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20.01.2006
Verbiegungen
Hartmut von Hentig verhandlungsbereit
„Über das, was nicht akzeptiert werden kann, muss man verhandeln.“
So Hartmut von Hentig in seiner Parva Charta von 2005 (siehe dazu hier). Darüber haben wir uns damals sehr gewundert. Politiker verhandeln freilich über alles, besonders gern über Nichtakzeptables. Aber führende Mitglieder einer Akademie? Versöhnlich stimmten uns die weiteren Ausführungen des Pädagogen:
„Für die Kultusministerkonferenz ist der Ausgangspunkt das umstrittene Regelwerk der Reform, die nun nicht etwa korrigiert, sondern weiter vorangebracht werden soll. Was der Kern der bisherigen Kontroverse war, wird als gelöst vorausgesetzt. Das kann dem Rat für deutsche Rechtschreibung nicht zugemutet werden, genauer: Ein Rat für deutsche Rechtschreibung, dem eine Entscheidung über den Ausgangspunkt entzogen ist, ist den gedachten Mitgliedern nicht zuzumuten.“
Inzwischen hat die Akademie diese Kröte geschluckt, ihre beiden Mitglieder Eisenberg und Pörksen verhandeln unter "unzumutbaren" Bedingungen über das "Nichtakzeptierbare". Die Refom muß gerettet werden, ihr Scheitern wäre "eine kulturpolitische Katastrophe" (Eisenberg).
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Kommentar von Bernhard Eversberg, verfaßt am 20.01.2006 um 12.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=360#2261
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Was wäre das Minimum an Bedingungen, die erfüllt sein müßten, damit die Reform als "nicht gescheitert" gelten könnte? (Bedenkend, was denn ihre erklärten Ziele waren: mehr 'Freiheit' oder Variantenreichtum gehörte nicht dazu.) Vermutlich könnte man auch auf diese Frage keine einvernehmliche Antwort finden, würde sie denn gestellt. Sei's drum, es gibt noch viele andere (nicht nur kultur-)politische Katastrophen. (Hat Eisenberg wirklich "Katastrophe" gesagt und nicht "Katastrofe"?)
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Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 20.01.2006 um 13.45 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=360#2262
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> Was wäre das Minimum an Bedingungen, die erfüllt sein müßten, damit die Reform als "nicht gescheitert" gelten könnte?
Wenn die FAZ und Springer wieder in Heyse-Schreibung drucken.
Am meisten Sorge machen mir die Probleme von Herrn Döpfner mit der Sat1-Übernahme. Die Entscheidung bei Springer scheint doch sehr an seiner Person zu hängen.
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Kommentar von Norbert Schäbler, verfaßt am 20.01.2006 um 14.10 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=360#2263
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Gratwanderung
Streng genommen müßte man bereits einen Kompromiß als die Verbiegung zweier Verhandlungspartner bezeichnen. Allerdings kann man bei einem ehrlichen Kompromiß erkennen, daß sich die Partner aufeinander zu bewegen, weil hierbei jeder Vertragspartner ein vergleichbares Maß seines Nießbrauchs beschneidet und dieses dem Kompromisse opfert. Kompromißbereite treffen sich in der Mitte, räumen das zur Seite, was den Weg zum je anderen versperrt, und als mathematisches Maß für den erfolgreichen Kompromiß ist der rechte Winkel (90°) anzusehen. Echte Kompromisse werden auf Augenhöhe geschlossen.
Handlungen, die von einer größeren Verbiegung des Vertragspartners ausgehen, verdienen die Bezeichnung „Kompromiß“ nicht. Im Falle der Rechtschreibreformer und im Falle der Darmstädter Akademie muß man eher von Oktroi und Devotion sprechen, denn hier ist zu erkennen, daß sich eine Partei überhaupt nicht bewegt, während die andere Vertragspartei den maximalen Verbeugungswinkel gegenüber dem anderen einnimmt. Ausgestreckt im Vollwinkel – 180° – liegt ein Verhandlungspartner im Staub; dem anderen zu Füßen.
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Kommentar von Lambert Mucky, verfaßt am 20.01.2006 um 14.15 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=360#2264
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Ich schlage folgenden Fahrplan zum "Weiterbringen" der Reform vor:
1. Reform der ss-Schreibung (daß, Haß usw.)
2. Reform der GKS und GZS in Richtung "Duden 1991"
3. Weitere Reform aller anderen Bereiche
Ziel: Eine Reformreform, die zwar rein zufällig genau in die Orthographie von 1991 mündet (das ist natürlich völlig unbeabsichtigt), aber
a. damit wieder beim deskriptiven Prinzip ankommt
b. grammatikalisch funktioniert und richtig ist.
Der Deutsche Michel kann nach vollzogener 360°-Drehung dann lautstark verkünden, er habe seine Orthographie reformiert.
Toll.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.01.2006 um 16.02 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=360#2265
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Eisenberg hat "Katastrophe" gesagt. Scherz beiseite: ist es nicht bemerkenswert, daß alle Texte der Akademie für Sprache und Dichtung, auch nicht der immer wieder vorgelegte "Kompromißvorschlag", in der herkömmlichen Schreibweise gedruckt sind? Es gibt, anders gesagt, keinen einzigen Text, an dem man diese Kompromißschreibung einmal studieren könnte. Es hätte "angesichts der Machtverhältnisse" doch so nahegelegen, einmal einen solchen Macht-Text vorzustellen.
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Kommentar von R. M., verfaßt am 20.01.2006 um 16.31 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=360#2266
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Mit Ausnahme des Textes von Hartmut von Hentig, dessen Orthographie aber auch nicht den Eisenbergschen Empfehlungen entspricht.
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Kommentar von Norbert Schäbler, verfaßt am 20.01.2006 um 23.21 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=360#2267
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Holzmicheltest
Man muß sich ja mal fragen dürfen, warum in den maßgeblichen, mit Rechtschreibfragen beschäftigten Entscheidungsgremien die Meinung greift, daß der Fall auf Gedeih und Verderb durchzuziehen ist. Hängt das vielleicht daran, daß seinerzeit überproportional viele Ostfunktionäre in die Rechtschreibreformkommission berufen wurden? Oder ist darin gar etwas Übergeordnetes zu erkennen, was man als spezifische Handschrift des schizoiden Großdeutschen Michels deuten könnte?
Mit der Proportion stimmt es ja ohnehin nicht. Die Bundesrepublik (ca. 62 Mio. Einwohner) entsandte genau so viele (nämlich drei) Mitglieder in die Rechtschreibreformkommission wie die Deutsche Demokratische Republik (ca. 18 Mio.), und jene trafen auf gleiche Delegiertenzahl aus der deutschsprachigen Schweiz (ca. 5 Mio.) und aus Österreich (ca. 8 Mio.). Dabei hat einzig das kleine Trüppchen der Schweizer seine Eigenständigkeit bewahrt, gegenüber dem sich zwar vereinigenden, aber doch gleichwohl geistesgespaltenen Micheltum.
Michel lebt folgerichtig im großdeutschen Raum – was selbst dem Fürsten von Bismarck ein Dorn im Auge war. Michel genießt im gesamten Sprachraum (mit Ausnahme der Kantone) Freizügigkeit und Entscheidungskompetenz. Michel geht davon aus, daß sich sein Untertan beugt und verrenkt, denn Michel ist Regisseur und nicht Komparse. Michel befiehlt, und sein ihm vom Rang her nachgeordneter „Schauspieler“ gehorcht.
Man müßte einmal den Holzmicheltest durchführen, wohlwissend, daß der Deutschstämmige eine gewisse Lust zum Holzmichelspiel entwickelt hat, was fast einer Sucht gleichkommt. Man müßte es den Komparsen und Schauspielern klarmachen, daß das Spiel noch wesentlich interessanter und vor allem lehrreicher würde, wenn man den Holzmichel dreht.
Und dabei wäre es geometrisch gesehen vollkommen egal, ob man ihn linksherum oder rechtsherum um genau 90° herumwirbelte, weil der Holzmichel dann genau die gleiche Streckung von 180° (dem sogenannten Vollwinkel) hätte – so wie es volksimmanent ist.
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