10.10.2015


Stefan Stirnemann

Einheitlich und sprachrichtig – die Empfehlungen der Schweizer Orthographischen Konferenz (SOK)

In memoriam Peter Zbinden

In den im Sommer erschienenen „Mitteilungen Nr. 1/2015 des Sprachkreises Deutsch“ sind zwei Beiträge „in memoriam Peter Zbinden“ erschienen; Zbinden war langjähriger Präsident des Sprachkreises Deutsch und Kopräsident der Schweizer Orthographischen Konferenz (SOK). Mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber geben wir diese Texte hier wieder.

Vor zehn Jahren sprach Johanna Wanka, damals Präsidentin der deutschen Kultusministerkonferenz, einen Satz, der nicht vergessen werden darf: «Die Kultusminister wissen längst, dass die Rechtschreibreform falsch war. Aus Gründen der Staatsräson ist sie nicht zurückgenommen worden.» Aus diesem Satz liesse sich eine ganze Philosophie entwickeln, über den Sinn der Politik, die Verantwortung der sogenannten Staatsdiener und darüber, was die Sprache für ein Gemeinwesen bedeutet.

Wie steht es heute, nach zehn Jahren im Zeichen dieser deutschen Staatsräson? Auch das Regelwerk, das der Rat für Rechtschreibung seinerzeit als Kompromiss veröffentlichte, hat keine Abhilfe gebracht; in Kernbereichen unserer Rechtschreibung sind Einheitlichkeit und Sprachrichtigkeit nach wie vor verloren. In Zeitungen und Büchern werden herkömmliche Schreibweisen und die verschiedenen Fassungen der Neuregelung bunt gemischt. Immer wieder aber erscheinen Titel ganz in herkömmlicher Orthographie. «Nils Holgersons wunderbare Reise durch Schweden», übersetzt von Thomas Steinfeld und erschienen in der Anderen Bibliothek, ist nach wenigen Monaten bereits vergriffen und so nachgefragt, dass das schöne Buch nun in die Reihe «Extradrucke» übernommen wurde.

Wer sich an die Neuregelung halten will, muss folgende Schreibweisen verwenden:
gräulich (auch wenn er greulich meint),
wohl bekannt (auch wenn er wohlbekannt sagen möchte),
heute Morgen Früh,
du tust gut und Recht daran,
der eine liest, der andere malt, ein Dritter und Vierter musizieren,
sie schwieg viel sagend.
In diesen und zahllosen weiteren Fällen ist nicht etwa nur das Auge beleidigt, sondern wesentlich der Verstand und das Sprachgefühl. Wir wissen doch, wie man Bedeutungen unterscheidet (z.B. gräulich und greulich) und wie man Adverbien, Pronomen und zusammengesetzte Adjektive schreibt. Und unsere Schüler sind, wie einst wir, klug genug, das zu begreifen und zu lernen. Die SOK hat ihre Empfehlungen erarbeitet, um im Rahmen der Neuregelung alles das zu verbessern, was sprachwidrig ist und was der Rat für Rechtschreibung nicht anrühren durfte oder wollte. Hinter den Empfehlungen der SOK steht die Überzeugung, dass auf Dauer nur eine sprachrichtige Rechtschreibung zur Einheitlichkeit führt. Unter den Anwendern ist der Reclam Verlag; seine Lektoratsleiterin, Dr. Christine Ruhrberg, nennt die SOK-Empfehlungen das vernünftigste Rechtschreibkonzept.

Was bedeutet sprachrichtig? Dass die Wörter so geschrieben werden, wie sie gemeint sind. Im Spiegel 16/2015 steht der Satz: «Trotzdem ist die Vorstellung, dass ihnen beim Waldspaziergang plötzlich ein Wolf oder gar ein Wolfsrudel gegenübersteht, für viele Menschen Furcht einflößend.» Der Satz ist falsch geschrieben. Die deutsche Sprache kennt keine Sätze wie Die Ärztin ist Hustensirup einflössend; «Furcht einflössend» ist ein zusammengesetztes Adjektiv und wird klein und zusammen geschrieben. Die Theorie dazu findet man schon in Schul- und wissenschaftlichen Büchern des 19. Jahrhunderts. Im 21. Jahrhundert tappt die Dudenredaktion in dieser Wortbildungsfrage, verhext von der missglückten Neuregelung, blinzelnd im Halbdunkel und empfiehlt einerseits das sprachfalsche «Furcht einflössend», andererseits das herkömmliche und richtige «aufsehenerregend». Die Korrketurprogramme haben keinen Sprachverstand und setzen auch die unsinnigsten Anweisungen um.

Peter Zbinden habe ich kennengelernt, als er in den «Mitteilungen» seines «Sprachkreises Deutsch» den Sprachwissenschaftler Rudolf Wachter zum Thema Latein schreiben liess. Es zeigte sich, dass der Sprachenfreund Peter wusste, was der Sinn der Rechtschreibung ist. Grosszügig stellte er für das Anliegen Druckraum und sein Beziehungsnetz bereit und das, ohne was nichts geht, nämlich Geld. Sein ganz persönlicher Beitrag darüber hinaus waren Anteilnahme und Ansporn, Ideen und Freundschaft. Spürbar war er der bewährte Schulleiter und der erfahrene und zuverlässige Oberstleutnant. Er wusste, was Dienst an der Gemeinschaft und Verantwortung ist, und verkörperte das, was unser Land ausmacht: den Gedanken der Miliz. Wir sind nicht staatsfromme Lämmlein und Untertanen, wir gestalten die Dinge, die uns betreffen, möglichst selber. Ohne Peter Zbinden gäbe es die SOK nicht.

Wie geht es weiter? Die Reformer behaupten bis heute, dass die Neuregelung den Schülern und Wenigschreibern die Sache erleichtere. Das Durcheinander aber, das sie angerichtet haben, zeugt gegen sie. Gesucht sind Politiker, die im Sinne der Demokratie und der SOK das Problem erkennen und anpacken.

Stefan Stirnemann
Gründungsmitglied und Mitglied der Arbeitsgruppe SOK

Quelle: Mitteilungen des „Sprachkreises Deutsch“
Link: http://sprachkreis-deutsch.ch/2015/07/23/mitteilungen-i-2015/

Die Quelldatei dieses Ausdrucks finden Sie unter
http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=736