29.07.2009

Wider die »grössenwahnsinnige deutsche Grossschreibung«

Verpasste Chance

Substantiv-Kleinschreibung – »ein Gebot der Stunde«!

Ab dem 1. August soll die Rechtschreibreform endgültig an den Schulen eingeführt werden. Dass wir Schweizer vor dem Gesslerhut der Rechtschreibdiktatoren demütiglich zu Boden kriechen, zeugt nicht gerade von eigener Urteilsfähigkeit. Bei dieser «Reform» ist nicht einmal die in allen nicht Deutsch sprechenden Staaten Europas übliche Substantiv- Kleinschreibung zustande gekommen. Diese wäre für uns Schweizer ein Gebot der Stunde gewesen, da in den eigenen Landesteilen, in welchen Französisch und Italienisch gesprochen wird, die Substantiv-Kleinschreibung zur täglichen Gewohnheit zählt.

Konrad Duden, dessen Rechtschreibregeln wir angeblich praktizieren, war, wie auch der Begründer der Germanistik, Jacob Grimm, ein entschiedener Gegner der grössenwahnsinnigen deutschen Grossschreibung. Der Schuldirektor und Kinderfreund Duden klagte 1908 über den Unsinn unserer Rechtschreibung: «Sie schädigt durch nutzlose Gedächtnisbelastung die geistige und leibliche Gesundheit unserer Jugend, indem sie der Schule kostbare Zeit und dem Kinde Lust und Freude am Lernen raubt. Sie wirkt verdummend, indem sie unter Kraftvergeudung Verstand und Gedächtnis zu gegenseitigem Kampf zwingt.» – Konrad Duden hat in seinen Schriften «Die deutsche Rechtschreibung» (1872) und «Die Zukunftsorthographie» (1876) seine von ihm angestrebten Regeln, basierend auf dem phonologischen Prinzip, dargelegt. Als Vorbild dienten ihm vor allem die Italiener. Diese schreiben z. B.: teatro, tema, ritmo, filosofia und nazione.

Wir hingegen halten an den alten Zöpfen fest und schreiben: Theater, Thema, Rhythmus, Philosophie und Nation. – Eine allerletzte Gelegenheit, uns und die Schulkinder von dem Ballast der verrosteten alten Rechtschreibung zu befreien, bietet sich durch einen mehrheitlichen Einspruch der ParlamentarierInnen. Werden diese sich ihrer Verantwortung bewusst sein und durch ihre Ablehnung dieser jugendfeindlichen Rechtschreibreform ein klares Nein entgegensetzen?

Claudius Schauffler, Steffisburg

Quelle: Der Bund
Link: http://www.derbund.ch/zeitungen/meinungen/Verpasste-Chance/story/24519025

Die Quelldatei zu diesem Ausdruck finden Sie unter
http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=157