25.06.2008


Das große ß ist da

– ohne amtliche Auswirkung auf die Rechtschreibung

Die internationalen Normungsgremien haben dem großen Eszett einen Platz im Zeichensatz zugewiesen, sich aber aus der deutschen Rechtschreibregelung herausgehalten; der Rat für deutsche Rechtschreibung schließt eine neue Rechtschreibreform für das große ß aus. „Die Menschen werden entscheiden, ob sie es verwenden“ (Güthert).

Die letzte Lücke im deutschen Alphabet ist geschlossen – zumindest technisch. Das ß gibt es nun auch als Großbuchstabe erstmals verankert in den internationalen Zeichensätzen ISO-10646 und Unicode 5.1. Es hat dort den Platz mit der Bezeichnung 1E9E. Das bestätigte das Deutsche Institut für Normung (DIN) in Berlin auf Anfrage. Damit hatte ein Antrag der DIN-Leute, eine Norm für das große ß zu schaffen, teilweise Erfolg.

Die Rechtschreibregeln sind davon zunächst nicht betroffen. Sie sehen vor, dass das ß weiterhin in Großschreibweise als SS dargestellt wird. Obwohl dies der Logik der Groß- und Kleinschreibung widerspricht, wollten die internationalen Normungsgremien nicht daran rütteln und haben sich – wie zu hören ist nach kontroverser Diskussion – aus der deutschen Rechtschreibung lieber diplomatisch herausgehalten.

Seit 130 Jahren war immer wieder darüber diskutiert worden, dem ß wie allen anderen Buchstaben eine große – sprich versale – Variante zu verschaffen. Eine neue Rechtschreibreform für das große ß schließt der Rat für deutsche Rechtschreibung – wohl nach den Erfahrungen mit der letzten Reform – zwar aus, aber: «Die Menschen werden entscheiden, ob sie es verwenden», sagt Geschäftsführerin Kerstin Güthert.

Das hängt aber auch nicht zuletzt davon ab, wie leicht sich der Buchstabe auf den Tastaturen erzeugen lässt. Inzwischen sind bereits die ersten Tastaturtreiber auf dem Markt, die das große ß mit Hilfe einer Tastenkombination auftauchen lassen.

Der Durchbruch als internationale Norm kommt zu einem Zeitpunkt, da dem ß mit der Rechtschreibreform ein erheblicher Teil seiner Anwendung genommen wurde. Aber ganz ausmerzen, wie im Schweizerdeutsch, konnten die Sprachregler den Buchstaben nicht. Mit der Version als Majuskel könnte ihm nun ein Comeback gelingen, auch wenn kein einziges Wort mit einem ß beginnt und das Fehlen der versalen Variante nur bei der Großschreibweise des kompletten Wortes zum Problem wird.

In den 1950er Jahren zierte das große ß bereits den GROßEN DUDEN der DDR. Dann verschwand es wieder. «Bisher hat die Sprachgemeinschaft nicht die Notwendigkeit für ein großes ß gesehen», sagt Güthert. Dabei konnte die kleine Lücke im großen Normenkatalog durchaus Verwirrung stiften: Ist bei der MASSE die Masse gemeint oder sind es die Maße? Wenn Herr WEISS eine Rechnung erhält, muss diese dann auch von Herrn Weiß bezahlt werden? Es soll Steuerzahler gegeben haben, die die Forderungen des Finanzamts mit dieser Begründung verweigerten.

Der Typograph Andreas Stötzner begrüßt den neuen Buchstaben mit einer Sonderausgabe der Fachzeitschrift «Signa». Schrift-Designer haben für die gängigen Schrifttypen Versionen des großen Esszett entwickelt. Dabei muss es dem kleinen ähnlich sein, ohne dem großen B zu ähnlich zu werden. Mit mehreren Varianten für gängige Schriftarten haben die Designer das Problem zu lösen versucht. Im Grunde sieht das große Esszett wie sein "aufgepumpter" kleiner Buchstaben-Bruder aus: Allerdings ist der obere Bogen des Großbuchstaben kantig abgeknickt.

Ob nun im nächsten Schritt die Tastaturen-Hersteller bereit sind, das ß aus seinem Schattendasein unter dem Fragezeichen zu erlösen, ist offen. Eine eigene Taste als vollwertiger 27. Buchstabe des Alphabets ist keine Kleinigkeit: «Das wäre ein erheblicher Eingriff in das Standard-Tastatur-Layout», sagt eine Sprecherin von Cherry, Marktführer bei Tastaturen in Deutschland. Ohne eigene Taste ließe sich die Tastatur zwar relativ leicht anpassen, eine Folge hätte dies aber für die beruflichen Schnellschreiber: «Das Maschineschreiben müsste dann teilweise neu gelernt werden.»

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