung der Schreibnorm an den Wandel der Schreibgewohnheiten (b) scheint uns nach Aufhebung des Dudenprivilegs (und angesichts der Tatsache, daß es wohl kaum wiederhergestellt werden kann) nicht mehr möglich zu sein.
So läuft alles auf die dritte Möglichkeit hinaus (c). Sie hat entscheidende Argumente für sich: Die Tatsache, daß Schrift wie Sprache nicht Verfügungsgut des Staates ist, spricht dafür, von der überkommenen Orthographie auszugehen. Andererseits spricht nichts dagegen, bei dieser Gelegenheit - über die allmähliche Angleichung der Schreibnormen an den Wandel der Schreibgewohnheiten hinaus - störende unnötige Spitzfindigkeiten, Inkonsequenzen und Widersprüche der bisherigen Rechtschreibung in einem Akt auszukämmen und das Regelwerk neu zu formulieren, wobei es sich durchaus empfehlen kann, manches aus dem neuen Regelwerk zu übernehmen. Dafür müßte bei einem offenen, fairen Verfahren allgemeines Einverständnis zu gewinnen sein. Denn es besteht ja kein grundsätzlicher Widerstand gegen jede Umgewöhnung, sondern nur gegen solche, die nicht einleuchten wollen, weil sie etwa zu einer Verarmung der Sprache führen, zu Zumutungen, eventuell auch dazu, evidente Dummheiten mitzumachen, indem man im eigenen Schreiben gesichertem Sprachwissen entgegenzuhandeln gezwungen werden soll.
Eine begrenzte, auf die Abstellung von Störendem gerichtete einmalige Korrektur würde sich im Rahmen des Zulässigen bewegen, sie würde nicht den Neudruck aller Wörterbücher sowie großer Teile der Literatur notwendig machen. Sie würde allen Beteiligten zugute kommen. Und sie hätte eine gewisse Logik für sich, da nach Beseitigung des Dudenprivilegs sowie nach einer Rücknahme der „Rechtschreibreform“ die Bewerkstelligung eines Übergangs ansteht.
Anschließend müßte ein Verfahren gefunden werden, mit dem die Aufgabe der behutsamen und kritischen Angleichung der Schreibnorm an den Wandel der Schreibgewohnheiten in Zukunft erledigt werden kann.
Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung bietet für eine Korrektur im Sinne der dritten Möglichkeit ihre Dienste an. Sie ist zwar mit ihren Mitteln nicht in der Lage, die nötigen Arbeiten allein zu verrichten, könnte aber die Grundsätze einer solchen Korrektur festlegen; es könnte in ihrem Rahmen eine Kommission arbeiten, die sich auf die - anderswo vorhandenen - dazu notwendigen Corpora zu stützen hätte; die Akademie könnte deren Ergebnisse beraten und in Zweifelsfällen ihr Votum abgeben.
Für die Zeit danach wird die Arbeit der regelmäßigen Beobachtung des Wandels von Sprache und Schreibung sowie der kritischen und behutsamen Angleichung der Schreibnorm an diesen Wandel im wesentlichen in einem mit den entsprechenden Corpora ausgestatteten Institut (oder in mehreren) verrichtet werden müssen. Dieses Verfahren könnte aber von der Deutschen Akademie fördernd und kritisch begleitet werden; die Akademie könnte in allen aufkommenden Zweifelsfällen ihr Votum abgeben und damit für die Sicherung der Einheit sowie einer sinnvollen Fortbildung der deutschen Orthographie einen maßgeblichen Beitrag leisten.
Um eine sinnvolle Lösung zu erleichtern, müßte nach unserm Dafürhalten sogleich ein Moratorium in dem Sinne beschlossen werden, daß keine weiteren Schritte in Richtung auf Durchsetzung der neuen Regeln und Schreibungen erfolgen. Gewiß können Schulbücher, die schon in der neuen Schreibung gedruckt sind, im Unterricht, indem man sie korrigiert, weiterbenutzt werden. Auch im Falle einer Revision der „Reform“ wäre das notwendig. Aber überflüssige Kosten, das heißt Kosten vor allem für die Verlage, die investieren müssen, und für den Steuerzahler, der sich, über die Absetzungen, daran zu beteiligen hat, sollten nach Möglichkeit vermieden werden. Die weiteren Schritte könnten rasch eingeleitet und erledigt werden.
Die Deutsche Akademie appelliert an die Verantwortung der Kultusminister: Die Einheit der deutschen Rechtschreibung darf nicht verlorengehen.


Dieser Plan wurde offenbar aufgegeben, als Peter Eisenberg Mitglied der DASD geworden war. Die Akademie überraschte 1999 mit einem gänzlich anderen „Kompromißvorschlag“; nicht mehr den Duden gelte es „auszukämmen“, sondern die Neuregelung sollte grundsätzlich akzeptiert und lediglich korrigiert werden:

Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung

Darmstadt, im Februar 1999

Vorschlag zur Neuregelung der Orthographie

Angesichts des nach wie vor lebhaften Streits um die künftige deutsche Rechtschreibung sowie der weiterhin bestehenden großen Unsicherheit legt die Deutsche Akademie hier einen Vorschlag vor, der zum Ziel hat, die Einheit der deutschen Rechtschreibung wiederherzustellen.
Wir teilen viele der Einwände gegen die „Reform“. Wir finden, daß dem Staat die Legitimation zu tieferen Eingriffen in die Rechtschreibung, wie sie in der Neuregelung zum Teil versucht werden, fehlt. Wir meinen, daß die seit Jahren unvermindert dokumentierte Ablehnung der Reform durch mehr als zwei Drittel der Wählerschaft, wie sie auch im Volksentscheid in Schleswig-Holstein zum Ausdruck kam, hätte respektiert werden müssen. Und wir haben Verständnis dafür, daß man sich als Bürger durch diesen Oktroi, dessen Nutzen überdies zumindest zweifelhaft ist, verletzt fühlt.
Doch finden wir auch, daß die Einheit der deutschen Rechtschreibung hoch zu schätzen ist, eine Einheit, die nie vollständig gegeben sein kann, bisher aber sehr weitgehend verwirklicht war. Und wir meinen, daß das Problem der Rechtschreibung nicht weiterhin so viel Aufmerksamkeit und Kraft absorbieren sollte wie in den letzten Jahren; sei es im Streit, sei es in der Ratlosigkeit vieler Schreibender, nicht zuletzt von Lehrern und Schülern, angesichts zahlreicher Widersprüche und Mängel der neuen Regeln. Es ist Zeit für einen Versuch, dem Konflikt ein Ende zu setzen.
Unser Vorschlag geht angesichts der Machtverhältnisse von der Neuregelung aus und übernimmt von ihr nicht nur, was sinnvoll, sondern auch, was ohne nennenswerten Schaden hinnehmbar ist. Andererseits bezeichnet er aber das, was nicht akzeptiert werden kann, was also zurückgebaut werden muß.
Die deutsche Rechtschreibung ist sich auch in unserm Jahrhundert nie ganz gleich­geblieben. Stets war es notwendig, die Schreibnorm bei einzelnen Wörtern an Veränderungen des Schreibgebrauchs anzupassen. Freilich waren diese Veränderungen von einer Auflage des Dudens zur andern sehr gering; sie richteten sich im allgemeinen nach weitverbreiteten beobachtbaren Tendenzen in der Schreibgemeinschaft, die, im Zweifel eher zögernd, von Fall zu Fall bestätigt wurden.
Angesichts einiger Widersprüchlichkeiten und Spitzfindigkeiten, die sich im Laufe der Zeit in den Duden eingeschlichen haben, kann es geboten sein, einmal etwas mehr zu tun, nämlich in einem Akt diese Widersprüche und Spitzfindigkeiten auszukämmen und auch die Regeln neu zu formulieren. In diesem Sinn enthält die „Reform“ nach unserm Urteil durchaus brauchbare Ansätze. Es wäre falsch, sie nicht zu übernehmen.
Doch halten wir es für unangebracht, der “Reform” auch dort zu folgen, wo sie gravierende Mängel aufweist, nicht zuletzt deswegen, weil das wenig Aussicht hätte, angenommen zu werden. Wohlvertraute Wörter (wie Handvoll) können nicht abgeschafft (und aus den Lexika, schon gar nicht aus denen für Fremdsprachige eliminiert) werden. Sinnvolle Ausdrucksmöglichkeiten, ja Wortbildungsmuster dürfen nicht aufgegeben werden. Unnötige Widersprüchlichkeiten, die die Reform ihrerseits hervorbringt, sollten beseitigt, bisherige Freiheiten der Schreibung dort aufrechterhalten werden, wo neue Festlegungen unsinnig wären. Auch evidente Dummheiten muß sich eine Sprachgemeinschaft vom Staat nicht auferlegen lassen. Schließlich sollte die Schrift nicht unnötig die Gebote der Ästhetik und Leserfreundlichkeit verletzen.
Der Vorschlag, der sich auf diese Weise ergibt, übertrifft zwar das Ausmaß der Veränderungen, die gewöhnlich von einer Auflage des Dudens zur andern vorgenommen worden sind. Doch halten sie sich im Rahmen vorsichtiger Korrekturen und stehen nicht im Widerspruch zu langfristigen Tendenzen des Schreibgebrauchs. Insbesondere sind sie nicht so groß, daß man sich daraufhin veranlaßt sehen könnte, vorliegende Texte (Schöne Literatur, wissenschaftliche Abhandlungen, Gesetzestexte und Kommentare etc.) bei Neuauflagen zu verändern.
Die größte Zahl von Veränderungen gemäß der „Reform“ bringt der Wechsel von ß zu ss nach kurzem Vokal mit sich. Das wäre hinnehmbar. Übernimmt man diese Regelung, so würde sich in neu gesetzten Schulbüchern eine große Zahl von Korrekturen erübrigen, andererseits wäre es nicht nötig, die nach der herkömmlichen Schreibung gesetzten Bücher bei Neuauflagen zu verändern. Denn das Nebeneinander der deutschen ß- und der - noch weitergehenden - schweizerischen ss-Schreibung hat ja auch bisher keine größeren Schwierigkeiten bereitet. Hier müßte sich also zwar der Schreibgebrauch in eher kurzer Frist ändern, alles übrige aber könnte man der Zeit überlassen.
Im übrigen aber sind die vorgeschlagenen Neuerungen so geringfügig, daß sie, was das alltägliche Schreiben angeht, kaum über die ohnehin stets gegebene Variationsbreite hinausgehen. Zudem betreffen sie weithin Fälle, über die schon bisher keine völlige Klarheit bestand.
Daher hoffen wir, daß unser Vorschlag von den verschiedensten Seiten übernommen werden kann. Diese von der Sache her verantwortbare Lösung sollte sowohl dem Grundanliegen einer Reform wie den Interessen der Leser und Schreiber, aber auch denen der Verlage und nicht zuletzt der Steuerzahler gerecht werden.
Wir empfehlen, die neue amtliche Schreibung, so weit sie schon eingeführt ist, in kurzer Frist im Sinne dieses Vorschlags zu revidieren. Damit würden vielerlei ganz unnütze Irritationen erspart, weitere Auseinandersetzungen – und Volksbegehren – erübrigt und das Erlernen der komplizierten Teile der Rechtschreibung, das erfahrungsgemäß vor allem anhand von Lektüre erfolgt, erleichtert. Und es würde eine empfindliche Störung der Einheit der deutschen Rechtschreibung beseitigt.
Der Text richtet sich aber vor allem an die Öffentlichkeit, Zeitungen, Verlage, nicht zuletzt die Beamten und Angestellten von Behörden, die vor der Frage stehen, wie weit sie die hoheitlich angeordnete, in sich vielfach widersprüchliche, wenig sinnvolle, also nicht leicht anzueignende neue Schreibung übernehmen sollen.
Insgesamt ist zu berücksichtigen, daß die neuen amtlichen Regelungen nur begrenzte Bereiche der Rechtschreibung betreffen, dort freilich zum Teil einschneidend sind. Der Text nimmt auf fast alle Fragen Bezug, die umstritten sind. Er folgt im Aufbau dem neuen Regelwerk. Gegebenenfalls korrigiert er dessen Anordnungen respektive schlägt er andere Lösungen vor.
So wie der Vorschlag jetzt vorgelegt wird, enthält er das Konzept. Es soll demnächst durch eine Wörterliste ergänzt werden, aus der hervorgeht, welche der vorgesehenen Neuschreibungen zu übernehmen sind und welche nicht. Wir halten es aber für richtig, dieses Konzept schon jetzt zu veröffentlichen, um eine Fortsetzung des Streits, eine Verlängerung der Ratlosigkeit und vorschnelle Umstellungen auf eine Schreibung, die kaum einem einleuchtet, vermeidbar zu machen.

1. Buchstabenschreibung

1.1 Einzelfälle
Wenn die Neuregelung die Schreibung einzelner Wörter ändert, wird das zumeist mit dem Hinweis auf die „Stärkung der Grundregeln“ gerechtfertigt. Man nimmt in Anspruch, auf diese Weise Ausnahmen zu beseitigen. Es geht um drei Gruppen von Änderungen.
1. Analogie zu andern Wörtern. Hierher gehören Fälle wie Känguru statt Känguruh analog zu Marabu, Kakadu oder rau statt rauh analog zu blau, genau. Diese Fälle sind selten. Man hat sogar Mühe, weitere wirklich häufig verwendete Wörter zu finden, deren Schreibung geändert werden soll (außer rauh gibt es im Kernwortschatz keine Wörter, die auf auh enden; ein Unterschied in der Aussprache zwischen rauhes und blaues ist nicht nachweisbar). Es wird vorgeschlagen, die neuen Schreibungen zuzulassen.
2. Sichtbarmachung von Wortverwandtschaften. Diese Gruppe umfaßt weniger als ein Dutzend Änderungen. Typische Fälle sind Ass statt As wegen Asse; behände statt behende, Bändel, Gämse, Stängel, überschwänglich. Hier sind Unterschiede zu machen. Während gegen Ass und überschwänglich nichts einzuwenden ist, bleibt eine Wiederbelebung etymologischer Bezüge wie bei behände oder Stängel problematisch. Für die meisten „naiven“ Schreiber besteht der Zusammenhang nicht mehr. Folglich sollte man Ass und überschwänglich übernehmen, die anderen Änderungen könnten allenfalls als Nebenvarianten zur Wahl gestellt werden. Für die Einzelfälle ist auf die Wörterliste zu verweisen.
3. Herstellung von Wortverwandtschaften. Etwas zahlreicher sind die Fälle, in denen Bezüge zwischen Wörtern durch Neuschreibungen erst hergestellt werden. Die aufeinander bezogenen Wörter haben etymologisch entweder nichts miteinander zu tun (die berüchtigten volksetymologischen Schreibungen vom Schlage Tollpatsch, Quäntchen, belämmert, schnäuzen) oder sie sind nur weitläufig verwandt wie insbesondere Fremdwortstämme, die zu unterschiedlichen Zeiten und auf unterschiedlichen Wegen ins Deutsche gelangt und unterschiedlich weit integriert worden sind. Beispiele solcher Neuschreibungen sind platzieren, nummerieren, Stuckatur. Einige weitere wie Packet wurden im letzten Moment verhindert.
Die meisten dieser Änderungen, insbesondere die „Volksetymologien“, sind abzulehnen. Bei vielen von ihnen wird der normale Schreiber überhaupt keine Beziehung sehen (etwa zwischen Tolpatsch und toll), andere sind evident falsch (wer schneuzt sich schon durch die „Schnauze“, die Menschen ja eigentlich auch gar nicht haben?). In Einzelfällen, etwa platzieren, nummerieren, könnte man die neuen Schreibungen neben den alten als Nebenvarianten zur Wahl stellen und abwarten, welche sich im allgemeinen Gebrauch durchsetzen. Mit anderen Worten: Eine Änderung wäre nur dann zulässig, wenn sie dem Usus folgte. Die Beweislast läge dann bei denen, die verändern wollen. Es geht aber nicht an, künftigem Usus Vorgaben zu machen. Zu Einzelfällen (etwa Quentchen, Mesner) ist auf die Wörterliste zu verweisen.
4. Neuschreibungen wie Mopp, Tipp und Karamell anstelle von Mop, Tip und Karamel sind abzulehnen. Sie verstoßen gegen die im Deutschen gängige Regel, daß Doppelkonsonantbuchstaben ihre Quelle in der Abfolge von betonter und unbetonter Silbe haben. Die Schreibung Boss mit ss ist korrekt, weil die Pluralform zwei Silben hat (Bosse). Bei Mop und Tip ist das nicht der Fall. Es heißt die Tips, nicht die Tippe.

1.2 Wortstämme

1. ß. Die Ersetzung des ß nach Kurzvokalbuchstaben durch ss ist weder systematisch geboten noch ist sie unproblematisch, was das Schreibenlernen betrifft. Sie führt nachweislich dazu, daß die Schüler dazu neigen, nur noch ss zu schreiben. Es finden sich vermehrt Schreibungen vom Typ Landstrasse, Blumenstrauss, d.h. hier tritt ein neuer Rechtschreibfehler auf. Andererseits ist die Ersetzung des ß durch ss gewissermaßen das Herzstück der Reform, sie ist ihr sichtbarster Bestandteil und im großen und ganzen systematisch. Wer sie akzeptiert, gibt zu erkennen, daß er die Neuregelung nicht grundsätzlich bekämpft. Das Umgekehrte gilt ebenfalls. Im Interesse einer Beilegung des Streites, zugunsten einer Wiederherstellung des „Rechtschreibfriedens“ wird vorge­schlagen, die Änderung zu übernehmen. Es sollte nur eine Ausnahme gemacht werden: in Fällen, wo auf eine mit ss auslaufende Silbe eine solche folgt, die mit s beginnt, wird ß geschrieben (z.B. Mißstand statt Missstand, Streßsituation statt Stresssituation). (vgl. 2)
2. Betttuch. Die Verdreifachung von Konsonantbuchstaben anstelle der bisherigen Beschränkung auf zwei Buchstaben ist nicht nur überflüssig, sondern sie führt auch zu teilweise grotesken Wortbildern (Schlammmasse, Schwimmmeister). Da die Fälle häufiger vorkommen und zum großen Teil das Auge verletzen, sollte diese Regel nicht übernommen werden. (vgl. 4)
3. Rohheit. Die Beibehaltung des h am Ende eines Stammes vor -heit (Jähheit, Rohheit) betrifft weniger als ein halbes Dutzend Wörter. Sie kann ohne größeren Schaden hingenommen werden.
4. geschrien. Noch seltener sind Änderungen, die das Weglassen eines e nach ie oder ee fordern, also jetzt geschrien statt geschrieen. Die Neuschreibung ist analog zu die Knie, die Seen. Sie ist durchaus sinnvoll (genau wie die Ablehnung unnützer Verdrei­fachungen von Konsonanten nach 2.)
5. potenziell/potentiell. Vor Fremdwortendungen wie iell, ial, iös darf künftig mit z und mit t geschrieben werden, wenn eine entsprechende morphologische Basis vorhanden ist. Wegen Potenz und potent also sowohl potenziell als auch potentiell. Gegen diese Regelung ist nichts einzuwenden.

1.3 Bemerkung zur Fremdwortschreibung
Die Neuerungen in der Fremdwortschreibung sind insgesamt weniger dramatisch als häufig angenommen wird. Nicht selten werden der Neuregelung Formen zugeschrieben, die es schon lange gibt (Majonäse, Frisör) oder die sie nicht vorsieht (Filosofie, Fysik oder gar Fysick). Die Polemik hat vieles übertrieben.
Fast durchweg werden Neuschreibungen bei den Fremdwörtern neben den bisher erlaubten eingeführt, d.h. es wird keine der bisher möglichen Schreibungen verboten. Die Änderungen selbst sind überwiegend unproblematisch (Typ Kreme, Panter), wenn auch teilweise willkürlich.
Problematisch bezüglich der Leseaussprache sind teilintegrierte Schreibungen wie Bravur, Ketschup statt der bisher allein möglichen Bravour, Ketchup. Solche Neuerungen können ungewollte Folgen für die Aussprache haben.
Ein Problem von anderer Art stellen die schon erwähnten „Eindeutschungen“ wie Tipp, Mopp, Krepp (für Crêpe) dar. Warum die Reform überhaupt zum Anlaß genommen wird, über die in den Rechtschreibwörterbüchern stets präsente Integrationsbewegung hinaus Schreibungen neu zu regeln, ist nicht bekannt. Manches ist im Zeitalter zunehmender internationaler Begegnungen geradezu kontraproduktiv und sollte sich durch den Respekt gegenüber den anderen Sprachen verbieten (Krepp, Spagetti).

Wir empfehlen, neue Schreibungen nur zu übernehmen, wenn sie nachweislich durch den Schreibgebrauch gerechtfertigt sind. Zur Klärung der Einzelfälle wird auf das Wörterverzeichnis verwiesen.
Ein strukturelles Problem für die Neuregelung der Fremdwortschreibung besteht in der Verallgemeinerung der wenigen im amtlichen Wörterverzeichnis enthaltenen Beispielschreibungen (insgesamt 12.000 Einträge) auf den Gesamtwortschatz eines Rechtschreibwörterbuches (insgesamt 120.000 Einträge). Die Neuregelung gibt keinerlei Auskunft darüber, welche von den Zehntausenden von Fremdwörtern für den Beispielwortschatz herausgegriffen wurden.
Trotz alledem: Das Hauptproblem für eine konsequente „Durchregelung“ der Fremdwortschreibung - die um jeden Preis vermieden werden muß - liegt weniger bei den Buchstaben als bei der Wortgliederung (Getrennt- und Zusammenschreibung, s. 2.2).

2. Wortgliederung
2.1 Silbentrennung
Die wichtigsten Änderungen sind die Trennbarkeit des st (Küs-te) und die Nichttrennbarkeit des ck (Ba-cke). Außerdem hat man erlaubt, daß bei Fremdwörtern Verbindungen von Konsonantbuchstaben mit l, n oder r getrennt werden. Daraus ergeben sich vielzitierte unsinnige Trennungen wie ext-ra, Kast-rat, Lust-ration, Hyd-rant).
Die Trennbarkeit des s-t und die Nichttrennbarkeit von c-k sind ohne weiteres akzeptabel. Dagegen ist die alte Regel zur Trennung der Fremdwörter wieder herzustellen.
Regelungen zur Silbentrennung sind von einiger Bedeutung für die Wörterbuchmacher. Unter ihnen wird vor allem lebhaft darüber diskutiert, ob sämtliche Trennmöglichkeiten anzugeben seien. Die orthographische Norm sollte indes eher weniger Festlegungen zur Silbentrennung enthalten. Je mehr man regelt, desto mehr Problemfälle treten in Erscheinung, die für die Schreib-, teilweise auch für die Lesepraxis so gut wie bedeutungslos sind.

2.2 Getrennt- und Zusammenschreibung
Nur was zusammengeschrieben wird, ist im allgemeinen ein Wort. Was getrennt geschrieben wird, kann eine Wortgruppe sein. Beispielsweise handelt es sich bei der Schreibweise mit Hilfe um eine Wortgruppe aus Präposition und Substantiv, bei der Schreibweise mithilfe um ein Wort. Man muß sich lediglich diesen trivialen Tatbestand vor Augen führen, um zu verstehen, warum es bei der Neuregelung der Getrennt- und Zusammenschreibung besonders viele Probleme gibt.
Die Neuregelung sieht wesentlich mehr Getrenntschreibungen vor, als wir sie bisher hatten, d.h. sie macht in zahlreichen Fällen aus einem Wort zwei Wörter. Ein Wort wie auseinandersetzen verschwindet, wenn nur noch auseinander setzen geschrieben werden darf. Daß man sich nicht unbedingt auseinander setzt, wenn man sich auseinandersetzt, geht dabei verloren. Dieser bedeutsamen Tatsache ist von der Neuregelung nicht genügend Rechnung getragen worden. Noch heute meinen einige ihrer Verfechter, es sei doch zweitrangig, ob man “ein Wort getrennt oder zusammen schreibt”. So ist es dazu gekommen, daß dem Deutschen in der Schrift, damit aber auch im Bewußtsein der Sprechenden mehrere hundert Wörter verloren gehen sollen.
Hinzu kommt, daß manchmal schwer oder gar nicht zu entscheiden ist, ob etwas nur ein Wort oder nur eine Wortgruppe oder beides sein kann. Deshalb hat es in der bisherigen Rechtschreibung gerade hier viele Freiheiten gegeben, d.h. Unentschiedenheiten, scheinbare Inkonsequenzen und darüber hinaus große Bereiche ohne Regelung.
Die Neuregelung möchte diese Bereiche eingrenzen, um „Schreibunsicherheiten“ zu beseitigen. Den „Reformern“ ist nicht oder zu spät klar geworden, daß es sich nicht um unklare Regeln respektive Schreibunsicherheiten, sondern um sprachliche Varianten oder aber um die Möglichkeit eines differenzierten Wortgebrauchs handelt.
Das Nebeneinander von einem Wort (Zusammenschreibung) und zwei Wörtern (Getrenntschreibung) kann unterschiedliche Ursachen haben. So kommt es vor, daß Wörter, die im laufenden Text häufig gemeinsam und in derselben Abfolge auftreten, zu einem Wort zusammenwachsen. Man spricht dann von ‘Univerbierung‘. In der Phase des Zusammenwachsens sollten beide Schreibweisen zugelassen werden. Bekannte Beispiele sind Fügungen wie infrage/in Frage, zutage/zu Tage und komplexe Präpositionen wie anstatt/an Statt, aufgrund/auf Grund. Die Neuregelung bezieht hier einige Einheiten mehr ein, u.a. auch die Konjunktion sodass neben so dass. Das ist akzeptabel.
Anders zu bewerten sind Fälle, in denen die Neuregelung versucht, im Gang befindliche Prozesse der Univerbierung aufzuhalten oder zurückzudrehen wie bei so genannt (künftig nicht mehr sogenannt) oder bei Bildungen mit anheim wie anheim fallen, anheim stellen usw. Diese sind aber analog zu fehlgehen, feilbieten respektive bereithalten, festsetzen zu behandeln. Auch wenn der Bestandteil anheim, wie es das neue Regelwerk ausdrückt, selbst „zusammengesetzt ist“, muß die Zusammenschreibung von anheimfallen erlaubt sein.
Einen in manchem ähnlichen Fall, den die Neuregelung gerade umgekehrt löst, stellen Formen mit irgend dar. Sie werden alle zu einer Form erklärt (irgendwer, irgendwie genauso wie irgendwelche und irgendjemand). Diese Lösung ist radikal, aber übersichtlich. Man sollte sie akzeptieren.
Von anderer Art als Univerbierung sind Wortbildungsprozesse. Zusammensetzungen wie Fensterrahmen oder dunkelrot kommen nicht dadurch zustande, daß ihre Bestandteile allmählich zusammenwachsen, sondern aus den Bestandteilen werden nach festen Regeln neue Wörter geformt.
Die Neuregelung möchte nun durch einen Zwang zur Getrenntschreibung Hunderte von Wörtern ausschließen, die nach solchen Wortbildungsregeln gebildet sind oder gebildet werden können. Ausgeschlossen werden also nicht nur vorhandene, sondern auch mög­liche Wörter. Die kritischen Fälle betreffen vor allem Zusammensetzungen, deren zweiter Bestandteil ein Verbstamm ist. Paradebeispiele sind die folgenden Typen:
a) Verb+Verb spazierengehen, kennenlernen, stehenbleiben, sitzenlassen
b) Adj+Verb schwerfallen, festhalten, freisprechen, blankputzen
c) Subst+Part ratsuchend, fleischfressend, eisenverarbeitend, notleidend
d) Subst+Verb eislaufen, kopfstehen, maßhalten, nottun
Die in a)-d) angeführten und vergleichbare Wörter soll es in Zukunft, wenn es nach den „Reformern“ geht, nicht mehr geben. Das kann auf keinen Fall hingenommen werden. Wir schlagen vor, eindeutig lexikalisierte Wörter (wie die oben zu a)-d) aufgeführten, aber auch etwa leidtun u.v.a.) ins Wörterverzeichnis aufzunehmen und über alle anderen nichts auszusagen. Der Schreiber muß in Zweifelsfällen selbst wissen, was er meint und wie er das am besten schreibt.

3. Groß- und Kleinschreibung
Bei der Groß- und Kleinschreibung liegen die Dinge in mancher Hinsicht ähnlich wie bei der Getrennt- und Zusammenschreibung, sie hängen ja teilweise auch unmittelbar mit diesen zusammen.
Abzulehnen ist die Verfügung, wonach zwar das Anredepronomen Sie samt dem Possessivum Ihr groß geschrieben werden soll, dagegen Du, Ihr (2.Ps Pl), Dein, Euer klein. Diese Änderung stellt einen so unnötigen und willkürlichen Eingriff in die im Deutschen gültige Sprach- und Höflichkeitspraxis dar, daß sie schon aus diesem Grund verworfen werden sollte.
Die weitaus meisten Änderungen betreffen die Großschreibung der Substantive. Nachdem die sogenannte gemäßigte Kleinschreibung nicht durchsetzbar war, hat man versucht, mit teilweise mechanischen Regelungen zu einfachen Lösungen zu kommen.
1. Zeitangaben. Begrenzt im Umfang ist die Großschreibung des zweiten Bestandteils von Zeitangaben wie heute Morgen, gestern Nachmittag. Der alten Regelung lag die Fehlanalyse zugrunde, es handle sich bei diesem Bestandteil um ein Adverb. Zwingend ist die Neuregelung nicht, weil Großschreibung der besondere, Kleinschreibung der allgemeine Fall ist. Wenn man nicht genau weiß, ob es sich um ein Substantiv handelt, ist klein zu schreiben. Also sollte man es auch in diesen Fällen tun.
2. Zusammengesetzte Fremdwörter. In Formen wie Corned Beef, Ultima Ratio soll der zweite Bestandteil künftig groß geschrieben werden, wenn er – und sei es nur in der Herkunftssprache – ein Substantiv ist. Es gibt überhaupt keinen Anlaß für die Abschaffung von Schreibungen wie Corned beef, Ultima ratio. Auf völlig ungeklärte Weise ist außerdem eine Reihe von Wörtern durch Zusammenschreibung von Adjektiv+Substantiv frei erfunden worden, z.B. Bigbusiness, Blackpower, Freejazz. Solche Schreibungen sind abzulehnen.
3. Substantivierte Adjektive. Nicht akzeptabel ist die vorgesehene Großschreibung von Ausdrücken wie im allgemeinen, im wesentlichen, im folgenden, des weiteren. Zumindest zweifelhaft ist der Zwang zur Großschreibung bei Indefinita wie Verschiedenes, Einzelnes, wenn gleichzeitig die Kleinschreibung in das wenige, der eine vorgeschrieben wird. Wir sollen also schreiben die eine und Einzige sowie weniges, aber Verschiedenes. Hier müssen Freiheiten für Analogieschreibungen wie die Eine und Einzige oder weniges, aber verschiedenes erlaubt sein. Da die Abgrenzung von Pronomina und Adjektiven dieser Art schwierig ist, sollten generell mehr Freiheiten eingeräumt werden.
4. goethesches Gedicht. Früher wurde Goethesches Gedicht oder Goethisches Gedicht geschrieben. Jetzt soll es heißen goethesches/goethisches Gedicht. Großschreibung ist nur mit Apostroph erlaubt, also Goethe’sches Gedicht. Die von der Neuregelung vorgesehene Kleinschreibung kann akzeptiert werden, denn in der Tat handelt es sich bei goethesch wie bei goethisch um echte Adjektive. Völlig unverständlich ist Goethe’sch. Die Verwendung des Apostroph an dieser Stelle widerspricht den Regeln, denn hier wird nichts „ausgelassen“. Man braucht sich nicht zu wundern, wenn man auf diese Weise Schreibungen wie frischer Lach’s aus Helga’s Stehimbis’s den Weg bereitet.

4. Zeichensetzung
Die Änderungen in der Zeichensetzung sind mit Ausnahme des Kommas bei Infinitiv- und Partizipialgruppen nicht von großem Interesse, wenngleich von einer bisweilen nieder­schmetternden Mechanik, z.B. „Hast du gefragt: „Sind sie unglücklich?“?“.
Das Komma bei Infinitivgruppen (und entsprechend Partizipialgruppen) ist freigestellt.Es darf immer gesetzt werden, z.B. auch in Das Wetter droht, schlecht zu werden. Die Neuregelung führt nach Auskunft vieler Lehrer absehbar auch zum Zusammenbruch des Kommas bei Nebensätzen. Vorzuziehen wäre eine einfache Regelung, die die Kommata bei Infinitivgruppen so verteilt:
a) Das Wetter droht schlecht zu werden kein Komma
b) Franz glaubt zu träumen kein Komma
c) Immer zu verlieren (,) mißfällt ihr Komma fakultativ
d) Helga behauptet, alles getan zu haben Komma empfohlen
e) Paula lebt, ohne/um/anstatt zu arbeiten Komma obligatorisch

Die Fälle d) und e) sind die häufigsten. Die Hauptregel würde ungefähr lauten:
„Adverbiale Infinitivgruppen werden durch Komma abgetrennt, sonst ist das Komma in der Regel frei.“ Mit zwei weiteren Sätzen könnte man das Komma in a und b ausschließen.




Damit nahm das Unglück seinen Lauf, und es ist nur folgerichtig, daß wir 2006 die Zehetmair-Eisenbergsche Orthographie bekommen haben.

(Ich habe den unglücklichen zweiten Vorschlag unter dem Titel "Angesichts der Machtverhältnisse" kommentiert, auch in "Regelungsgewalt". Dieser Titel ist das Schlagwort, unter dem man leider die gesamte weitere Entwicklung sehen muß. Die Machtverhältnisse und das Geldverdienen sind seither der leitende Gesichtspunkt.)



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Kommentare zu »Selbstlähmung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung«
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Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 26.05.2009 um 15.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#14511

Das Schaedersche "Mogeldiktat" lautet wie folgt:
»Ein Alptraum. Gestern nacht hatte ich einen schrecklichen Traum. Nach den Schularbeiten wollte ich radfahren, als plötzlich ein Riese vor mir im Zimmer stand. Er stellte zehn Becher Joghurt vor mir auf den Tisch und forderte mich auf, sie zu essen. Anschließend sollte ich die Becher numerieren und aufeinanderstapeln.Kaum hatte ich den ersten Becher ausgelöffelt, da standen zwanzig neue auf dem Tisch. Und so ging es weiter, bis das ganze Zimmer mit Joghurtbechern angefüllt war. Ich schrie vor Angst und wachte auf. Vor mir stand meine Mutter, beruhigte mich und meinte, daß es das beste wäre, diesen Traum schnell zu vergessen.«
(Theodor Ickler: Regelungsgewalt, S. 30f, www.vernuenftig-schreiben.de/dokumente/ickler_regelungsgewalt.pdf)
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 26.05.2009 um 15.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#14512

Vielen Dank für die Bereitstellung dieses doch sehr wichtigen Dokuments, Herr Wagner. Da ich den Text bisher nicht kannte, hatte ich nur immer nach "Schaeder" oder "Diktat" gesucht und bin beim Durchkämmen der vielen Treffer schier verzweifelt. Aber nun konnte ich gezielt nach dem seltenen Wort "Joghurtbecher" suchen, wobei ich auch tatsächlich fündig wurde.

Daher ist es nur recht, an Herrn Jochems zu erinnern, der diesen Text hier zuerst am 8. Juni 2007 eingestellt hat. (Lieber Herr Wagner, bitte sehen Sie mir diesen Gerechtigkeitswahn nach!)

(Vielen Dank für den Hinweis auf Herrn Jochems' Eintrag, Herr Höher! J.-M. Wagner)
 
 

Kommentar von B.Troffen, verfaßt am 18.05.2012 um 09.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#20737

Felicitas Hoppe sagte vorgestern im Deutschlandfunk, wenn sie an Deutschland denke, dann komme ihr nur zu oft die Rechtschreibreform in den Sinn. Das sei für sie das deutsche Problem oder Dilemma an sich. Oder so ähnlich, ich erinnere das nicht wörtlich. Die Interviewerin nahm das nicht auf, auch nicht eine weitere Äußerung am Schluß: es sei nicht gleichgültig, wie Wörter verschriftet würden.

Auch die Akademie wird wohl weiter kein Aufhebens von solchen Aussagen ihrer Preisträgerin machen, von den Printmedien nicht zu reden, dort findet nichts davon (laut Google News) irgendeinen Widerhall. Das zeigt wohl, wie recht sie doch hat...
Leider finde ich online beim Deutschlandfunk keine Aufzeichnung des Gesprächs.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 30.10.2012 um 19.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#21814

Felicitas Hoppe erhält den Büchnerpreis 2012.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.12.2014 um 16.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#27530

Eigentlich habe ich mit der Rechtschreibreform abgeschlossen. Ich war nicht dafür. Aber ich war auch nicht so berserkerhaft blind dagegen wie einige, wie zum Beispiel – aber lassen wir das ... Vor allem freue ich mich darüber, dass die „Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung“ mit unserer Sprachkommission - und hier ganz besonders mit und durch Peter Eisenberg - nicht Weniges zur Zurechtrückung oder zum Rückbau jener Reform beigetragen hat. Dankbar bin ich auch einem der Präsidenten der Kultusministerkonferenz, dem Minister Georg Gölter aus Rheinland-Pfalz, dafür, dass unter ihm (das war schon 89/90) die vorgeschlagene radikale Kleinschreibung abgelehnt wurde, die ja vorsah, dass alles, außer Wörter am Satzanfang und Eigennamen, kleingeschrieben werden sollte (man nannte dies verhüllend „gemäßigte Kleinschreibung“ – überhaupt: es wurde da viel getrixt und geholzt, nicht nur sprachlich, sondern auch im Persönlichen). Auch dem bayerischen Staatsminister für „Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst“ Hans Zehetmair bin ich dankbar, denn er kam nach Abschluss der Reform zu dem bemerkenswerten Satz: "Man wird uns einmal fragen: Was habt ihr da eigentlich gemacht?" Richtig, man fragt es sich schon seit einiger Zeit. Seit 2004, nach seinem Rückzug aus der Politik, ist der verdiente Mann Vorsitzender des von der Kultusministerkonferenz eingerichteten Rechtschreibrats. Da aber hat er, wie man hört, nur noch ein Interesse: Ruhe, Ruhe, Ruhe. Auch da könnte man ihn einmal fragen: Was haben Sie als Vorsitzender da eigentlich gemacht? Kurz, ich habe mit dieser Reform innerlich abgeschlossen und ärgere mich kaum mehr über diesen Eingriff in unsere Sprache.
(Hans-Martin Gauger - http://www.deutscheakademie.de/sprachkritik/2014/10/20/grauel/)

Schade, daß er die Berserker nicht nennt. Zehetmair hat übrigens gesagt: "Was habt ihr denn dann gestellt?", und zwar nicht nach Abschluß der Reform, sondern 1995 im SPIEGEL-Gespräch, und dann ging es erst richtig los.
Wer sich nie aufgeregt hat, bei dem wirkt die Abgeklärtheit nicht so überzeugend. Gauger regt sich aus einem Grund, den man nie erraten wird, darüber auf, daß man nun "Gräuel" schreiben müsse (man muß aber gar nicht). Weil ich Herrn Gauger sehr schätze, habe ich immer wieder mal versucht, ihn zu stärkerem Protest anzustacheln, aber er ist ein zu friedfertiger Mensch. So hat er unwillkürlich zur schafsmäßigen Ergebenheit der DASD beigetragen, die froh war, daß Eisenberg es irgendwie schon machen wird. Der ist denn auch schuld am Fortdauern der Misere, Zehetmair ist ihm mit Recht dankbar.
Interessant ist, was Gauger über das Gespann Stickel/Augst berichtet.
 
 

Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 11.12.2014 um 06.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#27535

"getrixt"? Ist Herr Gauger etwa unbeabsichtigt ein spätes Opfer Augsts geworden?
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 11.12.2014 um 16.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#27539

Nein, er kann nicht schreiben, das ist alles. Nein, nicht ganz: Er badet auch gerne lau.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.03.2017 um 13.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#34670

Frau Schmoll hat mit Eisenberg gesprochen (FAZ 9.3.17). Er hat für die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung einen neuen Kommentar zur Neuregelung verfaßt. Den will ich mir erst noch ansehen, bevor ich etwas zu den krausen Ansichten sage, die im FAZ-Bericht zum Ausdruck kommen. Jedenfalls ist Eisenberg weiterhin damit beschäftigt, die Reform zu retten, wie von Anfang an.

Der Untertitel "Warum auch zwanzig Jahre nach der Rechtschreibreform keine Korrektur geplant ist" führt in die Irre, denn es hat ja zwei große und mehrere kleine Korrekturen gegeben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.03.2017 um 03.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#34671

Eisenberg rügt in der FAZ, daß die Reformer auch die Kleinschreibung regeln wollen, obwohl im Deutschen doch nur die Großschreibung regelungsbedürftig sei. Nun, wenn deutlich ausgesprochen wäre, daß Kleinschreibung der Normalfall ist, wäre das theoretisch richtig. Aber der Duden, auf den es letzten Endes zurückgeht, ist keine theoretische Abhandlung, sondern antwortet auf die Zweifel seiner Benutzer, und in diesem Sinn haben auch die Reformer weitergemacht. Wie weltfremd Eisenberg denkt, zeigt sich an seiner Aussage, die alten Sprachen zum Beispiel „hätte ohnehin jeder so geschrieben, eine Regelung erscheint überflüssig.“ Weit gefehlt! Entgegen der Schulorthographie gibt es einen unwiderstehlichen Drang, die Alten Sprachen groß zu schreiben. Die Auszeichnung der Nominationsstereotype durch Großschreibung ist zwar nicht abschließend regelbar, aber tief in der Schreibtradition verwurzelt. Darum irrt Eisenberg auch, wenn er zur Großschreibung von Titeln, Amtsbezeichnungen usw. sagt: „Mit Sprache hat das nichts zu tun, es handelt sich eher um eine schöne Demonstration unseres Wertesystems.“ Die Großschreibung von Honorifica ist nur ein kleiner Teil und Spezialfall des Gesamtbereichs.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.03.2017 um 04.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#34672

Weil es schon ein Weilchen zurückliegt, will ich noch einmal an die Strategie des Reformvermarkters Eisenberg erinnern:

http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=615#7612

Man vergleiche, was gleichzeitig die Reformer Augst und Schaeder schrieben:

„Die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung ist eine national und international beschlossene Sache.“ (SZ 14.12.1996)

In diesem Punkt waren die Herren also einer Meinung. Wie wichtig Eisenberg die Durchsetzung der Reform war, wurde auch bei der Mannheimer Anhörung (31.1.1998) deutlich: „Ein Kippen der Rechtschreibreform wäre eine kulturpolitische Katastrophe." (Alles lange vor dem Inkrafttreten!)

In der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung interessiert sich niemand für Rechtschreibung, so daß Eisenberg hier ungestört bleibt.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 10.03.2017 um 07.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#34676

Schrifthistorisch sind die Majuskeln der Normalfall, und auch Kinder lernen als erstes die Majuskeln. Es ist bloß eine regeltechnische Konvention, die Großschreibung als zu beschreibende Ausnahme anzusehen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.03.2017 um 08.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#34677

So kann man es sehen. Allerdings gibt es, wo man nur eine einzige Buchstabenart kennt, weder Majuskeln noch Minuskeln. Außerdem geht es ja nicht um das Schreiben in Klein- oder Großbuchstaben, sondern um die Anfangsbuchstaben.
Der Rest ist regeltechnisch, aber stark motiviert. Es dürfte schwer fallen, dem Deutschen Großschreibung zu unterstellen und dann die Fälle zu definieren, in denen ausnahmsweise klein geschrieben wird.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.03.2017 um 08.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#34735

Von Eisenbergs neuem Buch sollte man nicht zuviel erwarten. Er hebt mehrmals hervor, daß er das amtliche Regelwerk inhaltlich nicht antasten, sondern nur die Formulierung verbessern wolle.

Das Buch enthält sehr viele Druckfehler (die mit der zweiten Zeile beginnen) und andere Versehen. Das Relativpronomen wird gelegentlich dass geschrieben. Eisenberg schreibt zwar reformiert, aber auch als nächstes, ersteres, plazieren. Er schreibt durchgehend phonografisch, aber Graphematik. Er trennt Buchdruck-erduden. Oft fehlen Wörter, andere sind überzählig, die Kongruenz stimmt manchmal nicht. Es ist schwer zu begreifen bei so wenigen Seiten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.03.2017 um 15.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#34737

Eisenberg hält gewährleisten und Gewähr leisten für Schreibvarianten (2017:77). Das geht auf das amtliche Regelwerk zurück:

§ 33 E: "In manchen Fällen stehen Zusammensetzung und Wortgruppe nebeneinander, zum Beispiel:
(..) gewährleisten/ Gewähr leisten (sie leistet Gewähr)"

Amtl. Wvz.:

"Gewähr [leisten (sie leistet Gewähr), gewährleisten § 33 E]"


Duden online zu gewährleisten:

"Zusammenschreibung bei Verwendung mit Akkusativobjekt:

ich gewährleiste vollen Versicherungsschutz

wir haben einen glatten Übergang gewährleistet

um die Sicherheit zu gewährleisten

wir gewährleisten, dass …

Getrenntschreibung bei Anschluss mit »für«:

Ich leiste Gewähr für den Versicherungsschutz

um für die Sicherheit Gewähr zu leisten

wir leisten außerdem Gewähr dafür, dass …"

Im Rechtschreibduden (25. Aufl.) steht dasselbe unter

"gewährleisten/Gewähr leisten"

- als ob es Schreibvarianten wären und nicht ganz verschiedene Konstruktionen.

Der Unsinn geht auf die Reform von 1996 zurück, aber damals hat der Duden noch nicht mitgemacht, sondern die knappe, aber korrekte Angabe der früheren Ausgaben weitergeführt.

Eisenberg vertritt auch weiterhin uneingeschränkt die Lehre von den „trennbaren Verben“. Dazu braucht nichts mehr gesagt zu werden. Er schreibt auch ganz wie früher:
„Wenn man etwas richtigstellt, dann wird es dadurch nicht richtig, aber es ist richtiggestellt. Wenn man jemanden krankschreibt, dann ist er krankgeschrieben, aber krank wird er dadurch nicht.“ (74)
Dazu vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=764#11588

Alternativen wie schwerwiegend/schwer wiegend, aufsehenerregend/Aufsehen erregend behandelt Eisenberg wie frei wählbare Varianten, ohne auf die Komparation einzugehen. Das haben aber sogar die Reformer selbst längst als notwendig erkannt.

„Großschreibung im Wortinneren oder am Wortende wie bei Produktbezeichnungen (Eplus, GermeXX, BahnCard) oder Personenbezeichnungen (StudentInnen, IntensivtäterInnen) sind [!] nicht Bestandteil der orthografischen Norm.“ (85)
Das ist fast wortgleich die Auskunft des Rechtschreibrates. Beide drücken sich mit der seltsam umständlichen Formulierung um eine Entscheidung. Wenn eine Schreibweise nicht im Regelwerk vorgesehen ist, dann ist sie eben falsch. Wo überhaupt Großbuchstaben stehen können, bei grundsätzlicher Kleinschreibung, ist doch eindeutig festgelegt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.03.2017 um 10.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#34757

Eisenberg schreibt in seinem neuen Buch:

„Im Jahr 2006 wurde mit dem Kompromissvorschlag der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung (Akademie 2003) ein erheblicher Teil der neuen Orthografie in Richtung der alten rückgebaut.“

Aus diesem Annlaß setze ich noch einmal hierher, was ich 2003 geschrieben habe (ohne Kursivierung):


Schlecht eingeschänkt

Zum „Kompromißvorschlag“ der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung

von Theodor Ickler

(auch in Süddeutsche Zeitung 28. 3. 2003: „Schwer erträgliche Unsinnigkeit“ )

Für die Rechtschreibreform hat die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, seit sie sich – spät genug – zu Wort meldete, immer nur schärfste Verurteilung übrig gehabt: „gravierende Mängel, evidente Dummheiten, in sich vielfach widersprüchlich, wenig sinnvoll, willkürliche Eingriffe; schwer erträgliche Unsinnigkeit, von Anfang an eine Mißgeburt; gehört auf den Schrotthaufen der Geschichte, steht mit der Grammatik auf Kriegsfuß“ usw. – das sind nur einige ihrer Urteile aus den letzten sechs Jahren. (Wenn Christian Meier im Vorwort die „gelegentlich arg übertriebene Polemik“ kritisiert, zu der die Reformdiskussion geführt habe, vergißt er wohl, daß die stärksten Äußerungen von ihm selbst stammen; unbegründet waren sie nicht.) Die Akademie wußte auch, was man zur Lösung der mutwillig heraufbeschworenen Rechtschreibkrise tun sollte: die bisherige Rechtschreibung beibehalten und lediglich einige Haarspaltereien des Duden „auskämmen“. So ihr Beschluß im Frühjahr 1997. Um so überraschter war die Fachwelt, als die Akademie im Jahre 1999, offenbar unter dem Einfluß ihres „frisch gebackenen“ Mitglieds Peter Eisenberg, mit einem Kompromißvorschlag hervortrat, der die verachtete Neuregelung als Grundlage einer Reform der Reform akzeptierte. „Angesichts der Machtverhältnisse“, wie es hieß, wollte man sogar die ss-Regelung, das rote Tuch der Reformkritiker, hinnehmen, obwohl man ihre Minderwertigkeit und Fehlerträchtigkeit durchaus eingestand. „Wer sie akzeptiert, gibt zu erkennen, daß er die Neuregelung nicht grundsätzlich bekämpft.“ Nur wenige nahmen damals den erstaunlichen Kniefall vor dem so klar erkannten Geßlerhut zur Kenntnis, denn der an sich belanglose Kompromißvorschlag fand, wie Akademie-Präsident Meier später beklagte, so gut wie keine Beachtung in der Öffentlichkeit.

Damals fehlte auch noch ein Wörterverzeichnis; es sollte „demnächst“ erscheinen. Daraus wurden vier Jahre. Nun legt die Akademie fast denselben Vorschlag mit einem 110 Seiten langen Wörterverzeichnis aufs neue vor. Es zeigt in vier Spalten die alte Dudennorm, die Reformschreibung, die Schreibweise des teilweise rückgebauten Duden von 2000 und den Akademievorschlag. Ein Regelwerk fehlt nach wie vor, so daß viele Schreibweisen willkürlich und unlernbar wirken. Man soll schreiben im klaren sein, aber im Unklaren sein; auf Deutsch, aber auf gut deutsch; im guten wie im bösen, aber Gleich und Gleich gesellt sich gern. Bei kennenlernen und spazierengehen soll nur die Zusammenschreibung erlaubt sein, bei sitzenbleiben, laufenlassen auch die Getrenntschreibung; schätzen lernen und lieben lernen wiederum sollen nur getrennt geschrieben werden. Bei im Trüben fischen wird Großschreibung verordnet, bei den kürzeren ziehen, auf dem laufenden sein, ins reine kommen Kleinschreibung. Wer würde darauf kommen, daß jetzt Herz Ass geschrieben werden soll, gleich weit entfernt von alter wie neuer Rechtschreibung? Der Vorschlag kennt nichtssagend und nichts sagend, aber nur vielsagend. Solche Inkonsequenzen finden sich in großer Zahl. funkensprühend, staatenbildend, sporenbildend stehen als Varianten neben Funken sprühend, Staaten bildend und Sporen bildend; sie sind aber keineswegs gleichbedeutend, denn man darf nicht, wie die Reformer, Pluralzeichen und Fugenelement verwechseln. Das gilt für zahllose weitere Fälle.

Die synoptischen Listen könnten nützlich sein, wenn sie nicht so erstaunlich fehlerhaft wären. Dem alten Duden werden zum Beispiel folgende Schreibweisen unterstellt: leidtun; aus schwarz Weiß machen; das nächstbeste, was sich ihm bietet; am ersten des Monats; Chop-Suey; Boat-People; Halt rufen; ein völlig neubearbeitetes Werk; sich taubstellen. All dies ist falsch. Cevapcici stand so nicht im Duden, ist aber auch nach der Neuregelung nicht die einzige Schreibweise, und die von der Akademie angebotene mit ihren drei Hatscheks ist erst recht abwegig. jung und alt war gerade nicht die einzige vom Duden vorgesehene Schreibweise. Der angebliche Dudeneintrag ein großer mitleiderregender Fall ist frei erfunden und außerdem sinnwidrig; offenbar sollte er eigentlich zeigen, daß unter gewissen Umständen Getrenntschreibung eintreten muß: ein großes Mitleid erregender Fall. Stop war keineswegs die einzige Schreibweise des Duden, und die Akademie fällt noch dahinter zurück, indem sie die Schreibung Stopp völlig beseitigt. Ähnliche Unsauberkeiten finden sich fast auf jeder Seite.

Auch die Neuregelung wird nicht korrekt dargestellt. Sie schreibt ausdrücklich nochmal vor (§ 55), nicht noch mal, wie Eisenberg annimmt. Die Neuregelung kennt nicht nur Tausende von Menschen, sondern trotz des offensichtlich substantivischen Charakters auch die Kleinschreibung (ähnlich problematisch verhalten sich hunderte und dutzende). Es trifft einfach nicht zu, daß die Neuregelung bei zufriedenstellend noch die herkömmliche Zusammenschreibung zuließe. zeitsparend steht zwar nicht im amtlichen Wörterverzeichnis, ist aber nach den amtlichen Regeln ausgeschlossen, so daß dieser Eintrag ebenfalls irrig ist. alles in Allem ist in der amtlichen Neuregelung nicht vorgesehen, einschänken erst recht nicht. Man fragt sich, wie es zu derart krassen Irrtümern kommen konnte. Aus den Vorbemerkungen zur Liste könnte man schließen, daß gar nicht die amtliche Neuregelung, sondern deren Auslegung durch den Duden 1996 als „Neuregelung“ ausgegeben wird, was zwar beim Duden-Autor Eisenberg verständlich, aber doch grob irreführend wäre. (Nachtrag: Der Beitrag P. Eisenbergs in der FAZ vom 28.3.2003 bestätigt, daß die Akademie tatsächlich die Neuregelung und den Duden von 1996 gleichsetzt, was selbstverständlich unzulässig ist und auch von der Rechtschreibkommission schon vor Jahren zurückgewiesen wurde.) Bezeichnenderweise wird auch die Unterscheidung von Haupt- und Nebenvarianten, auf die die amtliche Regelung so großen Wert legt, vollkommen ignoriert.

Der Akademie-Vorschlag selbst wirft mehr Fragen auf, als er beantwortet. Noch 1999 lehnte die Akademie die Großschreibung in heute Abend usw. strikt ab; jetzt soll sie als einzige zugelassen werden, obwohl sie in den Augen der Akademie weiterhin die schlechtere ist. Es trifft auch nicht zu, daß die Kleinschreibung auf der möglicherweise irrigen Ansicht der Dudenredaktion beruht, es handele sich um ein Adverb; sie hat sich unabhängig vom Duden so entwickelt. 1999 hatte Eisenberg noch ganz richtig gesagt, wenn der substantivische Charakter nicht feststehe, müsse klein geschrieben werden. Geradezu schockierend wirkt der Vorschlag, die Anredewörter Du, Dein, Ihr usw. nicht nur in Briefen, sondern immer groß zu schreiben – wie es manche Zeitungen aufgrund einer fehlerhaften dpa-Liste schon jetzt tun. Nur in mit du anreden, auf du und du soll klein geschrieben werden; hier endet also die geplante Gleichbehandlung von Du und Sie. In der Einleitung erklärt Eisenberg die neuen Großschreibungen im Allgemeinen, im Folgenden und im Wesentlichen für „nicht akzeptabel“, aber im Wörterverzeichnis werden alle drei ausdrücklich angeboten, und Eisenberg selbst schreibt das Folgende ebenfalls groß (S. 23). In der Einleitung wird der Eintrag 8fach/8-fach besprochen; im Wörterverzeichnis existiert er aber gar nicht, und die amtliche Regelung sieht hier auch keinen Bindestrich vor, im Gegensatz zum Entwurf von 1994, an den Eisenberg sich hier vielleicht erinnert.

Die neue Kleinschreibung der goetheschen Gedichte hält Eisenberg für begründet, weil es sich um ein „echtes Adjektiv“ handele, aber das Schwarze Brett und die Erste Hilfe will er wie bisher groß schreiben, obwohl ebenfalls echte Adjektive vorliegen; in beiden Fällen gibt es sehr gute, wenn auch verschiedene Gründe, bei der Großschreibung zu bleiben. Am Schluß spricht sich aber auch Eisenberg für die Beibehaltung der bisherigen Unterscheidung aus: goethesches Gedicht (nach Art Goethes) vs. Goethesches Gedicht (von Goethe). Den neuen Apostroph lehnt er mit Recht ab.

Ganz inkonsequent verfährt Eisenberg bei Wörtern wie diensthabend. Wenn man Dienst habend vorsieht, muß man auch die reguläre Substantivierung Dienst Habende zulassen; das geschieht aber nicht, während Rat Suchende usw. sehr wohl verzeichnet sind. Zu Dutzenden werden Alternativschreibungen wie notleidend und Not leidend, hilfesuchend und Hilfe suchend angeführt, als seien sie ohne weiteres austauschbar. Da es kein Regelwerk gibt, vermißt man einen Hinweis auf den zumindest stilistischen Unterschied. Die Segen bringende Weihnachtszeit wirkt klumpig, weil das erweiterte Partizip im Deutschen stilistisch markiert ist. Leider fehlen die vielzitierten Leid Tragenden, so daß man nicht weiß, wie weit die Akademie auch diesen Unfug mitmachen will. Eisenberg äußert sich auch nicht zu der sehr problematischen Reformschreibung Gefahr drohend. Es ist nicht einzusehen, warum für alle Verben mit -einander- (sogar zueinanderpassen) die Zusammenschreibung nur fakultativ gelten soll, für ineinandergreifen aber obligatorisch. Die Schreibung von Verben mit dem Zusatz wieder ist so undurchsichtig wie in der amtlichen Neuregelung. Wir finden Einträge wie wiederaufnehmen/wieder aufnehmen, aber nur wieder einsetzen. Da nur wenige Beispiele angeführt werden, bleibt unklar, wie mit wiederherstellen usw. zu verfahren ist, die in den neuen Wörterbüchern sehr unterschiedlich behandelt werden.

Das Bekenntnis zum „Usus“ bleibt folgenlos. Die Akademie hat es nicht für nötig gehalten, den tatsächlichen, gewachsenen Schreibbrauch zu untersuchen. Auch ist es nicht möglich, durch Korrekturen an der Neuregelung zu einer besseren Darstellung der bisherigen Regeln zu gelangen, denn die Neuregelung stellt in zentralen Bereichen das bisher Geltende geradezu auf den Kopf. Es macht dennoch der Akademie nichts aus, das übliche insonderheit zu verbannen und nur dem archaischen in Sonderheit Bleiberecht zu gewähren; allerdings ist das Wörterverzeichnis hier widersprüchlich, denn unter insonderheit läßt es die bisherige Schreibweise doch wieder zu. Sehr bedauerlich ist, daß die Akademie die äußerst nützliche Unterscheidung zwischen der zweite (beim Abzählen) und der Zweite (auf dem Siegertreppchen) zugunsten einheitlicher Großschreibung abschaffen will. Sie weist zwar grammatisch falsches Pleite gehen und Diät leben zurück, behält aber aus unerfindlichen Gründen das ebenso unsinnige Vabanque spielen bei, als handele es sich um ein Spiel wie Roulette. Überraschenderweise soll die Kleinschreibung nicht nur für pleite gehen gelten, wie es notwendig ist, sondern auch für pleite machen. Mit grammatisch fehlerhaften Neuschreibungen wie Leid tun, Recht haben und Not tun räumt Eisenberg auf, aber es ist nicht nachvollziehbar, daß er nur leidtun und nottun (aber recht haben) zulassen will, entgegen der bisherigen Norm. Wenn irgendwo, wären hier Varianten zuzulassen.

Das unschuldige h in rauh muß dran glauben (Raureif usw.), und zwar weil blau oder genau auch nicht mit h geschrieben werden. Allerdings ist das h in rauh etymologisch berechtigt und stellt den Zusammenhang mit Rauchwaren (Pelz) her. Eine wirkliche Sprachakademie würde mit solchen Dingen sensibler umgehen. - Im übrigen werden die „Etymogeleien“ der amtlichen Neuregelung erfreulicherweise abgelehnt; einbläuen, Gämse, Tollpatsch, Stängel, schnäuzen und Zierrat bleiben uns also erspart, aber die Schneewächte wird zur Wechte, weil die reformwilligen Oberlehrer herausgefunden haben, daß sie nicht von wachen abgeleitet ist. Die unerhört schwierige Forderung, bei Fremdwörtern die Wortart in der Ausgangssprache zu berücksichtigen, wird seltsamerweise übernommen: Casus Belli, Facultas Docendi, Dernier Cri, Dolce Vita, Agent Provocateur. Warum werden dann aber die Adjektive hier nicht klein geschrieben? Die Neuregelung führt dazu, daß die vielen Entlehnungen mit einer ins Närrische vermehrten Großschreibung einhergehen. „Auch diese Regelung ist problematisch. Möglicherweise führt sie aber zu größerer Einheitlichkeit bei der Fremdwortschreibung und sollte trotz Bedenken akzeptiert werden.“ 1999 wurde sie noch strikt abgelehnt, und neue Argumente sind nicht aufgetaucht.

Wie schwer die Neuregelung durchzuführen ist, zeigt sich nicht nur an Sprachen, die kaum (noch) gelernt werden: Herpes Zoster (nicht angeführt), Nasi-goreng (das der Regel entspricht), Chop-suey („falsch“, denn suey ist Substantiv) usw., sondern schon an Beispielen wie Pre-shave, After-shave (wo Eisenberg Kleinschreibung vorsieht, obwohl man shave mit Fug für eine Substantivierung halten kann) und Agent Provocateur (wo französische Grammatiken gern ein Adjektiv ansetzen). Während beim lateinischen Pars pro Toto und Primus inter Pares die Substantivierung peinlich genau beachtet wird, soll dasselbe für im guten wie im bösen, das ist mir ein leichtes nicht gelten; hier ist nur Kleinschreibung vorgesehen. (Dagegen wiederum im Dunkeln tappen, mein Ein und Alles usw.) Und wie ist die Kleinschreibung in High-tech begründet? Bei der Fremdwortschreibung fragt man sich, warum die volkstümliche Vereinfachung Hämorriden ihr zweites r behalten soll. Tunfisch wird anerkannt, obwohl es keineswegs dem von Eisenberg beschworenen „Usus“ entspricht oder auch nur angebahnt wäre. Tollpatsch dagegen wird nicht zugelassen, obwohl es schon vor der Reform häufig anzutreffen war. Die Angaben unter phon/fon sind widersprüchlich. Nur noch Zellophan gelten zu lassen ist widersinnig, da es sich bei Cellophan um ein Warenzeichen handelt. (Mit dem Fön verhält es sich ähnlich, aber der wird gar nicht erwähnt.) Eisenberg lehnt „frei erfundene“ Zusammenschreibungen wie Highsociety entschieden ab (S. 18), aber im Wörterverzeichnis stehen zahlreiche Gebilde wie Hotjazz.

Der Vorschlag ist auch didaktisch eine Zumutung. Ganz im Stil der amtlichen Neuregelung dekretiert die Akademie zum Beispiel: Die bisherige Schreibweise No-name-Produkt wird verboten, statt dessen darf man zwischen drei (!) neuen Schreibweisen wählen: Nonameprodukt, No-Name-Produkt, Noname-Produkt. Nichts gegen liberale Öffnung, aber es ist nun ungemein schwierig, im Wust des Zulässigen das Unzulässige herauszufinden.

Der Kompromißvorschlag deckt wesentliche Fehler der amtlichen Neuregelung schonungslos auf; das ist verdienstvoll, wenn es auch ein bißchen spät kommt. Inhaltlich kann er jedoch nicht überzeugen, und als Strategie ist das Herumdoktern an einem von „Deppen“ (so Präsident Meier) hervorgebrachten Pfusch von Grund auf verfehlt. Warum sollten wir uns, im Besitz einer vorzüglichen Einheitsorthographie, auf einmal mit etwas „abfinden“, was „ohne nennenswerten Schaden hinnehmbar“ (S. 9) ist. Im gleichen Ton der Verzagtheit gesteht die Akademie sogar ausdrücklich: „In einigen Fällen übernehmen wir Neuschreibungen nur deshalb, weil sie unserer Auffassung nach keinen allzu großen Schaden anrichten“! Vor vier Jahren wollte man „angesichts der Machtverhältnisse“ nachgeben, jetzt heißt es an der gleichen Stelle „angesichts der Lage“. Damit ist gar nichts gesagt, nur der Wille zur halben Unterwerfung wird protokolliert. Die „Lage“ sieht in Wirklichkeit so aus: Die Kultusminister haben signalisiert, sie wären die unselige Reform nur zu gern los, aber der entscheidende Stoß müsse von unten kommen.

Der Vorschlag läuft auf Tausende von Änderungen hinaus. Selbst wenn es nicht so viele wären, müßten sämtliche Rechtschreibbücher, Schulbücher usw. neu gedruckt werden. Die Erwartung, der Vorschlag werde wegen seiner Behutsamkeit keine neue „Kostenlawine“ hervorrufen, ist illusorisch. Die Kultusminister wußten schon, warum sie 1998, nach der „Mannheimer Anhörung“, unter dem Druck der Verlage alle Korrekturen ablehnten, sogar die von den Reformern selbst für „unumgänglich notwendig“ erklärten. „Kompromiß“ klingt angenehm versöhnlich, aber man braucht nur kurz nachzudenken, um einzusehen, daß die scheinbar radikalere Lösung in diesem Fall die sanfteste und nicht zuletzt unvergleichlich billigere ist. Übrigens: Was hat es zu bedeuten, daß das vorliegende Werk in herkömmlicher Orthographie gedruckt ist (wenn auch fehlerhaft)? Traut die Akademie ihrem eigenen Vorschlag nicht und möchte dem Leser den Anblick der Folgen ersparen?

Eisenberg behauptet, es sei jetzt zu spät für einen Abbruch der Reform. Aber dasselbe hat er schon Anfang 1996 behauptet, als die Neuregelung noch nicht einmal beschlossen war, und dann immer wieder. Die Akademie hat diese Redeweise übernommen. In Wirklichkeit ist es auch heute noch nicht zu spät. An den Schulen kann die Verwirrung nicht mehr größer werden; die Umkehr wäre eine Erlösung. Seriöse Verlage drucken weiterhin in der bewährten, von der Mehrheit gewünschten, leserfreundlichen, grammatisch korrekten, allgemein bekannten und gut dokumentierten Orthographie, auf der auch alle bedeutenden Schriftsteller bestehen. Sie hat sich inzwischen als Rechtschreibung erster Klasse etabliert, während die meisten Zeitungen und die minderwertige Literatur in der zweitklassigen Neuschreibung erscheinen. Was eine Akademie für Sprache und Dichtung angesichts dieser Lage zu tun hat, sollte keines langen Nachdenkens bedürfen.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 25.03.2017 um 12.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#34758

Eisenberg schreibt also ohne Not Orthografie? Mehr muß man eigentlich gar nicht wissen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.03.2017 um 14.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#34759

Ja, er schreibt Orthografie, Graphematik, phonografisch, und sch nennt er einen "Mehrgraf"...

Wie weit der schlampige "Kompromissvorschlag" tatsächlich in die Revision eingegangen ist, könnte man nachprüfen, aber dazu fehlen mir Lust und Zeit.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.03.2017 um 17.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#34761

Wer sich selbst ein Bild von dem "Kompromissvorschlag" machen will, kann ihn bei Amazon für 1 Cent kaufen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.03.2017 um 09.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#34765

„Der Erfolg der „Schreib- und Lesedidaktik (...) hängt wesentlich davon ab, dass Lehrer die Orthografie nicht nur selbst beherrschen, sondern auch die Schreibregularitäten kennen. Denn nur dann verstehen sie, warum Kinder bestimmte Fehler machen und warum welches Material im Unterricht angemessen ist.“ (Peter Eisenberg: Deutsche Orthografie. Regelwerk und Kommentar. Verfasst im Auftrag der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Berlin, Boston 2017:1)

Der Grundirrtum. Er widerspricht auch der zuvor dargelegten richtigen Einsicht, daß sich das implizite orthographische „Wissen“ (also das Können) am Material selbst und nicht an Regeln entwickelt. Darauf deutet auch die Erfahrung hin, daß unsere Volksschullehrer in den 50er Jahren ganz bestimmt keine orthographische Theorie kannten und wahrscheinlich nicht einmal die Dudenrichtlinien gelesen hatten. Sie konnten richtig schreiben und brachten es uns Kindern in kurzer Zeit bei; dazu gab es geeignete Fibeln. Kein Schüler hatte ernsthafte Schwierigkeiten, obwohl natürlich niemals alle gleich gut schreiben konnten. Es ist schmeichelhaft für die Linguistiker, daß soviel Geschiß um ihre Theorie gemacht wird, aber es ist falsch.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.03.2017 um 18.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#34766

Nachdem wir die Neuschreibung Recht haben jahrelang wegen ihrer Folgen (wie Recht du hast) kritisiert hatten, sind die Reformer bekanntlich auf ihre Standardlösung verfallen, sowohl Klein- als Großschreibung zuzulassen, allerdings ohne das Argument ganz verstanden zu haben. Jedenfalls stehen heute beide Schreibweisen im amtlichen Wörterverzeichnis kommentarlos als gleichberechtigte Varianten nebeneinander. Der Rechtschreibduden hat auf eigene Faust die Notbremse gezogen:

"recht oder Recht haben; aber nur: wie recht sie hat!; du hast ja so recht!; damit hat er völlig recht"

Eisenberg bleibt aber dabei: „Beide Schreibungen sind möglich bei Sie hat recht/Recht und Sie hat unrecht/Unrecht.“ (90)

Eisenberg kommentiert das nicht, obwohl es nach seinen eigenen Ausführungen kommentierungsbedürftig ist. Offenbar hält er auch wie Recht sie hat für korrekt, weil es genau so aus den amtlichen Regeln folgt, von denen er ausdrücklich nicht abweichen will.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.03.2017 um 09.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#34777

(Eisenberg) R41:
„Substantive in festen, offenen Konstruktionen werden großgeschrieben.
(Kommentar:)
Eine feste Konstruktion enthält nur festliegende grammatische Positionen. Sie ist offen, wenn jede der Positionen mit einer größeren Anzahl von Wörtern besetzt werden kann.“

Ist das nun verständlicher als das amtliche Regelwerk, und ahnt der Leser, welcher Gegenstand damit geregelt wird? Es geht um a) schnellen Schrittes, schweren Herzens, b) heute Morgen.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 28.03.2017 um 10.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#34778

Ich dachte, Substantive werden sowieso immer oder wenigstens im allgemeinen groß geschrieben. Wieso muß das dann für "feste, offene Konstruktionen" noch einmal besonders betont werden?

Zu regeln sind ggf. nur die Ausnahmen, wann Substantive klein geschrieben werden. Und zuallererst natürlich, was überhaupt ein Substantiv ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.03.2017 um 10.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#34779

R56:
„Einschübe und Nachträge jeder Art können in Klammern gesetzt werden. Mit Klammern bringt sich der Schreiber selbst als Kommentator ins Spiel. Auch grammatisch integrierte Ausdrücke können in Klammern gesetzt werden, soweit sie fakultativ sind.“

Der zweite Satz gehört kaum in eine Rechtschreibregel.

R59:
„Wörtlich wiedergegebene Ausdrücke jeder Art setzt man in Anführungszeichen. Damit wird signalisiert, dass jemand anders als der Schreiber zu Wort kommt.

Unbedingt jemand anders?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.03.2017 um 10.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#34780

Es ist recht amüsant zu beobachten, daß Eisenberg heute vieles vorschlägt, wohlwollend kommentiert oder einfach kritiklos verbreitet, was er in seinem "Kompromissvorschlag" von 2003 "unsinnig" oder "völlig unverständlich" genannt hat. Er könnte ja auch einfach mal still sein und den verkorksten Dingen ihren Lauf lassen, wenn er schon die Reformkritik völlig aufgegeben hat.

Als Adressat seines neuen Buches kommt ja nur der Rat für deutsche Rechtschreibung in Betracht. Ratsuchende Schreiber sind mit dem Duden in jeder Hinsicht besser bedient. Aber der Rat wird sich über die so unvollständig und nachlässig formulierten Regeln lustig machen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.03.2017 um 09.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#34786

Eisenbergs Büchlein enthält viel Verwirrendes.

"Man trennt (...) Mür-rhe." (106)

Unter die „Toleranzregel“ fällt auch Klein-od/Klei-nod (108), Eisenberg scheint also weiterhin anzunehmen, daß es sich um ein kleines Od handelt.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 30.03.2017 um 00.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#34791

Lieber Prof. Ickler,
hier verstehe ich Sie nicht. -od ist ein Suffix, also müßte man doch eigentlich Klei-nod wie z. B. auch Ar-mut trennen.

Aber sowohl der bewährte Duden wie auch Ihr Wörterbuch verzeichnen Klein|od. Wie kommt das und wieso sollte Herr Eisenberg an ein kleines Od denken, wenn er zum einen genau wie Sie trennt und zum andern auch Klei-nod zuläßt? Ich hielt letzteres auch für logischer und war jetzt ganz überrascht, es in den Wörterbüchern nach bewährter Schreibung anders vorzufinden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.03.2017 um 04.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#34792

Er bringt den Fall unter die Ausnahmeregel, daß man silbisch trennen könne, wenn man die morphologische Trennung nicht kenne - nicht andersherum. Das Wort gehört nicht zu daran usw., mit denen es zusammengestellt ist.
Richtig wäre: Wenn man die Morphologie (bzw. Etymologie) der Ableitung nicht kennt, kann man es volksetymologisch als Zusammensetzung trennen.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 30.03.2017 um 15.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#34796

Sehr schön ist bei dieser Trennung auch der Plural: die Klein|ode. Eine völlig neue Bedeutung.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.04.2017 um 09.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#34812

„Für einige markante Fälle, in denen der Prozess des Zusammenwachsens nicht vollständig abgeschlossen ist, wurden orthografische Festlegungen getroffen.“ (81)
Es folgen Beispiele fakultativer Getrenntschreibung wie zu Gunsten, zu Mute, zu Schanden.

„Bei den meisten dieser Ausdrücke ist eine syntaktische Analyse nicht mehr möglich. Es besteht eine Tendenz zur Zusammenschreibung.“ (82)

Nach Eisenbergs eigenem Kriterium der „syntaktischen Unanalysierbarkeit“ dürfte Getrenntschreibung hier gar nicht mehr zulässig sein. Dazu sagt er nichts Näheres, sondern begnügt sich mit der kleinlauten Feststellung, es seien eben „Festlegungen getroffen“ worden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.04.2017 um 16.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#34834

Der Regelteil von Eisenbergs neuem Buch stimmt im wesentlichen überein mit dem Büchlein, das er in zwei Auflagen für Bertelsmann angefertigt hat: "Wahrig - Rechtschreibung auf einen Blick" (2013). Für Bertelsmann schreibt er selbstständig, für die Akademie selbständig, das ist fast alles. Nur die vielen Fehler sind hinzugekommen. Gemeinsam ist auch der ausdrückliche Wunsch, die amtlichen Regeln nicht nur darzustellen, sondern auch zu begründen. Beide Schriften sind also zugleich Reformpropaganda, wie es sich für den erfolgreichsten Vermarkter der Reform von selbst versteht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.04.2017 um 10.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#34906

„Ein [η] vor [g] und [k] wird nicht als ng, sondern als n geschrieben, z. B. Ingo, Ungarn, Zinke, wanken. Der Unterschied in der Aussprache zwischen Inge und Ingo ergibt sich daraus, dass Inge in der zweiten Silbe den Murmelvokal [e] enthält, Ingo dagegen den Vollvokal [o].“ (58)

Das ist etwas seltsam und geradezu widersprüchlich formuliert. Die im ersten Satz erklärte Sparschreibung hat nichts mit der im zweiten angeführten Umgebung zu tun. Auch Verjüngung usw. enthalten einen Vollvokal nach dem Velarnasal, der aber trotzdem ohne Verschluß gesprochen wird.

(Wiedergabe der phonetischen Zeichen behelfsmäßig.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.04.2017 um 15.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#34958

Eisenberg erklärt es im Vorwort für den Auftrag des Rechtschreibrates, „einige der misslungensten Teile des amtlichen Regelwerks zu bearbeiten“. Diese Einschränkung auf Teile des Regelwerks entspricht nicht dem Statut, sondern dem später willkürlich verfügten Veto der KMK gegen weitere Änderungen.

Eisenberg nennt dort auch den Kompromißvorschlag der Deutschen Akademie „von hohem Wert und die einzige substantielle Verbesserung der sog. Orthografiereform“. Da es sich um seinen eigenen Text handelt, ist das ein Selbstlob. Sonst wäre ja auch nicht zu verstehen, warum er sich der Akademie „zu höchstem Dank verpflichtet“ fühlt.
 
 

Kommentar von Ivan Panchenko, verfaßt am 15.08.2017 um 02.59 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#35998

„Cevapcici stand so nicht im Duden, ist aber auch nach der Neuregelung nicht die einzige Schreibweise, und die von der Akademie angebotene mit ihren drei Hatscheks ist erst recht abwegig.“

In der 20. Auflage des Rechtschreibdudens (1991) steht Ćevapčići, was der serbokroatischen Schreibweise entspricht (ćevapi, Diminutiv ćevapčići). Im Wörterverzeichnis 1996 wurde Cevapcici als neue Schreibweise eingeführt, daneben stand fälschlicherweise wieder Cevapcici („Cevapcici*, Cevapcici“), so lese ich das jedenfalls hier heraus: http://nts.uni-due.de/links/regel.pdf

2004 dann Cevapcici und Čevapčići. Das Wort hat im Slowenischen drei Hatscheks (čevapčiči) – auch im Tschechischen, da aber mit b statt p –, hier haben wir es dagegen mit zwei Hatscheks und einem Akut zu tun. Diese beiden Schreibweisen wurden letztlich auch von der Akademie angeboten: https://books.google.de/books?id=jkSyVKHW10oC&pg=PA45

In der Spalte Neuregelung 1996 ist Ćevapčići untergebracht, aber mit „Bertelsmann:“ davor.

Erst 2017 wurde zu Ćevapčići korrigiert: http://rechtschreibrat.com/DOX/rfdr_Woerterverzeichnis_2017.pdf

„Eine vollständige Auflistung der geänderten Wortschreibungen ist im dritten Bericht des Rats enthalten.“ (Pressemitteilung) Von wegen! Da steht nichts von Ćevapčići. Duden online hat die Änderung bisher nicht registriert.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.08.2017 um 04.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#35999

Eine serbische Studentin hat mir mal den Unterschied der kroatischen und der serbischen Schreibweise erklärt, aber ich habe die Einzelheiten vergessen (zu "serbokroatisch"). Danke für die anderen Hinweise!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.03.2018 um 06.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#38311

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#27530

Gauger damals im Tagesspiegel:
Die vollständige Rücknahme scheint aber politisch nicht mehr möglich. Zu beklagen ist hier besonders die Haltung der SPD (meiner eigenen Partei) – in der CDU gibt es wenigstens beide Meinungen.
(...)
Die ziemlich radikale „gemäßigte“ Kleinschreibung (alles kleingeschrieben außer Satzanfängen und Eigennamen) wurde seinerzeit kultusministeriell gestoppt. Sie wäre eine wirkliche Reform gewesen.
Man konnte dagegen sein. Ich selbst war es. Aber dass es sich um eine evidente Erleichterung des Schreibens gehandelt hätte, ist unbestreitbar.
(Tagesspiegel 18.8.2004)
(Der ganze Artikel hier: https://www.tagesspiegel.de/kultur/kinder-schokolarde/540104.html)

Für einen ehemaligen Vizepräsidenten der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ist es erstaunlich, nicht die Seite des Lesers zu erwähnen, um dessentwillen doch geschrieben wird.
Im selben Beitrag nennt er mich herablassend den „wackeren Theodor Ickler“.

Aus solchen und ähnlichen Beiträgen wird deutlich, warum diese "Deutsche Akademie" so jammervoll versagen mußte.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.01.2020 um 15.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#42829

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#27530

Gauger hat an derselben Stelle noch einen Nachtrag angebracht, der sich, wie gesagt, auf eine Begegnung mit Stickel und Augst bezieht und woraus ich doch den entscheidenden Teil hier zitieren möchte:

Zunächst die Erinnerung. Sie bezieht sich auf die Einladung, die von unserem unvergessenen Präsidenten Herbert Heckmann ausging: Gerhard Stickel, damals Direktor des „Instituts für deutsche Sprache“ in Mannheim, sollte sich bei uns, in interner Sitzung während einer Tagung, zur Rechtschreibreform, die viele von uns sehr irritierte, äußern. Sie war ja entscheidend von Gerhard Stickel und seinem Institut, das eine öffentlichkeitswirksame Aufgabe suchte, vorangetrieben oder vielmehr wieder aufgegriffen wurde, denn die Sache war ja schon alt: bereits Thomas Mann, der 1955 starb, hat zu entsprechenden Vorschlägen Stellung bezogen; ablehnend, versteht sich. Was den heutigen Direktor des Mannheimer Instituts, Ludwig M. Eichinger, angeht (er gehört zum Kuratorium der „Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung“), so fand er, ich vermute, eher zu seinem Missvergnügen, die Reform, als er sein Haus bezog, schon in ihm vor. Er musste also notgedrungen mit ihr leben. Ich bin übrigens nicht mehr sicher, ob ich es war, der Herbert (ich war damals sein Vize) die Einladung Stickels vorgeschlagen hatte. So glücklich war der Gedanke nämlich nicht. Zudem kam Stickel unerwartet nicht allein, sondern brachte als weiteren Promotor einen wirklichen Gesinnungstäter mit: Gerhard Augst aus Siegen. Es wurde eine eher quälende Sitzung. Für mich persönlich aber war sie überaus lehrreich: ein eindrucksvoller von beiden Seiten aggressiv geführter Zusammenstoß zwischen zwei getrennten Welten. Auf der einen Seite war da die normale, also ästhetisch wenig ansprechbare Sprachwissenschaft, auf der anderen die nun gerade in dieser Hinsicht hochsensiblen, andererseits aber mit der normalen sprachwissenschaftlichen Haltung zur Sprache so gut wie gar nicht vertrauten Akademie-Mitglieder. Einige von diesen wollten schließlich von Gerhard Augst geradezu wissen, wer ihn bezahle. Man nahm ihm nicht einmal ab, dass er, was er sagte, von sich aus sagte, einfach weil er es für richtig hielt, irgendjemand müsse ihn doch dafür bezahlen ... Augst, verständlicherweise etwas genervt, erklärte mit dem, sagen wir, verdrossenen Selbstbewusstsein des Ordinarius: „Ich setze mich für diese Reform ein. Wenn sie aber scheitert, wird sich nie wieder ein Sprachwissenschaftler für so etwas zur Verfügung stellen“ – eine Drohung, die nun unter den Mitgliedern völlig verpuffte.


Natürlich war Augst nicht "gekauft", da durfte er mit Recht empört sein. Augst war besessen oder, wie man auch sagen könnte, extrem ehrgeizig. Er wollte als Reformer der deutschen Rechtschreibung Geschichte machen, und sein zentraler Einfall und die einzige Idee, die er zum Inhalt beisteuerte, war die "synchrone etymologische Kompetenz", also die Volksetymologie. Darum konnte er alles opfern, auch "Weggefährten", wie er es beschrieben hat, nur nicht diese eine Idee. Darum mußten die Etymogeleien auch variantenfrei vorgeschrieben werden, und sie sind es bis heute geblieben, sonst wären die besseren Schreiber natürlich einfach zu Zierat, Tolpatsch, behende usw. zurückgekehrt. Augsts menschenfreundliche Idee war: Die Gebildeten sollten von ihrer Bildung keinen Vorteil haben. Diese Überzeugung ist die Quelle seiner Eloquenz, seines Pathos, seiner Ausdauer (23 Jahre Kampf bis zur Wiener Absichtserklärung!), vermutlich auch seiner heutigen Zufriedenheit, denn die Demütigung der Gebildeten hat er immerhin erreicht. Mit "Gesinnungstäter" hat Gauger es erfaßt.
 
 

Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 03.02.2020 um 00.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#42865

War es nicht auch Augst, der ständig mit dem Beispiel "Wasser", aber "wäßrig" hausieren gegangen ist, um die scheinbare Unlogik der herkömmlichen ss/ß-Schreibung zu demonstrieren und dringenden Änderungsbedarf anzumelden?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.08.2024 um 04.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1163#53762

Wie ich gerade sehe, ist Hans-Martin Gauger vor einigen Wochen verstorben.

Gauger bildete zusammen mit Peter Eisenberg, Hartmut von Hentig, Friedhelm Kemp, Gustav Korlén, Uwe Pörksen und Harald Weinrich die wenig ruhmreiche Rechtschreibkommission der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, deren Präsident er eine Zeitlang war. Ihr Vorschlag war der Eisenbergsche, den wir schon ausführlich kommentiert haben. Der Beitrag der anderen Mitglieder war nicht zu erkennen. Der Anspruch, in „akademischer“ Würde gewissermaßen über dem Getümmel zu stehen („Vorschlag zur Entbiesterung“), wirkte nicht gerade einnehmend, zumal Unterrichtete ja erkannten, daß es sich um den ganz und gar nicht unbeteiligten Eisenberg handelte, der die DASD für seine Absichten einspannte.

Ich selbst („der wackere Theodor Ickler“) stand jahrzehntelang in freundschaftlichem Austausch mit Gauger, trotz meines Mißfallens über seine späten Schriften, sein Festhalten an Freud und seine theologischen Anwandlungen, die mit Recht kaum beachtet wurden. Seine unvergeßliche Leistung war die frühe Wiederbelebung der distinktiven Synonymik – ein Projekt, das er leider liegenließ, wo es seither liegt. Ich hätte es ausgeführt, wenn mir nicht die Rechtschreibreform dazwischengekommen wäre.
 
 

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