31.08.2014 Reiner Kunze JahrhundertvergehenDer Schriftsteller Reiner Kunze ist Kritiker der Rechtschreibreform. Ein wichtiges Dokument dazu ist seine Denkschrift "Die Aura der Wörter". Für den DAV hat er jüngst einige Betrachtungen zur Hochsprache angestellt. Darin heißt es unter anderem:[...] Nach 20 Jahren neuer Rechtschreibungen ist das Sprachgefühl, die intuitive, vom Regelwissen unabhängige Sprachkompetenz, bei einem Großteil der Bevölkerung ausgehebelt. Statt "recht haben" galt von 1996 bis 2004/2006 als allein richtig "Recht haben". Heute gelten als richtig "recht haben" und "Recht haben". Der Satz "du hast nicht Recht" wäre aber kein muttersprachliches Deutsch (wer sagt schon "du hast nicht Freude"), auf deutsch könnte der Satz nur lauten "Du hast kein Recht ..." oder "Du hast nicht das Recht ...", was in beiden Fällen jedoch etwas anderes bedeuten würde als "Du hast nicht recht". Die "Deregulierung der Herrschaftssprache", durch die die Gesellschaft dereguliert werden sollte, ist, was die Sprache betrifft, gelungen. Der Rechtschreibexperte Peter Eisenberg sagte vor kurzem in einem Interview der Zeitung "Sprachnachrichten": "Die sog. Orthografiereform war nicht von der Sache her, sie war politisch motiviert. An der Rechtschreibung selbst gab es ja ... kaum etwas auszusetzen." Die Mehrheit der Deutschsprechenden hat resigniert oder dämmert in einer Art Rechtschreibdemenz vor sich hin. [...] Schon vor einigen Jahren erfuhr die Öffentlichkeit aus berufenem Mund, die Kultusminister wüßten längst, daß die Rechtschreibreform falsch war, aber aus Gründen der Staatsräson sei sie nicht zurückgenommen worden. Solange das Argument "Staatsräson" davor schützt, ein Jahrhundertvergehen an der Sprache, nämlich die teilweise Rücknahme von zweihundert Jahren differenzierender Orthographieentwicklung, offiziell als ein Jahrhundertvergehen anerkennen und die nötigen Schlüsse daraus ziehen zu müssen, wird das Sprachniveau schon deshalb weiter sinken, weil die Sprache nicht als ein ebenso hohes Gut gilt wie die Staatsräson. Das prägt. Quelle: www.deutscherarbeitgeberverband.de Link: http://www.deutscherarbeitgeberverband.de/aktuelles/2014/dav_aktuelles_2014-08-31_jahrhundertevergehen.html
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