03.04.2007


Mehr Fehler als vorher

Forschungsgruppe Deutsche Sprache stellt der Rechtschreibreform verheerendes Zwischenzeugnis aus

Seit acht Monaten ist die Reform der Rechtschreibreform amtlich. Seit drei Monaten ist auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung wieder eingeschert und hat sich eingelassen auf die reformreformierte Schreibung.

Grund genug für Hans Zehetmair, den Vorsitzenden des Rats für deutsche Rechtschreibung, sich zu freuen, „dass die Einheitlichkeit der Rechtschreibung in Medien und Schule erreicht wird, die den gewünschten Rechtschreibfrieden sichert.“ Noch weitere vier Monate wird es dauern, bis am 1. August die maßgeblichen deutschen Nachrichtenagenturen ihre gemeinsame Hausorthographie einführen und damit auch die vielen Varianten vom Tisch sind. Und dann wissen alle endlich wieder, wie sie auszusehen hat, die deutsche Rechtschreibung. Soweit die Theorie.

Die Praxis sieht anders aus. Glaubt man Reinhard Markner, dem Vorsitzenden der Forschungsgruppe Deutsche Sprache, sieht sie sogar völlig anders aus: „Das gesunde Sprachempfinden hat durch die Reform und ihre Reformen schweren Schaden genommen.“ Grammatische Zusammenhänge seien durch die neuen Regeln, besonders die zur Groß- und Klein- sowie zur Zusammen- und Getrenntschreibung, nicht mehr erkennbar. Das Hauptziel der aus „sozial-revolutionär-romantischem Gedankengut“ einiger 68er geborenen Reform wurde klar verfehlt: „Es ging um Fehlervermeidung. Schlechten Schülern, armen Proletarier-Kindern, sollte die anti-elitäre Reform helfen. Aber tatsächlich werden nun mehr Fehler gemacht als vorher.“

Auch eine Folge des Umstandes, dass Kultusminister und Reform-Kommission von vornherein auf jede Form von Erfolgskontrolle verzichteten. So fällt die vorläufige Reform-Bilanz der Forschungsgruppe verheerend aus. Markner: „Der Zustand, den das Amtliche Regelwerk von 2006 hergestellt hat, ist unhaltbar, weil die Variantenvielfalt, die der Rat für deutsche Rechtschreibung hinterlassen hat, dem Ziel einer jeden Orthographie, der Feststellung einer annähernd einheitlichen Schreibkonvention, zuwiderläuft.“ An die Stelle des Streits um die bessere Einheitsorthographie trete so der Streit um die jeweils richtige von mehr als 3000 Varianten. Wegen dieser Varianten sieht die Forschungsgruppe auch an der Medienfront keinen Anlass zur Entwarnung.

Denn auch die angekündigte „Hausorthographie“ der Agenturen ist keineswegs eindeutig. Das Modell sieht – wieder in der Theorie – so aus: Wo zwischen den konkurrierenden Wörterbüchern Wahrig und Duden keine Einigkeit herrscht, und das ist bei rund 50 Prozent der 3000 Varianten der Fall, soll, soweit die Reformreform dies zulässt, auf die alte Schreibung zurückgegriffen werden und das Ergebnis mit Hilfe von Korrekturprogrammen „von der Stange“ realisierbar sein. Gerade bei Problemen der Getrennt- und Zusammenschreibung stoßen aber Korrektur-Programme schnell an ihre Grenzen.

Einen Ausweg aus der Misere weiß auch Markner nicht: „Man kann nichts mehr intuitiv richtig schreiben, sondern muss abstrakten Regeln folgen, die man entweder wieder vergisst oder nie lernt.“ Und die „fortdauernde Indoktrinierung der Schüler führt dazu, dass viele mittlerweile die verbogene Rechtschreibung für normal halten.“ Und im Zweifelsfalle auch durchzusetzen versuchten, wenn sie die Schule erst verlassen hätten.

Kurz- und mittelfristig wird also der Zustand allgemeiner Verunsicherung anhalten. Markner rechnet damit, dass es 20 bis 30 Jahre dauert; bis sich wieder allgemein verbindliche und, was noch wichtiger ist, anerkannte Normen gefestigt haben werden. Bis dahin bleibe nur die Hoffnung auf den technischen Fortschritt, auf Korrektur- und Autokorrektur-Programme, die wenigstens für eine automatisierte Vereinheitlichung sorgen könnten. Denn das neue Regelwerk ist „in sich inkonsistent und kaum erlernbar.“

Wie also kann es nun weitergehen im Reform-Dschungel, der den de facto bis 1996 weitgehend gesicherten Rechtschreib-Frieden überwuchert hat? Markner weiß ein einfaches Rezept: „Wer kann, soll seinem Sprachempfinden folgen und sich das Recht nehmen, so zu schreiben, wie er es für richtig hält.“ Das allerdings wird Schülern kaum helfen, die seit über zehn Jahren zwischen den Fronten dieser unglückseligen Reform stehen, die vom soziolinguistischen Experiment zur Machtprobe zwischen Staat und Gesellschaft geworden ist und mittlerweile zum Kulturkampf stilisiert wird. Sie können auch nicht warten, bis in zwei bis drei Jahrzehnten endlich neue Normen verfestigt sind.

Peter Korfmacher, Leipziger Volkszeitung, 3. 4. 2007



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