20.05.2008 Portugiesische RechtschreibreformParlament in Lissabon beschließt sprachliche Anpassung an Ex-Kolonie BrasilienFür viele Brasilianer war es eine Genugtuung: über 500 Jahre nach der Kolonisierung ihres Landes durch Portugal wurden die ehemaligen Kolonialherrscher nun orthographisch "gegenkolonisiert". Dafür waren diesmal weder See- noch Dschungelschlachten notwendig.Es reichte die Macht des Faktischen, welche die sozialistische Regierungsmehrheit im portugiesischen Parlament in der vergangenen Woche bewogen hat, das eigene, von rund zehn Millionen Portugiesen gesprochene Idiom an das von knapp 200 Millionen Brasilianern gesprochene Portugiesisch-Brasilianisch anzupassen. Die portugiesische Rechtschreibreform, berichten lokale Zeitungen, ist Teil eines vor zehn Jahren angestoßenen Prozesses, der darauf abzielt, das gegenwärtig in acht Ländern der Welt (neben Portugal und Brasilien auch Angola, Mosambik, Kapverden, Timor-Ost, Guinea-Bissau sowie São Tomé und Príncipe) als offizielle Amtssprache gesprochene Portugiesisch zu vereinheitlichen. Da die Vereinheitlichung auch mit einer Vereinfachung einhergehen sollte, war es klar, daß der große "Gewinner" nur das von der überwältigenden Mehrheit gesprochene Brasilianisch heißen konnte, das ja von Anfang an eine vereinfachte Form des Portugiesischen darstellte, weil die einzelnen Wörter melodischer, langsamer und ohne Silben zu verschlucken ausgesprochen werden. Macht des Praktischen Selbstverständlich gibt es auch in Portugal jede Menge Sprachpuristen, die die orthographische Anerkennung einer post-kolonialen Welt nicht mitmachen wollen. Eine Petition mit 33.000 Unterschriften sollte das Gesetzesvorhaben in letzter Minute stoppen. Die Aktion blieb letztendlich jedoch ohne Erfolg, weil neben der Macht des Faktischen auch die Macht des Praktischen eine erhebliche Rolle spielt. So konnten selbst einige großmachtnostalgische Abgeordnete zur Zustimmung mit dem Argument bewegt werden, daß ein einheitliches Portugiesisch bessere Chancen habe, als UNO-Sprache (derzeit Englisch, Französisch, Spanisch, Chinesisch, Russisch, Arabisch) aufgenommen zu werden. Noch pragmatischer argumentierende Abgeordnete haben darauf hingewiesen, daß es in Zeiten von Internet und Suchmaschinen ein erheblicher Vorteil sei, einem großen Sprachblock anzugehören, um im World Wide Web nicht unterzugehen. Sprachväter, nicht Gebieter Am Ende dürfte jedoch der Umstand, daß die Reform gerade einmal 1,4 Prozent der portugiesischen Wörter betrifft, dazu geführt haben, daß auch konservative Abgeordnete ihre Zustimmung geben konnte. "Wir sind zwar die Väter der portugiesischen Sprache, aber nicht ihre Gebieter", gab beispielsweise der christdemokratische Abgeordnete Nuno Melo in Anbetracht des Reförmchens großzügig zu. Noch weniger Probleme mit dem Brasilianischen haben die meisten Durchschnittsportugiesen, denen der Dialekt aus unzähligen, auch auf portugiesischen Fernsehschirmen laufenden brasilianischen "Telenovelas" vertraut ist. Skeptischer hingegen die Dichter und Denker des Landes. Ihr größter lebender Vertreter, Nobelpreisträger José Saramago, hat mit 85 Jahren keine Lust mehr, seine Rechtschreibung zu ändern: "Ich schreibe weiter wie bisher", wird er in portugiesischen Zeitungen zitiert, "mit der Reform dürfen sich dann meine Korrekturleser beschäftigen". In Brasilien rief die Reform verständlicherweise ungeteilte Freude hervor. Kommentatoren wiesen darauf hin, daß die Änderung mit dem 200. Jahrestag des Umzugs des portugiesischen Königshofs, auf der Flucht vor den napoleonischen Truppen, von Lissabon nach Rio de Janeiro zusammenfällt, als sich Brasilien erstmals von der Kolonie ins Zentrum der Kolonialmacht verwandelte. Link: http://europa.tiscali.de/11a060eadda.html
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