03.05.2010


Sprachsicherheit

Vorschau auf die Frühlingstagung der SOK

Am Donnerstag, den 20. Mai 2010, hält die Schweizer Orthographische Konferenz (SOK) im Zunfthaus zur Waag, Zürich, ihre Frühlingstagung ab (Beginn 15 Uhr). Mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber veröffentlichen wir hier die Vorschau auf diese Tagung, wie sie demnächst in den Mitteilungen 1+2/2010 des Sprachkreises Deutsch (Bern) erscheinen wird.

Eine sichere und klare Sprache ist Voraussetzung unseres Zusammenlebens. Arthur Schopenhauer schrieb: „Eine Sprache soll den Gedanken ausdrücken; nicht uns überlassen ihn zu rathen.“ Das gilt natürlich auch für die schriftliche Form der Sprache, und damit ist der Rechtschreibung ihr Platz bestimmt: es ist keineswegs der Platz in der Ecke. Auch wer die Orthographie mit heftigen Ausdrücken verdammen oder in herablassender Abgeklärtheit als unwichtig abtun möchte, hält sich an sie, wenn er seine Stellungnahme aufschreibt – damit er gelesen und verstanden werden kann.

Wie steht es mit der Sprachsicherheit im vierzehnten Jahr der Reform der Rechtschreibung? Wird der Kompromiß, den der Rat für Rechtschreibung ausarbeitete, angenommen? Sind Sprachrichtigkeit und Einheitlichkeit der Rechtschreibung wiederhergestellt? (In Klammern: Die Antwort lautet nein.) Ein Fachreferat von Stefan Stirnemann gibt einen Überblick: „Grundsätze, Grund-Sätze, grunzende Sätze - Bericht zur Lage der Rechtschreibungen im Jahre 2010“.
Anschließend findet eine Arena statt. Es leitet sie der unvergessene Herr der Arena: Filippo Leutenegger, Gründungsmitglied der SOK, Nationalrat, Leiter des Verlages neue-ideen.ch AG. Im Podium sind vertreten: Der Verein „Medienkritik Schweiz“, die Autorinnen und Autoren der Schweiz (AdS), die Interessengemeinschaft Österreichischer Autorinnen und Autoren (IGAA), der Rat für deutsche Rechtschreibung und die Arbeitsgruppe der SOK.
Wie es zu einer Arena gehört, sind alle Anwesenden Gesprächsteilnehmer. Thema: Sprachsicherheit in der Presse, in der Literatur, im Staat und in der Schule. Ein Imbiß und Umtrunk wird Gelegenheit für weitere Gespräche geben. Möglich gemacht wird die Tagung durch den Sprachkreis Deutsch SKD.

Ein paar Schlaglichter auf das Thema: In der Schweizer Presse wird der wichtigste Grundsatz der SOK, „Bei Varianten die herkömmliche“, zunehmend befolgt. Und eine wachsende Zahl von Zeitungen und Zeitschriften setzt auch weitere Empfehlungen der SOK um, auch jene Empfehlungen, mit denen sich die SOK vom Rat für Rechtschreibung entfernt. Damit wird die kluge Auswahl der Regeln, welche die NZZ seinerzeit getroffen hat und welche die Grundlage der Arbeit der SOK bildet, in der Schweiz immer fester verankert. Eine weitergehende Vereinheitlichung in der Schweiz wird die Verkrampfung lösen, in die Deutschland gefallen ist.

Wie steht es mit der Literatur? Die Autorinnen und Autoren Österreichs haben vertraglich erreicht, daß ihre Texte nicht einfach für Schulbuchzwecke an neue orthographische Normen angepaßt werden dürfen. Ihre Schweizer Kollegen und Kolleginnen werden ihnen hier folgen. Und zahlreich sind die Neuerscheinungen, die sich um die Reform und ihre Reformen nicht im geringsten kümmern. Zwei Beispiele: Die wunderbare, tausendseitige Gedichtsammlung, welche Wulf Kirsten im Ammann Verlag herausgegeben hat („Beständig ist das leicht Verletzliche“, Gedichte in deutscher Sprache von Nietzsche bis Celan, 2009), und die Tagebuchfragmente aus dem Nachlaß von Max Frisch, bei Suhrkamp herausgegeben von Peter von Matt (Max Frisch, Entwürfe zu einem dritten Tagebuch, 2010).

In der staatlichen Verwaltung gilt nach wie vor der Leitfaden der Bundeskanzlei (3., vollständig neu bearbeitete Auflage, 2008). Die neue Auflage ist zwar in manchem besser als ihre beiden Vorgängerinnen, aber auch sie ist noch fehlerhaft genug. Mitglieder der Arbeitsgruppe der SOK haben sich mehrere Male in die Berner Bundesverwaltung bemüht und haben den Verfassern dieses Leitfadens und ihrer Vorgesetzten, der Bundeskanzlerin Casanova, ausführlich gezeigt, was alles zu verbessern ist (vgl. „Besser ist nicht gut genug“, Mitteilungen Nr. 1+2/2009). Man weiß in Bern, daß es nicht um Kleinigkeiten geht. Und dennoch hat Margret Schiedt, Autorin des Leitfadens und Mitglied des Rates für Rechtschreibung, gemäß einem Protokollentwurf im Rat für Rechtschreibung kaltblütig erklärt, daß Korrekturbedarf nur in wenigen Fällen bestehe.

Und die Schule? Lehrer und Schüler, welche die Rechtschreibung ernst nehmen, werden an der Nase herumgeführt. Als Beispiel sollen Ulrich Knobels „Übungen zur Rechtschreibung“ dienen, welche der Verlag der Sekundarlehrerkonferenz des Kantons Zürich herausgegeben hat. Wer das teure Werk heute kauft, kann auf vielen Seiten Regeln lernen und einüben, die zum Teil schon im August 2000, als das Buch erstmals erschien, überholt waren. Für Knobel ist immer noch „Es tut uns Leid“ richtig, und „Sie hat recht“ falsch. (Vgl. „Ulrich Knobel verbessert Reiner Kunze“, Mitteilungen Nr. 2/2005.) Daß solche Bücher angeboten werden, zeigt, was ihre Verfasser und Verleger von Schülern und Lehrern halten, nämlich nichts – für die Schule ist offenbar alles gut genug. Aber auch das sogenannte Referenzwerk, das der LCH, der Dachverband der Schweizer Lehrkräfte, mit den Erziehungsdirektoren aushandelte, ist unbrauchbar: der Schweizer Schülerduden. Seine Autoren fühlen sich auch solchen Grundsätzen der Reform verpflichtet, die der Rat für Rechtschreibung aufgehoben hat, und unterschlagen viele Schreibweisen, so daß einem Schweizer Schüler „seit langem“ als Fehler angestrichen werden muß, obwohl der Rat für Rechtschreibung die Kleinschreibung gelten läßt.

Das Grundproblem ist, daß die Öffentlichkeit nicht Bescheid darüber weiß, was unter dem Titel „Rechtschreibreform“ in den letzten Jahren getan wurde und wie die Lage heute ist. Wer Bescheid weiß, dessen Urteil steht fest. Die Öffentlichkeit zu unterrichten ist ein Hauptanliegen der SOK.

Es gibt also genug zu besprechen, und es gibt vor allem genug zu tun. Die Reise nach Zürich wird sich lohnen. Willkommen im Zunfthaus zur Waag!



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http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=651