07.01.2011 Theodor Ickler Rat auf ReisenMit dem Jahr 2010 ist auch die erste Amtsperiode des Rates für deutsche Rechtschreibung zu Ende gegangen. Im Dezember legte er den Kultusministern seinen Rechenschaftsbericht vor.Das konkrete Ergebnis der letzten vier Jahre: Der Rat schlägt den Politikern vor, 16 „forciert integrierte“ Schreibvarianten aus dem Wörterverzeichnis von 1996 zu entfernen, weil niemand von ihnen Gebrauch mache: Butike, Kupee, Mohär, Sutane, Fassette, Kabrio, Krem/Kreme, Maffia, Maläse, Scharm (inkl. scharmant), Sketsch, transchieren, Katarr, Myrre, Schikoree, Schose. Was der Bericht verschweigt: Zehn davon standen schon im alten Duden, haben also mit der Rechtschreibreform gar nichts zu tun. Auch ohne die Reform und den Rat hätte der Duden sie nach und nach getilgt, wie er es stillschweigend mit Kautsch und Schofför getan hat. Außerdem sollen vier Varianten neu aufgenommen werden: Caprice, Clementine, Crème und Schmand. Es geht also um ein wenig Kosmetik am Wörterverzeichnis. Warum sollten die Kultusminister Änderungsvorschläge annehmen, die trotz ihrer Geringfügigkeit den Neudruck aller Wörterbücher nach sich ziehen würden? Das müssen sich die Ratsmitglieder auch überlegt haben. Vielleicht wollten sie sich mit ihren lächerlichen „Arbeitsergebnissen“ nur einen Jux machen. An die verbliebenen schweren Mängel des eigentlichen Regelwerks hat der Rat sich nicht herangetraut. Ein listiger Versuch der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, im Zuge einer redaktionellen Verbesserung der Regeln auch gleich die verunglückte Groß- und Kleinschreibung zu revidieren, wurde sofort durchschaut und abgeschmettert. Der Rat fühlt sich anscheinend weiterhin an die Weisungen der Kultusminister gebunden, die 2005 jede inhaltliche Weiterarbeit verhinderten und den Rat darauf festlegten, „die Sprachentwicklung zu beobachten“ – wozu ein solches Gremium schon aufgrund seiner Zusammensetzung nicht in der Lage ist. Um diese offenkundige Verlegenheit wird auf den vierzig Seiten des Berichts in wortreichem Bürokratendeutsch und mit vielen grammatischen, stilistischen und sachlichen Schnitzern herumgeredet. Nur ein kleines Beispiel, um das Niveau der ganzen Unternehmung zu kennzeichnen: Weder der Vorsitzende Zehetmair noch die anderen 40 Experten scheinen zu wissen, was „Älchen“ sind, nämlich keineswegs nur kleine Aale. Was tut man, wenn man nichts tun darf? Die Wörterbuchredaktionen, die im Rat den Ton angeben, haben Statistiken erstellt, aus denen zum Beispiel hervorgeht: Kammmacher wird nun durchgehend reformgemäß mit drei m geschrieben, kommt allerdings praktisch nur im Titel von Gottfried Kellers Erzählung vor. Als Beweis für die hohe Akzeptanz der Rechtschreibreform ist das nicht gerade überzeugend. Interessanter ist das folgende Ergebnis: Unmittelbar nach 1996 konnte man sehr oft Spagetti und Tunfisch lesen, aber seither sind die Medien weitgehend zur alten Schreibung mit h zurückgekehrt. Trotzdem werden diese und andere Wörter (noch) nicht zur Rücknahme vorgeschlagen. Im Berichtszeitraum tagte der vierzigköpfige Rat zehnmal an verschiedenen Orten Europas (Mannheim, München, Eupen, Wien, Vaduz, Bozen, Bern, Berlin), hinzu kamen Sitzungen der Arbeitsgruppen. Der Bericht beklagt die unregelmäßige Teilnahme, die eine kontinuierliche Arbeit erschwert habe. Vorsichtig gerechnet, waren also für den Vorschlag, Butike zu streichen, rund 20 Reisen erforderlich, 20 weitere für Sutane usw.! Der Rat kann sich nicht selbst auflösen; diesen letzten Dienst können ihm nur die Kultusminister erweisen. Der anstehende Wechsel in der Besetzung wäre eine gute Gelegenheit. Quelle: Süddeutsche Zeitung
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