27.02.2011


Reform der Reform: Zehetmair zieht Bilanz

Die Schulkinder „könnten es leichter haben“

Vor fünf Jahren – am 2. März 2006 – akzeptierte die Kultusministerkonferenz die ersten Vorschläge des Rechtschreibrates zu Änderungen an der umstrittenen Rechtschreibreform. Im Interview mit der Nachrichtenagentur dpa in München zieht der Vorsitzende des Rechtschreibrates, der ehemalige bayerische Kultusminister Hans Zehetmair, Bilanz. Er erinnert sich an die schwierigen Anfänge und verrät, was er gegen Ketschap hat.

Herr Dr. Zehetmair, fünf Jahre Reform der Reform – wagen wir einen Rückblick. Die Diskussion um die Neue Rechtschreibung wurde damals unglaublich emotional geführt – warum?

Zehetmair: «Das ist jetzt meine subjektive Erfahrung: Der Ausgangspunkt, eine umfassende Rechtschreibreform im deutschsprachigen Raum auf den Plan zu bringen, war ein ideologischer. Dass die Politik dann versucht hat, par Ordre de Mufti Verordnungen zu bringen, das war meiner Meinung nach ein Fehler. Und ich habe auch immer gesagt, das darf sich nicht wiederholen. Aber die Emotionalität war eben da und es hat seine Zeit gedauert, bis man sich gegenseitig nicht mehr böse Absicht oder geringeres Wissen unterstellt hat.»

Sie sind damals mit dem Ziel angetreten, den «Sprachfrieden» wieder herzustellen. Haben Sie das geschafft?

Zehetmair: «Ja, ich glaube, das kann ich uneingeschränkt sagen. Dass es zu dem ein oder anderen Wort gewisse, anhaltende Diskussionen gibt, das ist in Ordnung, die Sprache ist ja kein logisches Konstrukt. Ich gehöre zu denen, die sagen, Sprache ist ein lebendiges Organ und da kann man sich bemühen, im Nachhinein Regeln zu erkennen und festzuschreiben, die es Kindern leichter machen, die Sprache zu erlernen, weil man ihnen Dinge dann erklären und ihnen die Unsicherheit nehmen kann. Die Rechtschreibung ist ja kein Lieblingskind unserer Kinder.»

Glauben Sie, dass es Kinder in der Schule heute – nach der Reform und nach der Reform der Reform – leichter haben als Kinder, die noch die gute alte Rechtschreibung erlernen mussten?

Zehetmair: «Sie könnten es leichter haben. Einige Dinge sind leichter geworden: Zum Beispiel die Unterscheidung zwischen scharfem s und Doppel-s. Nach kurzem Vokal gibt es ein Doppel-s, nach langem ein scharfes s. Dass viele aus der älteren Generation sagen, sie schreiben weiter wie früher, das finde ich in Ordnung. Für die war die Reform ja nicht gedacht.»

Wie halten Sie selbst es mit der Rechtschreibung?

Zehetmair: «Ich schreibe nach der neuen Rechtschreibung. Das ist mir auch nicht schwer gefallen. Ich war so intensiv mit der Untersuchung befasst, dass ich da sehr tief einsteigen konnte. Man bekommt dann allerdings auch einen gewissen Schlag, wenn man sich über Jahre nur damit befasst. Manchmal muss man aufpassen, dass das nicht zur Psychose wird.»

Was sind denn die wichtigsten Änderungen an der Reform, die der Rechtschreibrat angestoßen hat?

Zehetmair: «Das waren schon die vier Kernpunkte, die wir uns zu Anfang vorgenommen haben. Der erste war die Groß- und Kleinschreibung. Da gab es in der Reformbewegung den Trend, einfach alles groß zu schreiben. Der zweite war die Getrennt- und Zusammenschreibung, weil es einfach einen Sinn-Unterschied macht, ob jemand in den wohlverdienten Ruhestand geht oder in den wohl verdienten mit dem Unterton: Ganz sicher ist man sich nicht, ob er ihn verdient hat. Der dritte Punkt war die Kommatasetzung. Kommata sind für die Lesefreundlichkeit einfach sehr wichtig. Und der letzte Punkt war die Trennung von Wörtern. A-pfel, das ist einfach nicht ästhetisch. Im Übrigen sind Kinder ohnehin klug genug, dass sie einfach auf der nächsten Zeile weiterschreiben, wenn sie sich bei der richtigen Trennung nicht ganz sicher sind. Und dann kam der große Block der Fremdwörter.»

Was war Ihnen da wichtig?

Zehetmair: «Da muss man entscheiden, ob etwas inzwischen eingedeutscht ist – wie beim Frisör – oder nach wie vor ein Spezialbegriff ist wie beim Portemonnaie. Wir haben bislang schon die Erfahrung gemacht, dass die Kinder auch mit Fremdwörtern schon erstaunlich sicher umgehen. Dass sie das Portemonnaie, um das so viel gestritten wurde, nicht in der simplifizierten Vorschlagsform schreiben – mit einfachem e –, sondern dass sie es zu 90 Prozent richtig schreiben – wenn sie es nicht durch Geldbeutel ersetzen. Wir dürfen da nichts verfremden. Ski kann man natürlich auch Schi schreiben, da reg ich mich nicht auf. Ich habe nur was dagegen, wenn man meint, dass man Restaurant mit o schreiben muss. Wer sich das Restaurant leisten kann, kann auch das Wort Restaurant dort lesen. Es kommt nun einmal aus dem Französischen.»

Was ist das blödeste Wort oder die blödeste Schreibweise, die Ihnen untergekommen ist?

Zehetmair: «Ketschap! Das mag ich eh nicht, aber darum geht es ja nicht. Alle kennen es als Ketchup. Wieso soll man das, was auf allen Tuben und Flaschen steht, denn dann ändern? Da wäre das mir ohnehin nicht sonderlich sympathische Ketchup geschmacklich völlig entstellt. Wenn ein Begriff schon jahrelang gebraucht wird und man keinen anderen Begriff hat, dann gibt es irgendwo Grenzen. Wir schreiben Jeans ja auch nicht plötzlich mit i.»

Interview: Britta Schultejans, dpa

(Erschienen z. B. in NWZ online [unvollständig] und der Frankfurt Neuen Presse, außerdem zu finden auf bildungsklick.de)

Quelle: Berliner Literaturkritik
Link: http://www.berlinerliteraturkritik.de/detailseite/artikel/rechtschreibrat-zieht-bilanz.html

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