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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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23.02.2009
 

Akademischer Grauschleier
Seltsamkeiten bei den „Gegenworten“

Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften ist eigentlich gegen die Rechtschreibreform, aber ihre Zeitschrift "Gegenworte" hat sie frühzeitig umgestellt:
wer hat recht, deplaziert (!), aufei-nander, Res-pekt, Prob-lem, des-truktiv, Pro-tagonist ...
Dazu müßte die Kunst, Gedichte zu lesen, wieder belebt werden.
(Heft 7/2001)

Die Literaturwissenschaftlerin Ingeborg Harms schreibt im selben Heft: Es wäre denkbar, daß Gene ähnlich komplex interagieren wie Joyce'sche Buchstabengebilde und je nach Rezeptionsbedarf und Entzifferungsperspektive andere Sequenzen bilden können. So ließe sich beispielsweise das Skandalon erklären, daß das menschliche Genom über kaum mehr Gene als das der Maus verfügt. So geht es noch eine Weile weiter. Man möchte fragen: "Welches Skandalon?" Ich verstehe auch nicht, warum die expressionistische Lyrik (es geht um August Stramm) etwas zur Molekularbiologie beitragen sollte, wie die Verfasserin erwartet. Aber es ist eben alles bloß das übliche Feuilletongeschwätz.



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Kommentare zu »Akademischer Grauschleier«
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Kommentar von Nikolaus Lohse, verfaßt am 24.02.2009 um 15.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1112#13955

Der frühere Präsident der BBAW, Dieter Simon (1995-2005), hatte in einem gemeinsamen Aufruf mit den Präsidenten der anderen deutschen Wissenschaftsakademien Stellung gegen die Reform bezogen. Nach dem Wechsel im Präsidentenamt erfolgte im Mai 2006 durch die Hausnachrichten die Mitteilung, die Leitungsgremien der BBAW hätten beschlossen, daß in den Publikationen wie auch im akademieinternen Schriftverkehr künftig die Regeln der reformierten Rechtschreibung anzuwenden seien. Ich habe mich damals mit einem geradezu beschwörenden Appell an den Präsidenten gewandt und ihn gebeten, den Beschluß noch einmal zu überdenken. Außerdem habe ich darauf hingewiesen, daß keineswegs alle Projekte der BBAW diese Regelung befolgen (können). Das Goethe-Wörterbuch zum Beispiel, für das ich sprechen konnte, verfährt bis heute unbeirrt nach der bisherigen Orthographie, nicht nur, weil die Umstellung einen massiven Bruch im Erscheinungsbild des seit 40 Jahren publizierten Werkes bedeuten würde, sondern vor allem deshalb, weil sie gravierende Folgen für die Ansetzungspraxis hätte: Zahlreiche Komposita etwa könnten nach der neuen GZS-Regelung gar nicht mehr gebucht werden, sie würden als Lemma schlicht wegfallen. Für andere Akademieunternehmen, etwa die Neubearbeitung des Deutschen ("Grimmschen") Wörterbuches, gilt Ähnliches. – Ich habe auf meinen Brief übrigens nie eine Antwort bekommen.

Was die "Gegenworte" betrifft, so weiß ich, daß die frühere, sehr verdiente Redakteurin Hazel Rosenstrauch, die die Zeitschrift eigentlich zu dem gemacht hat, was sie heute ist, der neuen Rechtschreibung durchaus nicht unkritisch gegenüberstand. Aber sie hat sich in dem Punkt wohl nicht energisch genug eingesetzt. Auch von mir ist 2003 ein Aufsatz in den "Gegenworten" erschienen, der durch redaktionelle Überarbeitung orthographisch ziemlich verhunzt ist.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 24.02.2009 um 15.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1112#13956

An der Zeitschrift Gegenworte stört bereits der Titel, der eine oppositionelle Haltung suggeriert, die von der herausgebenden Körperschaft selbstverständlich nicht eingenommen wird – wie die gewählte Orthographie denn auch deutlich macht.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 25.02.2009 um 08.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1112#13957

Es wäre eine Umbenennung möglich: Statt Gegenworte heiße die Zeitschrift künftig Worte der Anpassung. Oder Die Dienerschaft. Oder Der Kriecher.
 
 

Kommentar von Nikolaus Lohse, verfaßt am 25.02.2009 um 11.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1112#13962

"Anpassung ... Dienerschaft ... Kriecher": Das ist, mit Verlaub, blanke Polemik, die dem Charakter der mit großem Engagement ins Leben gerufenen und inzwischen zu einer durchaus beachteten Institution gewordenen Zeitschrift ihn gar keiner Weise gerecht wird.

In der Gründungsphase gab es einen (halb-offiziellen) Ideenwettbewerb für den Titel des künftigen Publikationsorgans. Der schließlich favorisierte Name geht zurück auf einen Vorschlag von Wolfgang Frühwald, der Bezug nimmt auf Paul Celans "Meridian"-Rede. Celan greift dort den Ausruf der Lucile aus Büchners Drama "Dantons Tod" auf: "Vive le roi!", mit dem sie sich den Revolutionsgarden ausliefert, um ihrem gerade hingerichteten Geliebten Camille Desmoulins in den Tod zu folgen. Er interpretiert ihn als das bedingungslose, das todbringende und zugleich befreiende Wort, das "Gegenwort ... das sich nicht mehr vor den 'Eckstehern und Paradegäulen der Geschichte' bückt, es ist ein Akt der Freiheit. Es ist ein Schritt." – Man muß die einigermaßen diffizilen Zusammenhänge kennen, um den Hintersinn des Wortes zu erfassen; und selbstverständlich kann man zweifeln, ob ein solcher Ausdruck zum Zeitschriftentitel taugt. Aber es besteht keinerlei Veranlassung, aus Verbitterung über die Orthographie daraus nun billiges Kapital zu schlagen.
 
 

Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 25.02.2009 um 11.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1112#13963

Was Sie anführen, Herr Lohse, macht es noch unverständlicher, daß die Zeitschrift in drittklassiger und nachgerade kulturloser Orthographie erscheint.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 25.02.2009 um 12.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1112#13964

Was ist die Akademie, ein verhinderter Jakobinerclub?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.09.2012 um 16.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1112#21368

Die Veranstaltungen der Berlin-Brandenburgischen Akademie finden teils in der Markgrafenstraße, teils in der Jägerstrasse statt.

Ähnlich unentschieden ist die ganze Rechtschreibung der Akademie. Das macht keinen guten Eindruck. Gerade weil ich die Arbeit der Akademie schätze, bedauere ich die Mängel, die ja mehr sind als nur formale Versehen und - weil eine Entscheidung dahintersteht - die Glaubwürdigkeit der Auftritte beeinträchtigen. Hier noch etwas aus den "Gegenworten":

... dass in den Geisteswissenschaften nur selten versucht wird, Rerum cognoscere Causas. (Wolfgang Klein in „Gegenworte“ 13, 2004)

Der Verfasser und die Herausgeber denken natürlich nicht daran, nun auch in anderen Zitaten (Darwin, Laplace usw.) die deutsche Substantivgroßschreibung einzuführen. Im Gegensatz zu Pars pro Toto (ebd.) ist das Vergil-Zitat auch kein Fremdwort, sondern eben tatsächlich ein Zitat.

Das war nur ein Beispiel von vielen, die eine orthographische Verwahrlosung belegen.
 
 

Kommentar von Frank Daubner, verfaßt am 16.01.2020 um 08.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1112#42768

Auch bei einer anderen Akademie (Göttingen) wird im Leitfaden verlangt: "Es ist die Neue Deutsche Rechtschreibung in gemäßigter Form (d.h. vor allem für ss/ß-Schreibungen) zu verwenden." Mir ist nicht klar, wem man damit ein Unterwerfungssignal geben zu müssen glaubt. Ein Beitrag von mir beginnt mit der redaktionellen Fußnote "Auf Wunsch des Autors wurde in diesem Beitrag – gegen die übliche Praxis der xxx-Reihe – die traditionelle ss/ß-Schreibung beibehalten." Es läuft also, abgesehen von der allgemeinen Verwahrlosung, tatsächlich nur noch auf diesen Geßlerhut hinaus.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.01.2020 um 09.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1112#42769

Wobei auch wieder die "Neue Deutsche Rechtschreibung" auftaucht (wie bei den Husserliana im Verlag Springer) – als ob es so etwas gäbe, auch noch in Großschreibung.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.01.2020 um 18.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1112#42853

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1112#21368

Wolfgang Klein hat wohl geglaubt, es besonders gut zu machen, indem er die Substantive in einer mehrteiligen Entlehnung groß schrieb. Dabei hat er die weitere einschränkende Bedingung aus § 55 (3) übersehen, daß der gesamte Ausdruck substantivisch gebraucht sein muß. Das ist bei Rerum cognoscere Causas nicht der Fall. Schwierig wird es bei
Pars pro Toto
(Duden): "Er meint es pars pro toto." Oder?
 
 

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