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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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15.11.2007
 

Politiker
Graue Gedanken beim Lesen der Morgenzeitung

Müntefering, Beck, Nahles – sie alle haben sich für die Rechtschreibreform ins Zeug gelegt, streng der erste, grob der zweite, dumm die dritte.

Gestern verwirrten mich die "Nachrufe" auf Müntefering. Die einen zollten ihm Respekt, weil er aus familiären Gründen zurückgetreten sei, die anderen, weil er nicht aus familiären Gründen, sondern aus politischen den Bettel hingeschmissen habe, und die dritten, weil er von der "eiskalten" Merkel abgemurkst worden sei. Letztere Version stammt von Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung. Er sieht die eiskalte Kanzlerin zugleich als Wachs in den Händen einer allmächtigen Lobby, nämlich der privaten Briefsortierer und -zusteller! Denen opfert sie ihren besten Mann und die ganze Regierung. All dies möchte man in klassischer Rechtschreibung gar nicht lesen, insofern paßt die Münte-Beck-Nahles-Orthographie ganz gut.



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Kommentare zu »Politiker«
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Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 15.11.2007 um 08.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=923#10696

Die Hamburger Morgenpost menschelt zu Münte: »Rücktritt aus Liebe«, die taz titelt gewohnt ironisch: »Rente mit 67«. Die Politik hat mit Müntefering einen Charismatiker verloren, einen, mit dem ich mich immer gut identifizieren konnte, besser als mit Beck und Nahles. Zu Becks Sprachkünsten möchte ich mich hier nicht auslassen, aber bei der Nahles habe ich mir schon mal die Mühe gemacht, ihre Schrift zu analysieren, einfach weil sie mein Jahrgang ist. Ergebnis: da klappt gar nichts. Seien es Kommata nach Relativpronomina, Kommata nach eingeschobenen Nebensätzen – nichts stimmt. Wen nimmmt es wunder, daß sie sich so vehement für die Rechtschreibreform ins Zeug gelegt hat: sie kann nämlich überhaupt nicht schreiben, ohne Ghostwriter wäre sie gar nichts. Frau Nahles liest nach eigener Auskunft am liebsten Groschenromane, und genau so schreibt und redet sie auch. Daß Münte uns Rechtschreibreformgegner einmal »Hochwohlgeborene« genannt hat, bleibt ein Stachel im Fleisch. Vielleicht hat er nur schlechte Berater gehabt und nicht genau gewußt, was er da gesagt hat. Ich lasse mich jedenfalls nicht so gerne einen »Hochwohlgeborenen« nennen, nur weil ich zufällig unsere Schrift beherrsche und liebe. Alles Gute Münte und seiner Frau.
 
 

Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 15.11.2007 um 08.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=923#10697

Entschuldigung, ich meinte natürlich vor Relativpronomina. Da waren wieder einmal die Pferde mit mir durchgegangen. Solange sich solche Frauen wie Andrea Nahles in der SPD hochdienen können, ist es um diese Partei wahrlich nicht gut bestellt.
 
 

Kommentar von Michael Blum, verfaßt am 15.11.2007 um 10.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=923#10698

Zweimal hatte ich mit der Erststimme die SPD gewählt. Als ich dann bei der letzten Bundestagswahl in der Wahlkabine den Namen Müntefering auf Platz eins der Landesliste gelesen hatte, fiel mir seine herablassende Bemerkung über die "Hochwohlgeborenen" ein und meine beiden Kreuze gingen an die FDP, die immerhin ihr Parteiprogramm noch in klassischer Rechtschreibung verfaßt hatte.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 15.11.2007 um 12.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=923#10699

Herrn Münteferings Vorbehalte gegen die Reformgegner könnten aus seinem Werdegang erklärt werden: Er hat 1954 die Volksschule abgeschlossen – damals lernte man dort noch gründlich rechtschreiben, sie war wesentlich besser als die heutige Hauptschule – und danach eine kaufmännische Lehre gemacht. Vielleicht weil ihm eine höhere Schule und gar ein Studium versagt blieben, entwickelte er eine gewisse Abneigung gegen "Studierte", z.B. auch gegen Frau Nahles.
Frau Nahles hat 1989 Abitur gemacht und dann Politik und Germanistik (M.A.) studiert. Ihre Abneigung gegen Rechtschreibreformgegner ist wohl aus ihrer eigenen Nichtbeherrschung der Rechtschreibung zu erklären. Abiturienten von 1989 konnten weniger gut rechtschreiben als Volksschüler von 1954; das erklärt vieles.
(Lebenslauf-Quelle: Wikipedia)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.11.2007 um 15.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=923#10700

Münteferings "Hochwohlgeborene" sind ein bezeichnender sozialdemokratistischer Schnörkel, wie rote Schals usw.; Christian Meier hat seinerzeit das Nötige dazu gesagt.
Wirksamer war wohl Münteferings frühes Durchgreifen bei seiner Partei. Das ist damals nur durch Dankwart Guratzsch bekannt geworden, dessen Artikel aus der WELT vom 5.9.1997 ich noch einmal anführe:

Wie Müntefering die SPD auf die Schreibreform einschwört

Bundesgeschäftsführer schreibt an Mitglieder - Buchverlage, Eltern und Lehrer für neue Regelung/ Von DANKWART GURATZSCH

Bonn - In der SPD gibt es Bestrebungen, die Parteimitglieder auf die Zustimmung zur Rechtschreibreform einzuschwören. In einem jetzt bekanntgewordenen und der WELT im Wortlaut vorliegenden Schreiben warnt Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering seine Parteifreunde vor einem Scheitern der Reform. Das käme seiner Meinung nach einem "Rückfall in die orthographische Vielstaaterei" gleich. "Das kann niemand wollen", heißt es in dem Schreiben Münteferings, das von der SPD bestätigt wurde.
Nach der Argumentation des SPD-Funktionärs sind es nur "einzelne Gegner in Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen", die die Reform mit Hilfe der Verwaltungsgerichte gestoppt hätten. In anderen Bundesländern sei dies mißlungen. Um eine weitergehende Verunsicherung zu verhindern, sei es "wichtig, daß es bald zu einer abschließenden Regelung des Rechtsstreites durch einen Staatsvertrag zwischen den 16 Ländern und dem Bund oder durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes kommt".
In seinem Appell spricht Müntefering von einem "sinnvollen Gehalt der Reform", die "reale Erleichterungen für Kinder Jugendliche und Erwachsene" bringe.
Der Appell Münteferings hat Überraschung ausgelöst, weil bisher der Eindruck vorgeherrscht hatte, daß sich die großen Parteien in die Meinungsbildung der Abgeordneten über die Schreibreform nicht einmischen würden. Der von verschiedenen Kultusministern angestrebte Staatsvertrag könnte nur zustandekommen, wenn die Länderparlamente wie auch der Bundestag ihm zustimmen. Diese Klippe nennt Müntefering auch: "Sollte ein Land ausscheren, wäre die Reform gescheitert."
(...)

Soweit Guratzsch. Ja, und dann gab es noch die Demütigung der Abgeordneten Jelena Hoffmann im Jahre 2004. Das war nicht fein, und deshalb hält sich mein Respekt gegenüber diesem Parteimenschen auch in Grenzen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.11.2007 um 06.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=923#10701

„Nahles sagte, die Union werde sich darauf einstellen müssen, dass die SPD 'hartleibig' weiter für den Mindestlohn kämpfen werde.“ (SZ 15.11.07)

Obstipation als Programm.
 
 

Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 16.11.2007 um 17.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=923#10706

Guratzsch – historisch

Als Ergänzung zu dem von Herrn Ickler angeführten Artikel möchte ich hier noch einen Kommentar ergänzen, der gut eine Woche später erschienen war und der zeigt, wie klar die Probleme schon zu Beginn der Reform benannt worden waren (aber da war es ja nach dem Willen der Reformer schon "zu spät" für eine Umkehr):

13. September 1997
Ende einer Reform
Von DANKWART GURATZSCH

Wie lange behält die Kultusministerkonferenz noch die Geduld mit der Rechtschreibkommission, die sie selbst eingesetzt hat? Jetzt wird eine Änderung der neuen Regeln selbst von der Kommission nicht mehr ausgeschlossen – trotzdem sollen die Kinder in den Schulen, wie der Vertreter von 14 Bürgerinitiativen in rechtschaffener Erregung einwendet, weiter mit den "unklaren und vorläufigen Regeln traktiert werden". Was für ein Bildungsethos! Dabei hätten die Kultusminister eine bequeme Handhabe, die Kommission unverzüglich abzulösen, denn die Mitglieder weigern sich, den ihnen ausdrücklich erteilten Auftrag zu erfüllen, "eine Liste unterschiedlicher Schreibungen" vorzulegen. Eine solche Liste war von der Kultusministerkonferenz angefordert worden, weil selbst die Sprachwissenschaftler der Wörterbuchverlage mit den neuen Regeln nicht klar kommen und Tausende widersprüchliche Auslegungen produziert haben. Wie sollen sich Schulkinder in diesem Chaos zurechtfinden? Inzwischen ist eine Lawine von Gerichtsverfahren über die gänzlich unausgegorene Reform hereingebrochen. Die Parlamente werden sich mit ihr beschäftigen. In mehreren Bundesländern sind Volksbegehren angelaufen. Auch in der für ihre Bürgerbefragungen berühmten Schweiz droht eine "Volksinitiative". Die Einheit der deutschen Rechtschreibung, das höchste Ziel der Reform steht zur Disposition. Schriftsteller, Verlage, Professoren weigern sich, die Reform mit zu vollziehen. Gibt es überhaupt noch einen vernünftigen Grund, an ihr festzuhalten? Die Kultusministerkonferenz sollte endlich das Hängen und Würgen beenden und zu den Realitäten zurückfinden. Die Reform ist gescheitert. Gewiß, Schulbuchverlage haben in gutem Glauben und vorauseilendem Gehorsam Millionen in den Sand gesetzt. An der Reform festzuhalten aber heißt, daß weitere Beträge – Experten sprechen von Milliarden – sinnlos verpulvert werden, für eine Reform, die keine ist, sondern ein riesiger Selbstbetrug.

www.welt.de/print-welt/article641190/Ende_einer_Reform_.html
 
 

Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 20.11.2007 um 16.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=923#10734

Weitere Kommentare zur Rechtschreibreform von D. Guratzsch aus dem Jahr 1997 im Online-Archiv der "Welt":

5. März 1997, "An der Mehrheit vorbei"
(www.welt.de/print-welt/article634785/An_der_Mehrheit_vorbei.html)

7. Juni 1997, "Verpfuschte Reform"
(www.welt.de/print-welt/article638204/Verpfuschte_Reform.html)

31. Juli 1997, "Chaos und Murks"
(www.welt.de/print-welt/article640292/Chaos_und_Murks.html)

21. Oktober 1997, "Schröders Stoppsignal"
(www.welt.de/print-welt/article643303/Schroeders_Stoppsignal.html)

(Reguläre Artikel aus dieser Zeit werden zwar von der Suchfunktion gefunden, es wird jedoch nur die Überschrift angezeigt; der Volltext wird erst seit 2001 eingebunden.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.03.2014 um 07.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=923#25433

Nach der Rechtschreibreform ist das Turbo-Abi nach acht Gymnasial-Jahren die umstrittenste Entscheidung der Kultusminister.

So steht es in allen Zeitungen. Leeres Gerede. Sie haben ja alle mitgemacht und tun es weiterhin. Und dabei war umstritten immer eine Beschönigung, wie jeder wußte.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.03.2020 um 05.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=923#43171

Wer einen Hausausweis für den Deutschen Bundestag hat, dem stehen die Türen zu den Parlamentsgebäuden offen: Kurz die Zugangskarte an der Pforte zeigen, und schon wird man durchgewinkt.
778 Interessenvertreterinnen und -vertreter haben derzeit einen weitgehend unbegrenzten Zugang zum Bundestag – zu den Abgeordnetenbüros genauso wie zu den Fraktionsräumen und dem Bundestagsrestaurant.
(abgeordnetenwatch.de)

Über 6000 Lobbyisten arbeiten schätzungsweise in Berlin. (Lobby Control)

Am 23. Juni 2011 haben das Europäische Parlament und die Europäische Kommission ein gemeinsames öffentliches Transparenz-Register eingerichtet, das darüber informiert, wer Einfluss auf die europäische Politik zu nehmen sucht. Wie beabsichtigt, erfasst das Register nun auch Anwaltskanzleien, nicht staatliche Organisationen (NRO bzw. NGOs – Non-Governmental Organizations) und Denkfabriken sowie Lobbyisten im herkömmlichen Sinne.
Im November 2018 umfasste das Register 11 912 Organisationen mit 7 246 beim Parlament akkreditierten Personen. Wer einen Zugangsausweis für Lobbyisten für das Europäische Parlament erhalten will, muss in das Register eingetragen sein.

(https://www.europarl.europa.eu/news/de/faq/25/akkreditierte-interessenvertreter)

Es ist anzunehmen, daß hier die eigentliche Politik gemacht wird. Ob unsere Kinder das in der Schule lernen? Der Lobbyismus soll durch die Vereinigungsfreiheit und das Petitionsrecht grundgesetzlich geschützt sein. Das ist nicht besonders überzeugend. Von der Vereinigungsfreiheit zum Hausausweis für den Bundestag ist es schließlich ein weiter Weg.

Wir hatten mit diesem Krebsgeschwür der Demokratie zu tun, als die Rechtschreibreform gegen den Willen von rund 90 Prozent der Bevölkerung durchgesetzt wurde. Nur selten zerriß die Nebelwand; Indiskretionen z. B. von Schulbuchverlegern ließen uns ahnen, was sich im Hintergrund abspielte.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 28.09.2021 um 11.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=923#47201

[...] wer drei Mandate in Wahlkreisen direkt holt, für den gilt die Fünf-Prozent-Hürde nicht.
(MM, 28.9.2021, S. 2)

So ähnlich schreiben die Zeitungen zu fast jeder Wahl. Warum werden diese fünf Prozent immer so hervorgehoben, als sei es die Hauptregel? Jedes Gesetz gilt immer für alle!

Im Wahlgesetz steht, daß eine Partei dann entsprechend ihrer Zweitstimme in den Bundestag einzieht, wenn sie fünf Prozent oder drei Direktmandate erhält. Genauso gut könnte man also sagen, wer fünf Prozent der Zweitstimmen holt, für den gilt die Drei-Direktmandate-Hürde nicht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.09.2021 um 12.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=923#47202

Das stimmt zwar, aber durch die Ausgleichsmandate sind die beiden "Hürden" in ihren Folgen doch nicht symmetrisch. Oder rechne ich da falsch?
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 28.09.2021 um 13.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=923#47204

Da weiß ich jetzt leider nicht, was Sie genau meinen. Ausgleichsmandate dienen ja zur Erhaltung des prozentualen Anteils, sie sind keine Direktmandate, die Direktmandatezahl bleibt also auch erhalten.

Volle Symmetrie besteht natürlich nicht, denn z. B. wenn beide "Hürden" nicht erfüllt sind, kommen weniger als drei Direktmandate auch immer rein, weniger als 5% Zweitstimmen jedoch nicht immer.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 28.09.2021 um 15.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=923#47205

Viele, wenn nicht die meisten, wissen zwar, daß es eine Fünf-Prozent-Hürde gibt, kennen aber die Grundmandatsklausel nicht (oder sie ist ihnen seit der letzten Wahl, bei der sie zur Anwendung kam, wieder entfallen). Wenn sie nun hören, daß die Linke nur 4,9 Prozent der Zweitstimmen erhalten hat, fragen sie sich unwillkürlich, warum diese Bestimmung hier »nicht gilt«. Die Leute haben im Kopf: Entweder über fünf Prozent, dann zählen die Stimmen, oder unter fünf Prozent, dann sind die Stimmen verloren. Daher wohl die explizite Nennung der Sperrklausel in der Berichterstattung der Medien, auch wenn die Bezugnahme darauf manchmal etwas schief formuliert ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.09.2021 um 18.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=923#47207

Ich muß mir die Sache vielleicht noch einmal überlegen. Mir schwebt vor, daß viele Millionen Erststimmen verloren sind, weil hier das Mehrheitswahlrecht gilt. Die Zweitstimmen sind nicht verloren, sofern mindestens drei Direktmandate erreicht sind. Nun könnten viele ihre Stimmen splitten, z. B. Erststimme für die Linke, Zweitstimme für die Grünen. Dann gibt es weniger Ausgleichsmandate oder sogar überhaupt keine, wenn nirgendwo ein Wahlkreis gewonnen wurde. Der Wähler weiß ja nicht im voraus, ob seine Erststimme etwas erreicht oder umsonst abgegeben wurde (außer bei der Wahlkampfkostenerstattung, wo es eine komplizierte Sonderregel gibt, falls keine Liste aufgestellt wurde).
Oder nehmen wir den unwahrscheinlichen Fall an, daß eine Partei etliche Direktmandate erhält, aber gar keine Zweitstimmen. Dann wird sie nicht so reich beschenkt wie z. B. jetzt die Linke. Selbst schuld! könnte man sagen, aber wie gesagt, der Wähler weiß ja noch nicht, ob er mit der Erststimme durchkommt.
 
 

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