13.10.2015


Gunnar Schupelius

Warum können Berliner Grundschüler nicht mehr richtig schreiben?

An vielen Grundschulen lernen die Kinder das Schreiben nach Gehör. Gunnar Schupelius vermutet, dass das mit größter Wahrscheinlichkeit die Kinder verwirrt.

Wissenschaftler fanden heraus, dass Berlins Grundschüler in der 3. Klasse immer noch große Probleme mit dem Schreiben haben. Eine Überprüfung von 22.000 Schülern ergab 2014, dass 64 Prozent der Kinder mit Migrationshintergrund und sogar 45 Prozent der deutschstämmigen Schüler kaum schreiben können.

Die Ergebnisse wurden jetzt auf eine Anfrage des SPD-Abgeordneten Joschka Langenbrinck bekannt. Schulsenatorin Sandra Scheeres (SPD) erwartet nun, dass die Fachbereichsleitungen für Deutsch „ihre Unterrichtsmethodik verändern“. Die CDU-Politikerin Hildegard Bentele stellt die Methode insgesamt infrage, nach der unsere Kinder Schreiben lernen.

Während die Ansage der Senatorin eher vage klingt, trifft Frau Bentele den Kern. Ja, es ist mit größter Wahrscheinlichkeit das sogenannte Schreiben nach Gehör, was an vielen Grundschulen angewandt wird und was die Kinder offenbar verwirrt hat.

Nach dieser Methode bekommen sie eine Tabelle mit Anlauten, auf der jedem Buchstaben ein Tier oder ein Gegenstand zugeordnet ist. Mittels der Bildchen sollen sie Buchstaben zusammensuchen und aus ihnen Wörter bilden.

Die Wörter sollen sie aufschreiben, wie sie wollen, nach dem Motto: „Schreibe, wie du sprichst, der Rest kommt von allein.“

Die Schüler schreiben also in einer frei erfundenen Lautschrift. Man korrigiert sie im ersten Schuljahr nicht. Danach sollen sie korrekt schreiben lernen und das geht dann schief. „Der Rest“ kommt eben nicht „von allein“.

Es ist im Grunde eine vollkommen absurde Methode. Sie wurde vom Schweizer Reformpädagogen Jürgen Reichen erfunden, der auch dafür plädierte, Kinder sollten das Alphabet in beliebiger Reihenfolge lernen.

Seine Ideen hielten Einzug in die deutschen Klassenzimmer und verursachten enorme Probleme. 2013 erklärte der Grundschulexperte Günter Jansen in einem „Spiegel“-Interview die Methode für „falsch“. Wenn sich Kinder erst eine chaotische Art des Schreibens angewöhnt hätten, sei es eben nicht mehr möglich, ihnen danach noch die richtige Schreibweise beizubringen.

Für Berlins Schulpolitiker kann diese Erkenntnis nicht neu sein. Warum aber wurde dann nicht längst die Notbremse gezogen und beschlossen, das Schreiben nach Gehör wieder abzuschaffen? Warum mussten die Schulkinder noch einmal tief fallen?

Eine Reform nach der anderen wird in dieser Stadt durch die Schulen gejagt. Kein Reformpädagoge wird für die Schäden zur Rechenschaft gezogen, die er angerichtet hat. Alles wird in unserem Land sorgfältiger geprüft, bevor es in den Verkehr kommt, als eine neue Lernmethode.

Die Pädagogen und Schulpolitiker haben es geschafft, dass unsere Kinder nicht mehr schreiben können. Das muss man sich mal vorstellen. Das geschah mitten in Deutschland, das einst für seine gute Ausbildung weltweit anerkannt und berühmt war.


Quelle: B. Z.
Link: http://www.bz-berlin.de/berlin/kolumne/warum-koennen-grundschueler-in-berlin-nicht-mehr-richtig-schreiben

Die Quelldatei dieses Ausdrucks finden Sie unter
http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=738