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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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06.07.2008
 

Martin Walser in Reformschrieb
Und ein wenig Argumentationshilfe

In der SZ vom 5.7.08 ist eine Rede von Martin Walser abgedruckt – in reformierter Orthographie, aber es ist fast ausschließlich die s-Schreibung betroffen, sonst nur noch res-pektierter Politiker. Damit wird deutlich, was von der ganzen Rechtschreibreform übriggeblieben ist.
Und gerade die s-Schreibung ist besonders fehlerträchtig. Nicht nur in studentischen Arbeiten wimmelt es von Verwechslungen, besonders bei Konjunktion und Pronomen (dass/das). Sogar Jutta Limbach schreibt in ihrem jüngsten Buch: Klüger wäre es, dass (!) Hirn für einen Kompromiss zu strapazieren. (Hat Deutsch eine Zukunft? München 2008).

Zusätzlich zu diesem Beispiel möchte ich noch ein paar weitere anführen, die fast alle hier schon einmal erwähnt worden sind, aber in ihrer Ballung vielleicht eine kleine Argumentationshilfe darstellen könnten:

etwas zu essen, dass besonders gut sei (SZ 20.2.08)

Dass sei auch im Sinne des Publikums (Ursula Götz/Stefanie Stricker [Hg.]: Neue Perspektiven der Sprachgeschichte. Heidelberg 2006)

Es gibt ja überhaupt nur ein Präfix, dass Wortbildungen mit dem Partizip I zulassen würde. (Fuhrhop, Nanna: Zwischen Wort und Syntagma. Tübingen 2007)

dass Licht nur anzuschalten, wenn es benötigt wird. (SZ 17.3.08)

Im Kopf passierte etwas, dass ihm seine Fähigkeit raubte, klar zu denken. (. . .) Schade nur, das er dieses schöne Gefühl nicht mehr denken kann. (Inge Jens im Stern 15/2008)

Am dringlichsten ist zurzeit die Forderung, dass „Tibet nicht zugemacht werden darf“, dass heisst, dass internationale Beobachter und Journalisten wieder in alle von Tibetern bewohnte Gebiete reisen und frei darüber berichten dürfen. (Tagblatt 28.3.08)

Sie findet den Gedanken unerträglich, dass der Mann etwas über sie oder ihr Geschlecht im Allgemeinen wissen könnte, dass sie selbst nicht weiß. (SZ 30.4.08)

Hölderlins Wort, dass, wo Gefahr ist, dass Rettende auch wachse ... (SZ 24.5.08)

ein Kulturmilieu, dass Thomas Manns Satz, der Antikommunismus sei die Grundtorheit des Jahrhunderts, für weise hielt (SZ 11.6.08)

Dass kann zu Konflikten führen. (FAZ 14.6.08)

ein Trugbild, dass ins Nichts zerlaufen könnte (SZ 20.6.08)



Außerdem teilt die SZ vom 5.7.08 mit, daß BenQ schon früher Pleite war.



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Kommentare zu »Martin Walser in Reformschrieb«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.11.2019 um 07.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#42455

Walsers neues Buch (in Reformschreibung) beginnt so:

Ein Mädchen ist verschwunden. Ich spüre, dass man mich verdächtigt, deshalb bin auch ich verschwunden und schreibe jetzt, was ich weiß, um zu beweisen, dass nicht ich es war, der am Verschwinden des Mädchens schuld ist.

Meiner Ansicht nach falsches Deutsch. Richtig wäre daß nicht ich es bin.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.09.2014 um 03.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#26630

Walsers Tagebücher erscheinen bei Rowohlt in Reformschreibung. Also heute Nacht usw. Allerdings macht die Besprechung in der FAS ohnehin nicht leselustig. Man muß sich für sehr bedeutend halten, um vor solcher Selbstentblößung (einschl. Bloßstellung anderer Prominenz) nicht zurückzuschrecken.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.04.2013 um 06.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#23059

Nach der Vorschau zu urteilen, ist Walsers neuer Roman "Meßmers Momente" in Reformschreibweise gedruckt. Die FAZ setzt im Untertitel ihrer Rezension (25.4.13) sogar den Titelnamen um: Messmer, im Text selbst dann Meßmer, aber auch wieder Messmer-Trilogie. Das ist besonders hübsch, weil die Reformer ja mit dem mansionarius ihre liebe Not hatten.
In der Rezension kommen einige Zitate reformiert daher, andere nicht. Die übliche Leserverachtung, wie bei allem Hingeschluderten.
 
 

Kommentar von MG, verfaßt am 26.07.2008 um 13.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12735

Zu "das" und "daß".

In verschiedenen süddeutschen Dialekten (so dem meinigen) spricht man die beiden Wörter unterschiedlich aus, so daß man sie problemlos unterscheiden kann, wenn man den fraglichen Satz im Dialekt spricht.

Dabei "weiß" doch jedes norddeutsche Elternpaar, daß Dialekt die Deutschkenntnis in der Schule verdirbt!
 
 

Kommentar von MG, verfaßt am 26.07.2008 um 13.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12734

Zu "das" und "daß".

In verschiedenen süddeutschen Dialekten (so dem meinigen) spricht man die beiden Wörter unterschiedlich aus, so daß man sie problemlos unterscheiden kann, wenn man den fraglichen Satz im Dialekt spricht.

Dabei "weiß" doch jedes norddeutsche Elternpaar, daß Dialekt die Deutschkenntnis in der Schule verdirbt!
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 25.07.2008 um 20.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12732

So kann's gehen, wenn man Reformhörigen zu vieles glaubt.
Als ich kürzlich in einer großen Mannheimer Buchhandlung nach diesem Buch fragte, habe ich im dortigen Computer unter "Klappentext" exakt den gleichen Mischmasch zu sehen bekommen wie in der Amazon-Kurzbeschreibung.

Nun, da ich das Buch in den Händen halte, freue ich mich über eine vorbildliche Rechtschreibung, selbstverständlich durchgehend nur mit "daß", auch auf dem Umschlag.
Die den Klappentext abgeschrieben haben, kannten wohl außer "dass" keine Neuregelung.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 19.07.2008 um 19.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12673

Wie ich heute in einer Buchhandlung feststellte, gibt die Kurzbeschreibung bei Amazon buchstabengetreu den Klappentext dieses Buches wieder. Besonders bei einem Buch, in dem es um Sprache geht, nicht gerade eine Empfehlung.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 18.07.2008 um 23.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12647

Die Kurzbeschreibung zu "In Ketten tanzen: Übersetzen als interpretierende Kunst" der eigentlich reformiert schreiben wollenden Firma Amazon enthält genau drei von der ß/ss-Reform betroffene Wörter: Prozeß, Dass (statt Daß), einläßt.
Bei 'daß' fällt also das ß anscheinend mehr auf als in anderen Wörtern. Es ist eben auch eines der häufigsten deutschen Wörter.

Ich bin der Meinung, daß ein falsches 'daß' auch auffälliger ist als ein falsches 'dass'. Deshalb werden mit 'dass' mehr Fehler gemacht als mit 'daß'. Man verwechselt 'dass' und 'das' einfach leichter als 'daß' und 'das'.
 
 

Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 12.07.2008 um 14.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12574

Lieber Herr Höher,

da wissen Sie mal wieder mehr als ich. Als ich zuletzt am Bodensee weilte, stand Walsers Angstblüte in den Regalen. Ich bin seinerzeit selbst in die Buchhandlung gegangen, um mich davon zu überzeugen, daß es noch in guter Rechtschreibung gesetzt ist. Ich fand aber auch den Titel schon so konstruiert und grausam, wirklich, das war nichts für mich. Ich hatte sogar die Geduld, mich durch die ersten fünf Seiten zu quälen, aber nein . . . das war wenig erquicklich. Wie es Herrn Walser danach ergangen ist, weiß ich selbstverständlich nicht.
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 12.07.2008 um 13.42 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12573

Korrektur:

Nicht fünf, sondern sechs Bücher von Walser sind bei Rowohlt in herkömmlicher Rechtschreibung erschienen.
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 12.07.2008 um 13.33 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12572

Zu 1022#12566:

Vielleicht noch etwas näher am Thema: Sollte Martin Walser je in Reformschrieb erscheinen, wäre das gewiß ein großer Rückschlag für uns. Ich verstehe aber die Aufregung und die Begeisterung für Walser nicht: Wirklich, da muß man doch nur mal fünf Seiten lesen, um zu verstehen, daß er einer der meistüberschätzten deutschen Literaten ist.

Lieber Herr Köster,

ich verstehe Ihren Konjunktiv nicht so ganz, denn der letzte Roman von Martin Walser ist definitiv in Reformschrieb erschienen. Herr Salzburg und ich (und zuvor schon Herr Ickler hier irgendwo aus dem Vorabdruck) haben deshalb einige Rechtschreib- und Stilblüten präsentiert. Das sind die Fakten.

Eine förmliche Rezension des Romans wollte ich hier nicht liefern, weil das hier nicht der rechte Ort dafür ist. Auch wollte ich damit keinesfalls ein Pauschalurteil über Walser als Schriftsteller aussprechen, nur seine Haltung in puncto Rechtschreibung halte ich für mehr als opportunistisch. Um diese These vom "Umfaller" zu untermauern, steht ja auch die lange Liste seiner Publikationen in diesem Strang. Fünf Bücher von ihm sind nach dem Verlagswechsel zu dem längst gleichgeschalteten Rowohlt-Verlag in herkömmlicher Rechtschreibung erschienen und nun "Ein liebender Mann" in Neuschrieb.

Um auf die Stufenabfolge unseres Germanisten zurückzukommen, hätte sich Walser somit auf die Stufe 2 zurückentwickelt.
 
 

Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 12.07.2008 um 01.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12567

Ja, Herr Ickler,

mir ist auch schon im Zwiebelfischforum eine pensionierte Deutschlehrerin untergekommen, die mir allen Ernstes erzählen wollte, Schüler begriffen das am besten, wenn man ihnen erklärte, "das" nach Komma schriebe sich als "dass". Schüler schreiben also nach dieser "Regel": "Das Haus, dass da steht." Wenn schon Lehrer so einen Unfug verbreiten, wie soll man da gegen solche Windmühlen kämpfen? Das Erlernen einer Fremdsprache hilft da: Ist im Englischen "that" und "that" noch gleich, ist es im Französischen schon "qui" und "que", im Lateinischen "qui" und "ut". Auch gibt es im Deutschen hinreichend gute Lernregeln dafür, aber solange Lehrer immer noch mit dem Kommaquatsch kommen, werden viele Schüler das gar nicht erst verstehen.
 
 

Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 12.07.2008 um 01.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12566

Vielleicht noch etwas näher am Thema: Sollte Martin Walser je in Reformschrieb erscheinen, wäre das gewiß ein großer Rückschlag für uns. Ich verstehe aber die Aufregung und die Begeisterung für Walser nicht: Wirklich, da muß man doch nur mal fünf Seiten lesen, um zu verstehen, daß er einer der meistüberschätzten deutschen Literaten ist. Bei Grass sehe ich das etwas anders, der hat schon noch irgendwo ein Gefühl für die Jugend, auch wenn er sie leider nicht mehr erreicht.

Ist wie bei der Bild-Zeitung: Da war ich eigentlich auch froh, als ich hörte, daß sie endlich zum Reformschrieb übergewechselt ist. Da mußte ich wenigstens nicht mehr diesen Kai Dieckmann oder wie der heißt an meiner Seite wähnen. Das ist mir dieser Schmierer dann auch nicht wert.
 
 

Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 12.07.2008 um 00.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12565

Lieber Germanist,

Ihre aufzählende Interpretation scheint mir deshalb goldrichtig, weil Sie meinen Weg erzählt.

Als ich mich zum erstenmal, das muß so 1998 gewesen, mit den neuen Regeln befaßte, war mein erster Gedanke: Wenn es schlecht für unsere Schriftsteller ist, aber gut für unsere Schüler, dann bin ich natürlich für unsere Schüler. Die Idee, unsere Schrift zu vereinfachen, ist ja auch zunächst überhaupt nicht verwerflich, denn in der Tat stellt sie ja auch Profis noch gelegentlich vor Probleme. Da war ich also in der "Schauen wir mal"-Phase.

Die zweite Stufe habe ich indes ausgelassen, denn von Obrigkeitshörigkeit habe ich noch nie etwas gehalten. Zwar wohl schon von Respekt den Oberen gegenüber – daß aber auch diese nicht unfehlbar seien, ist eine Binsenweisheit.

Die dritte Stufe erlangte ich, als ich eigene kleine bescheidene Prosastücke zuwerkebrachte, gewiß nichts von der Qualität eines Thomas Manns, aber doch immerhin Kurzgeschichten nach dem Vorbild der American Short Story, wie sie mir seinerzeit auf der Zunge lagen und auf der Seele brannten. Plötzlich merkte ich: "wieder beleben"? Das wollte ich überhaupt nicht schreiben, ich meinte doch "wiederbeleben"! Auch war nie von "Recht" haben die Rede, ich wollte, wenn überhaupt, einen Charakter "recht" haben lassen! Auch mit der heutigen Revision der Reform sind viele dieser Unstimmigkeiten nicht beseitigt, denn weiterhin soll etwa "viel versprechend" dasselbe wie "viel versprechend" bedeutend, "Kaffee trinkend" dasselbe wie "kaffeetrinkend", "anders Denkende" dasselbe wie "Andersdenkende". Das alles ist nicht akzeptabel.

In der vierten Stufe, der "Legal, illegal, sch...egal"-Stufe befinde ich mich gerade. Ich schreibe nunmehr dudenwidrig "sowas", "naja", "beiseitewischen", "zuguterletzt", "infragestellen", "vonstattengehen" und "zutagefördern", weil mir dies Zusammenschreibungen zu sein scheinen, die Dudens übersehen haben, die aber möglicherweise in ihrem Sinne gewesen sein dürften.

Ja, zur fünften Stufe: Inwzwischen kann ich diese übertriebenen Großschreibungen und wahllos auseinandergerupften Wörter nicht mehr sehen. Die neuen Kommaregeln sind ohnehin völlig indiskutabel. Ich beabsichtige daher, einen Brief an den RfdR und an die deutschen Ministerpräsidenten zu schreiben, mit der Bitte, nicht nur die "schlimmsten", sondern auch alle schlimmen Mißstände endlich zu beseitigen. Nicht nur Schülern kann abverlangt werden, Hausaufgaben zu machen – nein, auch Politikern darf derlei zugemutet werden.
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 11.07.2008 um 14.57 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12564

Lieber Germanist,

mit dieser Analyse haben Sie zweifellos recht.

Auf welcher Stufe sind wir denn Ihrer Meinung nach gerade? Und zählen die diversen dilettantischen Flickversuche seit 1998 auch schon zu Ihrer Stufe 5? Sonst wäre ja womöglich das Allensbach-Ergebnis als Rufen nach Stufe 5 zu verstehen.

Denn tatsächlichen liegen längst (seit 2004) bessere Regeln in einer erweiterten Fassung vor. Sie heißen "Normale deutsche Rechtschreibung" (Untertitel: Sinnvoll schreiben, trennen, Zeichen setzen). Der Verfasser ist wohlbekannt (und nicht wohl bekannt).
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 11.07.2008 um 14.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12563

Die Rechtschreibreform und das Volk:
1. Stufe: Schaun wir mal;
2. Stufe: Obrigkeitshörigkeit;
3. Stufe: Einsicht, daß die Regeln unbrauchbar sind;
4. Stufe: legal, illegal, sch...egal (das Gegenteil von Obrigkeitshörigkeit);
5. Stufe: Rufe nach besseren Regeln (oder den früheren).
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 11.07.2008 um 12.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12562

Lieber Herr Strasser,

die Beispiele sind nochmalige Argumente gegen den Neuschrieb und hier insbesondere gegen die Heysesche s-Schreibung, die ja gerade vieles besser, schöner, einfacher zu lernen, praktikabler (was habe ich vergessen?) machen sollte.

Walser ist als Mitunterzeichner der Frankfurter Erklärung der Schriftsteller gegen die Rechtschreibreform (ist auch auf diesen Seiten archiviert) ein dankbarer Aufhänger, auch wenn das Sammeln von Argumenten gegen Heyse nicht gerade neu ist. Ob Sie sich nun trotzdem Walser kaufen, bleibt natürlich Ihre Angelegenheit.
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 10.07.2008 um 19.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12559

Argumentationshilfe?
Wem gegenüber soll wer denn argumentieren?

Daß die Kulturtechnik Schreiben im Profibereich während der letzten 10 Jahre stark verluderte, ist nicht zu leugnen. Ergibt sich die Frage, ob ähnliche Entwicklungen auch in anderen Sprachen zu beobachten sind? Informationen dazu?

Eine Sonderstellung hat Deutsch aber in jedem Fall, da der überwiegende Teil der Verluderung sich ausgerechnet in jenen Bereichen etabliert, die durch die Reform logischer und klarer werden sollten.
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 10.07.2008 um 17.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12558

Eine kluge Entscheidung, Herr Salzburg. Ich habe mir das Buch auch nur ausgeliehen, aber sagen Sie es nicht weiter.

Nachdem das Exemplar der hiesigen Stadtbibliothek schon vorgemerkt war, habe ich dann auf das Exemplar der Universitätsbibliothek zurückgegriffen (das wurde von den Braunschweiger Walser-Enthusiasten wohl übersehen). Es stand dort in der anscheinend neuen Abteilung "Bestseller". Na, wer's glaubt!
 
 

Kommentar von Sigmar Salzburg, verfaßt am 10.07.2008 um 16.18 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12557

… nur "rau", kein "dass" …
… nach der Erinnerung beim Durchblättern in der Buchhandlung. Auf den Kauf hatte ich daraufhin verzichtet.

 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 10.07.2008 um 12.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12556

Ich trage noch ein paar Dinge zu Walsers Goethe-Roman nach, um mich hier vollkommen unbeliebt zu machen.

Die Stelle, die Herr Salzburg dankenswerterweise nachtrug, lautet übrigens "Da heute das Wetter rau genug war, der Ostwind sie gelegentlich richtig angefaucht hatte [...]" (S. 131–132), nur "rau", kein "dass". Aber das ist eigentlich nicht so wichtig.

Notiert habe ich mir noch – ich schwanke, ob zur Stilistik oder Rechtschreibung gehörend:

"Madame Pompadour. Das Prachtsweib im Mutterdienst." (S. 158)

Und nun wird es besonders ärgerlich und albern, weil Walser historische Originalorthographie und Neuschrieb miteinander verschränkt:

S. 161–163 sagt Ulrike eine Passage aus dem Werther auf, in historischer Orthographie ("[...] Du kennst die Nußbäume, unter denen ich bei dem ehrlichen Pfarrer ... mit Lotten gesessen, die herrlichen Nußbäume! die mich, Gott weiß, immer mit dem größten Seelenvergnügen füllten! [...]" S. 161) und kommt zwei Seiten später im Gespräch mit Goethe darauf zurück: "Auf dem Rückweg sagte Ulrike, bevor sie zurück seien im Terrain des Sie-Sagens, müsse sie doch noch melden, warum sie die Partie mit den Nussbäumen habe auswendig lernen müssen. [...] Die Nussbäume kennen wir! Ihnen sind wir so nahe, wie Werther ihnen ist. [...]", S.165.

So etwas macht Walser gut und gerne sechsmal im Buch. Er läßt Goethe ein Gedicht in historischer Orthographie schreiben und danach in Neuschrieb sprechen oder einen Brief (mit historischem Datum!) schreiben. Die geschriebenen oder rezitierten Passagen sind zwar durch Einzug optisch kenntlich gemacht, aber was der Orthographiewechsel soll, verstehe ich nicht. An zwei Briefen habe ich den Wortlaut überprüft und festgestellt, daß Walser ihn verändert. Schön und gut, das ist künstlerische Freiheit. Trotzdem läßt Walser das alles – historisch verbürgt, oder nicht – Goethe sagen und schreiben. Und dieser Goethe wechselt bei Walser häufig die Orthographie. Eigentlich schade, daß ich das Buch nun doch gelesen habe.
 
 

Kommentar von b.eversberg, verfaßt am 10.07.2008 um 12.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12555

Querbeet und auf allen Ebenen hat sich bzgl. Orthographie eine Wurschtigkeit verbreitet, die kein Problem mehr wahrhaben, geschweige diskutieren will. Man könnte denken, wir wären eine verschrobene Restgruppe, gäbe es da nicht die Allensbach-Umfrage. Aber das größte und vermutlich einzige weiter wachsende Segment bilden da die Gleichgültigen. Im Ausland kann man diese Situation nirgends verständlich machen und er erschwert ganz klar das Lernen der deutschen Schriftsprache, aber auch das will hier, bis hinauf zum Goethe- und auch Bundespräsidenten, niemand wissen.
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 10.07.2008 um 11.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12554

Vielen Dank, Herr Salzburg, ich hätte heute morgen hinzufügen sollen, daß auch meine Beispiele für den Reformschrieb keinen Anspruch auf Vollständigkeit haben. Ich habe aber in meiner Liste schlicht und einfach "rau" übersehen. Asche auf mein Haupt!

Immerhin ist gerade diese Schreibung mit dem Hinweis auf den "Spiegel" noch ein Argument für meine These vom Umfaller.
Ich war bei den diversen Bällen im Buch immer darauf gespannt, ob es mal ein "platzieren" an der Tafel gibt, habe aber nichts bemerkt.
 
 

Kommentar von Sigmar Salzburg, verfaßt am 10.07.2008 um 05.47 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12553

Martin Walser sagte laut Spiegel vom 14.10.1996, Seite 270:
"Rau" statt "rauh" werde ich nie schreiben. Dem "Hass" tut die Verschärfung gut.

http://wissen.spiegel.de/wissen/dokument/dokument.html?id=9106220

In seinem letzten Werk liest man:
Dass das Wetter heute wieder rau genug war …“ (S. 131)

Anders als die FAZ hat er sich also noch nicht einmal zu einem bescheidenen Restwiderstand aufgerafft.
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 10.07.2008 um 02.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12552

Es ist zwar schon spät (oder früh), aber um meine bösen Tiraden vom Umfallen Walsers mal auf etwas festere Füße zu stellen, liefere ich im folgenden – man sehe mir die Ausführlichkeit nach – eine (zwar nicht ganz lückenlose) Auflistung seiner Publikationen seit der großen Werkausgabe, die 1997 anläßlich seines 70. Geburtstages bei Suhrkamp erschienen war.
Ich nenne für jedes Jahr zumindest einen Titel, wobei ich hier vor Ort Schwierigkeiten habe, alle Ausgaben der Edition Isele einzusehen. Alle Titel, die ich nicht eingesehen habe, nenne ich ganz offen. Die übrigen Angaben beruhen auf Autopsie. Für Ergänzungen bin ich dankbar.
Zumindest sechs Bücher von Walser erschienen bis 2007 bei Rowohlt in herkömmlicher Orthographie. Das sieht für mich daher wirklich so aus, als billige er den Reformschrieb in „Ein liebender Mann“ ganz ausdrücklich.


1. Ein liebender Mann. Roman, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2008

- in Neuschrieb
- zur Rechtschreibung: durchgehend Heysesche s-Schreibung, aber in den eingestreuten Gedichttexten findet sich Originalorthographie (S. 93: „Du hattest längst mir’s angethan / Doch jetzt gewahr’ ich neues Leben: / Ein süßer Mund blickt uns gar freundlich an / Wenn er uns einen Kuß gegeben.“, S. 124—125, S. 198—204: die „Marienbader Elegie“ und S. 221: „Nein! Du wählst nicht den Geringern! / Gib die Hand, daß Tag für Tag / Ich an Deinen zarten Fingern / Ewigkeiten zählen mag.“, alle Gedichttexte wohl nach der Weimarer Ausgabe), jedoch Neuschrieb in den eingestreuten und datierten Briefen, außerdem „Klebelsberg’sche Kurhotel“ S. 18, ähnlich S. 20, 52 und 85, „und hatte als Solist verrückt gespielt“ S. 57, Vermeidungsschreibung: „Schluss-Szene“ S. 159, „Egloff’schen Lehnstuhl“ S. 258, „Nach zwei Stunden hatte er zwei Flaschen Portwein leer getrunken“ S. 283; aber: „autobiographischen Anteil“ S. 56, „Das tut mir so arg leid“ S. 60, „vis-à-vis“ S. 93, „fünfmal in der Stunde“ S. 115 (sonst immer Walsers auch in früheren Texten übliches "zum ersten Mal"), „hinaus ins sogenannte Leben“ S. 235
- zur Worttrennung: herkömmlich z. B. „Chir-urg“ S. 26, aber „Ges-ten“ S. 63, „begeis-tert“ S. 102 und „Kris-tallen“ S. 130 (ohne Anspruch auf Vollständigkeit!)
- zur (vorsichtig ausgedrückt) gewöhnungsbedürftigen Stilistik: „keine ganz tollen Stücke [Goethe über Voltaires Theaterstücke]“ S. 16, „Aber dafür ist Scott prima“ [die fünfzehnjährige Bertha von Levetzov über Walter Scott] S. 16, ein recht alberner Hinweis auf die heutige SMS-Kurzsprache „Dann hatten sie ihm übersetzt: S w s w n n heißt: So weit sind wir noch nicht. Das sei ihre Kürzelsprache. Ja. Sie seien Kinder des 19. Jahrhunderts. Bald werde man sich nur noch in der Kürzelsprache unterhalten.“ S. 123, „das Pseudo-Alleinsein“ S. 242, „wie er einen krassen Feind nicht belügen könnte“ [erlebte Rede Goethes] S. 278, „Diese ewige Benoterei!“ S. 281, der Roman endet mit einer nächtlichen Erektion Goethes: „Als er aufwachte, hatte er sein Teil in der Hand, und das war steif. Da wusste er, von wem er geträumt hatte. S[o] w[eit] s[ind] w[ir].“ S. 285 [in die Kürzelsprache der Levetzov-Töchter wird Goethe S. 121—123 eingeführt, wie schön, daß Goethe am Ende bei seiner Erektion in "SMS"-Sprache denkt]


2. Das geschundene Tier. Neununddreißig Balladen. Zeichnungen von Alissa Walser, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2007

- in herkömmlicher Orthographie


3. Winterblume. Über Bücher von 1951—2005, versammelt u. mit einem Nachwort vers. Von Martin Zingg, Eggingen: Edition Isele 2007

- nicht eingesehen


4. Leben und Schreiben. Tagebücher 1963—1973 [mit Walsers Essay „Die Hirngeschriebenheit. Über eine mögliche Unschuld der Tagebücher“ und Anmerkungen von Walsers Biograph Jörg Magenau], Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2007

- in herkömmlicher Orthographie


5. Angstblüte. Roman, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2006

- in herkömmlicher Orthographie


6. Der Lebensroman des Andreas Beck. Seinen Büchern nacherzählt von Martin Walser, Eggingen: Edition Isele 2006

- nicht eingesehen


7. Der Augenblick der Liebe. Roman, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2006

- in herkömmlicher Orthographie


8. Leben und Schreiben. Tagebücher 1951—1962 [mit Anmerkungen von Jörg Magenau], Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2005

- in herkömmlicher Orthographie


9. Maria Menz: Briefe. Bd. 1 [Briefwechsel mit Martin Walser], hrsg. von Claus-Wilhelm Hoffmann, Eggingen: Edition Isele 2005

- nicht eingesehen


10. Woher diese Schönheit. Über Kunst, über Künstler, über Bilder, Eggingen: Edition Isele 2004

- in herkömmlicher Orthographie


11. Die Verwaltung des Nichts. Aufsätze, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2004

- in herkömmlicher Orthographie


12. Meßmers Reisen, Ffm.: Suhrkamp 2003

- in herkömmlicher Orthographie


13. Ein Flugzeug über dem Haus und andere Geschichten, Lpz.: Faber & Faber 2003

- nicht eingesehen


14. Aus dem Wortschatz unserer Kämpfe. Prosa, Aufsätze, Gedichte, Ffm.: Suhrkamp 2002

- in herkömmlicher Orthographie


15. Tod eines Kritikers. Roman, Ffm.: Suhrkamp 2002

- in herkömmlicher Orthographie


16. Der Lebenslauf der Liebe. Roman, Ffm.: Suhrkamp 2001

- in herkömmlicher Orthographie


17. Ich vertraue. Querfeldein. Reden und Aufsätze, Ffm.: Suhrkamp 2000

- in herkömmlicher Orthographie


18. Ein springender Brunnen. Roman, Ffm.: Suhrkamp 1998

- in herkömmlicher Orthographie


 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 08.07.2008 um 20.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12547

Ich möchte auf keinen Fall wegen Walser Streit anfangen, denn das ist er mir nicht wert. Nehmen Sie deshalb bitte meine erneute Entgegnung nicht als ewige Widerworte, Herr Ickler.

Da Walser als Suhrkampautor ("Der Lebenslauf der Liebe", 2001) nicht darauf bestand (es wäre ihm ja möglich gewesen), in Neuschrieb gedruckt zu werden, stößt mich der Kotau vor Heyse bei Rowohlt nun ab. Hätte er sich seinerzeit nicht ablehnend zur Rechtschreibreform geäußert, wäre es mir jetzt auch egal. Ich finde auch Reich-Ranickis Kolumne in der F.A.Z. in Neuschrieb sehr peinlich. War der Ausspruch vom "Untergang des Abendlandes" nicht von ihm?

Diese Herrschaften nehmen für sich eine gewisse Vorbildfunktion in Anspruch und möchten gerne als kulturelle Instanzen gelten. Dann müssen sie sich aber auch an so etwas wie einem kategorischen Imperativ messen lassen (auch die Auseinandersetzung mit Bubis hatte Walser sehr unangenehm als öffentliche Inszenierung dargeboten).

Das ist eigentlich auch schon mein ganzes Problem. Wahrscheinlich mag ich deshalb auch Thomas Mannns "Betrachtungen eines Unpolitischen" nicht. Ich überlasse es nun anderen, mich psychoanalytisch auf der Couch zu sezieren.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.07.2008 um 18.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12541

Ich hatte gar nicht auf Ihren Text antworten wollen, lieber Herr Höher, sondern meine Einschaltung war freischwebend gemeint. Ich spreche auch nicht gern von Umfallen, wenn ich nichts Genaueres weiß.
Viele Herrschaften kennen ja auch die Einzelheiten der revidierten Neuregelung nicht und glauben vielleicht, es sein nun alles wieder (ziemlich) gut. Darauf war ja die ganze Propaganda abgestimmt.
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 08.07.2008 um 14.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12536

Zu #12530:

Lieber Herr Ickler,

ich habe gar nicht bezweifelt, daß Walser inzwischen offiziell von seiner Einstellung zur Rechtschreibreform abgerückt ist. Irritierend ist nur, daß er sich damals öffentlich dazu bekannte und nun ebenfalls öffentlich nicht mehr danach handelt. Ich erwarte nicht, daß es von ihm – gerne mit Rücksicht auf sein Alter und andere Interessen – weitere Stellungnahmen zu diesem Thema gibt. Aber da Autoren wie Delius und Kertész auch in herkömmlicher Rechtschreibung bei Rowohlt gedruckt werden, kann es doch für Walser auch nicht so schwer sein, sich dem anzuschließen. Und damit ignoriere ich auch die mögliche Auseinandersetzung mit der "Süddeutschen Zeitung". Jedem Schriftsteller sollte zumindest bei einer Buchpublikation daran gelegen sein, daß sein Werk so erscheint, wie er es will. Demnach will Walser jetzt Reformschrieb haben.

Ähnliches gilt für den Herrn des "Sophas", obwohl der sich meines Wissens nicht zur Rechtschreibreform geäußert hat (mit der Bitte um Aufklärung, falls ich mich irre). Die Akademie hätte seinen Text in der von ihm abgelieferten Form als Pdf-Datei ins Netz gestellt (wie ja auch bei seinem Laudator). Walser hat sich öffentlich gegen die Reform gestellt und fällt nun um und Mosebach pflegt in seinen Büchern das Bild des auf dem Sopha telephonierenden, den Elephanten zusehenden Sprachkünstlers und präsentiert seinen Dank für den Büchner-Preis nun in Neuschrieb. Aber endgültig warte ich da noch die Publikation bei Wallstein ab.
 
 

Kommentar von Tobias Bluhme, verfaßt am 08.07.2008 um 13.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12534

Plakat des TRIAS-Verlags für ein in Kürze erscheinendes Buch:

"Wer mehr weiß, muß weniger glauben."
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.07.2008 um 12.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12530

Martin Walser ist bekanntlich gegen die Rechtschreibreform, aber ich könnte verstehen, wenn er in vorgerückten Jahren seine Kraft und Zeit nicht mehr daran wenden möchte, sich gegen den Anschlag der Süddeutschen Zeitung auf seinen Text zu wehren. An Frau Limbach hätte ich vor zehn Jahren wahrscheinlich einen Brief geschrieben, um sie auf die verderblichen Folgen der Reform in ihrem Buch hinzuweisen. Heute mache ich das nicht mehr, weil ich annehme, daß ihr die Sprachkultur egal ist. Wir haben ähnliches hundertfach erfahren müssen. Mehr als eine nichtssagende Standardantwort würde man nicht bekommen. Frau Limbach wäre sicher unter gar keinen Umständen willens, auf einem nichtreformierten Abdruck zu bestehen. Sie hat ja auch im Amt nichts unternommen - jenem Amt, das sie als schönstes Ehrenamt bezeichnet, das Deutschland zu vergeben hat. Wenn es so ist, legt man sich am besten mit anderen Würdenträgern gar nicht erst an.
 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 08.07.2008 um 07.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12529

Geschätzter Herr Ludwig,
Ihre Meinung ist doch ganz und gar auch die meinige. Auch wenn ich diese mit zehn minus einem Finger mühsam formulieren muß. Ich wende mich nicht gegen den ehrbaren Versuch, etwas zu verstehen und die notwendige Absicht, das als Richtig erkannte zu unterrichten, sondern gegen jenen tollen Antrieb, die Lerngegenstände selbst zum vermeintlichen Segen der Lehrenden und Lernenden verändern ("verbessern") zu wollen.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 08.07.2008 um 00.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12527

Mir sehr liebe Leute, ich hatte eigentlich nur der armen Lehrerin helfen wollen, die in ihrer miesen Situation den armen Kindern helfen wollte (und, wie ich woanders lese, als in der deutschen Schule Lehrende schon mit vierzig ausgelaugt und eben hin ist). Natürlich weiß ich, daß auch viele Deutschlehrer mit meinem Hinweis nicht mehr viel anfangen können; und die Kultusministerlichen sind als politisch Lebende sowieso aufzugeben, wenn's um Einsicht geht. Aber wer noch etwas von maskulin, feminin und Neutrum zunächst sich und dann für die Kinder mit "der – er", "die – sie [Einzahl = nur eins!]" und "das – es" klarmachen möchte, sollte es wenigstens versuchen.
Ich muß hier auch viel Unsinn beim Schreiben durchgehen lassen, aber ich sage meinen Studenten hier, daß ich dafür bezahlt werde, daß ich lehre, wie man schreibt, so daß man vom Leser schnell verstanden wird; und nur deshalb schreibe man doch, — was aber die meisten schon nicht mehr einsehen können; denn sie sind schon vorher von anderer Lehre überzeugt, nämlich, sie schrieben für das Schulzeugnis, und deshalb gilt ihnen mein Zeugnis sowieso gleich als falsch. Mir schneidet sowas ins Herz, nicht nur in den kleinen Finger, — und so leben wir hin (mit diesen oder ähnlichen Worten schließt Büchners "Lenz" [= Frühling!], was einen auf eigene Art vielleicht trösten könnte, mit der Einsicht in die Wahrheit des Lebens).
Aber völlig richtig ist: "Unser Erklärungsmodell ist unvollständig", und es ist das besonders, wenn einer/eine/eins nicht mehr tiefer gehen kann und darum leichthin und vertrauensselig, aber eben in jeder Hinsicht einsichtslos "alles Grammatikwissen [als] in den Schülern schon vorhanden" annimmt.
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 07.07.2008 um 19.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12525

Zu #12523: Lieber Herr Ludwig, da haben Sie nun eine nachvollziehbare Regel zum Erlernen der Unterscheidung von "das/daß" gegeben, die in heutiger Zeit nur ein Problem hat: sie erklärt das Problem grammatisch. Grammatikunterricht ist aber heute verpönt (und wahrscheinlich genauso altmodisch wie die angeblich so altmodische herkömmliche Rechtschreibung). In Zeiten der sogenannten Signalgrammatik und ähnlicher Späße (alles Grammatikwissen ist in den Schülern schon vorhanden und muß vom Lehrer jetzt nur noch zu geeigneter Zeit durch entsprechende Signale und Impulse hervorgebracht werden) wird sich kaum ein Lehrer hinstellen und Heyse grammatisch erklären. Der ganze Schwindel ist 1996 als Schreibhilfe durch Angleichung an die Aussprache verkauft worden und genau auf dieser Grundlage wird immer noch weitergewurschtelt, ob sie nun wackelt oder nicht. Damit habe ich natürlich nichts gegen Ihre sehr klare Regel gesagt, Herr Ludwig. Angeblich sollte ja die Grammatik nicht von der Rechtschreibreform betroffen werden. Nun, wir wissen längst, daß dies falsch ist. Aber zusammen mit der Reform, ihren Beliebigkeiten in der Interpunktion (Grammatik!) kam leider auch der (gar nicht so falsche) Eindruck auf, daß Grammatik nicht so wichtig sei. Nur läßt sich leider Literatur (höherwertig oder nicht) nicht ohne Grammatikkenntnisse begreifen. Und damit meine ich nicht nur Schillers Lyrik!
 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 07.07.2008 um 19.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12524

Lieber Horst Ludwig,
ich habe mir gerade einen Teil meines kleinen Fingers als Fleischbeilage in den Salat gehobelt, trotzdem versuche ich eine Erwiderung auf neun Fingern: Meine Äußerung bezog sich auf das Allgemeine und nicht auf einzelne Regeln, die man natürlich verstehen und formulieren kann. Wenn aller formalen Bildungsarbeit zum Trotz für das praktische Handeln wenig herauskommt, dann ist das dem Umstand geschuldet, daß formales Lernen und richtiges Tun eben zwei verschiedene Paar Schuhe sind. Hinter jeder geöffneten Tür werden ein Dutzend weiterer Türen sichtbar, welche die Sicht aufs neue versperren. Wieso klappt es denn nicht, allen eindeutigen Regeln zum Trotz? Wir wissen eben vieles doch nicht. Unser Erklärungsmodell ist unvollständig (übrigens nicht nur in der Rechtschreibung). Das war es, was ich ausdrücken wollte.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 07.07.2008 um 19.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12523

Der Lehrerin (#12513, "Genau so stand's an der Tafel") kann geholfen werden. Es hülfe — auch schon bei Kindern in der Elementarschule —, das gesprochene [das] als solches kenntlich zu machen, z. B. indem man es in eckige Klammern setzt und den Schülern erklärt, warum man das tut. Daß solche Erklärung auch auf weitere Sicht kein unnützes Lernmaterial ist, weiß die Lehrerin dabei doch sicher ebenfalls.

"Komplexe Systeme sind nicht exakt durch Regeln zu erklären" (#12521): Das beim "das/daß-Problem" aber doch! Was hinter allen Ersetzungen des "das" als Erkennungshilfe steht, ist, daß uns das klar das Neutrum kennzeichnet — und dabei natürlich auch das Neutrum des Relativpronomens, welches allerdings gleichzeitig in sich die Funktion (das gebundene Morphem) des Subjunktors trägt (finite Verbform am Ende). Wo der Subjunktor [das] jedoch keine Neutrumsfunktion hat (ein [Neben-]Satz hat kein Geschlecht), schreiben wir "daß" — und reden n i e großmäulig vereinfachend vom "ss" nach kurzem Vokal, was nämlich — wie erwiesen — bloß neue und größere Schwierigkeiten schafft.
 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 07.07.2008 um 17.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12521

Urs Bärlein: „Die strukturelle Identität der Systeme legt den Verdacht nahe, daß der Grund für ihre unterschiedliche Fehleranfälligkeit nicht in ihnen selbst zu suchen ist, sondern in ihrer jeweiligen Vermittlung.“

Daran wieder glaube ich nicht. Das meiste, was mit Erfolg gelernt wird, ist nicht allein einer geglückten Vermittlung zu verdanken, das hieße die Pädagogik zu überschätzen. Das intuitive Verstehen muß bereits im Keime angelegt sein, das heißt: was wir lernen wollen, muß klar und konsistent sein, es muß sich das Richtige vom Falschen deutlich unterscheiden, es muß sich mit unserem Gefühl treffen.
Komplexe Systeme sind nicht exakt durch Regeln zu erklären, weil uns immer ein gewisser Anteil verborgen bleibt, den wir nicht verstehen. Genau aus diesem Grund läßt sich ein solches Gebilde, oder soll ich sagen: eine solche Ordnung, nicht durch frei erfundene Regeln „verbessern“. Alles, was man durch unüberlegte Eingriffe erreicht, ist die Störung des Gleichgewichts mit all den unübersehbaren Folgen, wie sie beispielhaft in der Schriftsprache seit 1996 zu bewundern sind.

Immer wieder habe ich auf die Optik verwiesen, die in diesem Zusammenhang selten gebührende Berücksichtigung findet: beim Lesen und Einprägen des Schriftbildes spielen Form und Größe der Buchstaben eine nicht zu unterschätzende Rolle (Ähnlichkeitshemmung). Für die Wiedergabe der Schrift ist das natürlich nicht folgenlos.

Lesetip: Friedrich Roemheld, Die Schrift ist nicht zum Schreiben da. Eine sehr gescheite Abhandlung, die ausführlich erklärt, was ich hier nur andeuten kann.
Was die Unterscheidung das/dass betrifft, so kann sich der Schreibende zwar formale Regeln einprägen. Doch in der Schreibpraxis wird er stets intuitiv entscheiden. Das gelingt nun einmal besser und vergleichsweise fehlerarm mit Adelung.

 
 

Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 07.07.2008 um 16.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12520

Ich möchte Herrn Höhers Beispielen aus der, sagen wir mal, höherwertigen (bitte nicht als Kalauer auf Ihren Namen auffassen) Literatur einige aus der seichten Belletristik zur Seite stellen.

Helge Schneider hat sich in seinen Büchern bislang nie um Rechtschreibregeln geschert, setzte aber konsequent das Adelung-S. Im neuen Band (ich glaube, es ist der neueste) findet sich durchgängig Heyse.
Jürgen von der Lippe hat letzte Woche erst in der nächtlichen Sondersendung zu seiner gewiß empfehlenswerten Reihe "Was liest Du?" die Reform gerügt und von sich behauptet, die herkömmliche Rechtschreibung anzuwenden, seine Bücher erscheinen aber linientreu reformiert.
Frank Goosen, früher gemeinsam mit Jochen Malmsheimer als "Tresenlesen" unterwegs und heute Solo-Kabarettist, läßt neue Auflagen reformiert setzen (Mein Ich und sein Leben).

Inhaltlich mag folgendes besser in den anderen Strang passen, aber nun... Neulich ist mir das Büchlein zum schönsten deutschen Wort untergekommen, das Jutta Limbach herausgegeben hat. Beim Lesen (locker an einem Abend zu schaffen) ist mir ein Gedanke immer klarer geworden: Das Buch ist eine Werbebroschüre für die Reform. Es soll den Nachweis erbringen, daß auch und gerade in Reformschrieb die Schönheit der Sprache zur Geltung kommt und man in philosophischen, philologischen und sonstwie vergeistigten Welten schwelgen kann.
Die Begründungen für einen Vorschlag wurden allesamt im scheinbaren Original wiedergegeben - bei Ausländern auch erwartbare Beugungsfehler etc. Aber überall vollständig korrekte Heyse-S-Setzung! Kein Das/ dass-Fehler, kein "Ergebniss", kein "ausser", kein gar nichts - und natürlich weit und breit kein Adelung. Am Ende kam ich mir regelrecht hinter's Licht geführt vor.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 07.07.2008 um 16.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12519

"Andere aber behaupten nach wie vor, daß insbesondere Heyse ein Gewinn sei. Damit könne man nun herleiten, wann ein ß stehe, während man es zuvor habe auswendig lernen müssen." (Marco Mahlmann)

Das ist der Punkt; umgekehrt wird ein Schuh daraus: Zuvor wußte man, daß es keine praktikablen formalen Regeln gibt, nach denen sich entscheiden läßt, wie nun zum Beispiel Eis, Fleiß, Gneis, Reißleine oder Reisgericht zu schreiben sind. Man mußte es halt lernen (und das ginge auch heute noch). Die Fehlerquelle scheint mir weniger Heyse zu sein als die Fiktion seiner Regelhaftigkeit, mit der er unters Volk gebracht wird. Andersherum formuliert: Fehlerfrei nach Heyse kann nur schreiben, wer sich die angeblichen Vorteile seines Systems aus dem Kopf schlägt.

Wie Herr Schatte sinngemäß einmal bemerkte, läßt sich das System Heyse mit Hilfe der "ss am Schluß bringt Verdruß"-Regel 1:1 in das System Adelung konvertieren, und dieses wiederum mit der sogenannten "Hellerschen Umlernregel" (ss dort, wo herkömmlich ß hinter kurzem Vokal steht) 1:1 in das System Heyse (einzige Ausnahme: As/Ass, aber dafür kann weder Adelung noch Heyse etwas). Die strukturelle Identität der Systeme legt den Verdacht nahe, daß der Grund für ihre unterschiedliche Fehleranfälligkeit nicht in ihnen selbst zu suchen ist, sondern in ihrer jeweiligen Vermittlung.

 
 

Kommentar von David Weiers, verfaßt am 07.07.2008 um 16.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12518

Naja, auf dieses Mißverständnis wollte ich gar nicht hinaus.
Das Problem ist ja, daß "dass" immer mit doppel-s geschrieben wird, und nicht nur dann, wenn ich "das" nicht durch "welches" ersetzen kann; sonst wäre es ein daß bzw. ein das.
Der Schüler weiß also im schlimmsten Fall gar nicht, welches das jetzt gemeint ist.
Die Lehrerin hätte schreiben sollen: Wenn man "das" nicht durch "welches" ersetzen kann, wird es mit doppel "s" geschrieben.

(Und mir ist in meiner ersten Antwort ein Fehler unterlaufen; es muß natürlich in meiner Ausführung heißen:
Wenn ich das ... also nicht durch ein welches ersetzen kann, dann und nur dann schreibe ich dass (also genau dasjenige mit doppeltem s!) mit "doppel 's' ".)

Ja, auch ich komme dann mal zum Thema, und zwar mit einer ganz allgemeinen Frage: Wie groß ist der Einfluß der Verlage auf die Autoren eigentlich tatsächlich?
Nehmen wir mal einen Sachbuchautor, der sein erstes Buch schreibt will. Er möchte nicht in Reformschrieb veröffentlichen, aber der Verlag veröffentlicht eben reformiert. Vielleicht sagt er sich dann ja"Immerhin überhaupt was veröffentlicht...", zumindest aber wird er es doch nicht auf einen Rechtsstreit ankommen lassen; das kann sich dann wohl nur ein "Großer" leisten, wird er sich dann wohl denken...

Ist schon mal ein Fall bekannt geworden, in dem einem (vielleicht weniger bekannten) Autoren vom Verlag "angedroht" wurde, sein Buch nicht zu veröffentlichen, falls er ausdrücklich auf normaler Rechtschreibung bestehen sollte?
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 07.07.2008 um 16.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12517

Vielen Dank, Herr Mahlmann, jetzt habe auch ich das Problem dieser Verwechslung verstanden.

Gleichzeitig unternehme ich nochmal einen Versuch, zum Thema der Schriftsteller zurückzukommen, wobei Walser meiner Meinung nach austauschbar ist.

Was bei Walser (zumindest mir) so unangenehm auffällt, ist seine rechthaberische Haltung (ich bin fast geneigt, Dogmatismus zu schreiben). Seinerzeit stieß er ins Lager der Reformkritiker und wetterte gegen die erste Fassung der Rechtschreibreform. Danach gab es allerlei Querelen (Bubis, Verlagswechsel etc.) und nun steht er orthographisch auf einmal angepaßt und linientreu in der Öffentlichkeit und bei seinem neuen Verlag (bei dem freilich auch andere Schriftsteller noch in herkömmlicher Rechtschreibung gedruckt werden wollen). "Wendehals" war – so erinnere ich mich – das Wort, das wir schon einmal für Walser fanden.

Und noch ein zweiter Wendehals ist mir (unangenehm) aufgefallen. Zudem einer, auf den ich auch schon hinwies: Martin Mosebach, der Büchner-Preisträger des Jahres 2008 (vgl. mein Kommentar unter 928#10769). Auf der Seite der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung (die Startseite wurde übrigens zuletzt am 9. August 2007 aktualisiert!) kann man seine Dankrede in Reformschreibung (!)nachlesen (http://www.deutscheakademie.de/druckversion/Mosebach.pdf). Rhetorisch kein Geniestreich und orthographisch sehr bedenklich. Wie passen dazu nun Mosebachs "Elephanten", die man auch in diesem Jahr wieder in seinem Indienbuch findet? Übrigens ist die Laudatio auf Mosebach von Navid Kermani in herkömmlicher Rechtschreibung gehalten (http://www.deutscheakademie.de/druckversion/Kermani.pdf) und inzwischen so auch gedruckt erschienen ("Ultima ratio regis", München: C. Hanser 2007, Edition Akzente).
Gerade Mosebachs orthographische Archaismen wurden oft belächelt und kommentiert, preisgekrönt beugte er daraufhin vor der Akademie das Knie vor Heyse und schreibt nun weiter archaisch verziert.
Leider ist Mosebachs Rede noch nicht gedruckt erschienen, deshalb bitte ich meine Kritik als eine vorläufige anzusehen. Glaubwürdiger wird er damit für mich allerdings insgesamt nicht.
 
 

Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 07.07.2008 um 15.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12516

Jetzt verstehe ich, was Sie meinen, Herr Weiers: Der Satz kann wie folgt mißverstanden werden: Im Falle dessen, daß "das" durch "welches" zu ersetzen ist, steht "dass" statt "das".
Jetzt kann man darüber spekulieren, wie die Schüler den Satz auffassen. Es ist auch fraglich, ob besagte Lehrerin noch immer an der Formulierung festhält oder ob ihr inzwischen eine bessere eingefallen ist.
Mein Begriff "ungelenk" war tatsächlich ein Euphemismus.

Ich kenne einige Lehrer verschiedener Schulformen, und vielen hängt die ganze Reform mittlerweile zum Hals raus. Andere aber behaupten nach wie vor, daß insbesondere Heyse ein Gewinn sei. Damit könne man nun herleiten, wann ein ß stehe, während man es zuvor habe auswendig lernen müssen.

Auch wenn die Reformer anderes behaupten, ist die Kenntnis von Adelung noch immer die beste Hilfe, um Heyse anzuwenden. Daß die Lehrer, von denen Sie, Herr Höher, sprechen, Adelung noch kennen, ist insofern kein Nachteil. Sich griffige Merksätze auszudenken, ist ein Problem für sich (und auch nicht jedermanns Sache); sich dafür vom eigenen Wissen lösen zu müssen, macht es gewiß nicht einfacher.
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 07.07.2008 um 15.10 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12515

Lieber Herr Weiers,

womöglich bin ich ja nun begriffsstutzig, aber wenn man statt "das" "welches" sagen kann, schreibt man es doch auch linientreu noch "das" und nicht "dass". Was ist denn nun das Problem?

Deshalb stimme ich da Herrn Mahlmanns Kommentar zu. Auch wenn diese kleine Regel nur die Unterscheidung von Artikel, Relativpronomen und Konjunktor, aber nicht den kompletten Heyse erklärt. Gleichzeitig muß ich in diesem Punkt meine Ausführungen revidieren.
 
 

Kommentar von David Weiers, verfaßt am 07.07.2008 um 14.57 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12514

Sie haben natürlich recht, Herr Mahlmann: es ist ungelenk formuliert, im Prinzip aber nicht falsch. Wobei ich allerdings "ungelenk" noch sehr beschönigend finde.

Trotzdem: es ist so, wie es an der Tafel stand, wenig sinnvoll, so daß ich es arg bezweifeln möchte, daß ein Schüler, der das hübsch lernt, auch wirklich anwenden kann.
 
 

Kommentar von David Weiers, verfaßt am 07.07.2008 um 14.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12513

Nee, das paßt nicht, Herr Mahlmann. Ich gebe zu, man muß sich das ein wenig auf der Zunge zergehen lassen; ich versuch's mal:

Wenn man "das" nicht durch "welches" ersetzen kann, wird "dass" mit doppel "s" geschrieben.
Genau so stand's an der Tafel. Es ist ja auch klar, was die Gute damit gemeint hat, aber an der Umsetzung haperte es gewaltig: Wenn ich das (und der Schüler fragt sich ja immer wieder während des Schreibens: welches das ist gemeint?) also durch ein welches ersetzen kann, dann und nur dann schreibe ich dass (also genau dasjenige mit doppeltem s!) mit "doppel 's' ".

Vielleicht bin ich ja spitzfindig, jedoch aufgrund der massiven Fehlerzahl auf dem Gebiet scheint mein Gedankengang dann nun doch wieder nicht zu abwegig zu sein:
Daß ein "dass" mit doppeltem s geschrieben wird – das sieht man. Wo ist also der Zusammenhang, wenn ich sage: "Kann ich statt das auch welches schreiben, dann schreibe ich dass mit doppeltem s."?
Bedenken Sie, es heißt "... wird dass mit doppeltem 's' geschrieben", und nicht etwa "... wird dieses das mit doppeltem 's' geschrieben".

Deshalb dreht sich alles. Und ich hatte nicht den Eindruck, daß zumindest mein Schüler damals diese Regel so eindeutig fand, daß er sie gut hätte anwenden können.
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 07.07.2008 um 14.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12512

Der Konjunktor "dass", der in seiner fehleranfälligen Heyseschen Schreibung kaum noch vom Relativpronomen zu unterscheiden ist, stellt eben nur einen Teil der komplexen Fehleranfälligkeit von Heyse dar.

Ich werde ja auf diesen Seiten nicht müde, auf den Beitrag von Frau Müncher zu verweisen (für einen weiteren Verweis der Red. zu 963#11479 bin ich daher dankbar).
Das Problem, lieber Herr Mahlmann, das Lehrer haben, ist, daß sie Schülern Heyse ohne Zuhilfenahme von Adelung erklären müssen, sie selber aber noch Adelung gelernt (und vielleicht auch im Kopf) haben. Ich denke, so vermengt sich dort im Kopf allerlei und im Bestreben, den lieben Schülern möglichst kurze und einprägsame Merksätze zu liefern, kommt es dann in der Folge auch zur "Küsste", "Ereigniss" u.ä. Kratzbaum verweist auch gerne darauf, daß es in der Schweiz eigentlich keine großen Probleme mit der s-Schreibung gibt. Ich weiß nicht mehr, wer es hier war, der dafür die einleuchtende Erklärung gab, daß die Schweiz im Prinzip das Adelungsche System hat, das lediglich eine andere graphische Darstellung hat. Die von Ihnen, Herr Mahlmann, angesprochene Unterscheidungsregel (immer wenn man "dieses", "jenes" oder "welches" sagen kann, heißt es "das" und sonst "daß"), die ich auch in der Schule gelernt habe, wird heute anscheinend nicht mehr gebraucht. Dabei wäre sie auch problemlos auf Heyse übertragbar.

Aber um mal zum Thema des Eintrags, nämlich Literatur in Reformschreibung, zurückzukommen, stellt ja auch hier die s-Schreibung nur einen (wenngleich auffälligen) Teil des Gesamtkomplexes dar. Schriftsteller, die sich durch groteske Getrennt- und Zusammenschreibung, Großschreibung adverbialer Wendungen und Übernahme der Augstschen Etymogeleien literarisch auszudrücken versuchen, können eigentlich nur scheitern. Und wenn es – wie so häufig – nur noch der Kotau vor Heyse ist, um ja nicht als unangepaßt zu gelten, so signalisiert das doch tatsächlich die Unterwerfung unter ein bereits jetzt morsches System. Da wird es wohl noch ein bißchen dauern (und weitere Umfrageergebnisse brauchen), bis sich diese Erkenntnis durchsetzt.

Schriftsteller haben sich schon immer bewußt anderer Schreibweisen bedient, um Hinweise auf (andere) Bedeutungen zu geben (E. T. A. Hoffmanns "Fantasiestücke in Callot's Manier"), sich von der allgemein gültigen Schreibweise abzusetzen (Arno Schmidts "Filologen", die der so gar nicht mochte) oder um sich von der Gesellschaft anzugrenzen (Georgesche Minuskel, Kleinschreibung bei Lyrikern des "Sturm"-Kreises und danach bei Lyrikern der Wiener Gruppe). Diese künstlerische Funktion, die eine "andere" Orthographie (denn rechtens ist die Schreibweise, die ein Dichter bewußt wählt, ja immer!) auch hat, geht vollkommen verloren, wenn nun auch die Einbildungskraft Fantasie geschrieben werden soll, wenn die vielen -grafien Leser dergestalt verunsichern, daß plötzlich auch die Filosofie und die Filologie davon betroffen sind und wenn schließlich Lehrer in den diversen Internetforen sich nur noch der Kleinschreibung bedienen. Für diese um sich greifende Kleinschreibung (in der Werbung trifft man umgekehr immer mehr Versalienschrift) kann ich nun keinen belegbaren Grund geben. Zwei Möglichkeiten kommen (für beide Schreibweisen) in Frage. Erstens: es sieht schicker aus, was ich mir nur schwer vorstellen kann, oder zweitens: die Leute verlieren mehr und mehr die Fähigkeit, die Groß- und Kleinschreibung korrekt anzuwenden. Und genau darauf tippe ich, kann es aber nicht beweisen (zugeben würde es außerdem wohl auch niemand).
 
 

Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 07.07.2008 um 14.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12511

Zu Herrn Weiers:
Was die Lehrerin an die Tafel geschrieben hat, war vielleicht etwas ungelenk formuliert, aber es paßt doch.
Weswegen sich dabei alles dreht, verstehe ich nicht.

Und die Kinder, die das lernen, machen es richtig.
 
 

Kommentar von David Weiers, verfaßt am 07.07.2008 um 14.18 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12510

Zu Herrn Mahlmanns Beitrag (#12508):

Mir ist da in bezug auf die lieben Lehrer und deren "Merksätze" mal was Schönes untergekommen. Hab's auch damals ins Forum geschrieben: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=22#1817
 
 

Kommentar von b.eversberg, verfaßt am 07.07.2008 um 12.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12509

Daß es beim falschen "dass" nochmal eine Besserung geben könnte, erscheint immer weniger wahrscheinlich. Man erkennt daran, daß sich die Schreiber immer mehr auf ihre Software verlassen, und die läßt nun mal "dass" hinter Komma stets durch - zur Erkennung der Wortart reicht die künstliche Intelligenz nicht hin. Es läuft darauf hinaus, daß alles als richtig gelten wird, was WinWord durchläßt: "Wieso ist das ein Fehler, das wurde aber nicht unterschlängelt!" Die Herausbildung eines neuen Usus ergibt sich heute eben anders...
 
 

Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 07.07.2008 um 10.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12508

Neulich berichtete mir ein Viertkläßler davon, daß er in der Schule lerne, daß die Unterscheidung zwischen "das" und "dass" folgendermaßen zu treffen sei: nach einem Komma "dass", sonst "das".
Wenn das (flächendeckend) zutrifft, kann man den Falschschreibern ja gar keinen Vorwurf mehr machen, muß sich aber fragen, wie zum Teufel die Lehrer darauf kommen, so einen Quatsch zu unterrichten.

Törichten Unfug produziert auch die Word-Rechtschreibprüfung. Sie markiert Wortwiederholungen unterschiedslos als Fehler. Dadurch wird die Wendung "das Gebäude, das das Unternehmen errichtet" stets rot unterschlängelt. Manche Schreiber (in Foren ist das zu beobachten) reagieren so: "das Gebäude das, dass Unternehmen errichtet".

Zu meiner Zeit war in der Schule folgender Merksatz üblich: Können wir "dieses" oder "welches" einsetzen, schreiben wir "das", sonst "daß". Ist der den Teilnehmern hier aus ihrer Schulzeit geläufig? Wie wurde der Unterschied sonst gelehrt?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.07.2008 um 08.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12506

Im Wiki-Beitrag über ß steht, die Vorteile der Reform seien in diesem Punkt nicht klar belegt, es wird auch auf Harald Marx hingewiesen. Ich meine, daß die Belege hier die Nachteile eindeutig belegen, also den Kollateralschaden durch falsche Anwendung (= Verwirrung). Dagegen kann man über die Vor- und Nachteile der richtigen Anwendung von Heyse endlos diskutieren.
 
 

Kommentar von Tobias Bluhme, verfaßt am 06.07.2008 um 22.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12505

Liebe Frau Pfeiffer,

die "dass"-Fehler werden ebensowenig thematisiert wie die Tatsache, daß manche eben klassisch schreiben.
 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 06.07.2008 um 21.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12503

Eine Frage an Tobias Bluhme:

Wird die Falschschreibung "dass" zur Sprache gebracht? Und wie reagieren die "Studierenden" (Studenten) auf den Hinweis?
 
 

Kommentar von Tobias Bluhme, verfaßt am 06.07.2008 um 18.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1022#12502

Auch meiner Beobachtung nach sind wir fast beim Einheitsschrieb "dass" angekommen. Einige Beispiele, wild herausgegriffen:

"Also ich vermute mal, das hier die Theoria gemeint ist ..."

"... , dass sollte man dann sicher dort diskutieren."

"... nun sind mir ehrlich gesagt nur 2 wesentliche Dinge für die Klausur hängen geblieben, und
mehr könnte ich dem Skript für die Klausur auch nicht entnehmen, dass wäre
einmal ..."

"Mich verwirrt jetzt das *alle* im ersten Auszug, dass ich mit den anderen
Aussagen im Widerspruch sehe..."

"Als Roth vor Jahrzehnten schrieb, waren die Umweltreize ein Witz gegenüber
dem heutigen Medien-Bombardement [...], dass auf unsere Kinder herunterprasselt, Globalisierung usw."

"Also es ist im Grunde genommen dass symbolische Handeln ..."

"Ich hoffe, dass ist das was du hören wolltest."

"... ob es ein unabänderliches, festlegbares Wissen geben kann, dass gewusst werden sollte ..."

"Besser wäre natürlich dann, dass immer zu streichen."

"Eine These erweist sich als bewährt solange nicht dass Gegenteil be/erwiesen ist."

Wohlgemerkt: Es handelt sich hier um Sätze, die von Studierenden geschrieben wurden! In manchen Diskussionsforen im Netz ist es noch schlimmer (sic!). Diejenigen Studierenden, die klassisch schreiben (jawohl, es gibt sie!), haben derlei Probleme durchweg nicht.
 
 

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