15.01.2008 Warum «dänken» und «mässen» wir nicht?Zu den Empfehlungen der Schweizer Orthographischen KonferenzAm 31. Dezember 2007 brachte der „Walliser Bote“ einen ganzseitigen Bericht über die SOK.Die Schweizer Orthographische Konferenz (SOK) ist im Jahr 2006 gegründet worden. Gründungsmitglieder waren Persönlichkeiten aus den Bereichen Verlag, Hochschulunterricht, Politik und Sprachpflege: Dr. Urs Breitenstein, Präsident des Schweizer Buchhändler- und Verlegerverbandes; Filippo Leutenegger, Nationalrat und Verleger Medienarena; Peter Müller, Direktor der Schweizerischen Depeschenagentur (SDA), ehemals zehn Jahre Chefkorrektor des «Tages-Anzeigers»; Robert Nef, Herausgeber der «Schweizer Monatshefte»; Stefan Stirnemann, Sprachkreis Deutsch (SKD), Gymnasiallehrer; Professor Dr. Rudolf Wachter, Universitäten Basel und Lausanne; Peter Zbinden, Präsident des Sprachkreises Deutsch. In der Arbeitsgruppe der SOK wirkt u. a. auch Stephan Dové, Chefkorrektor der «Neuen Zürcher Zeitung» und Mitglied des Rates für deutsche Rechtschreibung, mit. In dem vom deutschen alt Kultusminister Hans Zehetmair präsidierten Rat für deutsche Rechtschreibung sind die deutschsprachigen Länder vertreten. Jedermann kann übrigens Mitglied der SOK werden. Die Zahl der Mitglieder ist bereits auf rund 70 angewachsen. Der SOK ist es gelungen, wichtige Vertreter des schweizerischen und übrigen deutschsprachigen Presse- und Verlagswesens an einen Tisch zu bringen. Zielsetzung Die SOK, der mehrheitlich qualifizierte Sprach-Fachleute und auch zahlreiche aktive Journalisten und Autoren angehören, hat sich zum Ziel gesetzt, «die von der Rechtschreibreform beschädigte Einheitlichkeit und Sprachrichtigkeit der Rechtschreibung in Presse und Literatur der Schweiz wiederherzustellen». In der Tat hat die überstürzte Reform der Rechtschreibung in den letzten Jahren teils absurde Ausmasse angenommen. Der Grundsatz der SOK, bei den zugelassenen Varianten «die herkömmliche» zu wählen, aber auch andere Grundsätze, werden bereits von der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», der «Süddeutschen Zeitung», dem «Spiegel» und in der Schweiz von der Schweizerischen Depeschenagentur und der «Neuen Zürcher Zeitung» angewendet. An vier Tagungen hat die SOK Empfehlungen vorgestellt, deren Grundgedanken auszugsweise hier beigefügt sind. e-ä-Willkür Die SOK stellt fest, dass die von e auf ä geänderten Schreibweisen willkürlich herausgepickt wurden. Die Änderungen erfolgten aufgrund der Abstammung der Wörter (Stammschreibung). So wurde Gemse, die von Gams abstammen soll, als Gämse umbenannt. Stammschreibungen müssten noch zu viel mehr Umstellungen führen. Es ist nicht einzusehen, wieso wir nicht dänken (wegen Gedanken), frässen (wegen Frass), mässen (wegen Mass), Spängler (wegen Spange), sätzen (wegen Satz) schreiben sollten. Würde man dieses Prinzip weiterführen, müsste man Dutzende, wenn nicht Hunderte von Wörtern verändern (oder wie bei aufwändig die ä-Form als Variante zulassen). Varianten-Wolkenbruch Die neue Rechtschreibung ist, wie sich ein Referent ausdrückte, ein Varianten-Wolkenbruch, für den der Rat für deutsche Rechtschreibung verantwortlich ist. Dieser vor zwei Jahren eingesetzte Rat, der «die grossen Schwachstellen der neuen Regelung beheben will», fasst seine Beschlüsse mit Zweidrittelsmehrheit. Dies führte dazu, dass in vielen Fällen die herkömmlichen, sprachrichtigen Schreibweisen nur als Varianten neben die reformierten Schreibweisen gesetzt werden konnten. Immer noch will man heute aus dem Schiffbruch der Reform möglichst viel retten. Die vielen möglichen Varianten wirken allerdings nicht mehr im Sinne einer allgemein akzeptierten Schreibung, sondern chaotisch. Katastrophaler EDK-«Schweizer Duden» Kürzlich billigte die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) die mittlerweile dritte Fassung der neuen Rechtschreibregeln. Nun liegen auf dem Tisch ein blaugraues Heft der EDK als Handreichung und ein gelber Schülerduden. Von jetzt an dürfen unsere Kinder schreiben: sie fechtete, er flechtete. Vergessen wurden die neuen Titel Bachelor und Master. Neben dem katholischen Kaplan gibt es nun eine Kaplanin. So geht es weiter. Die EDK hat ein Regelwerk als verbindlich erklärt, das mit dem schon erwähnten Variantensalat die Schülerinnen und Schüler verwirrt und auch bei Trennregeln widersprüchlich ist, etwa mit kon-struktiv und des-truktiv. Parallel zum Schweizer Schülerduden ist ein deutscher erschienen, der eine andere Fassung der neuen Rechtschreibung bietet. Es wird sicher zu Verwechslungen kommen. Von einheitlicher Schreibung ist man weit entfernt. Der Schweizer Schülerduden ist so fehlerhaft, dass er zurückgezogen werden sollte. Tragisch ist, dass die Katastrophe durch die EDK nun amtliche Vorschrift wurde. Sprachreform: Eine unnötige Stümperei Insgesamt sanktioniert unsere EDK nun ein Regelwerk, das sich nach zehn Jahren der Reform und Reform der Reform als Stümperei erweist. Rechtschreibung wird, wie die «Weltwoche» schrieb, «eine Glückssache». Wie soll man da noch verbindlich deutsche Rechtschreibung unterrichten? Es ist dies eine Rechtschreibung übrigens, die zwischen gräulich (Farbton) und greulich (schrecklich) nicht unterscheiden will, für die alles gräulich ist. Die dauernden Korrekturen des Rates für deutsche Rechtschreibung und die unbesehene Übernahme dieser «Reformen» durch die mit Politikern besetzte EDK wirken allmählich lächerlich. Die Reformerei des letzten Jahrzehnts in der Rechtschreibung war in diesem Sinne auch nach Auffassung der SOK sinnlos und unnötig. Sie verursachte Kosten und verunsicherte auf der ganzen Linie. In ihren von Sprachwissenschaftern ausgearbeiteten Richtigstellungen und Wörterlisten im Internet (www.sok.ch) versucht die SOK ärgste Fehlentwicklungen aufzuzeigen – teils haarsträubende Fehlentwicklungen! ag. Sie stehen kritisch zur neuen Sprachreform (von links): Stephan Dové, Chefkorrektor NZZ; Peter Müller, Direktor der Schweizerischen Depeschenagentur; Robert Nef, Herausgeber «Schweizer Monatshefte»; Stefan Stirnemann, Sprachkreis Deutsch, Gymnasiallehrer; Professor Dr. Rudolf Wachter, Universitäten Basel und Lausanne; Dr. Urs Breitenstein, Präsident des Buchverlegerverbandes; Peter Zbinden, Präsident des Sprachkreises Deutsch Empfehlungen der Schweizer Orthographischen Konferenz Die folgenden Empfehlungen der SOK sind keineswegs vollständig. Die auf der Homepage www.sok.ch zugänglichen Listen, die hier aus Platzgründen nicht vollständig aufgeführt werden können, geben weitere Beispiele, Begründungen und Erklärungen. • Bei Varianten die herkömmliche. Man soll immer die herkömmliche Schreibung verwenden, wenn es sie nach der neuen Rechtschreibung gibt: aufwendig, nicht aufwändig; hochachten, nicht hoch achten . . . Dies gilt auch bei Kommaregeln. Und: Ein vielversprechender Politiker (von ihm wird viel erwartet) und ein viel versprechender Politiker (er verspricht vieles) sind keine Schreibvarianten, da sie sehr Verschiedenes bedeuten. • Bei den willkürlich umgestellten ä-Schreibungen die neuen Regeln nicht anwenden: Stengel, nicht Stängel; schneuzen, nicht schnäuzen… • Bei falsch hergeleiteten Wörtern die bisherige Schreibweise: verwenden: Zierat, nicht Zierrat; numerieren, nicht nummerieren; Platitüde, nicht Plattitüde… • Ableitungen von Personennamen auf «-isch» und «-sch» grundsätzlich klein schreiben, ausser bei zum Begriff gewordenen Ausdrücken wie «Halleyscher Komet, Ohmsches Gesetz» usw: also: goethesche Gedichte, bachsche Musik . . . • Bei Einzelfällen die neuen Regeln nicht anwenden: rauh, nicht rau; As, nicht Ass; Stop, nicht Stopp . . . • Schweizerische Formen bei Fremdwörtern beibehalten: Caramel, nicht Karamell; Crème, nicht Krem/Creme . . . • e nach ie muss möglich sein. Dies bei Anzeige von Möglichkeitsformen (Rilke Duineser Elegie: «Wer, wenn ich schriee . ..»), Versrhythmen usw. • Sparsame Verwendung der Grossschreibung. Die Reform macht hier einen Schritt zurück ins 19. Jahrhundert, etwa in der Erstere. Demgegenüber empfiehlt die SOK, Pronomen und Adverbialien klein zu schreiben: verschiedenes, manches, jung und alt, der erste beste, im folgenden, am besten, aufs beste . . . • Lateinische Fügungen: Erstes Wort gross, weitere klein: Angina pectoris, Curriculum vitae . . . • Tageszeiten klein, nicht gross: heute abend, gestern vormittag. Mit Artikel aber: Ein Sonntagabend, in der Montagnacht . . . • Zusammensetzungen mit mal klein: jedesmal, beidemal, einigemal . . . • Bei festen Redewendungen die herkömmliche Schreibung zulassen: auf dem laufenden/Laufenden sein; im dunkeln/Dunkeln tappen . . . • Bindestrich bei Ziffern weg: 19jährig, nicht 19-jährig: 8fach, nicht 8-fach . . . • Mehrgliedrige englische Fügungen nach Schweizer Usus: Blue Jeans, nicht Bluejeans; Tea-Room, nicht Tearoom; Traverler’s Check, nicht Travellerscheck . . . • Keine Empfehlungen bei circa/zirka, Disc/Disk, da der Schreibgebrauch unentschieden ist. Quelle: Walliser Bote, 3900 Brig-Glis (Wallis/Schweiz), Furkastrasse 21, info(at)walliserbote.ch Erscheinungsdatum: 31.12.2007, Seite 10. Verfasser: Dr. Alois Grichting
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