20.08.2009


Autoren verlangen Respekt für die Gestalt ihrer Texte

„Auch Rechtschreibanpassungen bedürfen der Einwilligung der Urheber.“

Der Verband AdS, Autorinnen und Autoren der Schweiz, verlangt, dass die von ihnen gewählte Gestalt eines Textes respektiert wird. Zur Gestalt gehöre ausdrücklich auch die Rechtschreibung.
Der Verband ersucht die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates in einer Eingabe vom 20. August 2009, „dafür zu sorgen, dass das amtliche Regelwerk endlich unabhängig von Politik, Ideologie und wirtschaftlichen Interessen korrigiert wird und dass die neue Rechtschreibung in der dafür nötigen Zeit in Schule und Verwaltung ausgesetzt wird. Für einen gangbaren Weg halten wir die Empfehlungen der Schweizer Orthographischen Konferenz (SOK).“

Die Eingabe ist vom Präsidenten des AdS, Francesco Micieli, und der Geschäftsführerin, Nicole Pfister Fetz, unterschrieben. Erstunterzeichner sind die Autoren Jürg Amann, Urs Faes, Charles Linsmayer, Klaus Merz, Pirmin Meier, Adolf Muschg, Suzann-Viola Renninger, Peter von Matt, Gisela Widmer, Urs Widmer und Peter Zeindler.

Beispielhaft ist die Vereinbarung zwischen der Interessengemeinschaft österreichischer Autorinnen und Autoren und den österreichischen Schulbuchverlagen, die am 1. Januar 2010 in Kraft treten soll. Danach haben die Schulbuchverlage das Recht, Ausschnitte aus Werken zu publizieren, dürfen die Texte dabei aber nicht bearbeiten und entstellen. „Auch Rechtschreibanpassungen (inklusive Interpunktion) bedürfen der Einwilligung der Urheber.“ Die Vereinbarung hat auch die Unterstützung des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur.

(www.sok.ch)



Zürich, 20. August 2009

Die neue Rechtschreibung und die Gestalt eines Textes
Eingabe an die nationalrätliche Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur

Sehr geehrte Damen und Herren Nationalräte

Nach dreizehn Jahren versuchter Verbesserung gibt die neue Rechtschreibung unseren Texten noch immer keine feste Gestalt.

Lichtenbergs Aphorismus „Mir tun viele Dinge weh, die andern nur leid tun“ wurde acht Jahre lang in diese Form gezwungen: „Mir tun viele Dinge weh, die andern nur Leid tun“. Das ist korrigiert worden, dafür schreibt die neueste Doktrin der Reformer die Formel „recht und gut daran tun“ zu „Recht und gut daran tun“ um.

Wenn unser Kollege Thomas Hürlimann von Bibliothekaren schreibt, die „gräulich verstaubt“ sind, und so die Farbe des Staubs bezeichnet, so wollen die Reformer, dass mit diesem „gräulich“ auch „greulich“ gemeint sein kann. Im neuen Schweizer Schülerduden schliesslich lesen wir, dass ein „wohl bekannter“ Schriftsteller dasselbe sei wie ein „wohlbekannter“ Schriftsteller. Wir sind der Meinung, dass es nicht reicht, wohl bekannt zu sein, um flugs als wohlbekannt zu gelten.

Friedrich Dürrenmatt sagte 1954, als eine Vorform der aktuellen Reform eingeführt werden sollte: „Ändert man die Orthographie, ändert man die Sprache. Gegen Sintfluten kann man nicht kämpfen, nur Archen bauen: Nicht mitmachen.“ Heute werden Autorinnen und Autoren mit dem Hinweis auf angebliche Bedürfnisse der Schule unter Druck gesetzt und sollen entgegen der besseren Einsicht mitmachen und sich an untaugliche und letztlich beliebige Regeln halten.

Wir erwarten im Gegenteil von der Schule, dass Schülerinnen und Schüler, also unsere zukünftigen Leserinnen und Leser und vielleicht selbst einst Autoren, sorgfältig in die Formen des schriftlichen Ausdrucks eingeführt werden. Sie dürfen nicht den Eindruck erhalten, dass an der Gestalt eines Textes eigentlich nichts liegt.

Wir erwarten, dass die von uns gewählte Gestalt eines Textes respektiert wird.

Wir ersuchen die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur, ihre Verantwortung wahrzunehmen und dafür zu sorgen, dass das amtliche Regelwerk endlich unabhängig von Politik, Ideologie und wirtschaftlichen Interessen korrigiert wird und dass die neue Rechtschreibung in der dafür nötigen Zeit in Schule und Verwaltung ausgesetzt wird.

Für einen gangbaren Weg halten wir die Empfehlungen der Schweizer Orthographischen Konferenz (SOK).

Freundliche Grüsse

Im Namen von Vorstand und Geschäftsleitung:

Francesco Micieli, Präsident AdS

Nicole Pfister Fetz, Geschäftsführerin AdS

(Quelle: PDF-Datei)



Vereinbarung österreichischer Schulbuchverlage und der Interessengemeinschaft österreichischer Autorinnen und Autoren zum Umgang mit Texten im Rahmen der gesetzlich geregelten Freien Werknutzung

Präambel

Literarische Texte, Gedichte, Prosa, Dramen, Essays sind Kunstwerke. Sie dürfen nach dem Urheberpersönlichkeitsrecht nicht entstellt wiedergegeben werden. Dies gilt auch für den Bereich der Freien Werknutzung.

Die Freie Werknutzung im Bildungsbereich ist das geeignete Instrument, jungen Menschen die Begegnung mit literarischen Werken nach den Kriterien der jeweils gültigen Lehrpläne bei leistbarem Aufwand für die Schulbuchverlage zu ermöglichen. Auch wird dadurch garantiert, daß das gesamte literarische Schaffen für Bildungszwecke zur Verfügung steht.

Aus unterschiedlichen Gründen entsprach in der Vergangenheit die Übernahme von Originaltexten in Lehrbücher und andere Unterrichtsbehelfe vielfach nicht der von den Urhebern zu Recht erwarteten Qualität. Verschärft wurde das Problem durch Umstände, die sich aus der Rechtschreibreform 1996 und deren teilweiser Rücknahme bzw. Weiterentwicklung in den Jahren seither ergaben.

Die unterzeichneten Schulbuchverlage sowie die IG österreichischer Autorinnen und Autoren sind übereingekommen, die unten im Detail ausgeführte freiwillige Vereinbarung abzuschließen, um in Zukunft der österreichischen Schule die bestmögliche Wiedergabe literarischer Kunstwerke ganz oder in Ausschnitten anbieten zu können.

Als Voraussetzung für diese Vereinbarung wird von beiden Parteien sowie dem Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur (BMUKK) folgendes außer Streit gestellt:

Die freiwillige Vereinbarung bezieht sich auf Texte österreichischer Autorinnen und Autoren, deren Werke urheberrechtlich geschützt sind.

Die Schulbuchverlage haben gemäß der Freien Werknutzung das Recht, Ausschnitte zu publizieren bzw. ausgewiesene Kürzungen an den gewählten Werkausschnitten vorzunehmen.

Die je gültige amtliche Rechtschreibung ist im Bildungsbereich verpflichtend anzuwenden. Das BMUKK stellt unmißverständlich klar, daß urheberrechtlich geschützte literarische Texte davon nicht betroffen sind. Die freie Werknutzung räumt keinerlei Bearbeitungsrechte ein. Auch Rechtschreibanpassungen (inklusive Interpunktion) bedürfen der Einwilligung der Urheber oder ihrer Erben bzw. einer von beiden Seiten akzeptierten Grundsatzregelung, wie sie mit dem Beitritt zu dieser Vereinbarung gegeben ist.

Wie von namhaften Schriftstellerinnen und Schriftstellern in zahlreichen Publikationen ausführlich dargelegt, bestehen zwischen der schriftlichen Wiedergabe von Sprache und dem gesprochenen Akzent bzw. semantischen Aspekten Beziehungen, die durch amtliche Orthographieregelwerke in gewissen Bereichen nur unzulänglich abgebildet werden. Im Rahmen der Freiheit der Kunst nehmen Autorinnen und Autoren das Recht in Anspruch, eine vom verordneten Standard abweichende Rechtschreibung zu verwenden. Dieses Recht auf Integrität eines Kunstwerkes schließt ausdrücklich die Ablehnung ganzer Orthographiereformen oder bestimmter Teile davon ein. Ab der 9. Schulstufe wird allen österreichischen Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit geboten, literarische Werke im Rechtschreiboriginal kennenzulernen, auch wenn, etwa in der s-ss-ß-Schreibung, kein automatischer Zusammenhang mit ästhetischen Überlegungen der Urheber gegeben scheinen mag. Ob sich ein literarisches Kunstwerk auch durch seine Orthographie definiert, liegt im Ermessen der Urheber oder ihrer Erben. Den Schulbuchverlagen steht es frei, in geeigneter Form auf den Umstand zu verweisen, daß Texte abweichend vom amtlichen orthographischen Regelwerk publiziert werden.

Die Publikation urheberrechtlich geschützter literarischer Werke oder Werkausschnitte in Lehrbüchern und anderen Unterrichtsbehelfen der ersten acht Schulstufen setzt das Einverständnis der Urheber oder ihrer Erben voraus, orthographische Anpassungen an das amtliche Regelwerk vornehmen zu dürfen. Dieses Einverständnis wird als gegeben angesehen, wenn die betreffenden Autorinnen, Autoren und Erben sich nicht auf die Liste derer setzen lassen, die nach den Bestimmungen dieser Vereinbarung über beabsichtigte Veröffentlichungen und deren Gestalt im Rahmen der Freien Werknutzung informiert werden müssen.

Die Partner der Vereinbarung

Die IG österreichischer Autorinnen und Autoren wurde 1971 als gemeinsame Verhandlungsdelegation österreichischer Schriftstellerverbände gegründet und 1981 als eigenständige Mitgliederorganisation neu aufgebaut. Sie vertritt derzeit rund 4.000 Mitglieder sowie ca. 70 Mitgliedsverbände und ist unter anderem in folgenden Bereichen aktiv: Förderung und Wahrung der beruflichen, rechtlichen und sozialen Interessen der österreichischen Schriftstellerinnen und Schriftsteller – insbesondere Vertragspartnern und Behörden gegenüber; generelle und individuelle soziale und rechtliche Beratung und Information; Rechtsberatung und Rechtsschutz in vertraglichen Angelegenheiten und in allen Fällen von Zensur; Initiativen auf dem Gebiet des Steuer-, Sozial- und Urheberrechts; Entwicklung und Begutachtung von für schriftstellerisches Arbeiten relevanten Gesetzen und generellen vertraglichen Regelungen.

Die österreichischen Schulbuchverlage entwickeln und vertreiben im Rahmen der österreichischen Schulbuchaktion approbierte Schulbücher und Unterrichtsmaterialien.

(Quelle: PDF-Datei)



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