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24.02.2009
Goethe
War ihm die Rechtschreibung egal?
Es gibt zwar ein allzu oft angeführtes Zitat, aus dem dies hervorzugehen scheint, aber in Wirklichkeit richtete er sich in Orthographie und Zeichensetzung nach Adelung bzw. gab seinen jeweiligen Sekretären Anweisung, für die Druckfassung seiner Schriften so zu verfahren.
Entsprechendes gilt für Goethes angebliche Gleichgültigkeit gegenüber Fremdwörtern. Eduard Engel hat ausführlich nachgewiesen, daß Goethe, je älter er wurde, zahllose Fremdwörter beseitigt hat, mochte er auch auf den "Pedanten" Campe noch so sehr schimpfen.
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Kommentare zu »Goethe« |
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Kommentar von J. Hohenembs, verfaßt am 25.02.2009 um 08.46 Uhr
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Als Exkurs der Versuch einer Haarspalterei nebst Frage zur untenstehenden Anleitung:
"Als Schutz gegen automatisch erzeugte Einträge ist die Kommentareingabe auf dieser Seite nicht möglich."
Sollte das nicht besser "zum" Schutz(e) heißen?
Kann denn eine Nicht-Eingabe aktiv "als" Schutz eingesetzt werden? Diente sie diesem nicht eher bloß?
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.02.2009 um 09.03 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1113#13959
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Zu "Goethe" noch dies:
Das Jahrbuch der Goethe-Gesellschaft schreibt vor:
"Manuskripte bitte in neuer Orthographie".
Das ist gleich der allererste Satz. Man fagt sich,warum die Goethe-Gesellschaft so enormen Wert auf die Durchsetzung der Reformorthographie legt, deren Unzulänglichkeiten ebenso bekannt sind wie ihre Vorläufigkeit. Wann mag das beschlossen worden sein und von wem? Und wie sehen eigentlich die Bände der vergangenen Jahre aus? Wenn ich Zeit habe, sehe ich mir das mal näher an.
Vielleicht stand dahinter die Überlegung, daß unsere Grundschüler bei ihrer täglichen Lieblingslektüre, eben dem Goethe-Jahrbuch, nicht orthographisch verdorben werden sollen.
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Kommentar von Nikolaus Lohse, verfaßt am 25.02.2009 um 13.35 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1113#13965
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Das (von Petra Oberhauser sehr sorgfältig redigierte) Goethe-Jahrbuch erschien bisher in tadelloser "klassischer" Orthographie. Erst in der letzten Nummer (2007) fand sich plötzlich der Hinweis, die Manuskripte sollten künftig in reformierter Schreibung eingereicht werden. Ich habe mich auch in diesem Fall umgehend an den Präsidenten der Internationalen Goethe-Gesellschaft, Jochen Golz, gewandt und einen Protest eingelegt, der an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ. Dabei habe ich insbesondere auf die Bemühungen der Schweizer Orthographischen Konferenz verwiesen und deren Empfehlungen meinerseits als Mindeststandard empfohlen. Die Antwort (in Abstimmung mit den andern Mitherausgebern des GJb und ebenfalls in bewährter Schreibung verfaßt) gab sich freundlich-verständnisvoll, war aber in der Sache erkennbar uninformiert. Das entscheidende Argument: Man könne den nachfolgenden und mit der neuen Rechtschreibung aufgewachsenen Generationen doch nicht ewig eine veraltete Version zumuten. Das Übliche halt.
Zur Frage nach Goethes Rechtschreibung:
Ob sie ihm "egal" war, kann ich nicht sagen. Bekannt ist, daß er Redakteuren und Setzern relativ großen Freiraum einräumte; auch hat er etwa im Falle der Drucklegung der 2. "Werther"-Fassung Herder die Entscheidungskompetenz in Zweifelsfragen übertragen. Offenkundig ist auch, daß die Variationsbreite der Schreibungen beträchtlich ist - wobei immer zu berücksichtigen ist, daß nur für einen Bruchteil der Texte handschriftliche Zeugnisse vorliegen (insbesondere Tagebücher und frühe Briefe), aber immerhin eine Fülle eigenhändiger Korrekturen. – Die Schreibungen sind im übrigen häufig so, daß heutige Reformer ihre helle Freude daran hätten: So ist "kennenlernen" etwa ausschließlich in Getrenntschreibung belegt.
Was den Fremdwortgebrauch bei Goethe angeht, so muß man ihm wohl eine entschiedene Mittelposition bescheinigen. An ihm selbst sind allenfalls in der frühen Leipziger Zeit (unter dem Einfluß Gellerts) gewisse puristische Tendenzen auszumachen. Ansonsten hat er über die deutschtümelnden und letztlich isolationistischen Bestrebungen der "Sprachreiniger" eher seinen Spott ausgegossen. (Anderes wäre mit seinem Konzept von "Weltliteratur" ja auch kaum vereinbar.) Immer wieder finden sich aber explizite Abwägungen und Begriffsbestimmungen zwischen deutschen und fremdsprachigen Wörtern, z.B. "Geist, Witz, esprit". – Ganz brauchbare Hinweise gibt schon Johannes Seiler: Die Anschauungen Goethes zur deutschen Sprache, 1909, im Kapitel "Die Fremdwörter" (S.100-128), während Eduard Engel ("Fremdwörterei", 1922) sich ja mit seinem "Verdeutschungsbuch. Ein Handweiser zur Entwelschung" (!) ziemlich extrem positioniert hat.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.02.2009 um 16.29 Uhr
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Besten Dank an Herrn Lohse!
Auf die quasi "reformierte" Schreibweise Goethes hatten ja schon die bayerischen Ministerialräte Krimm und Schmid triumphierend hingewiesen. "kennen lernen" wurde auch noch im frühen 20. Jahrhundert meist getrennt geschrieben. Ich hatte mir seinerzeit erlaubt, das Argument der beiden Herren ein wenig zu karikieren: Welche Autofirma würde wohl ihre Fahrzeuge mit dem Hinweis bewerben, sie hätten gewisse Merkmale mit der guten alten Postkutsche gemein?
Die Goethe-Gesellschaft hatte vor zehn Jahren eine Resolution zur Wiederherstellung der bewährten Rechtschreibung unterzeichnet.
Nach meiner Beobachtung wird in vielen Institutionen (Akademien, Universitäten, wissenschaftlichen Gesellschaften) die Unterwerfung unter die wechselnden Rechtschreibordnungen der Schulminister gar nicht eigens vom Vorstand beschlossen, sondern von untergeordneten Leuten wie etwa Pressestellen-Leitern einfach eingeführt.
Zur Fremdwortfrage: Wie Goethe halten es wohl die meisten von uns, die wir keine Puristen sind, aber doch unnötige und bloß imponiersprachliche Fremdwörter meiden. (Für Eduard Engel möchte ich hin und wieder ein gutes Wort einlegen, aber das ist eine andere Geschichte; seine Verlautbarungen während des Krieges darf man nicht für das Ganze nehmen, das wäre auch bei vielen anderen Geistesgrößen nicht gerecht.)
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Kommentar von Rüdiger Zielke, verfaßt am 25.02.2009 um 22.42 Uhr
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Sie war ihm nicht egal. Im Nachlaß findet sich ein Gedicht aus dem Jahre 1812, in dem er von der "orthographischen Nacht" spricht, die nun "endlich auch ihren Tag" erfahre. Nämlich in dem Buch des Prof. Wolke: "Anleitung zur deutschen Gesammtsprache oder zur Erkennung und Berichtigung einiger, wenigstens 20tausend Sprachfehler in der hochdeutschen Mundart". Wolke war kein ganz Unbekannter: als Lehrer war er am Philanthropin in Dessau überaus erfolgreich, später gründete er zusammen mit Zeuner, Jahn u.a. die Berliner Gesellschaft für deutsche Sprache. Folgt man Riemers Notiz zu Goethes Gedicht, war Wolke wohl eher ein "Buchstaben- und Tintenersparer", denen Goethe nicht gewogen war.
Es fällt auf, daß in der Vergangenheit sich viele Lehrer um die Fortschritte in der Orthographie bemühen (in England: Fowler, auch ein Lehrer). Wo bleibt deren Stimme heute?
Interessante Mikrodetails zur Berliner Sprachgesellschaft bei http://opus.kobv.de/zlb/volltexte/2006/56/html/Berlinische_Gesellschaft.htm
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Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 27.02.2009 um 14.14 Uhr
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Wolke war auch darüber hinaus kein ganz Unbekannter, da er maßgeblich Jean Paul beeinflußt hat. So hat dieser nicht nur einige – nicht immer wirklich originelle – Ausätze zur Grammatik und Sprachkritik verfaßt, sondern auch auf der Grundlage der Wolkeschen Theorien sein eigenes Werk einer gründlichen orthographisch-grammatischen Revision unterzogen. Vor allem das sogenannte Fugen-s ist dem in der Reimer-Ausgabe (deren Abschluß Richter freilich nicht mehr erlebte) zum Opfer gefallen.
Wie Goethe zu Jean Paul stand, um auf das Thema des Stranges zurückzukommen, ist natürlich eine ganz andere Angelegenheit. Ihm waren wohl eher das Schwärmerische der zahlreichen Jean Paul-Verehrerinnen (hier paßt die weibliche Form zur Abwechslung mal) sowie gewisse stilistische Eigenheiten Richters ein Greuel. Die Ausfälle in den Xenien darf man da wieder nicht so wörtlich nehmen.
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Kommentar von Rolf Genzmann, verfaßt am 03.03.2009 um 03.08 Uhr
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Brief vom 30.9.1805 an seinen Verleger Cotta:
„Sie können nunmehr, wertester Herr Cotta, den Druck und das ganze Arrangement überlegen, ja Sie schicken mir vielleicht eine Probe des Drucks und Papieres. Ich wünsche, dass das Ganze heiter aussehen möge.
Doch ist mir daran nicht so viel gelegen, als an der Correctheit des Druckes, als worum ich inständigst bitte. Sie sehen, das Exemplar ist mit großer Sorgfalt durchgegangen und corrigirt, und ich würde in Verzweiflung seyn, wenn es wieder entstellt erscheinen sollte. Haben Sie ja die Güte, einem sorgfältigen Mann die Revision höchlich anzuempfehlen, wobei ich ausdrücklich wünsche, dass man das übersandte Exemplar genau abdrucke, nichts in der Rechtschreibung, Interpunction und sonst verändre, ja sogar, wenn noch ein Fehler stehn geblieben wäre, denselben lieber mit abdrucke. Genug, ich wünsche und verlange weiter nichts als die genaueste Copie des nun übersendeten Originals"44
44 Hagen Bd. I, S.396f. und ebenso der Brief vom 25.11.1805:„Weit mehr liegt mir am Herzen die Correctheit des Druckes. (...) Ich muss Sie daher nochmals inständig bitten, da von unserer Seite nichts versäumt werden soll, einem sorgfältigen Mann die Revision zu übergeben, der aber freilich nicht etwa nach seiner Art wieder hineinzukorrigieren und interpungieren hat." Hagen Bd.I, S.402f.
Was war froh, als ich diesen Text im Netz gefunden hatte.
Denn auf der anderen Seite spukte mir noch eine Verabstaltung der Reformer im Ohr, auf der es hieß, Goethe habe sich sich überhaupt nicht um Rechtschreibung gekümmert, er habe sie seinem Sekretär überlassen. - Mit anderen Worten: Goethes Werke stammen nicht von ihm selbst, sondern von seinem Sekretär.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.03.2016 um 04.04 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1113#31930
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Jeden Pfad will ich betreten
Von der Wüste zu den Städten
Für Goethe war das zweifellos ein reiner Reim, wie für viele noch heute, leider nicht für mich.
Gereimte Dichtung gibt bekanntlich Aufschlüsse über die ältere Aussprache. Je älter ein chinesisches Gedicht ist, desto weniger reimt es, aber gerade deshalb können wir den Sprachwandel rekonstruieren, wo es ja keine Tonaufnahmen gibt.
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Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 12.03.2016 um 13.02 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1113#31935
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Berühmt auch Goethes Reim ... neige ... schmerzensreiche..., die den Hessen erkennen läßt.
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