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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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02.10.2006
 

Rote Bäckchen
Not sein vs. nottun

Verblassen und erröten und wieder bleich werden – das geht heutzutage sehr schnell.

Duden – Richtiges und gutes Deutsch 1985:

"not/Not: Klein schreibt man, wenn das Wort in stehenden Verbindungen mit Verben in verblaßter Bedeutung gebraucht wird und nicht mehr als Substantiv empfunden wird: Dies wird not sein. Eile tut not."

Richtiges und gutes Deutsch 2001:

"Not: Das Substantiv schreibt man immer groß (...). In neuer Rechtschreibung auch: Dies wird Not sein. Hilfe ist / wird Not. Eile tut Not."

2006 wird eine Neubearbeitung fällig, denn nun ist die Verblassung bei Not tun (jetzt noch blasser nottun) amtlich wieder eingetreten, bei Not sein aber noch nicht. Das wird aber kommen, auch wenn der Rat zu faul war, sich damit zu beschäftigen.




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Kommentare zu »Rote Bäckchen«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.10.2015 um 04.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=648#30367

Die FAZ zitiert Grimm:

Das Sammeln und Vervielfältigen tut vor allem andern Not, weil in der Unruhe der Zeiten die einzelne Aufbewahrung nicht genug gesichert ist und die Tradition immer mehr einsiegt.

Grimm schrieb:

das sammeln und vervielfältigen thut vor allem andern noth, weil in der unruhe der zeiten die einzelne aufbewahrung nicht genug gesichert ist und die tradition immer mehr einsiegt

Allerdings zeigen frühe Ausgaben schon Großschreibung, auch Noth.

Was der Zeitungsartikel unkommentiert läßt, der moderne Leser aber kaum verstehen dürfte, ist einsiegt. Ich habe keinen zweiten Beleg gefunden, gemeint sein dürfte "versiegt, versickert, eintrocknet".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.03.2010 um 16.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=648#15795

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts unter Hans Jürgen Papier hat uns zwar 1998 ein Bein gestellt (es war wohl so ziemlich Papiers erstes Verfahren in dieser Position), aber mit dem gestrigen Urteil zur Vorratsdatenspeicherung bestätigt er immerhin, daß Duden und Sick nicht immer recht haben:

„Je nach Nutzung der Telekommunikation kann eine solche Speicherung die Erstellung aussagekräftiger Persönlichkeits- und Bewegungsprofile praktisch jeden Bürgers ermöglichen.“

Jeden Bürgers!
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 04.10.2006 um 17.20 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=648#5768

Das Beispiel der Zurücknahme des revolutionären "Not tun" zu "nottun" ist ein weiterer Beleg dafür, daß die sicher recht heterogene Sozietät der Reformer / Deformer in einem Tunnel gewissermaßen Kurven von Wand zu Wand fährt, denn nach dem Rückzug aus der mit nichts begründbaren Großschreibung in Fällen wie "not tun". Was aber bewegt diese Macher dazu, nun (fast) alle als Adverbien zum Verb wiedererkannten Wörter mit dem Verb zusammenzuschreiben zu wollen? Der einzige ersichtliche Grund scheint zu sein, damit nichts wieder so aussieht wie vor der Deform, denn sonst würde sich das deutsche Schreibvolk (nicht: Fußvolk) fragen, für oder gegen wen das Ganze durchgeboxt und in Schulen und Ämter gedrückt wurde.
 
 

Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 04.10.2006 um 15.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=648#5767

Das ist ein Beispiel genau wofür?
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 04.10.2006 um 13.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=648#5761

Ein Beispiel dafür:
http://www.spiegel.de/politik/debatte/0,1518,440144,00.html
 
 

Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 04.10.2006 um 00.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=648#5750

Man sollte fairerweise sagen, daß viele SPIEGEL-Autoren mit dem orthographischen Kurs ihres Blattes nicht einverstanden sind. Ein SPIEGEL-Redakteur, mit dem ich vor einiger Zeit zu tun hatte, hat mir die Aussage von Herrn Aust bestätigt, daß die Umwandlung in reformierte Schreibung in der Regel maschinell oder durch Lektoren vorgenommen wird. Die E-Mails, die ich von ihm erhalten habe, waren alle in fehlerfreier traditioneller Rechtschreibung gehalten.
 
 

Kommentar von Rudolf Ohrsand, verfaßt am 03.10.2006 um 23.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=648#5749

Daß sich ausgrechnet der SPIEGEL über die Verlotterung der deutschen Sprache ausläßt, ist keine Heuchelei, sondern Zynismus. Einst hatte der SPIEGEL auch eine reißerische Titelstory gegen die Rechtschreibreform gebracht. Ergebnis? Gekuscht. Es gibt in Deutschland kaum eine Redaktion, die verlotterter ist. Von wegen Sprachhelden, Maulhelden!
 
 

Kommentar von Martin Gerdes, verfaßt am 03.10.2006 um 21.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=648#5748

Am Vodafon-"Shop" klebt ein Hinweis:

Geben Sie uns Ihre Alten.

Gemeint ist, daß man dort alte Akkus abgeben kann.

Es wäre so schön und einfach, wenn man das Wort, das einem Artikel folgt, schematisch großschreiben könnte, und manche Leute handhaben das ja auch so. Die Grammatik des Deutschen deckt diese Handhabung allerdings nicht.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 03.10.2006 um 19.56 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=648#5747

Die Schreibung in den "Kieler Nachrichten" verdankt sich offenbar der die Graphiedeformierung ausgelösten (ersten) allgemeinen Verunsicherung der Schreiber, die nun ein Standardentscheidungsrezept suchen und finden. Es lautet: Im Zweifelsfalle schreib das Pronomen oder Adjektiv groß, denn das ist neuerdings meist richtig ("der Trend")!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.10.2006 um 09.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=648#5740

Herr Schatte meint die wohlbekannte Tendenz, in Nominalgruppen die starken Endungen nur einmal zu setzen. Die Bedingungen im einzelnen sind aber noch unklar. Duden Bd. 9 zieht sich auf das Wörtchen "oft" zurück, kann aber nicht erklären, warum man sagt: "am 10. jedes/jeden Monats" und "eines jeden Monats" und entsprechend nur "die Rinde jedes alten Baumes", außerdem sogar "jeden Einflusses bar", aber nicht "die Rinde jeden Baumes" (oder mit Goethe über Ginkgo biloba zwar "dieses Baums Blatt", aber nicht "diesen Baums Blatt"). Zu den trefflichen Beispielen, die Herr Herter anführt, kann man "nächsten Jahres" hinzufügen. Der Analogiezwang ist also sehr stark, ich glaube aber nicht, daß es der einzige Grund für das allgemein verbreitete "diesen Jahres" ist.
 
 

Kommentar von Sigmar Salzburg, verfaßt am 03.10.2006 um 07.31 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=648#5736

Bastian Sick: „Mögen Sie lieber halbe Sachen oder Ganze?“

Einen ähnlichen grammatischen Durchblick haben auch die Kieler Nachrichten v. 30.09.06:

„Ich bin kein junger Mann mehr“, weiß auch Johansen, „aber ich kann noch alles, was auch die halb so Alten können“.

Neckisch wäre auch die neuschreibliche Wendung „wir wollen beim Alten bleiben“ in der Erweiterung „wir wollen beim halb so Alten bleiben“?
 
 

Kommentar von Roger Herter, verfaßt am 03.10.2006 um 04.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=648#5732

diesen Jahres: Ist hier wirklich die Genitiv-Endung -es (als störend) zu -en neutralisiert worden? Liegt nicht eher eine analoge Bildung zu letzten, kommenden Jahres vor?
Jedenfalls bitte auch ich Herrn Schatte um Illustrierung des Gesagten.

Apropos jedenfalls - könnte dies etwa schon ein solches Beispiel sein? Demnach handelte es sich ursprünglich um eine genetivische Fügung jedes falls, vergleichbar mit aller dings?
Was mir allerdings zweifelhaft scheint.
 
 

Kommentar von Ursula Morin, verfaßt am 02.10.2006 um 23.19 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=648#5729

Es gehört zwar nicht direkt hierher, aber nicht nur der Duden, sondern auch der Spiegel hätte in puncto Heuchelei nun wirklich einen Preis verdient. Er hat es geschafft, in einem recht langen Artikel über die "Verlotterung der deutschen Sprache" die Rechtschreibreform nur auf einigen wenigen Zeilen (mit einem recht irrelevanten Beispiel zudem) zu erwähnen.

Auch Bastian Sick wurde gebührend erwähnt - als "Sprachheld". Nun, vielleicht ist es ja heldenhaft, den Deutschen ihre Muttersprache erklären zu wollen, wenn man sie selbst nicht beherrscht (Sick ist derjenige, der u.a. schreibt: Mögen Sie liebe halbe Sachen oder Ganze? Meine Frage nach der Bedeutung von "Ganze" konnte er leider nicht beantworten.) Ja, wenn man solche Helden hat, braucht man eigentlich keine weiteren Reformen.

Der Artikel befaßt sich ansonsten mit den Anglizismen, ein recht gebräuchliches Ablenkmanöver bei denen, die tatkräftig an der Verlotterung mitgewirkt haben und nun den Eindruck erwecken wollen, sie hätten nichts damit zu tun - das ist halt der neue Spiegel-Stil (was kümmert mich mein Geschwätz von gestern).

Natürlich ist es meine Schuld, wenn ich eine Zeitschrift lese, die ich schon vor fünf Jahren abbestellt habe, aber mein Partner kauft sie mir ab und zu, um mich zu ärgern - was ihm wieder einmal bestens geglückt ist ...
 
 

Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 02.10.2006 um 19.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=648#5724

Ch. Schatte: Es gibt übrigens Konstellationen, die bereits so fest sind, daß in ihnen die Doppelung des Genitivzeichens am Determinativ als störend gilt.

Hätten Sie ein paar passende Beispiele parat?
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 02.10.2006 um 18.58 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=648#5723

Den für solche "Festlegungen" Verantwortlichen beim Duden ist offenbar unbekannt, daß dem Deutschen eine Tendenz zur Minimierung der Kasusindexe in maskulinen und neutralen Nominalgruppen (NP) innewohnt (s. "gemischte" Adjektivflexion). Erscheint also im Genitiv der sog. ersten Deklination die Endung -s, kann, die (sowieso nicht signifikante) Genitivendung -es am Determinativ zu -en neutralisiert werden. Es gibt übrigens Konstellationen, die bereits so fest sind, daß in ihnen die Doppelung des Genitivzeichens am Determinativ als störend gilt.

Die Duden-Rechtschreibung sollte also bei der Graphie bleiben und die Hände von der Grammatik lassen, in der sie bereits im Rahmen der amtlich verordneten Orthographiedeform nebenher genug Schaden angerichtet hat.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.10.2006 um 16.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=648#5713

Auch mit seinen neuesten Auskünften reitet der Duden wieder darauf herum, daß "diesen Jahres" falsch und nur "dieses Jahres" richtig sei. Also ganz auf der dogmatischen Linie des Herrn Sick, der ja seinerseits auch nur den Duden aufschlägt und das, was dort steht, für die heilige Wahrheit hält.
In der Dudengrammatik steht immerhin noch, "diesen Jahres" sei standardsprachlich nicht anerkannt. Und wer ist die anerkennende und nichtanerkennende Standardsprache? Der Duden selbst.
Band 9 erklärt: "Das Demonstrativpronomen dieser wird immer stark gebeugt. Auch im Maskulinum und Neutrum heißt es im Genitiv Singular nur dieses: Anfang dieses Jahres (nicht: diesen) Jahres ..."
Woher wissen das die Leute? Aus der Sprachbeobachtung kann es nicht stammen. Es stammt aus dem unerschöpflichen Quell der "Sprachmeisterei" (E. Engel): Was ich mir nicht erklären kann, das sehe ich als Fehler an.

Aber wie wir gesehen haben, ist der Duden belehrbar. Manchmal ändert er seine Meinung innerhalb von Monaten, so daß noch Hoffnung besteht. Was, wenn Frau Schavan plötzlich erklärte: es heißt diesen Jahres? Allerdings hat sie im Augenblick keine Zeit, sich um solche Sachen zu kümmern, weil sie die lückenlose Erfassung aller 10 Millionen Schüler in einer zentralen Datenbank betreibt und nur noch im Zweifel ist, ob die Kennummern und sonstigen Daten (z. B. über Fügsamkeit bei der Rechtschreibung) den Schülern und potentiellen Versagern als Chip ins Ohr gezwickt oder gleich ins Hirn implantiert werden sollen. Angeblich kann die KMK nur auf diese Weise die nächsten Schritte zur weiteren Verbesserung des Schulwesens zuverlässig in Angriff nehmen. Erfassung ist Not, das leuchtet ein.
 
 

Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 02.10.2006 um 15.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=648#5710

Der Blinde führt den Lahmen

Wobei am frappierendsten der Erkenntnisfortschritt der DUDEN-Leute ist, denen die Reformer endlich den wahren Charakter von Not/not offenbart haben. Aber tat das denn nötig?
 
 

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