22.01.2010


Deutsche Umlaute ä, ö und ü sterben in Zukunft aus

Was auf den ersten Blick eine „Thorheitsblüthe“ zu sein schien, erwies sich beim näheren Hinsehen als durchaus interessant – und zeitlos im Informationsgehalt, daher reichen wir hiermit diesen Artikel nach.


"Kannstema uber dem deutsch seine entwicklung eine diskusion fuhren?" – In ferner Zukunft dürfte dieser Satz bei Hütern deutscher Grammatik und Wortlehre keinen Unmut mehr erregen. Sprachforscher sagen die konsequente Kleinschreibung, neue Wortendungen und das Aussterben von Umlauten voraus.

Wie entwickelt sich unsere Sprache in Zukunft? Linguisten glauben es heute schon zu wissen und prognostizieren die stetige Kleinschreibung, neue Wortendungen und den Verlust von Umlauten. Derartige Tendenzen verrät dem Linguisten beispielsweise die Evolutionäre Spieltheorie, eine Computersimulation, die erfolgreiche Verhaltensmuster erklärt.

"In fast allen Sprachen gibt es die Vokale a, i und u", erklärt Wissenschaftsjournalistin Cornelia Varwig in einem Artikel in der Februar-Ausgabe des Wissenschaftsmagazins "bild der wissenschaft". Die Theorie zeige den Grund dafür: Bei der Verständigung seien i, ü und e leicht zu verwechseln.

Zu den bedrohten Buchstabenarten zählt Gerhard Jäger, Linguist an der Universität Tübingen, auch die seltenen deutschen Umlaute ä, ö und ü. Womöglich seien sie in 500 Jahren ausgestorben. Er begegnet dem Sprachwandel aber mit Gelassenheit: "Wie in der biologischen Evolution wird das weitergegeben, was sich bewährt - der Rest stirbt aus. Kino statt Lichtspieltheater, steckte statt stak – die Gemeinschaft fällt die Entscheidung ohne Absprache."

Es finde auch eine Durchmischung von Sprachen statt, die so genannte Kreolisierung, erklärt der Sprachforscher in "bild der wissenschaft". Entwicklungen wie in den USA kommen auch auf das Einwanderungsland Deutschland zu - wie generell das Englische den Experten als Fenster zur Zukunft dient: Die beiden germanischen Sprachen sind sich sehr ähnlich, doch das Englische verändert sich flinker.

Auf der Liste der aussterbenden Grammatikfeinheiten des Englischen stehen beispielsweise die unregelmäßigen Verben - die Zeitform des Past Tense wird überwiegend mit der Endung -ed gebildet. Den rund 170 starken Verben im Deutschen geht es wohl ebenso an den Kragen - "stehlen, stahl, gestohlen" ist eben schwieriger zu erlernen als ein regelkonformes "klauen, klaute, geklaut".

Jäger sieht den Wandel in vollem Gange: "Vor 50 Jahren verwendete man für das Imperfekt von backen noch buk, heute sagt man backte." In 300 Jahren werde es dafür eine neue Gruppe von Wortendungen geben, die Fragen zulässt wie "Kennstese?" statt "Kennst du sie?" oder "Willers?" statt "Will er es?". Auch wer zugunsten des Dativs den Genitiv vernachlässigt, geht in 50 Jahren ohne Tadel aus.

"An der Grammatik wird sich wenig ändern, doch der Wortschatz wird zahlreiche Wörter enthalten, die wir heute noch nicht kennen", skizziert Werner Scholze-Stubenrecht die Entwicklung. Der stellvertretende Leiter der Dudenredaktion in Mannheim beziffert die Zahl der Wörter, die jährlich in den Duden aufgenommen werden, mit 800.

2009 haben "Federbüchse" und "scharmieren" Platz gemacht für "Hybridauto" und "twittern". Unter den Neuankömmlingen sind 20 bis 40 Anglizismen, die meist auch englisch ausgesprochen werden. Den Deutschen fehlt die Fähigkeit oder der Wille, englische Wörter zu assimilieren, weil sie Freude am fremden Klang haben, konstatiert Jürgen Trabant, Professor für Europäische Mehrsprachigkeit an der Jacobs University in Bremen. "Baby" wird zunehmend also nicht mehr "Bebi" ausgesprochen, sondern mit dem Diphtong ei, und der Cent startet im Anlaut wohl eher mit s als z.

Kritisch sieht Trabant den breiten Strom an englischen Begriffen in Wirtschaft und Wissenschaft, für die keine deutschen Wörter mehr gesucht und ausprobiert werden. Diese Sprachbequemlichkeit hat beispielsweise Konsequenzen, wenn Kinder auf Wissenschaft neugierig gemacht werden sollen.

"Bei uns führt das zum hysterischen Englischlernen in den Kindergärten - ehrgeizige Eltern plagt die Sorge, ihr Kind werde sonst später nicht im Aufsichtsrat sitzen", kritisiert der Sprachexperte in "bild der wissenschaft". Trabant warnt, dass sich die Elite als eine "Kaste der Anderssprachigen" von der Gesellschaft absetze.

Die Generalverdächtigen Jugend und Internet sortieren die Experten dagegen als Vokabularverderber aus. So gelten beispielsweise "Kanaksprach" oder das "Kiezdeutsch", also der Dialekt des Deutschen mit Fremdwörtern aus dem Türkischen, als Teil der Jugendsprache, versichert Heike Wiese, Leiterin des Instituts für Germanistik an der Universität Potsdam.

Dieser Slang werde nur unter Freunden gesprochen, nicht mit Lehrern und Eltern. Außerdem verliert er sich nach der Adoleszenz. Und wenn einzelne Begriffe wie das türkische "Lan" für "junger Mann" oder das arabische "Wallah" ("bei Gott") für "echt, wirklich" den Wortschatz bereichern, so bleibt das eher die Ausnahme.

Die übrigen Wortschöpfungen der Jugend sind oft so kreativ, dass Wiese sie in ihrem Szenewörterbuch sammelt: "Münzmallorca" für Solarium oder "dönieren" für das Einnehmen eines Döner-Abendessens sind einfach trefflich und amüsant.

Selbst die verquaste Internet-Kommunikation und das SMSen werden in Schutz genommen: Die spaßige Anpassung des Deutschen für schnelles Schreiben setzt nämlich die präzise Kenntnis der Hochsprache voraus.

"Vielleicht werden wir die konsequente Kleinschreibung, die viele online praktizieren, irgendwann einmal in den Alltag übernehmen", sieht der Tübinger Linguist Jäger die Orthografie auf wackligen Beinen. Aber selbst die Engländer schreiben heute noch so, wie sie vor 300 Jahren gesprochen haben: Trotz allen Wandels erweisen sich Hochsprachen als stabil.


Quelle: Die Welt
Link: http://www.welt.de/wissenschaft/article5941403/Deutsche-Umlaute-ae-oe-und-ue-sterben-in-Zukunft-aus.html

Die Quelldatei dieses Ausdrucks finden Sie unter
http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=743