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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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19.05.2009
 

Klopf mich mal!
Zur Grammatik der Pertinenz-Beziehung

In der Dudengrammatik, in Wahrig-"Fehlerfrei" und in vielen anderen Büchern liest man, daß bei Wendungen wie auf die Schulter klopfen sowohl der Dativ als auch der Akkusativ stehen könne, ersterer sei aber häufiger. Also: Der Trainer klopfte dem/den Torwart auf die Schulter.

Ich habe Mühe, überhaupt Belege für jemanden klopfen zu finden. Teppiche werden geklopft, aber Menschen? Anna Wierzbicka hat auch Zweifel (The semantics of grammar. Amsterdam/Philadelphia 1988:201ff.)



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Kommentare zu »Klopf mich mal!«
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Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 19.05.2009 um 16.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1159#14465

"Ich habe Mühe, überhaupt Belege für jemanden klopfen zu finden." Ich auch. Bei "schlagen" ging's vielleicht eher, also: Der Trainer schlug dem/den Torwart auf die Schulter. Aber selbst da: seltsam! Bei "j-m/j-n ins Gesicht schlagen" geht jedoch alles klar, finde ich. Wirklich? Er hat sie ins Gesicht geschlagen? Ja, das sollte ihn zwar vor den Kadi bringen, aber sprachlich geht's. Parallel dazu könnte man dann auf die Idee kommen, daß der Unterschied zwischen "schlagen" und "klopfen" ja nicht so groß sei. Aber *"die Lehrerin hat mich auf die Finger geklopft" sagen sicher nur Leute, die (vielleicht durch derartige Lehrmethoden durcheinander gebracht) mir und mich verwechseln.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 19.05.2009 um 16.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1159#14466

Jemanden klopfen ist Ringer-Jargon: "den Gegner auf die Matte klopfen". Paßt vor allem für den akustischen Effekt von Wurftechniken, bei denen der Gegner in die Unterlage gerät und seinen Fall mit den seitlich vorgestreckten Händen abfängt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.05.2009 um 17.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1159#14467

jdn. auf die Matte klopfen ist ein anderes Muster (Transportverben, kein Pertinenzakkusativ). Das ist unproblematisch.
Nach Wierzbicka ist der Effekt beim Klopfen nicht so erheblich, daß die Person davon ernsthaft betroffen wäre. Charakteristischerweise findet es sich oft mit aufmunternd o. ä. verbunden, scheint also eher kommunikativ zu sein.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 19.05.2009 um 18.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1159#14468

Dichterische Freiheit: "Das Büblein hat getropfet; der Vater hat's geklopfet, zu Haus."
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 19.05.2009 um 20.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1159#14469

Ich habe mich mal im Literaturfundus von zeno.org nach „auf etwas geklopft“ umgesehen und alle Belege aussortiert, in denen an oder auf Türen, Fenster, Steine, Betten oder Teppiche geklopft wird.
Um alles lesbarer zu gestalten, lasse ich auch die Kennzeichnung von Auslassungen vor und nach den Zitaten weg. Die Texte selbst sind ungekürzt.
Neben Fingern, mit denen auf ein Pult geklopft wird, gibt es immerhin noch einen Mantel, aber keine Menschen. Die anderen Belege zeigen das bekannte Klopfen auf Wangen, Schultern, Köpfchen und Backen und sind daher schon fast wieder uninteressant.

Du wurdest gebürstet und geklopft, und wie ein Anhängsel begleitete dich in deinen Feldzügen ein kleines, unglückseliges Menschenkind, das sich so nach Hause sehnte und nach Ruhe, und das endlich, endlich wieder bei Muttern sitzen wollte. (Kurt Tucholsky, Der Mantel)

Und Brunelda hat mir dann auf die Wange geklopft. (Franz Kafka, Der Verschollene)

»Als ich vorhin von Ihrem dreibeinigen Roß hinter Ihrem Pult mich herabschwang, lieber Freund, habe ich doch auch eine Genugtuung gehabt«, sagte Velten. »Ihr Papa hat mich auf die Schulter geklopft und gemeint: ›Sehen Sie, cher ami, nicht bloß Ihre Herren Professoren können Vorlesungen halten und Examina anstellen und Diplome verleihen, auf welche hin selbst so ’n Belletriste wie Sie sich durch die Welt schlagen und es in ihr zu etwas bringen kann. (Wilhelm Raabe, Die Akten des Vogelsangs)

Dafür haben sie auch die Bursche genommen, als sie vorerst Muckerl ansprachen, als ob sie gar nicht da wäre, aber statt nur ihre Ansprach zu suchen und dadurch zu zeigen, hier säßen zwei, die kein Drittes neben sich leiden, hat er sie wie allein sitzen lassen, und da haben denn die andern getan, als ob er nicht da wäre, und die Hände nach ihr ausgereckt, wie nach einem Ding, das man nur aufzugreifen braucht, etwa wie die junge Katz beim Fell, und er ist daneben gesessen, hat keinem auf die Finger geklopft, er hat sich nicht um sie gewehrt, nein, er hat sie sich um ihn wehren lassen, als wär er ihrer so ganz sicher und sie müßte sich in allem, lieb oder leid, in ihn schicken. (Ludwig Anzengruber, Der Sternsteinhof)

Martha hat diesen Zettel darauf fortgetragen, der Alte hat uns auf das Köpfchen geklopft und gesagt: »Schwitzen, schwitzen!« (Wilhelm Raabe, Die Chronik der Sperlingsgasse)

Dein lieber Großvater, der tapfere Leutnant Wolf Hegewisch, hat mich und den Herrn da, den Herrn Doktor Brokenkorb, gradeso auf die Schulter geklopft, wie ich dich jetzt darauf klopfe, und ich möchte ihm gern seine Wohltaten vergelten, die er mir getan hat, als ich noch ein Knabe war. (Wilhelm Raabe, Im alten Eisen)

Mit den Buben vom Hauptmann hat er im Hofe gespielt, der anjetzo der Oberste im Zuchthause ist, und Klötzchen von Holz hat er den Buben geschnitzt, und der Hauptmann hat dabei gestanden und dem Quellensimon auf die Schulter geklopft. (Louise von François, Judith, die Kluswirtin)

Als er fortging, hat er mich auf die Backen geklopft, und hat mir noch zwei Dukaten extra geschenkt; das ist denn so eine Sprache, die man überall versteht. (August von Kotzebue, Die beiden Klinsberg)
 
 

Kommentar von Roger Herter, verfaßt am 19.05.2009 um 22.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1159#14470

Welche Freiheit soll sich der Dichter denn hier herausnehmen, Herr Germanist? Anderwärts heißt es ja ebenso. Etwa in dem Liedchen, das Mörike aus Kindermund gehört und brieflich (ungefähr) wie folgt mitgeteilt hat:

Regen-Regentropfen,
Buben muß man klopfen,
Mädchen muß man schonen
Wie die Ziteronen.

Das ist doch wohl, was Grammatik und (leider auch) Kulturgeschichte angeht, unstreitig richtig.

Mein alter Grammatikduden führt übrigens in einem Register für Zweifelsfälle den Eintrag: Er klopfte mich oder mir auf die Schulter? – Gespannt folge ich dem Verweis und finde:

"Bei den Verben der körperlichen Berührung, deren Inhalt als besonders aktiv und zielgerichtet empfunden wird, steht oft an Stelle des Dativs ein Akkusativ:

– Ich schlage dir auf die Schulter - Ich schlage dich auf die Schulter.
– Ich trete dir auf den Fuß - Ich trete dich auf den Fuß.
– Der Hund beißt mir in das Bein - Der Hund beißt mich in das Bein.

Der Sprechende wechselt hier die Sehweise. Aus einer raumgebundenen, nichtzielenden Tätigkeit, die einem anderen Wesen zugewandt wird, wird eine raumgebundene Handlung."

Die Frage (betr. klopfen) wird mir also nicht beantwortet. Statt dessen quält mich nun der Zweifel, ob ich anderen Wesen auch genug Tätigkeit zugewandt habe... Wo nicht, gelob' ich Besserung.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 19.05.2009 um 23.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1159#14471

In meiner Kindheit hieß es: Kloppe kriegen, Kloppe androhen, sich kloppen, jdn verkloppen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.05.2009 um 06.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1159#14472

Fazit bisher: verschwindend selten mit Akkusativ, in heutiger Sprache ganz unüblich. Der verniedlichende, die verprügelte Person nicht ernst nehmende Zug ist auch deutlich: ein Bübchen klopfen usw.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 24.05.2009 um 21.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1159#14501

Auch Abstrakta können geklopft werden: spiegel.de: Angeblich setzt Herr Steinmeier den Wirtschaftsminister unter Druck, endlich das Modell der staatlichen Brückenfinanzierung fest zu klopfen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.01.2013 um 16.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1159#22475

Dann habe er nach ihrer Hand gegriffen und diese geküsst. (Eine Journalistin über Brüderle laut ZEIT)

Das ist sonderbar umständlich ausgedrückt, wie in einem Gerichtsprotokoll.

Einer Frau die Hand küssen und die Hand einer Frau küssen - das ist nicht dasselbe.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.03.2014 um 06.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1159#25383

Ebenfalls aus den "Akten des Vogelsangs", die Herr Höher hier zitiert hat, habe ich das schöne Verb beurgrunzen notiert, auch beachselzucken. Es ist schon lange her, daß ich Raabe gelesen habe, mir ist aber noch gegenwärtig, was Wikipedia so beschreibt: „Viele Betrachtungen und Abschweifungen - auch die seiner Zeit noch unauffälligere Fülle der Zitate von der Antike bis zum zeitgenössischen Volksmund - erschweren heute das Lesen von Raabes Werken.“ Die scherzhafte Wortbildung hat etwas Pennälerhaftes oder Studentenulkiges, und sie nervt ein bißchen, ebenso wie besagte Zitate und Anspielungen, die wie ein zwanghaftes Ausstellen der nicht gerade abgerundeten höheren Bildung Raabes wirken. Raabe war an einigen Stammtischen seßhaft, und so klingt auch sein Plauderton, gemütlich und ein bißchen kritisch. Ich habe ihn trotzdem ganz gern gelesen und sollte ihn mir wieder mal vornehmen, auch um nicht ungerecht zu sein. (Wikipedias seiner Zeit hatte ich übrigens zunächst als Dativus judicantis gelesen, aber ich glaube jetzt, es ist eine reformbedingte Verschreibung für seinerzeit.)
 
 

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