20.07.2009 «Unverhältnismässiges Theater»«Rechtschreibung ist nicht so wichtig»Am 1. August wird die neue Rechtschreibung an den Schulen verbindlich. Noch immer versuchen Gegner, die Reform zu stoppen. Max Wey, Autor und Ex-Chefkorrektor der «Weltwoche», hält das für ein «unverhältnismässiges Theater».Herr Wey, wie wichtig ist korrekte Rechtschreibung? Max Wey: Wenn man das Theater um die Rechtschreibreform anschaut, könnte man meinen, es gäbe nichts Wichtigeres. Dabei ist die Orthografie innerhalb der deutschen Sprache nur ein Detail. Stil ist viel wichtiger. Wenn die Rechtschreibung nicht so wichtig ist – warum löst dann deren Reform eine derart emotionale Debatte aus? Das ist mir auch schleierhaft. Es hat wohl damit zu tun, dass die Reform ein grosses Medienthema ist. Und dann gibts halt einige Fanatiker, die sich furchtbar aufregen. Die Schweizer Orthographische Konferenz will die Umsetzung der Reform mit einem Moratorium stoppen. Das ist lächerlich. Die Reform ist längst durch. Man muss die Relationen im Auge behalten: Laut Duden werden seit der Reform nur 2 bis 3 Prozent der Wörter neu geschrieben – dieser Anteil ist verschwindend klein. Die Diskussion um die Reform ist also reine Hysterie? Absolut. Das Theater ist total unverhältnismässig. Meiner Meinung nach muss es jetzt eine Beruhigung geben. Jeder kann leben mit dieser Reform. Sogar die Lehrer selbst sagen, sie hätten wichtigere Probleme als die Rechtschreibreform. Was halten Sie denn von der Reform? Ich finde die Idee gut. Mit den Jahren entstand ein Wildwuchs, und es ist gut, wenn man da eingreift. Die Reform bringt einige sehr sinnvolle Neuerungen, die von den Gegnern immer ausgeklammert werden. Ich habe beispielsweise nie eingesehen, weshalb man «Schifffahrt» nur mit zwei f schrieb. Meiner Meinung nach hätte man aber noch viel weiter gehen können. Ich bin ein Befürworter der Kleinschreibung. Aber die darf man nicht zu laut propagieren, sie würde niemals akzeptiert. Die Gegner argumentieren, durch die Reform entstehe ein Durcheinander. Das stimmt nicht. Ich habe nach der neuen Rechtschreibung korrigiert, und mir fällt kein einziger Fall ein, in dem eine Regelung missverständlich gewesen wäre. Nicht die Reform hat Unsicherheit ausgelöst, sondern das ewige Hin und Her. Kritisiert wird auch, dass einigen Wörtern wie «Tollpatsch» der Stamm entrissen wird. Das ist ein Kritikpunkt, den ich nachvollziehen kann. «Tollpatsch» kommt nicht von «toll», und «Quäntchen» kommt nicht von «Quantum», deshalb ist das ä eigentlich falsch. Dies sind zwar fragwürdige Eingriffe in die Sprache, aber es handelt sich um Einzelfälle. Zudem haben bisher ohnehin nur wenige Leute diese Wörter richtig geschrieben. Was halten Sie von Anglizismen? Manche Sprachkritiker regen sich darüber furchtbar auf. Der grosse Wolf Schneider hält beispielsweise «Sinn machen» immer noch für falsch, weil es aus dem Englischen «to make sense» abgeleitet ist. Das halte ich für übertrieben und ist mir zu konservativ. Ich finde, dort, wo es ein gutes deutsches Wort gibt, soll man dieses verwenden – «Leibwächter» geht genauso gut wie «Bodyguard». Dagegen wird sich «Prallkissen» nie gegen «Airbag» durchsetzen. Zurück zur Reform: Was braucht es, damit sich die Diskussion wieder beruhigt? Nächstens erscheint der neue Duden, der wird wohl dazu beitragen. Denn darin werden die neu geschriebenen Wörter nicht mehr rot markiert. Das heisst, die Neuschreibungen wie die berühmte «Gämse» werden zementiert. Wer in Zukunft noch wissen will, wie man etwas früher geschrieben hat, muss alte Bücher sammeln. Künftige Schüler werden gar nicht mehr wissen, dass man «platzieren» einmal ohne t geschrieben hat. Stichwort Duden: Wer sollte über Richtig und Falsch in der Sprache entscheiden können? Früher schrieb der Duden vor, was korrekt ist – eine private Unternehmung, das ist bemerkenswert. Heute ists der Staat, damit wird die Sprache politisiert. Das ist meiner Meinung nach auch nicht gut. Man sollte ein Fachgremium einrichten ähnlich der Académie française, die sich in Frankreich um die Sprache kümmert und Empfehlungen herausgibt. Sie arbeiteten 30 Jahre lang als Korrektor. Dass Sie ein derart entspanntes Verhältnis zu Sprachregeln haben, überrascht. Wissen Sie, ein guter Korrektor darf nicht allzu stur sein. In der Praxis sollte man auch mal fünf gerade sein lassen. Kein Mensch muss sich sklavisch an den Duden halten. – Berner Zeitung, Thuner Tagblatt, Berner Oberländer und Solothurner Tagblatt haben die neue Rechtschreibung bereits 1996 übernommen und seither kleine Anpassungen gemacht. Bei allfälligen Varianten wurde eine Schreibweise als Hausregel festgelegt. Quelle: Basler Zeitung Link: http://bazonline.ch/kultur/diverses/Rechtschreibung-ist-nicht-so-wichtig/story/16808088
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